LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/13349 03.11.2016 Datum des Originals: 03.11.2016/Ausgegeben: 08.11.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5181 vom 28. September 2016 der Abgeordneten Yvonne Gebauer FDP Drucksache 16/13072 Wird die förderschwerpunktspezifische Versorgung beim Lehramt für sonderpädagogische Förderung im Rahmen der 2. Phase der Lehrerausbildung sichergestellt? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Während Schulen kontinuierlich das unzureichende Angebot an ausgebildeten Lehrkräften für sonderpädagogische Förderung beklagen, hatte die Landesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage vom 09.05.2016 erklärt: „Im Jahr 2014 war das Verhältnis von Lehrkräftebedarf und Lehrkräfteangebot landesweit nahezu ausgeglichen.“ Da diese Einschätzung der Landesregierung auch zum damaligen Zeitpunkt mit Rückmeldungen aus den Schulen schwer in Übereinstimmung zu bringen war, ist es wichtig zu erfahren, wie die Landesregierung die diesbezüglichen Entwicklungen in den Folgejahren einschätzt. Zur Sicherung des Lehrkräfteangebots für sonderpädagogische Förderung ist nicht nur das Lehramt, sondern auch die Spezialisierung von Bedeutung. Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf verfügen über unterschiedliche Handicaps, so dass für die bestmögliche individuelle Förderung im Zuge der Ausbildung zur sonderpädagogischen Fachlehrkraft eine Spezialisierung für Förderschwerpunkte erfolgen muss. Das Studium umfasst dabei zwei sonderpädagogische Fachrichtungen. Allerdings verweisen Fachverbände inzwischen auf einen sich verschärfenden Fachkräftemangel , der sich auch förderschwerpunktspezifisch niederzuschlagen droht. So setzt das Ministerium für Schule und Weiterbildung für die 2. Ausbildungsphase im Bereich Sonderpädagogik einen Verteilungsschlüssel an, in welchen Fachrichtungen die praktische Ausbildung erfolgt. Danach werden gegenwärtig zu wenige Lehrkräfte in den Fachrichtungen „Körperliche und motorische Entwicklung“, „Hören und Kommunikation“, „Geistige Entwicklung“ sowie „Sprache“ ausgebildet. Lehramtsanwärter und -anwärterinnen, welche die oben genannten Fachrichtungen studiert haben, werden daher in ihrer weiteren Fachrichtung „Lernen“ oder „Emotionale und soziale Entwicklung“ „zwangsweise“ ausgebildet. Dieser Vorgang kann den Eindruck erwecken, dass LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13349 2 der Verteilungsschlüssel zugunsten letztgenannter Fachrichtungen und zulasten anderer Fachrichtungen mit der rot-grünen Umsetzung der Inklusion zu tun hat. Aus fachlicher Sicht ist dieses Vorgehen in den Bereichen „Körperliche und motorische Entwicklung “, „Hören und Kommunikation“, „Geistige Entwicklung“ sowie „Sprache“ laut Experteneinschätzung problematisch. Es würden viele Erfahrungswerte für die jungen Kolleginnen und Kollegen verloren gehen, die mühsam und mit erheblichem Aufwand in den Schulen nachgearbeitet werden müssen. Darüber hinaus dürfte die kommende Pensionierungswelle in den genannten Förderschwerpunkten erhebliche Lücken hervorrufen. Die drohenden Lücken werden an Förderschulen ebenso wie in den inklusiven allgemeinen Schulen auftreten. Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 5181 mit Schreiben vom 3. November 2016 namens der Landesregierung beantwortet. 1. Da die Landesregierung erklärt hatte, dass 2014 das Verhältnis von Bedarf und Angebot von Lehrkräften für sonderpädagogische Förderung landesweit nahezu ausgeglichen gewesen sei: Zu welchen diesbezüglichen Einschätzungen gelangt sie in den Folgejahren (bitte für das Schuljahr 2015/2016 sowie für das aktuelle Schuljahr sowie jeweils nach entsprechendem Lehrkräftebedarf und Lehrkräfteangebot aufgeschlüsselt erläutern)? Der Bedarf an Lehrkräften im Rahmen der Einstellung für das Lehramt sonderpädagogische Förderung betrug für das Schuljahr 2015/16 629 Lehrerstellen. Für das Jahr 2014 wurde in der Antwort auf die Kleine Anfrage 4633 (LT-Drs. 16/11935) der Lehrkräftebedarf in der Rückschau ermittelt. Der Lehrkräftebedarf für das laufende Schuljahr 2016/17 kann noch nicht abschließend ermittelt werden. Zum Beginn des Schuljahres 2016/17 belief sich der Lehrkräftebedarf auf 674 Stellen. Das Lehrkräfteangebot setzt sich zusammen aus Absolventinnen und Absolventen der Lehrerausbildung und Lehrkräften, die an der berufsbegleitenden Ausbildung zum Erwerb des Lehramtes für sonderpädagogische Förderung (VOBASOF) teilnehmen. Hinzu kommen in geringen Umfang auch Bewerberinnen und Bewerber aus anderen Bundesländern und die wenigen Lehrkräfte, die bisher noch kein Einstellungsangebot angenommen haben. Die Ausbildungsjahrgänge im Vorbereitungsdienst für ein Lehramt beenden die Ausbildung jeweils zum 30.04. bzw. 31.10. eines Jahres. Ihre Ausbildung im Vorbereitungsdienst für das Lehramt für sonderpädagogische Förderung haben im Kalenderjahr 2015 571 und in 2016 nach derzeitigem Sachstand 618 Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter erfolgreich abgeschlossen. Damit zeigt sich, dass das Lehrkräfteangebot derzeit geringfügig unter dem Bedarf liegt. 2. Wie stellt sich seit Inkrafttreten des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes der Verteilungsschlüssel für die 2. Ausbildungsphase im Bereich Sonderpädagogik bezüglich der Fachrichtungen dar (bitte chronologisch auflisten)? Im maßgeblichen Zeitraum wurde seitens des Schulministeriums der in der nachstehenden Tabelle ausgewiesene Verteilungsschlüssel für die Durchführung des jeweiligen Vergabeverfahrens vorgegeben. Vergabeverfahren werden zur Festlegung der sonderpädagogischen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13349 3 Fachrichtung durchgeführt, in der die Ausbildung im Vorbereitungsdienst für das Lehramt für sonderpädagogische Förderung erfolgen soll. In den Vergabeverfahren der Jahre 2015 und 2016 haben rd. 85% der Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter die von ihnen gewünschte sonderpädagogische Fachrichtung erhalten. Aus Kapazitätsgründen wurde einem kleineren Teil der Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter deren weitere sonderpädagogischen Fachrichtung zugewiesen. Davon erfolgten für den überwiegenden Anteil Zuweisungen der Fachrichtungen „Lernen“ und „Emotionale und soziale Entwicklung“, für einen kleineren Anteil in Abhängigkeit vom Wahlverhalten auch Zuweisungen der anderen sonderpädagogischen Fachrichtungen. Sonderpädagogische Fachrichtungen SEV-Verfahren 1 01.11.2014 SEV-Verfahren 01.05.2015 SEV-Verfahren 01.11.2015 SEV-Verfahren 01.05.2016 SEV-Verfahren 01.11.2016 Emotionale und soziale Entwicklung 25,00% 28,00% 28,00% 28,00% 28,00% Geistige Entwicklung 21,50% 21,50% 21,50% 21,50% 21,50% Sonderpädagogische Fachrichtungen SEV-Verfahren 1 01.11.2014 SEV-Verfahren 01.05.2015 SEV-Verfahren 01.11.2015 SEV-Verfahren 01.05.2016 SEV-Verfahren 01.11.2016 Hören und Kommunikation 5,00% 5,00% 5,00% 5,00% 5,00% Körperliche und motorische Entwicklung 8,50% 8,50% 8,50% 8,50% 8,50% Lernen 30,00% 25,00% 25,00% 25,00% 25,00% Sehen 3,00% 4,00% 4,00% 4,00% 4,00% Sprache 7,00% 8,00% 8,00% 8,00% 8,00% 1 Seminareinweisungsverfahren 3. Wenn am in Frage 2 genannten Zeitraum Veränderungen am Verteilungsschlüssel vorgenommen wurden, worauf ist dies inhaltlich zurückzuführen? Bei der Festlegung des Verteilungsschlüssels sind den rechtlichen Vorgaben entsprechend die jeweils letzten amtlichen Schuldaten zum Umfang des erteilten Unterrichts zu Grunde zu legen; für das Gemeinsame Lernen können besondere Regelungen getroffen werden. Die so ermittelte Zahl an Ausbildungsplätzen kann nach Maßgabe des Unterrichtsbedarfs und der voraussichtlichen Entwicklung der Schülerzahlen korrigiert werden. Im nachgefragten Zeitraum wurde der Verteilungsschlüssel nur im Einstellungsverfahren zum 01.05.2015 aus den nachfolgenden Gründen angepasst: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13349 4 Wegen steigender Bedarfe in den allgemeinen Schulen und bei einer jeweils erhöhten Ausgangsbewerberlage wurden die Anteile für die sonderpädagogische Fachrichtung im Bereich der Lern- und Entwicklungsstörungen leicht unter den einzelnen Förderschwerpunkten modifiziert : „Emotionale und soziale Entwicklung“ um drei Prozentpunkte auf 28 Prozent, für die sonderpädagogische Fachrichtung „Sprache“ um einen Prozentpunkt auf acht Prozent angehoben . Die Quote für die sonderpädagogische Fachrichtung „Lernen“ wurde hingegen um fünf Prozentpunkte auf 25 Prozent abgesenkt, weil davon ausgegangen wurde, dass die personellen Bedarfe gedeckt werden und diese Förderschwerpunkte in starken fachlichen Interdependenzen stehen. Für die sonderpädagogische Fachrichtung „Sehen“ wurde die Quote um einen Prozentpunkt auf vier Prozent gesteigert. 4. Da die Landesregierung trotz naturgemäß bestehender Unwägbarkeiten bezüglich der Förderschwerpunkte kurz- und mittelfristige Prognosen zu den Fachrichtungen für die Planung vornehmen muss: Wie sehen die prognostizierten Bedarfe im Verhältnis zum prognostizierten Lehrkräfteangebot für die unterschiedlichen sonderpädagogischen Fachrichtungen für die kommenden 5 Jahre aus? Der prognostische jährliche Einstellungsbedarf an sonderpädagogischen Lehrkräften beläuft sich entsprechend der im Jahr 2011 vom Ministerium für Schule und Weiterbildung veröffentlichten Lehrkräftebedarfsprognose in den Jahren 2017 bis 2021 voraussichtlich auf durchschnittlich 650 Lehrkräfte jährlich. Im gleichen Zeitraum werden – ohne die zu Frage 1 genannten Sondergruppen - voraussichtlich rd. 500 Absolventen und Absolventinnen der 2. Staatsprüfung jährlich angenommen. Hinsichtlich der einzelnen sonderpädagogischen Fachrichtungen wird auf die Antworten der Landesregierung zu den Fragen 3 und 4 der Kleine Anfrage 4633 (LT-Drs. 16/11935) verwiesen. Dort (zu Fragen 3 und 5) ist auch dargestellt, dass die Studienmöglichkeiten für das Lehramt für sonderpädagogische Förderung mit zusätzlichen Mitteln durch die rot-grüne Landesregierung insgesamt landesweit deutlich erhöht wurden. Zusätzliche Studienanfängerinnen und –anfänger nach dem Jahr 2012 könnten bereits in den kommenden fünf Jahren zur Deckung des Bedarfs an den Schulen beitragen. 5. Wie bewertet die Landesregierung die von Fachverbänden geäußerte Befürchtung, wonach aufgrund der starken Schwerpunktsetzung in den Fachrichtungen „Lernen “ oder „Emotionale und soziale Entwicklung“ absehbar, auch aufgrund einer anstehenden Pensionierungswelle, in der 2. Ausbildungsphase zu wenige Lehrkräfte in den Fachrichtungen „Körperliche und motorische Entwicklung“, „Hören und Kommunikation“, „Geistige Entwicklung“ sowie „Sprache“ ausgebildet werden ? Neben der Ausbildung in einer der studierten sonderpädagogischen Fachrichtungen finden den rechtlichen Vorgaben entsprechend auch die weiteren Fachrichtungen und die Anforderungen unterschiedlicher Orte sonderpädagogischer Förderung, insbesondere des Gemeinsamen Lernens, in der Ausbildung im Vorbereitungsdienst für das Lehramt für sonderpädagogische Förderung Berücksichtigung. Die fertig ausgebildeten Lehrkräfte erwerben mit erfolgreichem Abschluss der Ausbildung eine Lehramtsbefähigung, die alle studierten Fächer und Fachrichtungen umfasst und breite Einstellungsmöglichkeiten an Schulen eröffnet, die unabhängig sind von der Frage, welche Fachrichtung im Vorbereitungsdienst ausgebildet wurde. Die in Frage 4 angenommenen Planungs- und Steuerungsmöglichkeiten der Verteilung von Studierenden auf die sonderpädagogischen Förderschwerpunkte sind so nicht gegeben. Zu Beginn der langjährigen Ausbildung, die inklusive des Vorbereitungsdienstes etwa sieben LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13349 5 Jahre dauert, lässt sich kaum vorhersagen, wie hoch der Bedarf im studierten Förderschwerpunkt nach diesem Zeitraum ist. Ungeachtet der Prognoseunsicherheiten ist auch das individuelle Wahlverhalten der Studierenden maßgeblich, die sich für das Studium zweier Fachrichtungen entscheiden. Es ist seit einiger Zeit bundesweit zu beobachten, dass das Wahlverhalten der Studierenden sich mehr auf andere sonderpädagogische Fachrichtungen fokussiert als auf die Förderschwerpunkte „Sehen“ oder „Hören und Kommunikation“. Eine durch das MSW initiierte Erweiterung der Ausbildungskapazitäten für den Förderschwerpunkt „Sehen“ konnte von der Universität Dortmund nicht umgesetzt werden, da das Wahlverhalten der Studierenden sich anders gestaltet. Die Fokussierung auf die beiden Fachrichtungen „Lernen“ bzw. „Emotionale und soziale Entwicklung “ folgt der Verteilung der sonderpädagogischen Förderschwerpunkte auf die Gruppe der Schülerinnen und Schüler mit förmlich festgestelltem Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung . Dort sind diese beiden Förderschwerpunkte mit Abstand am häufigsten vertreten, zusammen liegt der Anteil seit Jahren bei mehr als 50 Prozent dieser Schülergruppe. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/13349