LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/13852 22.12.2016 Datum des Originals: 22.12.2016/Ausgegeben: 28.12.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5351 vom 16. November 2016 des Abgeordneten André Kuper CDU Drucksache 16/13486 Verantwortungs-Wirrwarr um vorbestraften Heimleiter in einer Landeseinrichtung - Wer trägt die Verantwortung? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Aufgrund eines aktuellen Gerichtsverfahrens gegen den ehemaligen Leiter einer Landesaufnahmeeinrichtung in Finnentrop gerät die Zuständigkeit für die Überprüfung von Personen außerhalb des Sicherheitsdienstes in den Fokus. Der ehemalige Einrichtungsleiter legte ein deutsches Führungszeugnis vor und gab eine Erklärung ab, dass er straffrei sei, verschwieg dabei jedoch 19 Vorstrafen in den Beneluxstaaten wegen der Herstellung von Drogen, Hehlerei, Urkundenfälschung - und wegen sexuellen Missbrauchs. Die jeweils zuständigen Stellen – Betreuungsverband, Bezirksregierung Arnsberg und Innenministerium - sehen keine eigenen Versäumnisse und verweisen jeweils auf die andere Ebene: Der Arbeitgeber des Heimleiters, die Firma European Homecare als Betreuungsverband der Einrichtung in Finnentrop, sieht keine eigenen Versäumnisse. Die Firma habe bis zum Gerichtsverfahren keine Kenntnisse über die Vorstrafen des Heimleiters gehabt. European Homecare sieht vielmehr die Bezirksregierung in der Verantwortung. Diese sei für die Sicherheitsüberprüfung zuständig, wenn sie diese denn für nötig hält. Da seien den privaten Arbeitgebern die Hände gebunden und die Bezirksregierung "stehle sich aus der Verantwortung". Die Bezirksregierung Arnsberg wiederum dementiert diese Verantwortung. Die Bezirksregierung sei nicht für die Personalauswahl in Flüchtlingsheimen verantwortlich, sondern die Unternehmen tragen die Hauptverantwortung für das Personal. Eine standardmäßige Überprüfung wie bei den Wachleuten gebe es in der Funktion Heimleitung nicht. Und das Führungszeugnis aus Holland habe man nicht angefordert, weil die LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13852 2 Niederlanden "keine Auskünfte aus ihrem Strafregister für das sogenannte Europäische Führungszeugnis erteilen". Auch das nordrhein-westfälische Innenministerium sieht keine eigenen Versäumnisse. Gegenüber der „Westfalenpost“ erklärte das Ministerium, dass die Bezirksregierung die Verträge mit den Betreibern schließe. Parallel zu diesem Vorfall wird der Betrieb der Zentralen Unterbringungseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen neu ausgeschrieben. Dadurch sollen alle Verträge auf einen gemeinsamen Stand mit einer gemeinsamen Leistungsbeschreibung gebracht werden. In einer ersten Vergabephase wurde bisher über neun Einrichtungen entschieden (Zentralen Unterbringungseinrichtungen Meschede, Schöppingen, Olpe, Viersen, Möhnesee, Oerlinghausen, Rüthen und Bielefeld). Laut Mitteilung der Bezirksregierung Arnsberg ergeben sich in fünf dieser Zentralen Unterbringungseinrichtungen dadurch Wechsel bei den Betreuungsverbänden. So konnte sich im Vergabeverfahren, an dem insgesamt fünf Bieter für die ZUE Rüthen teilnahmen, schließlich European Homecare (EHC) durchsetzen. Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 5351 mit Schreiben vom 22. Dezember 2016 namens der Landesregierung beantwortet. 1. Wer trägt die Verantwortung dafür, dass ein 19-fach Vorbestrafter als Heimleiter der Landesaufnahmeeinrichtung in Finnentrop fungieren konnte? 2. Wie wird derzeit die Sicherheitsüberprüfung von Mitarbeitern – abseits des Sicherheitspersonals- in Landesaufnahmeeinrichtungen gewährleistet? 3. Wie bewertet es die Landesregierung, dass eine hoheitliche Aufgabe an ein privates Unternehmen übertragen wird, aber die Kontrolle nicht gewährleistet wird? Die Fragen 1 bis 3 werden im Zusammenhang beantwortet. Ziel der Landesregierung ist es, alles im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten zu tun, um den bestmöglichen Schutz geflüchteter Menschen in den Landeseinrichtungen sicherzustellen. Gewalt, Verfolgung oder Unterdrückung werden nicht geduldet. In den Landeseinrichtungen dürfen daher nur solche Personen beschäftigt werden, aus deren Vita oder persönlicher Einstellung sich keine Gründe ergeben, die befürchten lassen, dass die einzustellende Person nicht zuverlässig die Betreuung und den Schutz der Flüchtlinge gewährleisten kann. Dies gilt unabhängig von der vorgesehenen Funktion. Um dies sicherzustellen, werden Personen, die in den Landeseinrichtungen dauerhaft tätig sind, vor ihrem Einsatz überprüft. Gemäß § 44 Absatz 3 Asylgesetz, der erstmals seit 17.03.2016 bundesgesetzliche Vorgaben regelt, sind Betreuungspersonen verpflichtet, dem Träger der Einrichtung vor ihrer Einstellung oder Aufnahme einer dauerhaften ehrenamtlichen Tätigkeit und in regelmäßigen Abständen ein Führungszeugnis nach § 30 Absatz 5 und § 30 a Absatz 1 Bundeszen-tralregistergesetz (BZRG) vorzulegen. Die Beschäftigung von Personen, die rechtskräftig wegen einer Straftat nach den §§ 171 (Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht), 174 bis 174c, 176 bis 180a, 181a, 182 bis 184g (Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung), 225 (Misshandlung von Schutzbefohlenen), 232 bis 233a, 234, 235 oder 236 (Menschenhandel, Zwangsprostitution u. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13852 3 a.) StGB verurteilt worden sind, ist unzulässig. Dies gilt gleichermaßen für hauptamtliche und ehrenamtlich Tätige. Bei dem in der Vorschrift genannten Führungszeugnis handelt es sich um ein deutsches Führungszeugnis, das ausschließlich Auskunft gibt zu Einträgen nach deutschem Recht. Überdies enthält die Vorschrift keine Ermächtigung zu einer Sicherheitsüberprüfung des Betreuungspersonals durch die zuständigen Sicherheitsbehörden. Das Land hat lange vor Inkrafttreten dieser bundesgesetzlichen Vorgabe - bereits im Oktober 2014 - mit den Betreuungsorganisationen vereinbart, dass ein erweitertes Führungszeugnis beim Arbeitgeber ohne relevante Eintragungen (z. B. Körperverletzungs-, Betäubungs- und Arzneimittelmissbrauchs-, Sexual- und Staatsschutzdelikte) sowie eine Eigenerklärung, dass keine für die Tätigkeit relevanten Vorstrafen (z. B. Körperverletzungs-, Betäubungs- und Arzneimittelmissbrauchs-, Sexual- und Staatsschutzdelikte) vorliegen und aktuell kein Verfahren anhängig ist, vorgelegt werden. Diese Verfahrensweise - und die seit März 2016 im Bundesrecht geregelten Vorgaben - für Betreuungspersonal in Flüchtlingsunterkünften entsprechen im Übrigen den in den §§ 45 und 72 a SGB VIII geregelten Anforderungen für Betreuungspersonal in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Außerdem können die in den Landeseinrichtungen für Flüchtlinge tätigen Betreuungsorganisationen anlassbezogen Personen für eine Überprüfung durch Polizei und Verfassungsschutz vorlegen. Für eine darüberhinausgehende Regelanfrage beim Verfassungsschutz und bei der Polizei besteht keine Rechtsgrundlage. Auch die Vorlage eines Führungszeugnisses aus dem jeweiligen Heimatland des Betreuers kann mangels Rechtsgrundlage seitens des Landes nicht verlangt werden. Außerdem können Personen, die in der Bundesrepublik Deutschland wohnen, aber die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzen, selbst beantragen, dass in ihr Führungszeugnis nach den §§ 30 oder 30a die Mitteilung über Eintragungen im Strafregister ihres Herkunftsmitgliedstaates vollständig und in der übermittelten Sprache aufgenommen wird (Europäisches Führungszeugnis). Der Herkunftsmitgliedstaat beantwortet ein Ersuchen um Mitteilung des dortigen Registerinhalts allerdings nur nach Maßgabe seines innerstaatlichen Rechts. Nach Information des Bundesjustizamtes haben mehrere EU- Mitgliedstaaten bislang entsprechende gesetzliche Regelungen, die eine Erteilung von Registerinformationen für ein Europäisches Führungszeugnis ermöglichen würden, nicht umgesetzt. Derzeit erteilen die folgenden EU-Mitgliedstaaten aufgrund ihres aktuell geltenden innerstaatlichen Rechts keine Auskünfte aus ihrem Strafregister für ein Europäisches Führungszeugnis: Lettland, Niederlande, Portugal, Italien, Slowenien und Ungarn. Die Überprüfung des ehemaligen Einrichtungsleiters der Notunterkunft Finnentrop erfolgte nach den beschriebenen, landesseitig bereits im Oktober 2014 festgelegten Vorgaben. Dieser hatte bei seiner Einstellung ein eintragungsfreies erweitertes Führungszeugnis und eine Eigenerklärung vorgelegt, mit der er attestierte, dass „in seiner Person keine für die Einrichtung der NU Finnentrop-Heggen (Betreiberunternehmen) relevanten Vorstrafen (insbesondere Körperverletzungs-, Betäubungs-, und Arzneimittelmissbrauchs-, Sexual- und Staatsschutzdelikte) vorliegen und keinerlei derartige Verfahren gegen ihn anhängig waren oder aktuell sind“. Eine darüber hinausgehende Regelüberprüfung der betreffenden Person durch die zuständigen Sicherheitsbehörden hätte mangels entsprechender Rechtsgrundlage nicht erfolgen können. Eine Bitte von EHC zu einer weitergehenden anlassbezogenen Überprüfung im Einzelfall wurde gegenüber der Bezirksregierung Arnsberg nicht geäußert. Eine weitergehende anlassbezogene Überprüfung durch Polizei und Verfassungsschutz hat deshalb nicht stattgefunden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13852 4 Der der Kleinen Anfrage zugrunde liegende Fall legt den dringenden Verdacht nahe, dass der ehemalige Einrichtungsleiter bei Abgabe der geforderten Eigenerklärung pflichtwidrig Angaben unterlassen bzw. falsche Angaben gemacht hat. Die Klärung dieser Vermutung bleibt dem Ergebnis der gegen ihn laufenden Ermittlungen und des zwischenzeitlich anhängigen Strafverfahrens vorbehalten. 4. Wie sollen solche Versäumnisse bei der Sicherheitsüberprüfung von Mitarbeitern der Betreuungsverbände in Zukunft vermieden werden? Die bundesgesetzlich seit März 2016 geregelten Anforderungen an die Prüfung der Eignung des Betreuungspersonals werden in Nordrhein-Westfalen bereits seit Oktober 2014 praktiziert und umgesetzt. Das Erfordernis der Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses und der o. g. Eigenerklärung wurde in die Leistungsbeschreibung für die aktuellen Vergabeverfahren im Bereich der Betreuungsdienstleistungen übernommen mit dem Zusatz, dass sich das Land als Auftraggeber vorbehält, auch zu späteren Zeitpunkten die erneute Vorlage eines aktuellen erweiterten Führungszeugnisses zu verlangen. Überprüfungen von Personen vor ihrer Einstellung können nur im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben erfolgen. Dem Erkenntnisgewinn aus den nach diesen Regelungen vorgesehenen Prüfungen sind damit Grenzen gesetzt. So kann nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden, dass Personen bei der Vorlage der geforderten Unterlagen pflichtwidrig Angaben unterlassen oder falsche Angaben machen. Da das beschriebene Anforderungsniveau an die Überprüfung von Betreuungspersonal auch für andere soziale Bereiche gleichermaßen gilt (vgl. Antwort auf die Fragen 1 bis 3), müssen die weitergehenden Auswirkungen bei einer Änderung der bestehenden Rechtslage mit in den Blick genommen werden. 5. Wie bewertet es die Landesregierung, dass immer wieder Vorwürfe gegen den Betreiber European Homecare auftauchen, die Bezirksregierung aber auch aktuell, wie bei der Vergabe für die Einrichtung in Rüthen, an dem Betreiber festhält? Die Betreuungsleistungen in den Unterbringungseinrichtungen sind nach den Vorgaben des Vergaberechts regelmäßig auszuschreiben. Der Leistungsbeschreibung für die Ausschreibung der Betreuungsleistungen für die Einrichtung in Rüthen wurden die in der Antwort auf die Fragen 1 bis 3 beschriebenen Anforderungen zugrunde gelegt. Im Vergabeverfahren, an dem insgesamt fünf Bieter teilnahmen, wurden zu 40 Prozent der Preis und zu 60 Prozent die Qualität der angebotenen Leistung gewertet. Letztlich hat sich European Homecare (EHC) durchgesetzt. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/13852