LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/13230 21.10.2016 Datum des Originals: 20.10.2016/Ausgegeben: 26.10.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5191 vom 29. September 2016 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/13086 Verbot der Wiederbebauung eines bebauten Wohngrundstücks in der Stadt Essen – Bremsen die eigenwilligen Entscheidungen einer durchgrünten Bezirksregierung die Wohnungsbauvorhaben der Essener SPD und des SPD-Dezernenten unerwartet aus? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Wirtschaftsminister Garrelt Duin, Verkehrsminister Michael Groschek und Finanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans haben erst vor wenigen Tagen am 20. September 2016 gemeinsam mit Vertretern der IHK NRW und des DGB NRW ihr „Bündnis für Infrastruktur“ vorgestellt. Ziel des Vorhabens ist es, die Notwendigkeit von Infrastrukturmaßnahmen aufzuzeigen und die gesellschaftliche Akzeptanz zu erhöhen. Um eine positive gesellschaftliche Grundhaltung zu fördern, setzen die drei Minister auf eine Verbesserung von Informationsangeboten und den Ausbau von Beteiligungsmöglichkeiten. Die Landesregierung, Unternehmensvertreter und Gewerkschaften werben also für mehr Akzeptanz insbesondere bei der Realisierung von Verkehrs - und Bauprojekten. Keine Woche hat es jedoch nach der medialen Verkündigung der Initiative gedauert, bis sie von der unter grüner Behördenleitung stehenden Düsseldorfer Bezirksregierung eindrucksvoll ad absurdum geführt worden ist: Symbolisch für etliche gescheiterte oder verzögerte Bauprojekte in Nordrhein-Westfalen steht die öffentliche Debatte über die Folgebebauung eines Grundstücks im Eigentum der Thyssen-Krupp AG, das seit Jahrzehnten Wohnzwecken des Vorstandsvorsitzenden der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Berthold Beitz, gedient hat. Die Liegenschaft dieses freistehenden Hauses mit einem dazugehörigen großen Gartenareal befindet sich in der Straße „Weg zur Platte“ am Essener Heissiwald. Das gesamte Anwesen ist rund 30.000 Quadratmeter groß und bietet einen unverbauten Blick auf den Baldeneysee und Teile der Ruhrhöhen. Die Thyssen-Krupp AG, die gern das Grundstück verkaufen möchte, hat in diesem Sommer eine Bauvoranfrage bei der Essener Stadtverwaltung gestellt. Das sich auf dem Grundstück befindliche alte Bestandsgebäude soll dem- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13230 2 nach abgerissen werden und stattdessen eine neue Bebauung entstehen. Dieses Projekt genießt seitens der örtlichen Politik eine ungewöhnlich breite Rückendeckung und wird auch ausdrücklich vom SPD-Planungsdezernenten und der Essener SPD-Ratsfraktion unterstützt. Essen benötigt aufgrund des vorherrschenden Mangels an Bauland besonders in attraktiven Lagen dringend eine Bebauungsmöglichkeit für diese genannte Liegenschaft. Die WAZ Essen hat die Projektplanung bereits am 2. Juni 2016 genauer beschrieben: „Das neue Projekt soll laut den vorgelegten Plänen „Wohnpark Weg zur Platte“ heißen. Vorgesehen sind drei Ein- oder Zweifamilienhäuser sowie drei Mehrfamilienhäuser mit jeweils zirka sechs Wohnungen. Hinzu kommt eine Tiefgarage mit 50 Stellplätzen. Trotz der Größe des Grundstücks ist lediglich eine Bebauung entlang der Straße zugelassen.“ Ende September 2016 erfährt das Vorhaben nun eine plötzliche und für den verkaufswilligen Grundstückseigentümer, den Investor sowie die Stadt Essen unerfreuliche Wendung: Eine Weisung der Bezirksregierung Düsseldorf verbietet dieses Neubauvorhaben. Die Aufsicht hat der städtischen Baugenehmigungsbehörde auferlegt, für die eingereichte Bauvoranfrage keinen positiven Bescheid zu erteilen. In der NRZ vom 26. September 2016 wird die Position der Bezirksregierung dargestellt: „Auf Anfrage dieser Zeitung begründet die Kommunalaufsicht ihre Entscheidung mit dem knappen Verweis darauf, dass sich das rund 28.000 Quadratmeter große Grundstück im so genannten „Außenbereich“ befinde. Der ist nach den Buchstaben des Baugesetzbuches, Paragraf 34 und 35, überall dort zu finden, wo es keinen „im Zusammenhang bebauten“ Ortsteil gibt („Innenbereich“).“ Dies schätzen jedoch nahezu alle Sachverständigen gänzlich anders ein, denn sowohl am nördlichen wie am südlichen Grundstücksrand und auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen bereits Häuser. Zudem ist das Grundstück derzeit auch noch mit einem voluminösen Gebäude bebaut. Ein vom Eigentümer beauftragtes Gutachten einer Rechtsanwaltskanzlei kommt offenbar ebenfalls zu dem Ergebnis, dieses Grundstück liege im Innenbereich und rechtfertige daher eindeutig das genehmigungsfähige Bauvorhaben. Neben der Essener SPD-Ratsfraktion, die sich unverändert für die geplante Baumaßnahme ausspricht, äußert sich auch der örtliche Planungsdezernent in der NRZ vom 26. September 2016 mit eindeutigen Worten zu der Weisung der Bezirksregierung: „Planungsdezernent [Eigenname] macht derweil aus seiner Empörung über die „skandalöse Haltung“ der Bezirksregierung in der Genehmigungsfrage keinen Hehl: „Stinksauer“ sei er, bekannte Essens oberster Planer, der mit der Ausweisung von Wohnbauland in guten Lagen oft genug auf Granit stößt: „Da kriegt man mal politische Unterstützung für so ein Projekt, und dann kommt das.“ „Das“ ist aus seiner Sicht eine sture Bezirksregierung, deren Entscheidung man nun kippen will.“ Potentielle Investoren benötigen möglichst zeitnah Planungssicherheit und keine jahrelangen Rechtsstreitigkeiten. Der Landtag hat ein Anrecht darauf, im Einzelnen die Gründe für die merkwürdige und unerwartete Entscheidung der Bezirksregierung Düsseldorf zu erfahren. Der Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr hat die Kleine Anfrage 5191 mit Schreiben vom 20.Oktober 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13230 3 1. Wie bewertet die Landesregierung die städtebauliche Zielsetzung der Stadt Essen, die bereits vorhandenen bebauten Grundstücke durch Neuerrichtung von Wohneinheiten aufzuwerten und zu verdichten, um die Nachfrage nach Wohnraum besser bedienen zu können? Die Landesregierung begrüßt es, bereits vorhandene bebaute Grundstücke durch Neuerrichtung von Wohneinheiten aufzuwerten und zu verdichten, wenn es sich um Vorhaben im bauplanungsrechtlichen Innenbereich gemäß § 34 BauGB oder um bauleitplanerisch entsprechend ausgewiesene Grundstücke handelt. 2. Wie stellt sich der genaue Sachverhalt zur vorstehend dargestellten Entscheidung der Untersagung jeweils aus Sicht der Landesregierung und ihrer Bezirksregierung , bitte unter Angabe aller Befunde und Entscheidungsgründe, rein sachlich und fachlich im Einzelnen konkret dar? (ausführliche Darlegung erbeten) Ein Bebauungsplan für das Vorhabengrundstück existiert nicht. Der Regionale Flächennutzungsplan weist den Bereich zwar als Wohnbaufläche aus. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Vorhaben beurteilt sich aus Sicht der Bezirksregierung Düsseldorf und entgegen der Ansicht der Stadt Essen dennoch nicht nach § 34 BauGB, sondern nach § 35 BauGB, da das Vorhabengrundstück nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteil liege. An dem Bebauungszusammenhang des im Zusammenhang bebauten Ortsteils westlich und nördlich der Straße Weg zur Platte nehme das Vorhabengrundstück nicht teil: Ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil ist jede Bebauung im Gebiet einer Gemeinde, die den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit erweckt, nach der Zahl der vorhandenen Gebäude ein gewisses Gewicht hat und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist (BVerwG, Urt. v. 06.11.1968 – IV C 2.66). Dabei kommt es ausschließlich auf die tatsächlich vorhandene Bebauung und die äußerlich wahrnehmbaren Verhältnisse an. Darstellungen im Flächennutzungsplan sind unerheblich (BVerwG, Beschl. v. 08.11.1999 – 4 B 85/99). Wo die Grenze des Bebauungszusammenhangs verläuft und wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um nach der Verkehrsauffassung noch als zusammenhängende Bebauung zu erscheinen, ist nicht anhand geographisch-mathematischer Maßstäbe , sondern anhand einer umfassenden Bewertung des konkreten Sachverhalts zu beurteilen (BVerwG, Beschl. v. 08.10.2015 – 4 B 28.15; BVerwG, Urt. v. 06.11.1968 – IV C 2.66). Die Bebauung auf dem Vorhabengrundstück schließt sich aus Sicht der Bezirksregierung Düsseldorf gerade nicht zwanglos an den vergleichsweise eng mit Ein- und Mehrfamilienhäusern bebauten Ortsteil auf der westlichen Seite der Straße an. Diese präge das Vorhabengrundstück nicht in hinreichendem Maß. Dessen Bebauung weise größere Freiflächen und villenartige Gebäude bzw. bewaldete Flächen auf. Die übrige Bebauungsstruktur im Stadtteil Bredeney sei nicht heterogen, sondern weitgehend homogen und durch zwar freistehende, aber deutlich dichter gebaute Bebauung geprägt. Das Vorhabengrundstück vermittle nicht den Eindruck der Geschlossenheit bzw. Zusammengehörigkeit zu dem im Zusammenhang bebauten Ortsteil. Der Straße Weg Zur Platte kommt aus Sicht der Bezirksregierung zudem eine trennende Funktion zu. Besteht nur an einer Seite einer Straße nahezu ausschließlich eine Bebauung, liegen die Grundstücke auf der anderen Straßenseite, sofern nicht andere Umstände hinzukommen, im Außenbereich (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.02.1988 – 4 B 19.88). Ein - ausnahmsweise mögliches - „Überspringen“ des Bebauungszusammenhangs auf die andere Straßenseite erfordert besondere Anknüpfungspunkte, die es rechtfertigen, die dort gelegenen Flächen in den Bebauungszusammenhang einzubeziehen, weil sie am „Eindruck der Geschlossenheit“ teilnehmen (OVG Bautzen, Beschl. v. 16.06.2011 – 1 A 630/09). Etwas anderes gelte auch nicht LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13230 4 für den Bereich des Grundstücks, auf dem das Doppelhaus Weg Zur Platte 45 und 47 stehe. Dieses passe sich zwar als Doppelhaus dem Charakter der Bebauung westlich der Straße an, allerdings sei es zu drei Seiten von bewaldeten bzw. parkartigen Flächen umgeben und die „Villa Beitz“ als nahe gelegenste auf der östlichen Straßenseite befindliche Bebauung sei ca. 88 Meter entfernt. Zudem befinde sich auch auf der südlichen Seite der kurz vor der Höhe des Doppelhauses nach Westen abgehenden – ebenfalls Weg Zur Platte genannten – Straße keinerlei Bebauung, sondern ausschließlich bewaldete Frei- und Außenflächen. Das Vorhabengrundstück stellt sich aus Sicht der Bezirksregierung Düsseldorf nach der umfassenden Einzelbetrachtung der Gegebenheiten nicht als mit dem Ortsteil der Bebauung westlich der Straße Weg Zur Platte zusammenhängende Bebauung dar. Die Landesregierung hält diese Beurteilung für zutreffend und nicht zu beanstanden. 3. Ist die Landesverwaltung bereit, zeitnah ihre dargestellte Weisung zurückzunehmen und inhaltlich zu revidieren, um der Stadt Essen ohne weitere Verzögerung die neue Bebauung auf diesem Grundstück zu ermöglichen? Die Erteilung eines Bauvorbescheids für die geplante Errichtung von 3 Villen und 3 Mehrfamilienhäusern ist auf Grundlage des § 35 BauGB nicht zulässig. Eine rechtmäßige Zulässigkeit kann nur über eine bauleitplanerische Ausweisung unter Beachtung der Vorgaben des § 1 und § 1 a BauGB möglich sein. 4. In konkret wie vielen anderen Fällen hat die Bezirksregierung Düsseldorf im laufenden Jahr 2016 bereits die Neubebauung eines bereits bebauten Grundstücks mit dem Grund untersagt, dass das Neubauvorhaben anders als das alte Bestandsgebäude nun im Außenbereich liege? (detaillierte Aufstellung mit Nennung der namentlich davon betroffenen Städte erbeten) Die Weisung der Bezirksregierung Düsseldorf wurde nach einer umfassenden Betrachtung des konkreten Einzelfalls erteilt. Vergleichbare Vorgänge sind der Bezirksregierung im Jahr 2016 nicht zur Kenntnis gebracht worden. 5. Ist auch der vorliegende Essener Sachverhalt ein passendes Beispiel für die Kritik des Bauministers, dass durchgrüntes Denken und Handeln leider oft die Realisierung von sinnvollen Bauprojekten blockiert? Vorliegend handelt es sich um ein in der beantragten Form bauplanungsrechtlich nicht zulässiges Bauvorhaben. Das Bundesbaurecht und die einschlägigen Urteile sind maßgeblich für die Beurteilung eines Vorhabens im Außenbereich beziehungsweise über die Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/13230