LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/13618 28.11.2016 Datum des Originals: 25.11.2016/Ausgegeben: 01.12.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5255 vom 18. Oktober 2016 der Abgeordneten Ina Scharrenbach CDU Drucksache 16/13216 Neustrukturierung des Rettungsdienstes in Nordrhein-Westfalen: Alter Wein in neuen Schläuchen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Rahmen einer Berichterstattung des Kölner Stadtanzeigers vom 8. Oktober 2016 unter dem Titel „Wenn jede Minute zählt“ geht es um die Verhandlungen der Stadt Dortmund als Trägerin des Rettungsdienstes mit den Krankenkassen über den Rettungsdienstbedarfsplan und – infolge einer vermehrten Inanspruchnahme des Notrufes „112“ – über den Aufwuchs der erforderlichen Rettungsmittel zur Abarbeitung der eingehenden Notrufe unter Wahrung der Hilfsfristen . In dem genannten Artikel wird eine Kassensprecherin wie folgt wiedergegeben: „[…] fordert eine Neustrukturierung der Rettungsdienste in NRW. Überregionale Leitstellen und Absprachen der Feuerwehren untereinander könnten Konzepte für die Zukunft sein. ‚Die Feuerwehren müssen aufhören, in den eigenen Stadtgrenzen zu denken.‘, sagt sie. Ein Außenbezirk könne manchmal schneller von der Wache einer benachbarten Stadt angefahren werden.“ Im Zuge der Beratungen zu dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Rettungsgesetzes NRW wurde die in dem Bericht angesprochene Problematik ausführlich diskutiert. Die Krankenkassen hatten damals bereits die Möglichkeit angedacht, Leitstellen gemeinsam zu betreiben. In der öffentlichen Anhörung im Gesetzgebungsverfahren wurden von mir Sachverständige befragt , ob vorstellbar sei, zu einer Vereinheitlichung der Trägerschaft im Hinblick auf die Weiterentwicklung zu kommen. Mit Blick auf das Gesamtsystem der Gefahrenabwehr, bestehend aus Rettungsdienst, Brandschutz und Hilfeleistung sowie Katastrophenschutz, antwortete der Sachverständige des Landkreistages Nordrhein-Westfalen hierauf (APr 16/689, S. 19 f.) wie folgt: „Die Frage der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13618 2 Kassen, ob man Leitstellen zusammenlegen kann, ist vor dem Hintergrund des Kostengesichtspunktes auf den ersten Blick durchaus attraktiv. Wir müssen aber gleichzeitig sehen, dass die Leitstellen sehr viel mehr machen als nur Notrufe zu vermitteln: Sie unterstützen den Krisenstab in großen Einsatzlagen. […] Wir halten es allerdings nicht für sinnvoll, weitere kommunalübergreifende Leitstellen im Sinne von Leitstellen kreisfreier Städte und Kreise oder mehrerer Kreise gemeinsam zu schaffen. Denn damit würden wir auch die Rückfallsicherheit in Nordrhein-Westfalen schwächen.“ Mit Bezug auf die Hilfsfristen wird ein anderer Sachverständiger in derselben öffentlichen Anhörung wie folgt wiedergegeben: „[…] In Nordrhein-Westfalen haben wir einen sehr großen Rettungsdienst. Anders als in den meisten anderen Ländern haben wir einen Rettungsdienst mit sehr viel höheren Standards. In Nordrhein-Westfalen gibt es tatsächlich sehr kurze Hilfsfristen und sehr hohe Erreichungsgrade vor Ort. […]“ Nach einer intensiven Befassung des Gesetzgebers mit dem Thema „Leitstellen“ hat sich der Gesetzgeber bei der Verabschiedung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Rettungsgesetzes NRW gegen eine Aufspaltung von Leitstellen entschieden, und dies aus gutem Grund: Leitstellen stellen eine örtliche Führungseinrichtung dar, die gesetzliche Führungsaufgaben im Brandschutz, im Katastrophenschutz – und damit verzahnt – im Rettungsdienst wahrnehmen. Die Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter hat die Kleine Anfrage 5265 mit Schreiben vom 25. November 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Kreise und kreisfreien Städte sind als Träger des Rettungsdienstes für die bedarfsgerechte und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit rettungsdienstlichen Leistungen verantwortlich und stellen hierfür Bedarfspläne auf. Zulässig sind Vereinbarungen oder Abstimmungen der Kommunen untereinander zur Versorgung angrenzender Gemeinden oder ihrer Teile, wenn dies sinnvoll ist. Ausgeschlossen ist jedoch ein Rückzug einer Kommune aus der Aufgabe durch Übertrag auf eine andere Kommune. Diese Grundstruktur wurde mit der jüngsten Gesetzesnovelle beibehalten. Hierauf aufbauend sieht das RettG NRW eine Vielzahl an Möglichkeiten zur trägerübergreifenden Zusammenarbeit vor, beispielsweise die Verpflichtung zur nachbarlichen Hilfe, die Bildung von Trägergemeinschaften für rettungsdienstliche Sonderfahrzeuge oder die Zusammenarbeit in der Luftrettung , um nicht nur eine flächendeckende Versorgung, sondern auch eine wirtschaftliche Aufgabenerfüllung sicherzustellen. Auch die nun zu berücksichtigenden außergewöhnlichen Schadensereignisse mit einer Vielzahl Verletzter oder Erkrankter bieten Anknüpfungspunkte für trägerübergreifende Abstimmungen und Absprachen. Gesetzlicher Aufgabenträger ist und bleibt hierbei jedoch für den Rettungsdienst zunächst immer der Kreis oder die kreisfreie Stadt. Die Erstellung der Bedarfspläne sieht umfassende Vorgaben zur Beteiligung unter anderem der angesprochenen Kostenträger vor, mit welchen hinsichtlich der kostenbildenden Qualitätsmerkmale Ein-vernehmen anzustreben ist. Somit ist sichergestellt, dass Vorschläge oder Einwände aus diesem Bereich in angemessener Form Berücksichtigung finden. Kommt eine Einigung nicht zustande, trifft die Bezirksregierung unter Auswertung und Prüfung des jeweiligen Sachverhaltes die notwendigen Festlegungen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13618 3 1. Wie hat sich das Aufkommen an Notrufen über „112“ seit 2010 in Nordrhein-Westfalen entwickelt (bitte Aufschlüsselung nach Jahren)? 2. Hat die Landesregierung Erkenntnisse darüber, in vielen Fällen jeweils ein Notruf über „112“ erfolgt ist ohne dass es sich um einen Notfall handelte (unter Berücksichtigung der Gliederung zu Frage 1)? In Nordrhein-Westfalen hat sich das Konzept der einheitlichen Leitstelle bewährt. Gemäß § 28 Absatz 1 Satz 1 BHKG ist die ständig besetzte Leitstelle für den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz mit der Leitstelle für den Rettungsdienst zusammenzufassen. Der Notruf 112 ist gemäß § 28 Absatz 4 Satz 2 BHKG auf die einheitliche Leitstelle aufzuschalten . Datengrundlage zur Beantwortung der Fragen ist der Gefahrenabwehrbericht 2015, für welchen die kreisangehörigen Städte und Gemeinden, Kreise und kreisfreien Städte im Land Nordrhein-Westfalen über die Bezirksregierungen an das Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen entsprechende Daten übermittelt haben. Hierbei wurde differenziert zwischen Rettungsdiensteinsätzen und Fehleinsätzen (unterteilt in „blinde“ Alarme und „böswillige“ Alarme). Aufgrund des Themas der Kleinen Anfrage werden nicht-rettungsdienstliche Einsätze, welche grundsätzlich auch zu den „Notrufen über 112“ zu rechnen wären (Brandeinsätze, technische Hilfeleistungen, o.ä.), an dieser Stelle nicht mit betrachtet . 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Rettungsdiensteinsätze (gesamt) 1.294.494 1.357.018 1.356.409 1.345.170 1.454.746 1.341.622 Fehlalarmierungen 76.780 84.027 91.008 111.094 97.079 106.503 - Blinde Alarme 76.026 83.011 89.825 109.121 96.217 105.646 - Böswillige Alarme 754 1.016 1.183 1.973 862 857 3. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass es heute Gewohnheit ist, dass Rettungsdienstbedarfspläne , die nach Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Rettungsgesetzes NRW landesweit fortgeschrieben werden müssen, mit benachbarten Trägern abgestimmt werden, um ein optimales, effektives und effizientes rettungsdienstliches Netz in Nordrhein-Westfalen abzusichern? Gemäß § 6 Absatz 1 Satz 1 RettG NRW i.V.m. § 12 Absatz 1 Satz 1-2 RettG NRW sind die Kreise und kreisfreien Städte jeweils als Träger des Rettungsdienstes für die bedarfsgerechte und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen der Notfallrettung einschließlich der notärztlichen Versorgung im Rettungsdienst und des Krankentransports verantwortlich und stellen zu diesem Zwecke Bedarfspläne auf. In diesen sind insbesondere Zahl und Standorte der Rettungswachen, weitere Qualitätsanforderungen sowie die Zahl der erfor- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13618 4 derlichen Krankenkraftwagen und Notarzt-Einsatzfahrzeuge sowie die Maßnahmen und Planungen für Vorkehrungen bei Schadens-ereignissen mit einer größeren Anzahl Verletzter oder Kranker festzulegen. Eine Beteiligung der Landesregierung an der Bedarfsplanung ist hierbei nicht vorgesehen, weswegen auch keine Daten über den Detaillierungsgrad getroffener Absprachen zwischen den Trägern standardmäßig vorliegen. Eine entsprechende umfassende Datenerhebung war in der Frist zur Beantwortung der Kleinen Anfrage nicht möglich. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum RettG NRW hat die Landesregierung – im Sinne eines flächendeckenden und wirtschaftlichen Rettungsdienstes sowie mit Blick auf das aufwuchsfähige Gesamtsystem und trotz der zunächst individuellen Verantwortung der Träger – viele Regelungen für eine übergreifende Zusammenarbeit und Abstimmung geschaffen. So sieht § 3 Absatz 4 RettG NRW beispielsweise vor, dass Krankenkraftwagen auch für besondere Belange (Intensivtransporte, hochkontagiöse Menschen, Früh- und Neugeborene, Notfallblut - und Organtransporte, o.ä.) ausgestattet sein können. Zum wirtschaftlichen Betrieb sollen hierfür Trägergemeinschaften gebildet werden. Anlassbezogen kann dann auch ein Transport von Patientinnen und Patienten über die kommunalen Gebietsgrenzen hinaus erfolgen, wobei sich die Leitstellen untereinander abzustimmen haben. Gemäß § 8 Absatz 2 RettG NRW sind die Leitstellen zur nachbarlichen Hilfe verpflichtet. Auch hier endet der Rettungsdienst nicht an der kommunalen Gebietsgrenze. Die Luftrettung ist in Nordrhein-Westfalen zwar auf ministerieller Ebene geplant (und nicht in der individuellen Bedarfsplanung), auch hier gibt es aber in der Durchführung gemäß § 10 Absatz 2 RettG NRW Trägergemeinschaften mit einem Kernträger, in dessen Einsatzgebiet das Luftfahrzeug stationiert ist. Die Standorte der Luftfahrzeuge sind wiederum bei der Planung der dargestellten Sonderfahrzeuge zu berücksichtigen . Für die Erstellung der Bedarfspläne sieht das RettG NRW im § 12 Absätze 2-4 umfassende Beteiligungsvorgaben für die Einbeziehung von Kostenträgern, Leistungserbringern, Trägern von Rettungswachen, etc. vor. An dieser Stelle wird auch auf die Ausführungen der Vorbemerkung verwiesen. 4. Mit der Verabschiedung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Rettungsgesetzes NRW hat der Gesetzgeber über den § 7 a RettG NW neue Anforderungen in Bezug auf die Dokumentation und das Qualitätsmanagement vorgegeben. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung aus der regelmäßigen Analyse der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität des Rettungsdienstes (Umsetzung des § 7 a Absatz 2 RettG NRW) vor? 5. Welche Konsequenzen ergeben sich für die Landesregierung aus diesen vorliegenden Erkenntnissen? Der neu aufgenommene § 7a des RettG NRW formuliert einen primären Entwicklungsauftrag an die für den Rettungsdienst in eigener Zuständigkeit verantwortlichen Kreise und kreisfreien Städte als Träger zur Schaffung geeigneter Qualitätsmanagementstrukturen, um den eigenen Rettungsdienst bewerten und etwaige Verbesserungspotentiale erkennen und umsetzen zu können. Zu diesem Zweck hat der Landesgesetzgeber Regelungen zum Zugriff auf und zur Auswertung von Datensätzen getroffen. Die Landesregierung arbeitet in Form der entsprechenden Fachabteilung des zuständigen Ministeriums gemeinsam mit den Ärztekammern, den Fachverbänden der Ärztinnen und Ärzte im Rettungsdienst, der Krankenhausgesellschaft sowie den Kommunalen Spitzenverbänden an weitergehenden Dokumentationserfordernissen und möglichen übergeordneten Ansätzen zum Qualitätsmanagement im Sinne des § 7a RettG NRW und hat in das Gremium einen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13618 5 konkreten Rahmenvorschlag eingebracht. Diese Entwicklung ist kein kurzfristiger Prozess. Im Sinne der bewährten gemeinsamen Arbeit im Bereich des Rettungsdienstes, die auch im Rahmen des 2. Symposiums Rettungswesen am 19. September 2016 durch die Landesregierung noch einmal herausgestellt wurde, ist erklärtes Ziel eine konsentierte Lösung, welche auch im Sinne von Qualität und Wirtschaftlichkeit den Belangen der einzelnen Träger des Rettungsdienstes Rechnung trägt, ebenso wie den eingangs dargestellten Stakeholdergruppen. Über die Planungen zum § 7a RettG NRW hinaus ist der Landesfachbeirat für den Rettungsdienst nach § 15 RettG NRW ein zentrales und bewährtes Gremium für die Landesregierung auch im Hinblick auf das Thema Qualität. Als Konsequenz aus sich aus dem gemeinsamen Austausch ergebender übergeordneter Fragestellungen oder auch konkreter Eingaben wird hier zusammen mit den Expertinnen und Experten und in der Arbeit in entsprechenden themenbezogenen Unterarbeitsgruppen der Rettungsdienst fortentwickelt. Bezogen auf den operativen Rettungsdienst „vor Ort“ ist dies Aufgabe und Verantwortung der jeweiligen Träger. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/13618