LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/13059 28.09.2016 Datum des Originals: 27.09.2016/Ausgegeben: 04.10.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5100 vom 2. September 2016 des Abgeordneten Dr. Joachim Paul PIRATEN Drucksache 16/12813 Welche Bedeutung hat der Friedensvertrag zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC für Nordrhein-Westfalen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Nach knapp vier Jahren Verhandlungen haben sich die kolumbianische Regierung und die Fuerzas Armadas Revolucionarios de Colombia (FARC) am 24. August 2016 auf die endgültige Fassung eines 297-seitigen Friedensvertrages geeinigt. Kurz darauf hat die kolumbianische Regierung eine offizielle Waffenruhe verkündet. Die globale historische Dimension des Zustandekommens des finalen Abkommens, welches den Endpunkt des 52 Jahre währenden bewaffneten Konfliktes mit knapp 220.000 Todesopfern und bis zu sieben Millionen Binnenvertriebenen darstellen soll, ist nicht groß genug einzuordnen. Es wird bereits heute als neues Kapitel in der Konfliktbeilegung angesehen. Die zentralen Punkte des finalen Friedensvertrages umfassen: Agrarreform: Hier werden die weitgehenden Entschädigungen für die vom Konflikt betroffene Landbevölkerung sowie eine gerechtere Verteilung des Landbesitzes geregelt. Die Landbevölkerung soll verlorenes Land zurückerhalten. Politische Partizipation: Nach der Waffenniederlegung sollen die FARC in eine zivile politische Organisation umgewandelt werden. Schon an den im Jahr 2018 stattfindenden Kongresswahlen darf sich die neugebildete politische Partei beteiligen. Beendigung des bewaffneten Konflikts: Die FARC verpflichten sich zur Waffenniederlegung, von der UN überwacht. Den schätzungsweise 6.000 bis 8.000 noch aktiven Kämpfern soll der Übergang in ein ziviles Leben erleichtert werden. Das geschieht in sogenannten Übergangszonen. Der kolumbianische Staat verpflichtet sich dazu, die Sicherheit der FARC-Mitglieder zu garantieren. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13059 2 Illegaler Drogenhandel: In den letzten Jahren drehte sich der Konflikt zunehmend um die Kontrolle von Drogenanbaugebieten. Nun haben sich Regierung und FARC auf die gemeinsame Bekämpfung des Drogenhandels geeinigt. Die Regierung willigte ein, zukünftig auf den Einsatz von chemischen Vernichtungsmitteln zu verzichten. Opfer und Übergangsjustiz („transitional justice“): Das umstrittenste Kapitel beschäftigt sich mit den millionenfachen Opfern sowie der Übergangsjustiz (auch: Sonderjustiz). Zivilgesellschaft und Menschenrechtsaktivisten, Politik und Wissenschaft streiten über die Angemessenheit der Ausgestaltung der Übergangsjustiz, welche Haftstrafen von maximal acht Jahren für FARC-Guerillas sowie Militärangehörige auch für vergleichsweise schwere Verbrechen, darunter Verbrechen gegen die Menschlichkeit, bei Schuldeingeständnis vorsieht. Einige schwerwiegende Verbrechen sollen mit Hausarrest und Arbeit im Dienste der Gemeinschaft bestraft werden. Eine „Sondergerichtsbarkeit für den Frieden“ wird als zuständige gerichtliche Instanz zur endgültigen und abschließenden Erforschung, Aufklärung, Verfolgung und Aburteilung aller mit dem Konflikt in Zusammenhang stehenden Straftaten etabliert. Der Friedensprozess steht trotz des Durchbruches erst am Anfang. Am 2. Oktober 2016 werden die Menschen in Kolumbien in einem per präsidentiellem Dekret und bereits erfolgter Zustimmung des kolumbianischen Kongresses einberufenen Volksentschied gefragt, ob sie dem Vertragstext zustimmen. Ein erfolgreicher Abschluss der Friedensbemühungen ist auch für Nordrhein-Westfalen von Bedeutung. Im Rahmen ihres letztjährigen offiziellen Besuches in Kolumbien mit großer Wirtschaftsdelegation stellte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft dankenswerterweise die immensen Kooperationspotenziale zwischen NRW und dem aufstrebenden südamerikanischen Land heraus. In der Vorbemerkung zur Antwort auf die Kleine Anfrage 4259 (Drs.16/11301) schrieb die nordrhein-westfälische Landesregierung im März 2016: „Das Land [Kolumbien] hat aufgrund seiner Größe, geografischen Lage, natürlichen Ressourcen und gut ausgebildeten Arbeitskräften das Potenzial, sich zum Wirtschaftsmotor des nördlichen Südamerika zu entwickeln und weit über seine Grenzen in die Nachbarländer bis nach Mittelamerika hinein auszustrahlen. Das Land besitzt alle Voraussetzungen für ein starkes Wirtschaftswachstum und bietet Firmen aus Nordrhein-Westfalen gute Marktpotenziale z.B. im Bereich Infrastruktur und Industrie 4.0.“ Der Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien und Chef der Staatskanzlei hat die Kleine Anfrage 5100 mit Schreiben vom 27. September 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk und dem Justizminister beantwortet. 1. Wie bewertet die Landesregierung das Zustandekommen sowie den Inhalt des nun finalen Friedensvertrages zwischen kolumbianischer Regierung und den FARC? Die Landesregierung begrüßt ausdrücklich den Abschluss der Verhandlungen: Mit dem Friedensschluss ist es gelungen, einen wichtigen Meilenstein zur Beendigung des jahrzehntelangen Konflikts zu setzen, der die kolumbianische Gesellschaft viele Jahre gespalten und zahlreiche Opfer gefordert hat. Die Ministerpräsidentin hat dem Präsidenten der Republik Kolumbien, Juan Manuel Santos Calderón, im Namen der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen und seiner Bevölkerung zum erfolgreichen Abschluss dieser für sein Land so wichtigen Friedensverhandlungen gratuliert. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13059 3 Aus Sicht der Landesregierung hat der Friedensvertrag zwischen kolumbianischer Regierung und FARC das Potential, die entscheidende Weichenstellung für eine dauerhafte Befriedung des Landes und der kolumbianischen Gesellschaft zu sein. Eine erfolgreiche Umsetzung des Abkommens würde es Kolumbien ermöglichen, seine erheblichen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Potentiale zu realisieren und zugleich den bürgerkriegsbedingten Investitionsstau und Nachholbedarf in den Bereichen Infrastruktur, Rohstoffe und Energie zu beheben. Was den konkreten Inhalt des Friedensvertrags angeht, ist es nicht Sache der Landesregierung Nordrhein-Westfalens, ihn zu bewerten: Vielmehr obliegt die Bewertung des Friedensvertrags der kolumbianischen Bevölkerung, die im Rahmen einer Volksabstimmung im Oktober dazu Gelegenheit erhalten wird. Nur mit ihrer Zustimmung und Unterstützung wird eine erfolgreiche Umsetzung des Abkommens gelingen können. 2. Freihandels- bzw. Investitionsschutzabkommen könnten nach Meinung vieler Experten den kolumbianischen Friedensprozess entscheidend stören, da ausländische Unternehmen hohe Entschädigungszahlungen z.B. aufgrund der geplanten Agrarreform einklagen könnten. Können nach Kenntnisstand der Landesregierung auch Unternehmen mit Sitz in NRW unter Berufung auf das europäisch-kolumbianische Freihandelsabkommen solche Klagen bemühen? Nach Kenntnisstand der Landesregierung erscheint eher fernliegend, dass Unternehmen mit Sitz in NRW unter Berufung auf das europäisch-kolumbianische Freihandelsabkommen hohe Entschädigungszahlungen einklagen. Das seit 2013 vorläufig in Kraft getretene Handelsübereinkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits enthält kein ausdrückliches Investitionsschutzkapitel. Das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kolumbien enthält lediglich Vorschriften zu sog. Staat-Staat- Streitschlichtungsverfahren, jedoch keine Regelungen zu Investor-Staat- Streitschlichtungsverfahren. Unternehmen mit Sitz in NRW haben daher nach dem europäisch-kolumbianischen Freihandelsabkommen keine Möglichkeit, Entschädigungsansprüche aufgrund von Enteignungen im Zuge der geplanten Agrarreform geltend zu machen. 3. Die Übergangsjustiz soll auch eine „Friedens-gerichtsbarkeit“, die unter anderem mit ausländischen Richtern besetzt wird, etablieren. Wird die Landesregierung Richter aus NRW zu dieser Tätigkeit ermutigen? s. Antwort zu Frage 4. 4. Ist die Landesregierung bereit, bei Anfragen an Richter aus NRW diese für den Zeitraum der Tätigkeit freizustellen? Die Landesregierung ist bereit, den Aufbau einer leistungsfähigen Justiz in Kolumbien zu unterstützen. Bislang sind seitens der kolumbianischen Regierung jedoch keine diesbezüglichen Anfragen an die Landesregierung herangetragen worden. Die Landesregierung wird bei einer entsprechenden Anfrage die Möglichkeit einer personellen Unterstützung der kolumbianischen Justiz, etwa durch eine Freistellung von Richterinnen und LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13059 4 Richtern aus Nordrhein-Westfalen für eine Tätigkeit in der kolumbianischen Justiz, wohlwollend prüfen. 5. Hat sich das wirtschaftliche Engagement von Firmen aus NRW seit der Kolumbienreise der Ministerpräsidentin und des Wirtschaftsministers („Markterkundung“) vor knapp einem Jahr erhöht? Die Kolumbienreise war als Markterkundungsreise angelegt und hat die Grundlage für eine deutliche Belebung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Kolumbien geschaffen. Als Ergebnis der Reise wurde bereits eine Vielzahl von Aktivitäten angestoßen. So haben sich in diesem und im kommenden Jahr mehrere Wirtschaftsdelegationen aus Kolumbien zu einem Besuch in NRW angekündigt, um die geknüpften Kontakte zu intensivieren. Geplant ist ein gemeinsamer Workshop zum Thema „Infrastruktur“ in enger Zusammenarbeit mit der kolumbianischen Wirtschaftsförderungsagentur ProColombia. Die während der Reise unterzeichnete Vereinbarung zwischen der TH Georg Agricola in Bochum und der Bergbaufakultät der Universidad National de Colombia in Medellín hat zu einem Austausch über praxisorientierte Lehrkonzepte geführt. Für den Abschluss konkreter Geschäftsbeziehungen war die Zeit seit der Reise aber noch zu kurz. Thematische Schwerpunkte waren Infrastruktur, Bauen und Energie. In diesen Bereichen ist der erforderliche Planungsvorlauf für konkrete Projekte meist so lang, dass die an der Reise beteiligten Unternehmen noch keine verbindlichen Geschäftsabschlüsse tätigen konnten. Auch die erforderliche Investitionssicherheit wird von vielen Unternehmen noch nicht als hinreichend bewertet. Dies wird sich erst nach Abschluss des Friedensprozesses ändern. Die Reise hat die mitreisenden Unternehmen und Wissenschaftler von den Potenzialen und Marktmöglichkeiten Kolumbiens überzeugt. Umgekehrt konnte die Ministerpräsidentin im Gespräch mit Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos großes Interesse für die besonderen Qualitäten des Wirtschafts- und Wissenschaftsstandorts Nordrhein-Westfalen mit seiner breit gefächerten Wirtschaftsstruktur und den hervorragenden Produkten in allen Sektoren wecken. Darauf lässt sich aufbauen, sobald der Friedensschluss von der Bevölkerung Kolumbiens gebilligt wurde. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/13059