LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/13431 10.11.2016 Datum des Originals: 09.11.2016/Ausgegeben: 15.11.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5203 vom 4. Oktober 2016 des Abgeordneten Dirk Wedel FDP Drucksache 16/13107 Wieso nimmt Justizminister Kutschaty bei der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs Mehrkosten in Kauf, die seiner eigenen Auffassung nach keinen Sinn machen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten ist am 16. Oktober 2013 im Bundesgesetzblatt verkündet worden. Durch die Neuregelung in der Zivilprozessordnung und in den anderen Verfahrensordnungen werden die elektronischen Zugangswege für die Anwaltschaft zur Justiz erweitert. Ausgenommen von der elektronischen Einreichung sind lediglich die Verfassungs- und die Strafgerichtsbarkeit. Das Gesetz verpflichtet die Bundesrechtsanwaltskammer zum 1. Januar 2016 für jeden Rechtsanwalt und jede Rechtsanwältin ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach einzurichten, über das zukünftig die elektronische Kommunikation von Anwälten abgewickelt wird. Die Regelungen des Inkrafttretens schaffen einen Zeitplan der Umsetzung des Gesetzes, der vorsieht, dass sich die Gerichte des Bundes und der Länder grundsätzlich am 1. Januar 2018 flächendeckend für den Empfang elektronischen Rechtsverkehrs öffnen und für Länder, die infrastrukturell noch nicht weit genug sein werden, die Möglichkeit besteht, diese Öffnung für die Jahre 2018 und 2019 zurückzustellen (Opt-Out-Klausel). Die flächendeckende Öffnung des elektronischen Rechtsverkehrs mit allen Gerichten in Deutschland wird demnach spätestens zum 1. Januar 2020 erfolgen. Umgekehrt können Bundesländer den elektronischen Rechtsverkehr – soweit sie von der Verschiebung der Einführung keinen Gebrauch gemacht haben – schon zum 1. Januar 2020 verpflichtend ausgestalten (Opt-In- Klausel). Wurde hingegen von der Opt-Out-Regelung Gebrauch gemacht, besteht eine Wahlmöglichkeit zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs einzig ab dem 1. Januar 2021. Als echter Endzeitpunkt ist der 1. Januar 2022 vorgesehen, zu dem alle Länder in allen Gerichtsbarkeiten den obligatorischen, für „professionelle“ Einreicher verbindlich zu nutzenden elektronischen Rechtsverkehr eröffnen. Ab diesem Zeitpunkt ist für die professionell am LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13431 2 Rechtsleben Teilnehmenden nur noch die elektronische Einreichung schriftformwahrend im verfahrensrechtlichen Sinn. In der Antwort auf die Kleine Anfrage 2920 hat die Landesregierung am 16.12.2014 mitgeteilt, dass sie beabsichtigt, von der Opt-Out-Klausel keinen Gebrauch zu machen (Drs. 16/7618, Seite 2). Seitens der Landesregierung wurde bisher kommuniziert: „Für Nordrhein-Westfalen ist zur Vermeidung von Medienbrüchen die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs untrennbar mit der Einführung der elektronischen Akte verbunden“ (http://www.justiz.de/elektronischer_rechtsverkehr/nordrhein-westfalen/index.php). Dazu hat Justizminister Kutschaty in der 45. Sitzung des Rechtsausschusses vom 10.06.2015 wie folgt ausgeführt (APr 16/924, Seite 25): „Jetzt macht es natürlich wenig Sinn, nur den Rechtsverkehr elektronisch zu regeln und das, was per E-Mail bei unseren Gerichten eingeht, auszudrucken und wieder in Papierakten zu heften. Vielmehr (…) es ist sinnvoll, in diesem Zusammenhang auch die elektronische Akte einzuführen.“ In derselben Sitzung wurde seitens des Justizministeriums erklärt (APr 16/924, Seite 26 f.): „Wir sind uns einig, auch mit dem Geschäftsbereich, dass die Einführung dieses elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte eigentlich zwingend die Zentralisierung der bis jetzt dezentralen IT-Technik der Justiz bedingt. … Neben der Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs als solchem ist das Wichtigste für die Beschäftigten, dass Eingänge elektronisch ankommen und als solche bearbeitet werden können. Es macht wenig Sinn – Herr Minister hat es schon angedeutet -, wenn die elektronischen Eingänge ankommen, dass aber ausgedruckt und, wie gewohnt, in Form von Papierakten fortgeführt werden. Das soll natürlich alles in elektronischer Form geschehen; erst dann macht es richtig Sinn.“ Dabei war sich die Landesregierung der Komplexität der Aufgabe bewusst, wie die seinerzeitigen Ausführungen des Staatssekretärs im Justizministerium erkennen lassen (APr 16/924, Seite 35): „Es wurde gesagt, dass es sich im Grunde um mehrere Projekte handelt. Das sehen wir auch so. Wir gehen davon aus, dass es eine der größten Herausforderungen ist, zeitgleich die Zentralisierung der Justiz-IT vorzunehmen. Da sind uns andere Länder weit voraus.“ Am 24.06.2016 stellte der Justizminister gegenüber dem Rechtsausschuss fest (Vorlage 16/4054, Seite 2): „… werden die Eingänge in elektronischer Form mittelfristig die Papiereingänge deutlich übersteigen. Dies erfordert aus organisatorischen und wirtschaftlichen Gründen die zeitnahe Einführung einer elektronischen Akte. Eine Beibehaltung der Papierakte würde dazu führen, dass die elektronischen Eingänge - auch zur Zustellung an den Gegner – auszudrucken, in Papierform zu verarbeiten und per Post zu versenden wären. Der damit verbundene Medienbruch sowie der erhebliche Aufwand an Druck- und Versandkosten soll durch die Einführung einer durchgängigen elektronischen Aktenbearbeitung in der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen vermieden werden.“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13431 3 Noch im am 14.09.2016 durch den Justizminister übersandten Erläuterungsband zum Einzelplan 04 des Haushaltsentwurfs 2017 finden sich folgende Passagen (Vorlage 16/4240, Seite III): „Die nordrhein-westfälische Justiz nimmt auf dem Weg der Digitalisierung eine Vorreiterrolle ein und trifft vor Ort und im Länderverbund die erforderlichen Maßnahmen, die sich aus der verpflichtenden Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte ergeben. Hierzu sind auch die Zentralisierung der Informationstechnik auf den bei dem OLG Köln eingerichteten justizinternen IT-Dienstleister und der Betrieb der zentralen IT- Betriebsstelle zu zählen.“ sowie (Vorlage 16/4240, Seite 42 f.): „Eine Beibehaltung der Papierakte würde dann eine erhebliche Steigerung der Druckkosten verursachen, die mit der Einführung einer elektronischen Akte vermieden werden kann.“ Dem Vernehmen nach geht die Landesregierung tatsächlich allerdings davon aus, dass mit einer flächendeckenden elektronischen Aktenführung aller Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit zum 01.01.2018 nicht gerechnet werden kann. Vielmehr sollen danach zunächst für einen unbestimmten Zeitraum die elektronischen Eingänge für die Akte und den Gegner im Gericht ausgedruckt und danach in den Geschäftsgang gegeben werden, also auch auf Kosten der Justiz an den Gegner versendet werden. Zudem soll dem Vernehmen nach im Rahmen der Pilotierung von der technischen Zentralisierung in Bezug auf das Landgericht Bochum (vgl. Vorlage 16/4054, Seite 4) zugunsten einer dezentralen Serverlösung Abstand genommen worden sein. Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 5203 mit Schreiben vom 9. November 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister beantwortet. 1. Zu welchem Zeitpunkt wird nach derzeitigem Sachstand die flächendeckende elektronische Aktenführung aller nordrhein-westfälischen Gerichte gewährleistet sein (gegebenenfalls differenziert nach Gerichtsbarkeiten)? Nach den gegenwärtigen Planungen soll die elektronische Akte zum 1. Januar 2022 flächendeckend im Geschäftsbereich der Justiz in NRW eingeführt sein. 2. Welche zusätzlichen Kosten kalkuliert die Landesregierung für den Ausdruck der elektronischen Eingänge, deren Verarbeitung sowie deren Versendung (bitte nach Haushaltsjahren differenziert nach Personal- und Sachkosten sowie Investitionsund laufenden Kosten; soweit bereits im Haushaltsplan 2017 veranschlagt bitte unter Angabe von Kapitel, Titel und Höhe)? Da der elektronische Rechtsverkehr kraft Gesetzes erst zum 01.01.2018 flächendeckend eröffnet ist, sind im Haushaltsplan 2017 keine Mehrkosten für den Ausdruck, die Verarbeitung oder Versendung elektronischer Eingänge vorgesehen. Die Frage, ob und welche zusätzlichen Kosten mit der gesetzlichen Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs in den Jahren 2018 und 2019 verbunden sind, lässt sich derzeit nicht seriös beantworten. Es lässt sich nicht verlässlich ermitteln, in welchem Umfang insbesondere die Anwaltschaft die Möglichkeit zur elektronischen Einreichung nutzen wird. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13431 4 Der Nutzungsgrad dürfte maßgeblich davon bestimmt sein, ob die Bundesrechtsanwaltskammer den Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten ein funktionsfähiges besonderes elektronisches Anwaltspostfach (BeA) zur Verfügung stellt, was bereits zum 01.01.2016 hätte erfolgen sollen, aber bis heute – auch aufgrund noch laufender gerichtlicher Auseinandersetzungen – nicht geschehen ist. Aber auch dann ist – wie die gerichtlichen Auseinandersetzungen zeigen – noch nicht absehbar, in welchem Umfang dieses genutzt werden wird und tatsächlich elektronische Eingänge eingehen. Da zudem bei Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs die Kosten für die Ausdrucke der heute regelmäßig eingehenden Telefaxe entfallen, ist ohnedies von einer umfangreichen Kompensation auszugehen. 3. Weshalb plant die Landesregierung keinen Gebrauch von der Opt-Out-Klausel zu machen, wenn mit einer flächendeckenden elektronischen Aktenführung aller Gerichte zum 01.01.2018 nicht gerechnet werden kann, es aber „wenig Sinn [macht], nur den Rechtsverkehr elektronisch zu regeln und das, was per E-Mail bei unseren Gerichten eingeht, auszudrucken und wieder in Papierakten zu heften“? Die Aussage, es mache „wenig Sinn, nur den Rechtsverkehr elektronisch zu regeln und das was per E-Mail bei unseren Gerichten eingeht, auszudrucken und wieder in Papierakten zu heften“, ist und bleibt richtig. Sie beschreibt den Grund, warum sich die Landesregierung – wie auch alle anderen Bundesländer – entschieden hat, elektronische Akten einzuführen. Elektronischer Rechtsverkehr und elektronische Akte gehören danach thematisch zusammen. Der elektronische Rechtsverkehr eröffnet Vorteile, die mit der elektronischen Akte nutzbar gemacht werden können, insbesondere können die elektronisch vorliegenden Informationen durch die Anwender unmittelbar verarbeitet werden unter Nutzung von verschiedenen Funktionen der Suche, Filterung, Übernahme oder Strukturierung – Möglichkeiten, die in der Papierakte in dieser Form nicht bestehen. Die elektronische Akte wiederum vermeidet Nachteile, die der elektronische Rechtsverkehr bei einer auf Dauer angelegten papiergebundenen Aktenführung bringen würde. Diese würde nämlich zu einer dauerhaften Organisation des Medienbruches führen, bei der elektronische Eingänge dauerhaft auszudrucken wären. Ohne elektronische Akte würde der elektronische Rechtsverkehr dauerhaft zu höheren Druck- und Versandkosten führen. Angestrebt war und ist daher die zeitnahe Umsetzung der Einführung der elektronischen Akte zur Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs. Eine zeitgleiche Einführung der elektronischen Akte ist jedoch keine Bedingung für die Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs. Dieser ist auch in seiner Reinform bereits vorteilhaft. Mit der flächendeckenden Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs nimmt NRW aktiv am digitalen Wandel der Gesellschaft teil und trägt damit nicht nur zur Verwaltungsvereinfachung und zum Bürokratieabbau bei, sondern erzielt auch erhebliche praktische Verbesserungen für Bürger und Wirtschaft. Der elektronische Rechtsverkehr begründet für die Verfahrensbeteiligten etwa die Möglichkeit, Klagen, Anträge oder sonstige Schriftsätze elektronisch bei Gericht einzureichen, was zu deutlichen Zeitersparnissen und so im Interesse der Bürger und der Wirtschaft zu einer Beschleunigung von gerichtlichen Verfahren führen kann. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13431 5 4. Inwieweit werden Ausnahmen von der technischen Zentralisierung in der IT- Betriebsstelle in Münster zugelassen? Ausnahmen von der technischen Zentralisierung in der IT-Betriebsstelle in Münster sind nicht vorgesehen. Sämtliche 226 Gerichte und Staatsanwaltschaften der Justiz NRW werden in den kommenden Jahren sukzessive in die zentrale IT-Betriebsstelle überführt. 5. Inwieweit verzögert die fehlende Umsetzung der IT-Zentralisierung die flächendeckende elektronische Aktenführung aller Gerichte zum 01.01.2018? Da die flächendeckende Einführung der elektronischen Akte erst für den 01.01.2022 angestrebt wird, kann es eine Verzögerung im Sinne der Fragestellung nicht geben. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/13431