LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/13477 17.11.2016 Datum des Originals: 17.11.2016/Ausgegeben: 22.11.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5269 vom 20. Oktober 2016 des Abgeordneten Daniel Schwerd FRAKTIONSLOS Drucksache 16/13236 Reichsbürger in Nordrhein-Westfalen Vorbemerkung der Kleinen Anfrage „Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode.“ William Shakespeare Als Reichsbürger bezeichnen sich Anhänger von Verschwörungstheorien, welche behaupten, das Deutsche Reich bestehe fort, allerdings nicht als dessen Rechtsnachfolger die Bundesrepublik Deutschland anerkennen, sondern ein fiktives Deutsches Reich in den Grenzen von 1937 (bzw. 1914, je nach Gruppierung). Die Bundesrepublik Deutschland wird oftmals als „BRD GmbH“ bezeichnet, ihre völkerrechtliche Legitimation wird bestritten. Stattdessen sollen „Kommissarische Reichsregierungen“ o.ä. imaginierte Vertretungen im Amt sein. Zahlreiche Fantasietitel und –Dokumente des „Deutschen Reiches“ sind dazu im Umlauf. Diese Gruppen zeichnen sich oftmals dadurch aus, dass sie geltende Gesetze, Steuern, Verordnungen, Urteile etc. nicht akzeptieren, sondern den offenen Konflikt mit den Vertretern öffentlicher Stellen suchen. Verwaltungsbeamte und öffentliche Angestellte oder Beauftragte, wie beispielsweise Richter oder Gerichtsvollzieher, berichten von Auseinandersetzungen, Bedrohungen und Nachstellungen. Hinter diesen Bewegungen stecken teils rechtsextreme, teils auch materielle Absichten und Ziele (durch kostenpflichtige Ausgabe von imaginierten Dokumenten, Titeln und Staatsbürgerschaften), sowie zum Teil ideologisch verbrämte Wahnvorstellungen. Die Brandenburger Verwaltung hat ein Handbuch zum Umgang mit „Reichsbürgern“ herausgegeben. 1 1 http://www.verfassungsschutz.brandenburg.de/sixcms/detail.php/734811 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13477 2 Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 5269 mit Schreiben vom 17. November 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet. 1. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung hinsichtlich Organisation, personeller Stärke, Mitgliederentwicklung, Zusammensetzung, Herkunft, Anführerschaft, Motivation, Gesinnung und Gewaltbereitschaft von sogenannten "Reichsbürgern" seit 2012 vor? Seit dem Jahr 2014 kommt es auch in Nordrhein-Westfalen zu einer zunehmenden Anzahl von Vorkommnissen mit sogenannten „Reichsbürgern“ bzw. „staatlichen Selbstverwaltern“. Anhänger der „Reichsbürgerbewegung“ stellen dabei öffentlich oder bei ihren Kontakten mit staatlichen oder kommunalen Ämtern und Behörden die Behauptung auf, dass noch immer das Deutsche Reich mit seinen Grenzen der 1930er Jahre bestehe und somit die Bundesrepublik Deutschland und ihre Institutionen weder existierten noch eine rechtliche Legitimation hätten. Die heterogene Reichsbürgerbewegung besteht aus einer Vielzahl von Kleinstgruppierungen, die zum Teil miteinander kooperieren, zum Teil aber sich auch scharf voneinander abgrenzen. Neben kleinen, sektenartigen Gruppen mit hohem Organisationsgrad gibt es ebenso lose strukturierte Gruppierungen sowie Einzelpersonen, die nur im Internet aktiv sind bzw. sich an Behörden wenden. Die Szene befindet sich in einem steten Wandel. Im Internet finden sich zahlreiche Webseiten und Facebookprofile von verschiedenen Gruppen, die sich als "Reichsbürger" bezeichnen. Hier finden sich oftmals auch Musterformulare, mit denen "Reichsbürger" die Ämter und Behörden beschäftigen wollen. Einige Personen nutzen die Musterformulare und Handlungsempfehlungen von "Reichsbürgern", um staatlichen Zahlungsforderungen zu entgehen, ohne dass sie sich in entsprechenden Gruppen organisieren. Idealtypisch lassen sich die „Reichsbürger“ derzeit in drei Gruppen unterteilen: 1. Verschwörungstheoretiker, 2. Rechtsextremisten, 3. Personen, die nach Argumenten suchen, ihre finanziellen Verpflichtungen gegenüber dem Staat zu bestreiten. Die Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass das Personenpotential in Nordrhein- Westfalen derzeit bei etwa 200-300 „Reichsbürgern“ liegt. Die Zahl kann sich durch die weitere Aufhellung des Dunkelfelds allerdings noch erhöhen. 2. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung hinsichtlicher regionaler und örtlicher Treffpunkte, durchgeführter Aktionen sowie öffentlicher medialer Aktivitäten (z.B. Nutzung Internet, soziale Netzwerke) von sogenannten "Reichsbürgern" seit 2012 vor? Geben Sie auch an, inwieweit Veranstaltungen, Netzwerke und Treffpunkte gemeinsam mit Rechtsextremen genutzt wurden? 4. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über Verbindungen von sogenannten "Reichsbürgern" zu als rechtsextrem eingestuften Gruppen oder Personen? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13477 3 Die Fragen 2 und 4 werden zusammen beantwortet. Wie bereits in der Antwort zu Frage 1 dargelegt, gibt es Schnittmengen zwischen „Reichsbürgern“ und der rechtsextremistischen Szene. Einige bekannte Rechtsextremisten versuchten in der Vergangenheit, die Reichsbürgerbewegung zu beeinflussen und gründeten eigene Gruppen. Dazu zählen Horst Mahler mit der „Völkischen Reichsbewegung“ und Rigolf Hennig mit dem „Freistaat Preußen“ in Verden an der Aller. 3. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung hinsichtlich Straftaten, Widerstandshandlungen, Übergriffe auf Vertreter öffentlicher Stellen oder Ordnungswidrigkeitsverfahren von sogenannten "Reichsbürgern" vor? Listen Sie alle bekannten Fälle seit 2012 auf. Am 28.10.2016 wurde im polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem IGVP das Schlagwort "Reichsbürger" eingeführt. Die statistische Erfassung im Kriminalpolizeilichen Meldedienst Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK) sieht kein Schlagwort für die Reichsbürgerbewegung bzw. deren Ableger vor. In den Justizstatistiken sind „Reichsbürger“ nicht erfasst. Entsprechend verhält es sich für das staatsanwaltschaftliche Registrierungssystem MESTA. Eine händische Auswertung der im genannten Zeitraum geführten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren sowie der polizeilichen Ordnungswidrigkeitsverfahren ist innerhalb der für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Informationen über kommunale Ordnungswidrigkeitsverfahren betreffend „Reichsbürger“ liegen der Landesregierung nicht vor. Eine in den polizeilichen Vorgangs- und Auskunftssystemen durchgeführte Recherche hat 67 registrierte Straftaten ergeben, bei denen die Tatverdächtigen zumindest im Verdacht stehen, den sogenannten „Reichsbürgern“ anzugehören oder entsprechendes Gedankengut vertreten zu haben. In 19 Fällen davon handelte es sich bei den Geschädigten um Mandatsträger, Beamte oder andere Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. In vier Fällen wurden Gewaltdelikte begangen. Dabei handelte es sich um drei Widerstandshandlungen gegen Polizeivollzugsbeamte und ein Körperverletzungsdelikt. In drei Fällen sind Verstöße gegen das Waffengesetz begangen worden. Vornehmlich sind bei den sogenannten „Reichsbürgern“ jedoch Volksverhetzungsdelikte, Propagandadelikte und Beleidigungen festzustellen (vgl. die Anlage). Im Umgang mit Behörden haben „Reichsbürger“ mit Hilfe frei erfundener Schadensersatzforderungen eine Form der Einschüchterung von Behördenangehörigen entwickelt – die sogenannte „Malta-Masche“. Mittels des US-amerikanischen Schuldnerregisters UCC und maltesischen Inkassofirmen werden vollstreckbare Titel vor maltesischen Gerichten erwirkt, sollte der Betroffene sich nicht über einen maltesischen Anwalt dagegen vor Ort wehren. In mehreren Bundesländern wurden derartige Fälle bekannt, wobei es in keinem Fall zu entsprechenden Vollstreckungen kam. 5. Inwieweit werden Beamte und öffentliche Angestellte bzw. Beauftragte auf dem Umgang mit sogenannten „Reichsbürgern“ vorbereitet bzw. bei Auseinandersetzungen mit ihnen unterstützt oder geschützt? Bereits im Januar 2015 hat der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen ein Informationsschreiben mit konkreten Handlungsempfehlungen für den Umgang mit LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13477 4 Reichsbürgern innerhalb der Landesverwaltung verteilt. Als Hilfestellung hat das Ministerium für Inneres und Kommunales - Fachbereich Meldewesen - in Abstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden und unter Beteiligung des Verfassungsschutzes eine ausführliche Handlungsempfehlung für die Meldebehörden zum Umgang mit diesem Personenkreis herausgegeben. Für einen schnelleren und besseren Informationsaustausch wurde ergänzend beim Verfassungsschutz ein Ansprechpartner für die Kommunen eingesetzt. Mitarbeiter des Verfassungsschutzes halten fortlaufend Vorträge zu der Thematik vor Vertretern betroffener Behörden. Das Ministerium für Inneres und Kommunales informiert ebenso alle Behörden seines Geschäftsbereichs über die Aktivitäten der sogenannten Reichsbürger, insbesondere über die „Malta-Masche“ und gibt entsprechende Handlungshinweise. Betroffenen Beschäftigten wird gegebenenfalls Rechtsschutz auf Veranlassung des Dienstherrn gewährt. Auch im Geschäftsbereich des Justizministeriums werden die zum Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erforderlichen Maßnahmen konsequent ergriffen. Dort, wo es vor Ort im Vorfeld gerichtlicher Handlungen sicherheitsrelevante Erkenntnisse in Einzelfällen gegeben hat, konnte diesen in Zusammenarbeit mit den Polizeidienststellen bislang begegnet werden. Zudem wird vor allem im Bereich der Aus- und Fortbildung auf die Themen „Deeskalation und Eigensicherung“ ein besonderes Augenmerk gelegt. So werden für alle betroffenen Berufsgruppen umfangreiche Fort- und Weiterbildungen in diesem Bereich angeboten. Im Übrigen wird derzeit eine Handreichung mit weitergehenden Hinweisen zum Umgang mit „Reichsbürgern“ erstellt.“ Anlage zur Antwort auf die Frage 3 der Kleinen Anfrage 5269 Tatdatum Delikt 30.01.2012 Bedrohung 31.01.2012 Beleidigung 02.02.2012 Volksverhetzung 06.02.2012 Volksverhetzung 13.02.2012 Beleidigung 29.06.2012 Urkundenfälschung 03.07.2012 Urkundenfälschung 20.08.2012 Sonstige Sachbeschädigung auf Straßen, Wegen oder Plätzen 03.09.2012 Urkundenunterdrückung/Veränderung einer Grenzbezeichnung 08.11.2012 Urkundenfälschung 12.11.2012 Sachbeschädigung an nicht frei zugänglichen Orten - ohne Kfz 17.11.2012 Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 07.02.2013 Volksverhetzung 11.05.2013 Volksverhetzung 15.05.2013 Kontoeröffnungsbetrug 21.05.2013 Straftaten gegen das Waffengesetz 08.07.2013 Beleidigung 16.07.2013 Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole 25.07.2013 Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 27.07.2013 Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 30.07.2013 Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 25.08.2013 Sachbeschädigung durch Graffiti an nicht frei zugänglichen Orten 05.09.2013 Nötigung 19.09.2013 Personalausweisgesetz 25.09.2013 Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 12.10.2013 Urkundenfälschung 11.11.2013 Volksverhetzung 08.05.2014 Urkundenfälschung 08.05.2014 Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole 18.07.2014 Straftat nach dem Kunsturheberrechtsgesetz 22.07.2014 Beleidigung 29.07.2014 Volksverhetzung 08.10.2014 Sonstige Sachbeschädigung auf Straßen, Wegen oder Plätzen 06.11.2014 Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 24.11.2014 Straftaten gegen das Waffengesetz 16.12.2014 Straftaten gegen das Waffengesetz 29.12.2014 Volksverhetzung 26.01.2015 Volksverhetzung 04.04.2015 Volksverhetzung 22.05.2015 Widerstand gegen Polizeivollzugsbeamte 09.06.2015 Volksverhetzung 25.06.2015 Beleidigung 16.07.2015 Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole 27.07.2015 Volksverhetzung 04.08.2015 Beleidigung 29.08.2015 Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 05.10.2015 Beleidigung 10.10.2015 Volksverhetzung 14.10.2015 Volksverhetzung 20.10.2015 Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 31.10.2015 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 11.11.2015 Volksverhetzung 04.12.2015 Nötigung 11.12.2015 Volksverhetzung 28.12.2015 Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen 24.02.2016 Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 31.03.2016 Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen, Abzeichen 14.04.2016 Erpressung 18.04.2016 Volksverhetzung 11.05.2016 Nötigung 25.05.2016 Beleidigung 12.06.2016 Widerstand gegen Polizeivollzugsbeamte 29.06.2016 Volksverhetzung 03.08.2016 Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 04.08.2016 Vorsätzliche einfache Körperverletzung 15.08.2016 Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten 29.09.2016 Widerstand gegen Polizeivollzugsbeamte Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/13477