LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/13192 14.10.2016 Datum des Originals: 13.10.2016/Ausgegeben: 19.10.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5144 vom 14. September 2016 der Abgeordneten Birgit Rydlewski und Torsten Sommer PIRATEN Drucksache 16/12955 Zwangsräumungen in Dortmund und Essen seit dem 01.01.2014 Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In seiner Kleinen Anfrage 4155 vom 18. Dezember 2015 (Drucksache 16/10542) hatte der Abgeordnete Nicolaus Kern darauf hingewiesen, dass „nach Zahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. [...] die Zahl der Zwangsräumungen und die damit verbundene Zahl von Menschen, die von Obdachlosigkeit bedroht sind, seit dem Jahr 2012 kontinuierlich gestiegen“ sei und vielfach „Mietschulden der Grund dafür, dass Menschen ihre Wohnung verlieren“ seien. Weiterhin hatte er die Prognose der BAG W wiedergegeben, derzufolge die „Zahl der Wohnungslosen in Deutschland bis zum Jahr 2018 auf über 530.000 Menschen steigen“ würde und dementsprechend seiner Befürchtung Ausdruck verliehen, dass „eine solche Entwicklung Nordrhein-Westfalen in besonderem Maße treffen“ würde. Aus diesem Grund hatte er in seiner Kleinen Anfrage nach der Anzahl an Räumungsklagen bei Gerichten in NRW in den Jahren 2013, 2014 und 2015 gefragt. In der dazugehörigen Antwort der Landesregierung vom 21.01.2016 (Drucksache 16/10849) hatte die Landesregierung mitgeteilt, dass zwar „im Rahmen der amtlichen Zivil-Statistik [...] Daten zu Verfahren in Wohnungsmietsachen erhoben“ würden, aus der Statistik allerdings nicht hervorgehe, „ob die Klagen allerdings speziell auf die Räumung der Wohnung gerichtet und ob sie in Mietschulden begründet“ seien. Zur Beantwortung der Frage wäre daher „eine aufwändige Durchsicht der entsprechenden Verfahrensakten erforderlich, die im Rahmen der für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage gesetzten Frist nicht geleistet werden kann“. Da die Thematik aber nichts von ihrer Bedeutung verloren hat, jede Zwangsräumung immer auch ein extremer Einschnitt in die Lebensverhältnisse der betroffenen Personen ist, und Zwangsräumungen oft zwangsläufige Nebenerscheinungen von nicht gewollten LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13192 2 Gentrifizierungsprozessen sind, stellt sich die Frage, ob diesem Thema auch in NRW nicht mehr Beachtung geschenkt werden sollte. Dies sollte vor allem auch deshalb im ureigenen Interesse der Landesregierung liegen, weil nach Aussage des Deutschen Instituts für Urbanistik „neben der Tatsache, dass Gentrifizierungsprozesse selten konfliktfrei verlaufen, [...] auch die Belastung öffentlicher Haushalte von Bedeutung“ ist. Denn: „Geht Gentrifizierung mit einer Verdrängung einkommensschwacher Haushalte einher, steigen meist auch die Ausgaben der öffentlichen Hand für die Absicherung des Wohnens derjenigen Bevölkerungsschichten, die sich ihre alten Wohnungen aufgrund von Mietpreissteigerungen nicht mehr leisten können.“ Vor dem gerade schon wiedergegebenen Hintergrund, dass mangels einer Statistik zu diesem Thema offensichtlich eine manuelle Durchsicht der entsprechenden Verfahrensakten erforderlich ist, beschränken wir diese Kleine Anfrage auf zwei Städte in NRW und einen überschaubaren Zeitraum. Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 5144 mit Schreiben vom 13. Oktober 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales, dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales und dem Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr beantwortet. 1. Wie viele Räumungsklagen wurden seit dem 01.01.2014 bis heute bei Gerichten in Dortmund eingereicht (bitte aufschlüsseln nach Jahren, Stadtbezirken und Gründen für die Räumungsklage)? Die gewünschten Daten lassen sich trotz der räumlichen und zeitlichen Einschränkungen im Rahmen der gesetzten Frist nicht ermitteln. Räumungsklagen werden in dem durch die betreffenden Gerichte genutzten IT-Fachverfahren als allgemeine Mietsachen eingetragen. Eine darüberhinausgehende Kennzeichnung erfolgt nicht. Die gewünschten Angaben lassen sich daher nur nach händischer Durchsicht sämtlicher Mietsachen feststellen. Ein entsprechender Aufwand ist im Rahmen der für eine Kleine Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu leisten. So wurden beispielsweise allein beim Amtsgericht Dortmund im Jahr 2015 3.531 Wohnungsmietsachen erledigt. 2. Wie viele Räumungsklagen wurden seit dem 01.01.2014 bis heute bei Gerichten in Essen eingereicht (bitte aufschlüsseln nach Jahren, Stadtbezirken und Gründen für die Räumungsklage)? Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. 3. Sieht die Landesregierung angesichts der Situation nicht nur in NRW ausreichend Anlass dazu, sich für die Einführung einer bundesweiten Statistik betreffend Zwangsräumungen stark zu machen? Auch die Landesregierung sieht das Erfordernis für aussagekräftige Daten betreffend Zwangsräumungen. Die Landesjustizverwaltungen und das Bundesamt für Justiz haben sich bereits mehrfach mit einer differenzierten Erfassung von Zwangsräumungen – auch aufgrund der gestiegenen Bedeutung des Themas auf EU-Ebene – befasst. Alle Beteiligten stimmen dem Erfordernis nach aussagekräftigen Daten zu. Da durch die Gerichtsvollzieherinnen und LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13192 3 Gerichtsvollzieher bereits eine statistische Erfassung von Räumungsverfahren erfolgt, prüft das Bundesamt für Justiz auf der Grundlage dieser Überlegungen derzeit, diese Statistik um eine differenzierte Erfassung der Räumungen von Wohn- und Geschäftsräumen zu ergänzen. Die Zahl der tatsächlich beantragten Zwangsräumungen ist aus Sicht der Landesjustizverwaltungen vorzugswürdig gegenüber der Zahl eingereichter Räumungsklagen, da sich aus diesem Merkmal nicht das Ergebnis des Verfahrens ergibt und diese nicht zwangsläufig in einer Zwangsräumung münden müssen. 4. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um Gentrifizierungsprozessen in nordrhein-westfälischen Kommunen entgegenzuwirken bzw. diese sozial abzufedern? Dem in der Frage nahegelegten unmittelbaren Zusammenhang zwischen Gentrifizierungsprozessen und der Zahl von Zwangsräumungen bzw. der Entwicklung von Obdachlosigkeit kann aus Sicht der Landesregierung nicht gefolgt werden. Weder muss sich die im Zuge von Gentrifizierung zu beobachtende Verdrängung einkommensschwacher Haushalte in der Zahl von Zwangsräumungen niederschlagen, noch ist davon auszugehen, dass die beschriebene Verdrängung in der Regel das Verdrängen in Obdachlosigkeit bedeutet. Ungeachtet dessen setzt sich die Landesregierung für sozial gemischte Quartiere ein und hat daher verschiedene Maßnahmen zur Vermeidung von Gentrifizierung ergriffen. Darunter zählen insbesondere: Erlass einer Kündigungssperrfristverordnung vom 24.01.2012 Ziel der Verordnung ist der Schutz von Mieterinnen und Mieter bei der Umwandlung von Mietin Eigentumswohnungen. Dafür wurde in 37 Kommunen in NRW die Sperrfrist für Eigenbedarfs- und Verwertungskündigungen auf 5 bzw. 8 Jahre verlängert. Erlass einer Umwandlungsverordnung vom 17.03.2015 Durch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen kann sich die Struktur der ansässigen Wohnbevölkerung in städtebaulich unerwünschter Weise verändern. Die Landesregierung hat daher in Gebieten, für die seitens der Kommune eine sog. Milieuschutzsatzung erlassen wurde, einen Genehmigungsvorbehalt für diese Umwandlungen eingeführt. Soziale Wohnraumförderung Die Landesregierung hat die Programme der sozialen Wohnraumförderung wiederholt verbessert und den gegenwärtigen Marktbedingungen angepasst. In der Folge ist die Nachfrage erheblich angestiegen. Auch in Quartieren mit Verdrängungsdruck wird wieder Mietwohnraum mit sozial tragbaren Mietobergrenzen neu geschaffen bzw. gesichert. Dies trägt dazu bei, die Verdrängung von einkommensschwachen Mieterinnen und Mietern zu verhindern und eine ausgewogene soziale Mischung auch in begehrten Wohnlagen zu erhalten. 5. Mit welchem konkreten Programm hilft die Landesregierung Menschen, die in Wohnungsnot geraten sind bzw. ihre Wohnung verloren haben und nun obdachlos sind, neue Wohnungen beziehen zu können? Die Kommunen und Kreise in Nordrhein-Westfalen sind grundsätzlich für die Bekämpfung von Wohnungslosigkeit zuständig. Sie sind nach dem Ordnungsbehördengesetz verpflichtet, Menschen ohne Obdach unterzubringen. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen unterstützt jedoch die Kommunen, private Träger sowie Träger der freien Wohlfahrtspflege bei LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13192 4 der Überwindung und der Bekämpfung von Obdachlosigkeit mit dem Aktionsprogramm „Hilfen in Wohnungsnotfällen“ (Jährliche Fördersumme: 1 Mio. Euro). Zentrale Ziele dieses Aktionsprogramms sind die Förderung und Stärkung von Maßnahmen/Projekten: - zur konsequenten Prävention drohender Wohnungslosigkeit, - zur Reduzierung bereits bestehender Wohnungslosigkeit durch schnelle Reintegration von Wohnungslosen in reguläre Mietverhältnisse sowie - zum weiteren Ausbau bedarfsgerechter wohnbegleitender Hilfen. Diese Ziele werden u.a. durch die Förderung beispielgebender Modellprojekte, unterschiedliche Elemente des Informationsaustauschs und der Öffentlichkeitsarbeit (wie beispielsweise Publikationen, (Transfer-) Workshops, Veranstaltungen), durch Beratung der Träger der Wohnungslosenhilfe bei der Umsetzung von Modellvorhaben sowie zur Lösungen von aktuellen Problemen in der Wohnungsnotfallhilfe, aber auch durch wissenschaftliche Untersuchungen und die jährlich durchgeführte sogenannte „Integrierte Wohnungsnotfallberichtserstattung in Nordrhein-Westfalen“ verfolgt. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/13192