LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/13281 27.10.2016 Datum des Originals: 24.10.2016/Ausgegeben: 02.11.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5168 vom 26. September 2016 der Abgeordneten Susanne Schneider, Marc Lürbke und Angela Freimuth FDP Drucksache 16/13017 Umsetzungstand und Anwendung von Telematik im Rettungswesen Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Während in Nordrhein-Westfalen die Kreise und kreisfreien Städte die Trägerschaft des Rettungswesens innehaben, werden in Bayern rund 80% des Rettungsdienstes vom Bayrischen Roten Kreuz erbracht. Dieser kündigte von wenigen Monaten an, dass nunmehr alle 1250 Rettungsdienstfahrzeuge für die telemedizinische Übertragung von Patientendaten ausgerüstet sind. Der BRK-Landesverband beruft sich dabei auf Studien, die eine deutliche Qualitätsverbesserung in der präklinischen, notfallmedizinischen Versorgung durch telemedizinische Projekte bestätigten. So findet die digitale Übertragung von Patientendaten vom Rettungswagen direkt in die Notaufnahme der Klinik nach einem definierten Protokoll statt. Dieses reduziere Fehler und gestatte zudem eine deutlich schnellere und effizientere Aufnahme der Daten. Gleichzeitig wird in verschiedenen Regionen Deutschlands, z.B. konkret in der Stadt Aachen, der sogenannte Tele-Notarzt eingesetzt. Nach aktuellen Meldungen seien bislang 10 RTWs mit der benötigen Soft- und Hardware ausgestattet. Ein Tele-Notarzt kann akustisch, per Videoübertragung und durch die Übertragung der Daten von den Monitoren des RTW mit dem Personal des RTW kommunizieren. So kann der Tele-Notarzt zum Beispiel die Verabreichung eines Medikaments an den Rettungsassistenten vor Ort anweisen. Gerade vor dem Hintergrund des drohenden Ärztemangels wird dieser Technologie ein Beitrag zur Wahrung der Versorgungssicherheit (insbesondere im ländlichen Raum) beigemessen. Die Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter hat die Kleine Anfrage 5168 mit Schreiben vom 24. Oktober 2016 namens der Landesregierung beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13281 2 Vorbemerkung der Landesregierung Die Kreise und kreisfreien Städte sind als Träger des Rettungsdienstes für die Sicherstellung der bedarfsgerechten und flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen der Notfallrettung einschließlich der notärztlichen Versorgung im Rettungsdienst und des Krankentransports verantwortlich. Projekte wie der Telenotarztdienst in Aachen werden von der Landesregierung begrüßt. Diese Systeme stellen jedoch keinen Ersatz des regulären Notarztdienstes dar, sondern dienen vielmehr der Ergänzung dessen. Daher wurde der Telenotarztdienst auch nicht in Form eines eigenständigen Rettungsmittels in das Rettungsgesetz Nordrhein -Westfalen aufgenommen. Die Kreise und kreisfreien Städte haben grundsätzlich die Möglichkeit, auf Basis u.a. der Regelungen im Rettungsgesetz Nordrhein-Westfalen die Voraussetzungen für entsprechende telemedizinische Anwendungen (z.B. über die Abbildung in den Rettungsdienstbedarfsplänen und in Abstimmung mit den Krankenkassen) je nach Bedarf zu schaffen. 1. Welche telemedizinischen Anwendungen sind im Rettungswesen in Nordrhein- Westfalen bereits (flächendeckend) im Einsatz bzw. welche Anwendungen werden derzeit erprobt? Mit Blick auf die Vorbemerkung gibt es aktuell keine flächendeckend festgelegten telemedizinischen Anwendungen im Rettungsdienst in Nordrhein-Westfalen. Gemeinhin umfasst der Begriff der Telematik und Telemedizin im Rettungswesen den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie in den verschiedenen Stufen der (präklinischen) Notfallversorgung . Die Bandbreite reicht hierbei von der Übertragung von Daten (bsp. an die aufnehmenden Kliniken) bis hin zu umfassenden telemedizinischen Systemen wie dem Telenotarztdienst, wie er in Aachen praktiziert wird. Es haben Erprobungen im Rahmen von Pilotprojekten stattgefunden und es werden bereits entsprechende Anwendungen eingesetzt, welche sich nicht nur auf den Bereich des Rettungswesens oder das Land Nordrhein-Westfalen beschränken: TeleNotarzt in Aachen (im Regelbetrieb): Das Forschungsprojekt „TemRas – Telemedizinisches Rettungsassistenzsystem“ in der Region Aachen wurde von 2010 - 2013 u.a. vom Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert. Der TeleNotarzt ist seit 2014 im Regelbetrieb in Aachen etabliert. Durch die Bereitstellung von Sprach- und Datendiensten via Mobilfunk können die Einsatzkräfte durch Telenotärztinnen und -ärzte unterstützt werden. Hierbei reichen die Szenarien des Dienstes von der Diagnoseabsicherung am Einsatzort, über die Überbrückung des Zeitintervalls bis zum Eintreffen der Notärztin / des Notarztes bis hin zur telemedizinischen Begleitung von Verlegungsfahrten (Sekundärtransporten). Hierbei ist der Telenotarztdienst als Unterstützung, nicht als Ersatz des Notarztdienstes im Einsatz. TraumaNetzwerk NordWest (Regelbetrieb und weitere Erprobung): Ziel des Projektes ist es, durch die Nutzung von Telematik in der Traumaversorgung das TraumaNetzwerk NordWest mit über 40 Krankenhäusern, 18 Leitstellen und mehr als 60 Notarzteinsatzfahrzeugen weiter auszubauen sowie die medizinische Versorgung von Unfallopfern in der Region nördliches Nordrhein-Westfalen/südliches Niedersachsen zu verbessern. Das im Jahr 2009 offiziell gegründete und zertifizierte TraumaNetzwerk-NordWest umfasst aktuell 36 zertifizierte Traumazentren aller Versorgungsstufen, angegliederte stationäre und ambulante Rehabilitationseinrichtungen sowie die zuständigen Leitstellen und Rettungsdienste . Durch enge Kooperation, gemeinsame Standards und technische Vernetzung ist die LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13281 3 Versorgung von schwerstverletzten Patientinnen und Patienten weiter zu verbessern. Dazu werden jährlich im bundesweiten Traumaregister die Qualitätskennzahlen der teilnehmenden Kliniken ausgewertet. Die Ergebnisse werden im Rahmen von Qualitätszirkeln regelmäßig diskutiert und weitere Verbesserungspotentiale abgeleitet. Für den Austausch von Befunden wie Röntgenbildern stehen mehrere technische Möglichkeiten zur Verfügung, die intensiv genutzt werden. Durch die Aktivitäten des TraumaNetzwerk-NordWest wurde die Zusammenarbeit zwischen den Kliniken und Rettungsdiensten deutlich verbessert, eine klinikübergreifende Kooperation bei schwerverletzten Patientinnen und Patienten ist mittlerweile regelhaft etabliert und hat sich nicht nur bei der Versorgung einzelner schwerverletzter Patientinnen und Patienten, sondern auch bei der gleichzeitigen Versorgung mehrerer Unfallopfer (z.B. bei Massenkarambolagen) bewährt. Telemedizinische Informationen bei Medizinischen Notfällen – T.I.M.E. (Erprobung): Das unter Federführung der Klinik und Poliklinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Universitätsklinikums Münster zum 01.03.2016 gestartete Projekt hat zum Ziel, die optimale Gestaltung des Anlage- und Ausleseprozesses von ärztlich validierten Notfalldatensätzen zu untersuchen sowie notfallmedizinisch relevante Patientendaten sicher verfügbar zu machen. Daneben wird im Projekt ein umsetzungsfähiges Konzept zur telematischen Unterstützung der Schockraumversorgung in regionalen und lokalen Traumazentren durch überregionale Traumazentren entwickelt und evaluiert. Mobile Retter – Smartphone-basiertes Alarmierungssystem für Ersthelfer (Regelbetrieb): Das Projekt fokussiert auf den plötzlichen Herz-Kreislaufstillstand und ermöglicht auf Basis einer Smartphone-App die Überbrückung des therapiefreien Intervalls bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes durch speziell geschulte Ersthelferinnen und Ersthelfer. Im Kreis Gütersloh wurde im Jahr 2013 das Mobile Retter-System bundesweit erstmalig als Pilotprojekt eingeführt. Aktuell nehmen die Kreise und Regionen Gütersloh, Germersheim, Unna, Ingolstadt, Emsland/Grafschaft Bentheim (im Aufbau) aktiv am Projekt teil. Für die Überbrückung des therapiefreien Intervalls existieren darüber hinaus in Nordrhein- Westfalen auch andere (Notfallhelfer-)Systeme ohne direkten telemedizinischen Bezug. PREpare – Pilot Region for Cross-border Emergency Care and Crisis Preparedness in the EUREGIO (Erprobung): Im Kontext dieses Projektes, welches die Notfallversorgung in der deutsch-niederländischen Grenzregion im Fokus hat, gibt es auch eine entsprechende mobile App, die praktische Informationen zur grenzüberschreitenden Notfallversorgung für niederländische und deutsche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Notfallversorgung bietet, etwa Anfahrtsbeschreibungen zu Krankenhäusern speziell für Rettungswagen. 2. Wie viele RTWs sind in den Kreisen und kreisfreien Städten mit der Technik zur telemedizinischen Übertragung von Patientendaten ausgestattet? (je Kreis bzw. kreisfreie Stadt) Hierzu liegen aktuell keine Daten vor. Eine entsprechende Datenerhebung durch Abfrage bei allen 53 Kreisen und kreisfreien Städten war in der Frist zur Beantwortung der Kleinen Anfrage nicht realisierbar. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13281 4 3. Wie bewertet die Landesregierung das Potential von neuen Telematikanwendungen für die Optimierung von Prozessen im Rettungswesen? Telematikanwendungen bieten das Potential, Prozesse im Rettungswesen zu unterstützen, weisen gleichzeitig jedoch eine große Bandbreite an Möglichkeiten – von der reinen Datenübertragung bis hin zu umfassenden telemedizinischen Systemen – auf (vgl. Frage 1). Vorteile bringen flächendeckend einheitliche Standards, die einen herstellerunabhängigen Datenaustausch ermöglichen. Ein zentrales Beispiel für den Bereich der Dokumentation ist das bundeseinheitliche DIVI-Notarzteinsatzprotokoll in der Version 5.1. Bei der Entscheidung für und Einführung von Telematikanwendungen kommt es jedoch nicht immer allein auf den Bereich des Rettungswesens an. Auch die Betrachtung von Schnittstellen zu den Nachbarsektoren in der gesundheitlichen Versorgung kann je nach Anwendung ggf. relevant sein (bsp. die Schnittstelle Rettungsdienst / Klinik). Ein Einsatz telemedizinischer Anwendungen muss die jeweiligen rettungsdienstlichen Prozesse – auch im Kontext lokaler Strukturbedingungen – sinnvoll ergänzen. Daher ist auch eine flächendeckende Umsetzung der exemplarisch dargestellten Projekte nicht ohne weiteres als sinnvoll zu bewerten und gleichzeitig auch nicht immer zwangsläufig eine rein rettungsdienstliche Entscheidung. Die Themen Qualitätsmanagement und Fortentwicklung des Rettungsdienstes sind Inhalt einer gemeinsamen Arbeitsgruppe des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen mit Expertinnen und Experten. Hierbei ist der Bereich telemedizinischer Anwendungen ebenfalls Bestandteil. Im Rahmen des 2. Symposiums Rettungswesen des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation , Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen am 19. September 2016 wurden gleichfalls neue und innovative Konzepte im Bereich Rettungswesen vorgestellt. Neben Systemen zur Überbrückung des therapiefreien Intervalls vor Eintreffen des Rettungsdienstes (u.a. das bereits dargestellte System „Mobile Retter“) wurde dem Fachpublikum in diesem Rahmen das Telenotarztsystem der Städteregion Aachen vorgestellt. 4. Wie bewertet die Landesregierung den Einsatz der telemedizinischen Übertragung von Patientendaten vor dem Hintergrund von Datenschutz und Datensicherheit? Festzustellen ist zunächst, dass für telemedizinische Anwendungen dieselben datenschutzrechtlichen Grundsätze zu gelten haben wie auch sonst in der Medizin. Gesundheitsdaten als besondere personenbezogene Daten sind effektiv zu schützen. Dem Recht der Patientinnen und Patienten auf informationelle Selbstbestimmung ist größte Priorität einzuräumen, indem dem § 203 StGB, dem Bundesdatenschutzgesetz, den Landesdatenschutzgesetzen und zudem der ab 25. Mai 2018 anzuwendenden EU-Datenschutzgrundverordnung Rechnung getragen wird. Deshalb müssen die drei Schutzziele Vertraulichkeit, Authentizität und Integrität bei telemedizinischen Anwendungen stets erfüllt werden. Diese beinhalten, dass Informationen nicht unberechtigten Personen, Einheiten oder Prozessen verfügbar gemacht oder enthüllt werden dürfen (Vertraulichkeit), dass die Daten für eine berechtigte Einheit im Bedarfsfall auch zugänglich und nutzbar sind (Verfügbarkeit) und die Richtigkeit und Vollständigkeit der Daten gewährleistet ist (Integrität). Der Austausch von Informationen (Datenübertragung) über eine räumliche Entfernung geht meist mit einer – wenn auch nur flüchtigen – Speicherung in zwischengeschalteten Systemen und deshalb auch mit einem zusätzlichen Risikopotential einher. Das Erreichen der o.g. Schutzziele und eine entsprechende Aufrechterhaltung lassen sich aber aus Sicht der Landesregierung mit technischen und organisatorischen Maßnahmen in LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13281 5 geeigneter – dem Datenschutz gerecht werdender - Weise erreichen, beispielsweise durch einen sicheren Datentransfer und Verschlüsselung. Einzelne technische Maßgaben sind jeweils in ein umfassendes Datenschutzkonzept einzubetten . Im Rahmen dieses Konzeptes kann das zusätzliche Risikopotential ebenfalls entsprechende Berücksichtigung finden. Gegebenenfalls bestehende Empfehlungen der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit des Landes NRW sollten hierbei dann entsprechende Berücksichtigung finden. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/13281