LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/13198 17.10.2016 Datum des Originals: 13.10.2016/Ausgegeben: 20.10.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5153 vom 19. September 2016 des Abgeordneten Theo Kruse CDU Drucksache 16/12984 Kein Mindestabstand zwischen geschwindigkeitsbegrenzenden Verkehrszeichen und Blitzern in Nordrhein-Westfalen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Durchführung von Geschwindigkeitskontrollen ist in allen Bundesländern per Erlass des jeweiligen Innenministeriums geregelt. Bis auf Nordrhein-Westfalen schreiben alle Bundesländer in diesen Erlassen einen bestimmten Mindestabstand zwischen der Geschwindigkeitsmessung und dem geschwindigkeitsbegrenzenden Verkehrszeichen vor. Auf diese Weise sollen gefährliche Gewaltbremsungen im Bereich dieser Verkehrsschilder verhindert werden. Eine von Sobisch in DAR 1/2010 veröffentlichte Auswertung der einschlägigen Erlasslage ergab hinsichtlich des vorgeschriebenen Messabstands folgendes Bild: Baden-Württemberg: Grundsätzlich 150 m Bayern: Grundsätzlich 200 m Berlin: Grds. 75 m zu geschwindigkeitsverändernden Zeichen und 150 m zu Ortstafeln Brandenburg: 150 m Bremen: 150 m (innerorts und bei Ortstafeln) sonst „nicht kurz vor oder hinter" dem Zeichen Hamburg: Keine exakte Angabe (jedoch nicht kurz vor oder hinter der Beschränkung) Hessen: 100 m Mecklenburg-Vorpommern: 100 m sowie 250 m auf Kraftfahrtstraßen und Autobahnen Niedersachsen: 150 m Rheinland-Pfalz: 100 m Saarland: „nicht unmittelbar dahinter" Sachsen: 150 m Sachsen-Anhalt: 100 m Schleswig-Holstein: 150 m Thüringen: 200 m LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13198 2 Zwar haben Kraftfahrer ihre Geschwindigkeit grundsätzlich so einzurichten, dass sie bereits beim Passieren eines die Geschwindigkeit regelnden Verkehrszeichens die vorgeschriebene Geschwindigkeit einhalten können. Dass in Nordrhein-Westfalen überhaupt kein Mindestabstand zwischen Verkehrsschildern und Verkehrsüberwachungsgeräten festgelegt wird, kann jedoch nicht zur Folge haben, dass „Radarfallen“ unmittelbar nach einer Geschwindigkeitsbegrenzung aufgestellt werden dürfen. Denn zum einen billigt die Rechtsprechung den Verkehrsteilnehmern zu, dass mit einem gewissen Abstand zwischen Verkehrszeichen und Messstrecke gerechnet werden kann (OLG Oldenburg, Beschluss vom 13.01.2014 - 2 SsBs 364/13). Zum anderen gilt auch in Nordrhein- Westfalen der Grundgedanke, dass sich kein Verkehrsteilnehmer zu einer nicht zumutbaren Vollbremsung im Bereich hinter dem Verkehrszeichen gezwungen sehen sollte. Unter Hinweis auf die bundesweite Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer wird deshalb zu Recht darauf hingewiesen, dass bei Unterschreitung eines hypothetischen Mindestabstands zumindest die tatbestandliche Vermutungswirkung für ein Fahrverbot entfallen könne (Deutscher, DAR 10/2011). Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 5153 mit Schreiben vom 13. Oktober 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Sicherheit der Menschen hat für die Landesregierung oberste Priorität. Verkehrssicherheitsarbeit dient unmittelbar dem Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit als bedeutenden Rechtsgütern unserer Verfassung. Sie ist damit eine Konkretisierung der aus Art. 2 Grundgesetz resultierenden Schutzpflicht des Staates. Das Bundesverfassungsgericht sieht in seiner ständigen Rechtsprechung in der Verkehrssicherheit eines der überragend wichtigen Gemeinschaftsgüter. Die Fachstrategie Verkehrsunfallbekämpfung der Polizei Nordrhein-Westfalen sieht daher unter anderem eine Konzentration auf die Bekämpfung der Ursachen von Verkehrsunfällen mit Personenschaden vor. Dabei ist die Verfolgung von Geschwindigkeitsverstößen einer der Schwerpunkte polizeilicher Verkehrssicherheitsarbeit. Gemäß dem Runderlass „Verkehrssicherheitsarbeit der Polizei Nordrhein-Westfalen“ sind im Rahmen der Verkehrsüberwachung insbesondere nachstehende Ziele zu verfolgen: Reduzierung von Verkehrsunfällen und Minderung der Folgen Förderung normgerechten Verhaltens Stärkung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung. Dabei orientiert sich die Überwachung an der Unfallentwicklung, insbesondere von Unfällen mit schweren Folgen. Nicht angepasste oder überhöhte Geschwindigkeit ist eine Hauptunfallursache. Zu schnelles Fahren war allein im Jahr 2015 für ein Drittel der Unfalltoten verantwortlich. Die Landesregierung wird sich nicht damit abfinden, dass Jahr für Jahr Menschen auf den Straßen unseres Landes durch Verkehrsunfälle zu Tode kommen. Ziel muss es daher sein, dass sich alle Verkehrsteilnehmer jederzeit und überall an die Verkehrsregeln halten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13198 3 1. Welche Mindestabstände zwischen Geschwindigkeitsmessung und geschwindigkeitsbegrenzendem Verkehrszeichen sind derzeit in den Bundesländern vorgesehen? (Bitte unter Angaben der jeweils einschlägigen Rechtsgrundlage tabellarisch auflisten.) In Nordrhein-Westfalen sind zwischen geschwindigkeitsbegrenzenden Verkehrszeichen und Geschwindigkeitsmessung keine Mindestabstände vorgesehen. Zu Regelungen in anderen Ländern verweise ich auf öffentlich zugängliche Quellen, beispielsweise die auch in der Kleinen Anfrage zitierte Zeitschrift Deutsches Autorecht (DAR). 2. Aus welchen Gründen verzichtet die Landesregierung auf die verbindliche Festlegung eines entsprechenden Mindestabstands in Nordrhein-Westfalen? Ein Verkehrszeichen entfaltet seine Wirkung grundsätzlich ab seinem Standort, sofern es nicht mit einem Zusatzzeichen versehen ist, das auf einen anderwärtigen Geltungsbereich hinweist. Verschiedene Gerichtsentscheidungen führen im Tenor dazu aus, dass Fahrzeugführer ihre Geschwindigkeit stets so einzurichten haben, dass sie bereits beim Passieren eines die Geschwindigkeit begrenzenden Schildes die von diesem vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit einhalten können. Zeichen, die den Fahrverlauf der Kraftfahrzeuge beeinflussen, sind den örtlichen Verhältnissen entsprechend so aufzustellen, dass den Verkehrsteilnehmern unter Berücksichtigung der gefahrenen Geschwindigkeiten nach Erkennen dieser Zeichen genügend Zeit verbleibt, ihr Fahrverhalten in sicherer Weise dem Verbot entsprechend zu ändern. Bei Bedarf kann ein geschwindigkeitsreduzierendes Verkehrszeichen auch vor Beginn des reduzierten Streckenabschnitts aufgestellt und mit einem Hinweis versehen werden. Eine Regelung zu Mindestabständen existierte in Nordrhein-Westfalen bis Mai 2005. Ausgehend von der Petition eines Bürgers an den Präsidenten des Landtags erfolgte eine Neubewertung der Situation. Eine Toleranzstrecke hinter einem durch Verkehrszeichen eingeführten geschwindigkeitsreduzierten Streckenbereich hätte zur Folge, dass de facto ein rechtsfreier Raum hinsichtlich gefahrener Geschwindigkeiten geschaffen würde. Anwohnerinnen und Anwohner erführen so trotz gleicher Rechtslage in der Realität ein unterschiedliches Sicherheitsniveau. 3. Ist die Landesregierung der Ansicht, dass auch in Nordrhein-Westfalen zumindest ein „hypothetischer Mindestabstand“ zwischen Geschwindigkeitsmessung und geschwindigkeitsbegrenzendem Verkehrszeichen existiert? (Ggfs. bitte den „hypothetischen Mindestabstand“ beziffern.) Ein solcher „hypothetischer Mindestabstand“ existiert in Nordrhein-Westfalen nicht. 4. Wie beurteilt die Landesregierung das Fehlen eines verbindlich festgelegten Mindestabstands zwischen Geschwindigkeitsmessung und geschwindigkeitsbegrenzendem Verkehrszeichen in Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 3 GG)? Die Erlasslage in Nordrhein-Westfalen setzt geltende Verkehrsvorschriften wie vom Gesetzgeber vorgesehen um. Es ist nicht erkennbar, inwieweit hiernach im Land Gleiches LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13198 4 ungleich oder Ungleiches gleich zu behandeln wäre. Die Erlasslage steht damit im Einklang mit Art. 3 GG. 5. In wie vielen Fällen haben Bußgeldsachen seit 2010 in Nordrhein-Westfalen die Gerichte beschäftigt, weil der Halter/Fahrer eines Fahrzeugs den Abstand zwischen Geschwindigkeitsmessung und geschwindigkeitsbegrenzendem Verkehrszeichen für zu gering hielt? (Bitte nach Jahren getrennt aufschlüsseln.) Hierzu liegen der Landesregierung keine validen Daten vor. Eine entsprechende Statistik gibt es nicht. Eine Sondererhebung, die von Hand vorzunehmen wäre, ist in der Kürze der Zeit nicht möglich. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/13198