LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/13593 28.11.2016 Datum des Originals: 25.11.2016/Ausgegeben: 01.12.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5272 vom 24. Oktober 2016 der Abgeordneten Susanne Schneider und Angela Freimuth FDP Drucksache 16/13241 Anatomie nur am Modell? – Ist die Qualität der medizinischen Ausbildung an der Ruhr- Universität Bochum in Gefahr? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Nach einer Meldung des WDR vom 17. Oktober 2016 dürfen die Medizinstudenten der Ruhr- Universität Bochum in ihren Anatomiekursen im beginnenden Wintersemester statt an zu Lehrund Forschungszwecken gespendeten Leichen lediglich an Modellen den Aufbau des menschlichen Körpers kennenlernen und untersuchen. Grund dafür seien fehlende Lüftungsanlagen in den Präpariersälen, die die Chemikalien der konservierten Leichen aus der Raumluft ausfiltern und absaugen können. Zur Konservierung von Leichen wird in der Regel eine Formaldehyd-Lösung (Formalin) verwendet . Formaldehyd gilt als potentiell krebserzeugend und ist mit der Verordnung (EU) Nr. 605/2014 der Kommission vom 5. Juni 2014 offiziell entsprechend als Karzinogen eingestuft wurden. In der Folge wurde im März 2015 in der Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS 900) „Arbeitsplatzgrenzwerte“ ein neuer Grenzwert für Formaldehyd veröffentlicht, der bei 0,3 ml/m³ bzw. 0,37 mg/m³ liegt. Das Problem hoher Formalinkonzentrationen in der Luft von Präpariersälen ist bereits länger bekannt. Die Universität Nürnberg-Erlangen beispielsweise hat deswegen eine komplette Modernisierung ihrer Anatomie-Räumlichkeiten vorgenommen. In Frankfurt wurde bereits direkt nach der Einführung der neuen Grenzwerte im April 2015 auf die Präparation von Leichen verzichtet. In Bochum wurden im letzten Semester ebenfalls Anatomiekurse abgesetzt. Zur Einhaltung der Grenzwerte wäre deshalb eine bessere Entlüftung der Präpariersäle unumgänglich . Die Anatomiekurse sind wesentlicher Teil der vorklinischen Ausbildung im Medizinstudium. Der Erste Abschnitt der Ärztlichen Prüfung sieht nicht nur im schriftlichen Teil, sondern auch LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13593 2 im mündlich-praktischen Teil eine Prüfung im Fach Anatomie vor. Dabei lassen sich anatomische Begebenheiten nur an echten Körpern realistisch erlernen. Dort sind eben die Arterien nicht rot, die Venen blau, die Nerven gelb und die Lymphknoten grün wie im Modell. Richard Viebahn, Professor für Chirurgie an der Ruhr-Uni Bochum, hält laut dem WDR-Bericht die Medizinerausbildung ohne Präparationskurs an der Leiche für hochgefährlich. Das liege daran, dass in der Medizin der Arzt verinnerlicht haben müsse, wo welche Organe liegen, welche Organe er zum Beispiel durch Abtasten bei welchen Krankheitsbildern untersuchen muss. Auch beim Betrachten von Röntgenbildern oder Computertomografien müsse der Arzt verinnerlicht haben, wo welche Organe liegen, damit er diese Bilder entsprechend auswerten kann. Die Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung hat die Kleine Anfrage 5272 mit Schreiben vom 25. November 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter beantwortet. 1. Wie bewertet die Landesregierung die Durchführung von Anatomiekursen ohne die Sektion von Leichen im Hinblick auf die Qualität der medizinischen Ausbildung ? Die Präparation von Leichen in den Anatomiekursen gilt in Deutschland als "Standard" für die humanmedizinische Ausbildung; demgegenüber ist die ausschließliche Verwendung anderer Lehrformate im Ausland teilweise Standard. Die Abschlüsse der Bochumer Medizinstudierenden sind nach Angaben der Hochschule durch den temporären Ausfall der Präparationssäle nicht gefährdet. Die Sektion von Leichen ist in der Approbationsordnung nicht zwingend vorgesehen . Gleichwohl setzt sich die Landesregierung dafür ein, dass die Studierenden im Rahmen der Anatomiekurse baldmöglichst wieder unter Verwendung von Leichen geschult werden können, soweit dieses ohne Gesundheitsgefährdung der Studierenden und der Lehrenden ermöglicht werden kann. 2. Seit wann ist der Landesregierung bekannt, dass zu hohe Formalinkonzentrationen in der Luft von Präpariersälen sowohl generell für die Durchführung von Anatomiekursen wie insbesondere in der Ruhr-Universität Bochum ein Problem darstellen ? Das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales (MAIS) hat das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung (MIWF) am 27.04.2016 informiert, dass es an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) Probleme mit den Arbeitsplatzgrenzwerten der Konzentration von Formaldehyd in den medizinischen Präparationssälen geben solle. Auf Nachfrage durch MIWF hat die RUB erstmals am 24.06.2016 umfassend berichtet. Die Einhaltung von Arbeitsplatzgrenzwerten obliegt den Hochschulen als rechtsfähigen Körperschaften des öffentlichen Rechts. 3. Welche Maßnahmen wurden bisher von der Landesregierung zur Unterstützung der Hochschulen mit Medizinischer Fakultät, insbesondere der Ruhr-Universität Bochum, zur Verbesserung der Situation veranlasst? Die RUB hatte nach Messberichten durch einen Gutachter am 25.08.2015 auf Empfehlung der Landesunfallkasse zunächst versucht, Minderungsmaßnahmen zu ergreifen. Nach negativen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13593 3 Messungen am 17.11.2015 entschied die RUB am 18.11.2015, die Präparationskurse sofort zu schließen. Die RUB hat dann den Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB) eingeschaltet. Dieser hat am 26.11.2015 der RUB mitgeteilt, dass er kurzfristig ein Fachbüro einschalten werde. Am 09.05.2016 hat dann im Ergebnis der BLB der RUB mitgeteilt, dass zunächst eine Interims- Lösung angestrebt werde, einen der beiden Präparationssäle wieder nutzbar zu machen und danach den zweiten Präparationssaal herzurichten. Nach dem ersten Bericht der RUB an die Landesregierung vom 24.06.2016 hat das MIWF der RUB grundsätzlich finanzielle Unterstützung bei der Umsetzung der notwendigen baulichen Maßnahmen zugesagt und um schnelle weitere Schritte gebeten. Hinsichtlich der im Gebäudebestand der Universitätskliniken des Landes verorteten Präparationssäle hat die Landesregierung eine Bestandsanalyse und – soweit notwendig – die Planung von Baumaßnahmen zur langfristigen Sicherung der Betriebsbereitschaft bereits veranlasst . Die Landesregierung beabsichtigt, Mittel zur Finanzierung der erforderlichen Baumaßnahmen bedarfsgemäß bereitzustellen. 4. Wann rechnet die Landesregierung mit dem Abschluss der erforderlichen baulichen Maßnahmen zur besseren Entlüftung der Präpariersäle in der Ruhr-Universität Bochum und damit einer Wiederaufnahme regulärer Anatomiekurse einschließlich der Sektion von Leichen? Die angestrebte Lösung für den ersten Präparationssaal wird nach Aussage der RUB zum Beginn des Sommersemesters 2017 umgesetzt sein, so dass ab dann wieder die üblichen Präparationskurse angeboten werden können. Die Vergabeverfahren haben nach Aussage der RUB begonnen, die Maßnahme befinde sich im Zeitplan. Danach soll der Umbau des zweiten Präparationssaals erfolgen, die Ausschreibung der Fachplanung ist bereits durch den BLB erfolgt. Ein Zeitpunkt für den Abschluss der Maßnahme kann noch nicht genannt werden. 5. Wie stellt sich die Problematik zu hoher Formalinkonzentrationen in der Luft von Präpariersälen in den weiteren Medizinischen Fakultäten in NRW dar? Die aktuellen Grenzwerte für die Formaldehydkonzentration in der Raumluft der Präparationssäle im Gebäudebestand der Universitätskliniken des Landes werden nach Angaben der Medizinischen Fakultäten, teilweise nach Umsetzung geringfügiger oder interimistischer Maßnahmen , eingehalten. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/13593