LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/13877 23.12.2016 Datum des Originals: 23.12.2016/Ausgegeben: 29.12.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5390 vom 25. November 2016 des Abgeordneten Marc Lürbke FDP Drucksache 16/13615 Aufbrechen von Clan-Strukturen - Organisierte Kriminalität durch Familienclans in NRW Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Bereits im November 2015 hatte die FDP-Fraktion einen Bericht im Innenausschuss wie folgt beantragt: „Innenminister Jäger muss endlich landesweites Lagebild zu kriminellen Familienclans darstellen Bei der jüngsten Razzia gegen ein Schleusernetzwerk in NRW soll es sich bei den Beschuldigten überwiegend um Mitglieder eines libanesischen Familienclans der Volksgruppe "Mhallamiye-Kurden" handeln, die laut Medienberichten bisher bereits durch schwere Gewaltstraftaten im Rotlicht- und Rauschgiftmilieu aufgefallen sein sollen. Bei den Durchsuchungen sollen die Polizisten dann auch Passdokumente sowie umfangreiches Aktenmaterial und Datenträger sichergestellt haben. Die Polizisten sollen aber auch noch in anderer Hinsicht fündig geworden sein: Sie sollen auf mehrere Kartons mit gefälschter Markentextilware und unversteuertem Tabak sowie auf diverse Waffen wie Macheten, Schwerter, Messer, Munition für Handfeuerwaffen und eine Laserzieleinrichtung für ein Gewehr gestoßen sein. Hinzu kommen offenbar insgesamt 32 Kilogramm illegaler sogenannter "Polen-Böller". Bereits in einem Medienbericht vom 30.09.2015 heißt es, die meisten Mitglieder der kriminellen Großfamilien im Duisburger Stadtteil seien jung und vorbestraft. Diese Großfamilien würden die Polizei als Autorität nicht anerkennen. Der Y.S.-Clan sei aktuell der größte in Marxloh. Y. und S. sind die Abkürzungen der beiden Namen der Familien, die den Clan kontrollieren. Bei der Polizei seien 35 Männer der Gruppe, die schon Haftstrafen verbüßt haben, aktenkundig unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, schweren Raubes und Totschlags. Beteiligt sind sie auch an Schutzgelderpressungen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13877 2 In einem Medienbericht vom 28.07.2015 heißt es: „In Gelsenkirchen wurde nach Informationen unserer Zeitung am Wochenende nun ein Polizist bei einer Verkehrskontrolle von einem 15- Jährigen angegriffen und dienstunfähig gewürgt. Der Polizist soll dabei Prellungen und Quetschungen erlitten haben. Zu der Attacke war es offenbar gekommen, nachdem eine zweiköpfige Streifenwagenbesatzung in einem Gelsenkirchener Problemviertel einen Mann wegen eines Verkehrsverstoßes gestoppt hatte und gerade festnehmen wollte. Während der Festnahme sollen die zwei Beamten von rund 50 Mitgliedern einer Großfamilie umzingelt worden sein, die plötzlich aus den Seitenstraßen auftauchten. Sie versuchten offenbar, die Beamten einzuschüchtern, damit diese von der Festnahme absahen. Als sie das nicht taten, soll der 15- Jährige den Polizisten von hinten angegriffen und gewürgt haben. Erst mit der gerufenen Verstärkung konnte die Polizei die Lage wieder unter Kontrolle bringen und den jugendlichen Angreifer festnehmen. Immer häufiger kommt es zu solchen Übergriffen von libanesischen Clans auf Polizisten. In fast allen Ruhrgebietsstädten breiten sich derzeit diese Großfamilien aus. Besonders betroffen sind Duisburg, Essen, Mülheim, Dortmund und Gelsenkirchen. Dort reklamieren die Clans ganze Stadtteile für sich außerhalb jeglicher Rechtsnorm. "Sie akzeptieren die Polizei nicht als Ordnungsmacht", sagte Wolfgang Spies, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in NRW.“ Weiter heißt es dort: „Trotz der wachsenden Bedrohung durch libanesische Großfamilien gibt es nach Informationen der Zeitung in NRW kein einheitliches Lagebild über die Familienclans. Stattdessen verfügten nur die betroffenen Polizeibehörden über eine entsprechende Übersicht der Clanaktivitäten in ihrer Stadt. "Dabei wäre ein landesweites Lagebild zwingend notwendig, um die städteübergreifenden Familienstrukturen besser verstehen zu können", so ein Insider.“ Seit 2010 soll laut einem Bericht der Welt vom 21.10.13 die Bremer Polizei eine Datei führen, in der sie Straftaten der arabischen Familien gesondert listet, die "Informationsstelle ethnische Clans" (ISTEC). In dieser Datei werde jeder mit einem "Merker" registriert, der den Mhallami zuzurechnen und mindestens einmal als Tatverdächtiger oder "sonstige Person" erfasst wurde. Im Jahr 2013 seien nach Angaben der Bremer Polizei 1371 Menschen erfasst, die seit 2010 einer Straftat verdächtigt wurden, also mehr als ein Drittel aller Mhallamis. Bei der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport soll im Jahr 2013 eine Projektstudie mit dem Titel „Kriminelle Angehörige arabischstämmiger Clans“ durchgeführt worden sein. Laut dieser Studie, deren Ergebnisse als Verschlusssache eingestuft sind, sollen zwölf arabischstämmige Großfamilien über Berlins Unterwelt herrschen. Fast jede vierte Straftat im Bereich der organisierten Kriminalität sollen von ihnen begangen worden sein. Mit der Neustrukturierung des Landeskriminalamtes (LKA) Berlin zum Januar 2015 sei in der Abteilung 4 [Organisierte Kriminalität (OK)] ein Kommissariat Täterorientierte Ermittlungen (Schwerkriminelle Täter aus arabischstämmigen Strukturen) etabliert und ausgestattet worden. Bei der Staatsanwaltschaft Berlin soll zudem eine ganzheitliche, täterorientierte Ermittlungskonzeption sowie eine sogeannte Null-Toleranz-Strategie verfolgt werden. In Umsetzung dieser Konzeption erfolgten ständige (zum Teil wöchentliche) Besprechungen, Fall- und Täteranalysen auf den Ebenen der Behördenleitung/der OK-Hauptabteilungsleitung/OK-Abteilungsleitungen, der Leitung der Hauptabteilung 3 sowie der Abteilungsleitung für Kapitalverbrechen (untereinander als auch miteinander). Zusätzlich fänden turnusmäßige Besprechungen zur Umsetzung und Erkenntnisgewinnung mit den zuständigen Dienststellen im LKA Berlin, insbesondere dem LKA 4, statt. (vgl. http://www.berlinjournal.biz/lka-berlin-neues-kommissariat-gegen-schwerkriminelle -arabische-clans/) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13877 3 Ein Berliner SPD-Abgeordneter fordert daraufhin: „Wir müssen die Clans auch finanziell trockenlegen , illegale Einkünfte beschlagnahmen. (…) Sehen Sie sich doch die teuren Oberklassewagen der 18- und 19-Jährigen an. Wie können die ohne Ausbildung, ohne Beruf sich ein Auto leisten, das mehr als 100.000 Euro kostet? Das wirft doch Fragen auf.“ Und er geht noch weiter: Kinder aus kriminellen arabischen Großfamilien gehörten wegen Kindeswohlgefährdung in staatliche Obhut. In gewissen Großfamilien gelte die Erziehung zum Jungkriminellen, gern auch zum Intensivtäter, als Ideal. Väter bildeten die Söhne zu Kriminellen aus. Seit 2011 verfolgt die Stadt Bremen, die massiv Probleme mit dem sog- Miri-Clan hat, eine etwas andere, neue Strategie und hat ein "Handlungskonzept" für den Umgang mit Mhallami- Familien erarbeitet. In der Hochhaussiedlung Grohner Düne, wo viele der Familien wohnen, sollen insbesondere Kinder gefördert werden. Schullaufbahnen, Berufseinstieg, Übergang in den Arbeitsmarkt – da soll angesetzt werden. Die Landesregierung wird gebeten, dem Innenausschuss öffentlich zu den aufgeworfenen Fragen für das Jahr 2015 (betroffene Städte, Mobilisierungspotential, Zahl polizeibekannter bzw. aktenkundiger Mitglieder, Kindswohlgefährdungen und junge Intensivtäter aus diesem Kreis, Anzahl und Vorwurf laufender Strafverfahren, Umfang sichergestelltes Vermögen, Zahl Inhaftierter Mitglieder, Anzahl polizeilicher Einsätze gegen Mitglieder, durch Mitglieder verletzte Polizeibeamte , Verbindungen zu Rockern, polizeiliche bzw. staatliche Maßnahmen in NRW und anderen Bundesländern,) schriftlich zu berichten und Landtag und Polizeibehörden in NRW ein umfassendes aktuelles Lagebild zu kriminellen Familienclans in NRW zu geben.“ In der Vorlage 16/3428 hieß es dazu vom Innenminister seinerzeit: „Landesweite Lagebilder werden durch das Landeskriminalamt NRW zu Kriminalitätsphänomenen , wie z. B. der Organisierten Kriminalität, der Rauschgiftkriminalität und dem Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung, erstellt. Ein spezielles Lagebild zu "kriminellen Familienclans" gibt es aus den bereits dargestellten Gründen nicht Soweit erforderlich, lässt sich das Ministerium für Inneres. und Kommunales anlassbezogen zur aktuellen Einsatz- und Kriminalitätslage und über die im Einzelfall getroffenen Maßnahmen berichten. Auf den Tagesordnungspunkt "No-Go-Area Duisburg-Marxloh unter Kontrolle von libanesischen Familienclans" im·nichtöffentlichen Teil der 71. Sitzung des Innenaus-schusses wird hingewiesen. Zur Erhebung der nachgefragten Daten wäre es im Übrigen erforderlich, alle im Vorgangsbearbeitungssystem der Polizei geführten Datensätze auszuwerten. Eine solche Recherche ist automatisiert nicht möglich. Eine händische Auswertung ist aufgrund des erheblichen Datenvolumens (bereits mehr als zwei Millionen Datensätze im Jahr 2015) nicht leistbar, ohne die Erfüllung polizeilicher Kernaufgaben zu beeinträchtigen.“ In den Vorlagen 16/4495 und 16/4517 heißt es nun: „Kriminalitäts- und Einsatzschwerpunkte werden durch die Polizeibehörden kontinuierlich analysiert. So hat das Polizeipräsidium Duisburg bereits seit 2001 den Aus-werteschwerpunkt "Mardin Kurden" bei der Analyse- und Auswertestelle Organisierte Kriminalität eingerichtet.“ In Umsetzung dieses zentralen Handlungsfelds sind unter Verwendung der neu geschaffenen Stellen bei der Staatsanwaltschaft Aachen in der Abteilung zur Verfolgung von organisierter Kriminalität Freiräume geschaffen worden, um gegen bestimmte intensiv agierende Täter bzw. Tätergruppen personenbezogen zu ermitteln. Mit diesem Instrument werden insbesondere Strukturen krimineller Großfamilien in den Fokus genommen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13877 4 Unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Bezirke bestehen Projekte zur Stärkung der Abteilungen für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität auch bei zumindest zehn weiteren Staatsanwaltschaften des Landes. Die Staatsanwaltschaften Bielefeld und Essen nehmen dabei explizit die Bekämpfung krimineller Clan-Strukturen in den Blick. Einen ortsbezogenen Ansatz verfolgt die Staatsanwaltschaft Dortmund mit dem in einem Sonderdezernat angesiedelten Projekt "Brennpunkt Nordstadt". Der Minister für Inneres und Kommunales hat die kleine Anfrage 5390 mit Schreiben vom 23. Dezember 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Landesregierung wahrt in ständiger Übung größtmögliche Zurück-haltung bei der Veröffentlichung von Informationen zu Ermittlungsverfahren aus den Bereichen der Schwerkriminalität und Organisierten Kriminalität. Solche Auskünfte können nicht nur geplante strafprozessuale Maßnahmen gefährden. Sie tragen darüber hinaus auch die Gefahr in sich, staatliches Handeln in diesem besonders sensiblen Bereich der Kriminalitätsbekämpfung berechenbar zu machen. 1. Inwieweit werden Handlungen von welchen Mitgliedern von Familienclans als organisierte Kriminalität eingeordnet? Die Einordnung von Tathandlungen als Organisierte Kriminalität erfolgt auf der Grundlage der Gemeinsamen Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren der Länder über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität (Gem. RdErl. vom 13.11.1990, JMBl. S. 267 – 4201 – IIIA.9 -) und den darin festgelegten Indikatoren, die einzeln oder in unterschiedlicher Verknüpfung Anlass geben können, einen Sachverhalt dem genannten Deliktsbereich zuzurechnen. 2. Welche örtlichen Schwerpunkte sind festzustellen, an denen intensiv agierende Täter bzw. Tätergruppen und Strukturen krimineller Großfamilien in NRW vorzufinden sind? Örtliche Schwerpunkte sieht die Landesregierung unter anderem in einzelnen Stadtteilen der Städte Dortmund, Duisburg, Essen und Gelsenkirchen. 3. Was sind die Erkenntnisse für die konkrete örtliche Verortung bei den entsprechenden Staatsanwaltschaften zur Bekämpfung krimineller Clan-Strukturen (bitte unter Darstellung der Erkenntnisse der Analyse- und Auswertestelle zu örtlichen Täter-/ Tatverdächtigenerkenntnissen)? Es wird auf die Vorbemerkung verwiesen. 4. Wie werden die Staatsanwälte, die Clan-Strukturen aufbrechen sollen, durch entsprechende Spezialisten der Polizei unterstützt (bitte Angabe, in welchen Polizeibehörden entsprechenden Ermittlungsgruppen eingerichtet sind)? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13877 5 Polizeiliche Ermittlungsgruppen ermitteln einzelfallbezogen auch gegen Beschuldigte aus Großfamilien. Die in diesen Ermittlungsgruppen tätigen und mit den Strukturen vertrauten Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten bringen ihre Erfahrungen und ihr Fachwissen in enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit in die unter Sachleitung der Staatsanwaltschaften geführten Ermittlungen ein. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. 5. Gegen wie viele Mitglieder von Familienclans/kriminellen Großfamilien sind bei Polizei oder Justiz Ermittlungsverfahren anhängig oder abgeschlossen bzw. sind solche Personen in dem Analyse- und Auswerteprojekt erfasst? Da eine gesonderte statistische Erfassung etwaiger Beschuldigter als Mitglieder von „Familienclans /kriminellen Großfamilien“ nicht erfolgt, wäre zur Erhebung der Daten eine Auswertung aller möglicherweise betroffenen Vorgänge von Hand erforderlich. Dies ist in dem für die Beantwortung der Kleinen Anfrage vorgesehenen Zeitraum mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich. Gleiches gilt für entsprechende Daten, die im Rahmen spezifischer Auswerteprojekte zur Aufhellung von Strukturen ethnisch abgeschotteter Subkulturen durch Fachdienststellen des Landeskriminalamts NRW und einzelner Kriminalhauptstellen erhoben wurden. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/13877