LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/13580 24.11.2016 Datum des Originals: 24.11.2016/Ausgegeben: 29.11.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5289 vom 27. Oktober 2016 des Abgeordneten André Kuper CDU Drucksache 16/13293 „Problemgruppe“ tschetschenische Asylsuchende in Nordrhein-Westfalen Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Ein aktueller Anti-Terroreinsatz in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern mit Wohnungsdurchsuchungen wirft ein Schlaglicht auf tschetschenische Asylbewerber. Spezialeinheiten der Polizei haben in Nordrhein-Westfalen und vier weiteren Bundesländern am 25. Oktober Anti-Terror-Durchsuchungen begonnen. Einsatzkommandos waren nach Angaben des Landeskriminalamtes Erfurt zeitgleich in zwölf Wohnungen und einer Gemeinschaftsunterkunft in Thüringen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Bayern. Anlass der Ermittlungen war der Verdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Eine konkrete Anschlagsgefahr gab es nach den bisherigen Ermittlungen nicht. Im Zentrum der Ermittlungen steht ein 28-jähriger Tschetschene mit russischer Staatsbürgerschaft. Er soll geplant haben, sich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zum bewaffneten Kampf in Syrien anzuschließen . Im Blick der Ermittler seien zudem weitere zehn Männer und drei Frauen, alle ebenfalls russische Tschetschenen. Die Männer und Frauen zwischen 21 und 31 Jahren leben in Thüringen, Hamburg und Dortmund. Es besteht der Verdacht der Terrorismusfinanzierung. Bei allen Beschuldigten soll es sich laut Polizeiangaben um Asylsuchende handeln, deren Aufenthaltsstatus in Deutschland bisher nicht abschließend geklärt ist. 2013 waren beim Bundesamt für Migration rund 13.600 Asylanträge von Staatsangehörigen der Russischen Föderation tschetschenischer Herkunft registriert worden. Danach sank die Zahl der Anträge. Seit dem zweiten Halbjahr 2015 steigt sie wieder. Von Januar bis September stellten 10.225 Bürger der Russischen Föderation einen Asylantrag in Deutschland, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Damals waren es im gleichen Zeitraum 4564. Zwischen 80 und 90 Prozent dieser Asylbewerber kommen aus Tschetschenien. Sie reisen über Weißrussland und Polen nach Deutschland ein - meist handelt es sich um junge Familien mit mehreren Kindern. Im bisherigen Jahr 2016 wurden bundesweit mehr als 8.000 Asylantrage von Personen tschetschenischer Herkunft gestellt. Zwar bilden die Tschetschenen den LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13580 2 größten Teil der Schutzsuchenden aus der Russischen Föderation, ihre Chancen sind dennoch geringer als die weiterer Asylsuchender aus der Region. Von Januar bis September 2016 haben die Entscheider des Bundesamts für Migration über 6.575 Asylanträge russischer Asylbewerber , darunter 5.288 Tschetschenen entschieden. Die Gesamtschutzquote lag bei 4,5 Prozent. Die bei Tschetschenen lag bei 3,9 Prozent. Nach dem Dublin-Abkommen müssten die meisten nach Polen zurückgeschoben werden, weil sie dort ihren ersten Asylantrag gestellt haben. Doch reisen viele Tschetschenen, wenn es überhaupt zu einer Abschiebung gekommen ist, wieder illegal nach Deutschland ein. Asylsuchende Tschetschenen werden in den Statistiken üblicherweise unter dem Herkunftsland "Russische Föderation" verortet. Ihre Volkszugehörigkeit wird registriert, wenn sie ihren Asylantrag stellen. Die Angabe der Volkszugehörigkeit ist freiwillig und basiert allein auf den Angaben der Betroffenen. Bereits im Vorfeld schilderten Sicherheitsbehörden die Tendenz junger Tschetschenen, sich zu radikalisieren. Junge Tschetschenen beteiligen sich, so der Verfassungsschutz, an salafistischen Islamseminaren, an Demonstrationen gegen islamfeindliche Gruppierungen wie Pro NRW. Zur Frage danach, ob Asylsuchende aus Tschetschenien eine Problemgruppe darstellen , antwortete die Landesregierung im Mai 2016: „Dem Verfassungsschutz NRW ist bekannt, dass insbesondere unter den jüngeren hier lebenden Tschetschenen eine Radikalisierung im Sinne einer salafistischen und jihadistischen Ideologie stattgefunden hat. Zurzeit liegen der Landesregierung jedoch keine Erkenntnisse dazu vor, dass sich Asylsuchende aus Tschetschenien dieser Szene zuwenden.“ Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 5289 mit Schreiben vom 24. November 2016 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung In den der Landesregierung vorliegenden bzw. zugänglichen Statistiken werden jeweils die Staatsangehörigkeiten von Personen erfasst, nicht jedoch die ethnischen Zugehörigkeiten. Die nachstehenden Angaben beziehen sich daher jeweils auf Staatsangehörige der Russischen Föderation. 1. Wie entwickelte sich die monatlich Anzahl der Asylsuchenden (Asylanträge und Easy-Zuweisungen) von Menschen aus der Russischen Föderation - insbesondere mit der Volkszugehörigkeit Tschetscheniens - seit dem Januar 2016 in Nordrhein- Westfalen im Vergleich zum Vorjahr? Bezogen auf Staatsangehörige der Russischen Föderation können die Angaben für Nordrhein- Westfalen den nachstehenden Tabellen entnommen werden: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13580 3 2015 Asylanträge EASY-Zuweisungen Januar 43 86 Februar 42 54 März 35 42 April 49 80 Mai 54 79 Juni 54 145 Juli 44 136 August 45 122 September 43 173 Oktober 28 198 November 36 126 Dezember 6 137 Gesamt 2015 479 1.378 2016 Asylanträge EASY-Zuweisungen Januar 26 114 Februar 40 74 März 39 104 April 83 96 Mai 75 196 Juni 208 144 Juli 160 116 August 535 85 September 434 110 Oktober Daten liegen noch nicht vor 79 Gesamt 1.600 1.118 Im Juni 2016 begann die vom Land organisierte Zuführung von Asylsuchenden aus den Kommunen zur Antragstellung beim BAMF zum Abbau des sog. Easy-Gap. Die seit Juni 2016 gestiegenen Antragszahlen sind auf den Abbau des Easy-Gap zurückzuführen. 2. Wie viele Ausreisepflichtige aus Tschetschenien leben derzeit in Nordrhein-Westfalen mit und ohne Duldung? Im Ausländerzentralregister sind für Nordrhein-Westfalen 1.457 ausreisepflichtige Staatsangehörige der Russischen Föderation erfasst (Stand: 30.09.2016). Davon sind 1.256 Personen im Besitz einer Duldung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13580 4 3. Wie bewertet die Landesregierung angesichts der aktuellen Ereignisse mögliche Risiken, die von Asylsuchenden aus Tschetschenien, die von Sicherheitsbehörden zum Teil als „Problemgruppe“ wahrgenommen werden, ausgehen? Grundsätzlich besteht auch für Asylsuchende aus Tschetschenien die Gefahr, dass sie bei mangelnder Integration oder aufgrund von Entfremdungsprozessen für extremistisch-salafistisches Gedankengut anfällig werden. Nach dem vom Bundeskriminalamt erstellten Bericht zur „Kriminalität im Kontext von Zuwanderung (Bundeslagebild 2015)“ beläuft sich bei Straftaten der Anteil der tatverdächtigen Zuwanderer aus der Russischen Föderation auf 1,8 %, während der Anteil bei den Asylbegehrenden im Jahr 2015 0,8 % betrug. In seinem Bericht stellt das Bundeskriminalamt fest, dass der Anteil der Zuwanderer bei den Tatverdächtigen aus der Russischen Föderation mit 20,4 % vergleichsweise niedrig war. 4. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um auf die Gefahr tschetschenischer Asylbewerber zu reagieren? Bei der Wahrnehmung von Radikalisierungsanzeichen bei Asylsuchenden tschetschenischer Herkunft steht den zuständigen Behörden die Expertise aus den Landesprogrammen „Wegweiser “ und dem Aussteigerprogramm Islamismus zur Verfügung. Bereits seit einiger Zeit informieren und sensibilisieren Mitarbeiter des Verfassungsschutzes u.a. Behördenmitarbeiter sowie Personen, die Unterbringungseinrichtungen für Asylsuchende betreiben oder in ihnen tätig sind, in Bezug auf den extremistischen Salafismus. 5. Welche Vorfälle sind der Landesregierung in Bezug auf tschetschenische Asylbewerber während der Unterbringung in Landesaufnahmeeinrichtungen bekannt? Tatverdächtige werden sowohl im polizeilichen Vorgangssystem IGVP als auch in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) nur mit ihrer Staatsangehörigkeit (z.B. „Russische Föderation“), nicht aber mit ihrer Volkszugehörigkeit (z.B. „Tschetschene“) erfasst. Eine valide Auswertung zu Vorfällen in Bezug auf tschetschenische Asylbewerber während der Unterbringung in Landeseinrichtungen ist daher nicht möglich. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/13580