LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/13196 17.10.2016 Datum des Originals: 11.10.2016/Ausgegeben: 20.10.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5157 vom 22. September 2016 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/12998 Angriffe und Gewalt gegen Polizeibeamte im Bereich des Polizeipräsidiums Essen – In wie vielen und welchen Fällen ist es im vergangenen Jahr zu Zusammenstößen von Polizeibeamten mit diversen gewalttätigen Personen in der Stadt Essen gekommen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Immer wieder werden besorgniserregende Vorfälle bekannt, bei denen Polizeibeamte im alltäglichen Einsatz, beispielsweise bei der Erfassung von Verkehrsunfällen, bedroht und verletzt werden, und auch teilweise gezwungen sind, zum eigenen Schutz ihre Dienstwaffe zu ziehen. Gewalt, Respektlosigkeit und verbale wie körperliche Angriffe gegenüber Polizeibeamten sind eines Rechtsstaates unwürdig und gehören mit aller Konsequenz bekämpft. Ebenso ist die Existenz von konfliktreichen Räumen in keinem einzigen Großstadtquartier hinnehmbar, wie es im Ruhrgebiet offenbar leider bereits diverse zu geben scheint. Vor dem Hintergrund der ohnehin schon angespannten Personalsituation im Bereich des Polizeipräsidiums Essen, was die auch an den Überstundenbergen ablesbare hohe Belastung der einzelnen Beamten anbelangt, muss die Entwicklung jeder Gewalt gegenüber Polizeikräften mit großer Sorge und Ernsthaftigkeit betrachtet werden. Bereits vor rund einem Jahr hat der Fragesteller daher eine entsprechende Anfrage an die Landesregierung gerichtet, die erschreckende Zahlen offenbarte: Die Zahl der Übergriffe gegen Polizisten hat sich in Essen von 2011 bis 2014 fast verdoppelt und war 2014 so hoch wie noch nie zuvor. Die NRZ hat am 26. August 2015 die Lage zusammengefasst: „In Essen und in der dem Präsidium zugeordneten Nachbarstadt Mülheim wurden im vergangenen Jahr 363 Fälle von Gewalt gegen Polizisten erfasst. Das sind fast 50 Prozent mehr als noch im Jahr 2011 (189). (…) Der Großteil der 363 Übergriffe aus dem Jahr 2014 fällt in die Kategorie „Widerstand gegen Polizeibeamte“ (291). Es folgt die gefährliche Körperverletzung (29). Neben der Zahl der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13196 2 Übergriffe ist seit 2011 auch der durch Gewalteinwirkung bedingte Krankenstand erheblich angestiegen: Von 57 Krankentagen (2011) auf zuletzt 366 Krankentage (2014). 40 Beamte aus Essen waren durch Gewalteinwirkung Dritter vorübergehend dienstunfähig.“ Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sieht ausweislich der Berichterstattung in verschiedenen Medien aktuell besondere Probleme auch in bestimmten Vierteln der Stadt Essen, in der die Gefahr der Entstehung rechtsfreier Nischen besteht und die Polizei nicht mehr allgemein als Ordnungsfaktor angesehen wird. Kriminelle Gruppierungen würden die Handlungsfähigkeit und den Respekt vor der Polizei dort bewusst schwächen, rechtstreue Bürger einschüchtern und Beamte am Vollzug von Recht und Gesetz hindern. Konkret für den Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Essen bestätigen sachkundige Polizeibeamte, dass sie derlei gefährliche Einsätze mit Angriffen auf Ordnungshüter bereits zur Genüge kennen. Der Polizeisprecher kann problemlos mehrere Dutzend Straßen vor allem der nördlichen Innenstadt benennen, die als „gefährliche Orte“ gelten. Auch im Jahr 2016 ist es in Essen und Mülheim immer wieder zu Gewalttaten gegenüber Polizeibeamten gekommen. Am 14. April 2016 berichtet beispielsweise Radio Essen: „Die Gewalt gegen Polizisten nimmt auch hier in Essen immer weiter zu. Allein am letzten Samstag wurden Polizisten von 25 Personen an der Schützenbahn angegriffen und von einigen mit dem Tod bedroht. Zwei Männer wurden festgenommen.“ Ebenso in diesem Sommer, zuletzt im laufenden Monat September, hat es entsprechende Angriffe auf Polizeibeamte gegeben. Im Juli 2016 berichtet die WAZ, dass in der Essener Innenstadt ein Polizist durch einen „Polenböller“ verletzt worden ist. Der 27 Jahre alte Beamte erlitt ein Knalltrauma: „Ein Routine-Einsatz endete für einen Essener Polizisten wieder mal im Krankenhaus. Bei einer Fahrzeugkontrolle an der Ecke Kastanienallee / Pferdemarkt wurden zwei Beamte am Mittwochabend mit einem Polenböller beworfen. Ein Polizist erlitt durch die extrem laute Nah- Detonation ein Knalltrauma. Der 27-Jährige musste in einer Klinik behandelt werden.“ Im September hat es die Beamten in Mülheim besonders getroffen. Am 6. September 2016 ist in der WAZ von folgendem Angriff zu lesen: „Ein 26 Jahre alter Polizeibeamter ist am Montag während eines Einsatzes angeschossen und verletzt worden. Die Streifenwagenbesatzung der Mülheimer Wache nahm gegen 17.15 Uhr einen Verkehrsunfall auf der Bruchstraße in der Altstadt auf, als einer der Polizisten einen stechenden Schmerz im Gesicht spürte. Die Beamten vermuteten, dass der Schuss, der offenbar aus einer Softairwaffe kam, aus einem Fenster erfolgt war. Die Schussrichtung führte sie zu einer nahegelegene Wohnung, deren Fenster zur Straße offen stand. Die Wohnung wurde daraufhin durchsucht, dabei fanden die Polizisten neben geringen Mengen Betäubungsmitteln auch eine Pistole.“ Am Wochenende vom 17. auf den 18. September 2016 ist es laut Medienbericht in der WAZ direkt zu mehreren Übergriffen in Mülheim gekommen. Aufgrund der Dramatik dieser Lage werden die Vorfälle nachstehend umfassend dargestellt: „Nachdem sie schon mehrfach wegen Ruhestörungen zum Vereinsheim von Rot-Weiss- Mülheim gerufen worden waren, wollte eine Streifenwagenbesatzung die Party am Winkhauser Weg gegen halb vier am Morgen beenden. Bereits vor dem Vereinsheim wurden die beiden Polizisten von betrunkenen und aggressiven Gästen bedrängt. Nachdem der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13196 3 Veranstalter und ein gleichaltriger Mann aus Leverkusen, der am Mischpult stand, sich weigerten, die Musik leiser zu stellen und sogar die Lautstärke noch hochdrehten, zogen sich die Polizisten zunächst zurück und warteten auf Verstärkung. Doch auch das beeindruckte die Partygäste nicht – vielmehr eskalierte die Situation. Unter Beleidigungen griffen die Männer die Beamten an und schlugen vermutlich auch mit einem Polizeischlagstock auf einen am Boden liegenden Beamten ein, schildert Behördensprecher Peter Elke den Einsatz am Winkhauser Weg. "Nur dem massiven Einsatz von Pfefferspray verdankend, konnten die Beamten sich befreien und die Angreifer ins Lokal zurückdrängen." Mit Unterstützung weiterer Kräfte aus Borbeck, Altenessen und einem Diensthund konnten einige der Angreifer überwältigt und festgenommen werden. Bilanz des Einsatzes: Sieben verletzte Polizisten und zwei verletzte Angreifer. (…) Knapp drei Stunden zuvor hatte die Mülheimer Polizei eine außer Kontrolle geratene Feier in Styrum beenden müssen. Auch hier mit Schlagstock- und Diensthundeeinsatz. Während des Einsatzes forderten die Polizisten zwei männliche Gäste (18 und 19 Jahre) auf, die Maßnahmen nicht zu stören - sie ermittelten wegen einer Körperverletzung. Erst einem „nachdrücklich ausgesprochenen Platzverweis“ seien die beiden schließlich nachgekommen. Der Veranstalter beendete seine Feier daraufhin im Beisein der Polizei. Als etwa 15 bis 20 Personen zur gegenüberliegenden Bushaltestelle gingen, näherten sich erneut die beiden jungen Männer. Obwohl die Polizisten nur wenige Meter entfernt standen, griffen sie und ein noch unbekannter Mittäter die wartende Gruppe an. Eine Beamtin und ihr Kollege trennten die Angreifer. Daraufhin schlug der 19-Jährige mit Fäusten nach der Polizistin. Als ihr Kollege zur Unterstützung herbei eilte, wurde er ebenfalls mit Faustschlägen angegriffen. Erst durch den Einsatz massiver körperlicher Gewalt und des Schlagstocks konnte der junge Mann überwältigt und gefesselt werden. Den Tumult nutzte der 18-Jährige, der nun ebenfalls körperlich in das Geschehen eingreifen wollte. Selbst den inzwischen eingetroffenen Polizeihund beachtete er nicht. Der Hund biss zu und beendete sofort den Angriff des 18-Jährigen.“ Im Sinne einer Fortschreibung von LT-DS 16/9539 bedarf es einer umfassenden Information des Parlamentes über die Entwicklung von Gewalt und Übergriffen gegen Polizeibeamte. Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 5157 mit Schreiben vom 11. Oktober 2016 namens der Landesregierung beantwortet. 1. Wie viele als gefährlich einzustufende konfliktäre Polizeieinsätze haben Polizeibeamte im Bereich des Polizeipräsidiums Essen seit dem 1. Januar 2015 bis heute ihrer Dienstelle gemeldet? (differenziertes Lagebild zu diesen problematischen Einsätzen erbeten) Die Schwierigkeiten mit der Definition und Erfassung der erbetenen Daten wurde bereits detailliert in der Antwort zur Frage 1. der Kleinen Anfrage 3706 (Drs. 16/9539) dargestellt. 2. Mit jeweils welchem Erfolg hat der Dienstherr konkrete Gegenmaßnahmen zum Schutz der Bediensteten ergriffen? Die bereits in der Antwort auf die Frage 2. der Kleinen Anfrage 3706 (Drs. 16/9539) aufgeführten Maßnahmen hat die Kreispolizeibehörde (KPB) Essen seit dem 01.01.2015 intensiviert und den entsprechenden Konfliktsituationen angepasst. So finden im Rahmen des LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13196 4 Dienstsportangebots monatlich sogenannte „Intensivtrainings“ statt, die Selbstverteidigungstechniken beinhalten und ergänzend zum Einsatztraining NRW in Konfliktsituationen zur Handlungssicherheit beitragen. Das durch die KPB Essen durchzuführende Einsatztraining NRW befasste sich im Zeitraum 01.01.2016 bis zum 31.05.2016 schwerpunktmäßig mit dem Themenkomplex „Gewalt gegen Polizeibeamte“. Neben Trainings zum Umgang mit Gewalt durch Einzelpersonen und kollektive Gewalt bestanden die Fortbildungsveranstaltungen auch aus einem theoretischen Teil, der Gewaltentstehung und Gewaltvermeidung thematisierte. Innerhalb dieser Teilveranstaltungen flossen Erkenntnisse der psychologischen Studie „Survivability: Überlebensfaktoren in gefährlichen Situationen“ ein, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinsichtlich ihres Verhaltens, der Einhaltung von Standards der Eigensicherung und möglicher Problemlösungsstrategien in Konfliktsituationen zu sensibilisieren. Mit der Anpassung des Sicherheitsprogramms zu Beginn des Jahres 2016 ging die Aktualisierung des Handlungskonzepts „Schwerpunktsetzung in Problembereichen“ einher. Dabei wird auch auf zusätzliche Stundenkontingente der Bereitschaftspolizei zur Unterstützung der Kreispolizeibehörden im Rahmen von Schwerpunkteinsätzen zurückgegriffen, die als Ausfluss des „Maßnahmenpaket der Landesregierung für mehr Innere Sicherheit und bessere Integration vor Ort“ („15-Punkte-Plan“) acht benannten Schwerpunktbehörden zur Verfügung gestellt werden. Der in diesem Jahr prognostisch bislang für diese Behörden zugewiesene Anteil von 45% der zur Verfügung stehenden Personalstunden der Bereitschaftspolizei für Schwerpunkteinsätze wurde hierbei zu Gunsten der Schwerpunktbehörden auf insgesamt 70% erhöht. Die KPB Essen profitiert als eine der Schwerpunktbehörden von dieser Neuausrichtung. Der dadurch anlassbezogen erhöhte Kräfteansatz dient u. a. dazu, der Entstehung von tumultartigen Konfliktsituationen im Rahmen von polizeilichen Maßnahmen entgegenzuwirken und durch verstärkte sowie wahrnehmbare Präsenz zur Verhinderung einer Entstehung von Brennpunkten beizutragen. 3. Wie stellt sich das Lagebild von Angriffen und Gewalt gegen Polizeibeamte im Bereich des Polizeipräsidiums Essen in puncto körperlicher Attacken und gesundheitlicher Verletzungshandlungen seit dem 1. Januar 2015 bis heute im Detail dar? (differenzierte Darstellung von eingeleiteten Strafverfahren, Krankheitstagen durch Verletzungen etc. für Direktionen und Einsatzhundertschaft erbeten) Die im Zusammenhang mit dem Phänomen „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte“ verzeichneten Straftaten im Zuständigkeitsbereich der KPB Essen bitte ich der Anlage 1 zu entnehmen. Datenquelle für diese Erfassung ist die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Die Erfassung von Delikten erfolgt in der PKS nach bundeseinheitlich abgestimmten Richtlinien. Die Darstellung bezieht sich auf die Anzahl der erfassten Fälle, dabei wird nicht zwischen Vollendung und Versuch eines Deliktes unterschieden. In dem Phänomenbereich „Totschlag“ handelt es sich um eine nicht vollendete Tat. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13196 5 Für die KPB Essen ergibt sich für den Zeitraum 01.01.2015 bis zum 31.12.2015 folgende Anzahl an Krankentagen von Polizeivollzugsbeamten (PVB) nach Gewalteinwirkung: Jahr Anzahl betroffener PVB Krankentage PVB nach Gewalteinwirkung 2015 Aus datenschutzrechtlichen Gründen wird die Beschäftigtenzahl erst ab einer Anzahl von mehr als 5 Personen ausgewiesen . 216 Die Auswertung des Krankenstandes in der Polizei erfolgt jährlich zu einem festgelegten Stichtag rückwirkend vom 01.01 bis zum 31.12. eines Jahres. Aus diesem Grund liegen die Zahlen für 2016 noch nicht vor. 4. Namentlich welche einzelnen Straßen und Quartiere in der Stadt Essen waren seit dem 1. Januar 2015 bis heute besonders häufig Ziel von Polizeieinsätzen? Eine automatisierte Auswertung von einzelnen Straßen und Quartieren, die besonders häufig Ziel von Polizeieinsätzen sind, ist automatisiert durch das System Einsatzleitsystem eCebius nicht vorgesehen. Eine manuelle Auswertung für den gesamten Bereich der KPB Essen ist mit einem sehr hohen Arbeitsaufwand verbunden und war in der Kürze der zur Beantwortung der Kleinen Anfrage verfügbaren Zeit mit vertretbarem Aufwand nicht herzustellen. 5. Wie stellt sich die Problematik im Bereich des Polizeipräsidiums Essen quantitativ und qualitativ im Vergleich zu den anderen Kreispolizeibehörden im RVR-Gebiet dar? Wie schon in der Antwort auf die Frage 5. der Kleinen Anfrage 3706 (Drs. 16/9539) dargestellt, sind die Strukturen der einzelnen KPB bzw. Städte höchst unterschiedlich und eine Vergleichbarkeit daher nicht ohne weiteres herzustellen bzw. Quervergleiche unter ungleichen Voraussetzungen kaum zielführend. Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte im Polizeipräsidium Essen PP Essen Delikt Delikt-Text 2015 09/2016 020010 Totschlag § 212 StGB* 0 1 132020 Erregung öffentlichen Ärgernisses § 183a StGB 1 0 210040 Räuberischer Diebstahl § 252 StGB 1 1 217010 Sonstiger Raub auf Straßen, Wegen oder Plätzen § 249 StGB 1 0 222010 Sonstige Tatörtlichkeit bei gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 StGB 2 4 222110 Gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 StGB auf Straßen, Wegen oder Plätzen 11 17 224000 Vorsätzliche einfache Körperverletzung 20 21 225000 Fahrlässige Körperverletzung § 229 StGB 0 1 232201 Nötigung im Straßenverkehr gemäß § 240 Abs. 1 StGB 2 0 232279 Sonstige Nötigung 1 3 232300 Bedrohung § 241 StGB 25 19 621021 Widerstand gegen Polizeivollzugsbeamte 221 318 621029 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (ohne Polizeivollzugsbeamte) 4 0 * Es handelt sich hier ausschließlich um versuchte Taten Quelle: PKS NRW Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/13196