LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/13917 04.01.2017 Datum des Originals: 02.01.2017/Ausgegeben: 09.01.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5422 vom 7. Dezember 2016 der Abgeordneten Holger Ellerbrock, Dietmar Brockes und Henning Höne FDP Drucksache 16/13715 Lärmbelastung von Windrädern aufgrund veralteter Schallprognosen – was sagt die Landesregierung? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In der Ausgabe der „VDI nachrichten“ vom 19.08.2016 wird darüber berichtet, dass die zur Beurteilung der Lärmbelastung durch Windräder angewandten Berechnungsmodelle nicht mehr den heutigen Gegebenheiten entsprächen. Im tatsächlichen Betrieb würden durch Windkraftanlagen häufig höhere Lärmpegel erzeugt als prognostiziert und im Genehmigungsverfahren bei Beurteilung der Auswirkung von Schallimmissionen auf Anwohner zugrunde gelegt. Weiter wird berichtet, dass das Berechnungsmodell des „Alternativen Verfahrens“ für die Prognose von Schallausbreitungen nach DIN E ISO 9613-2, das bislang auch von der Bund-/Länder -Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz empfohlen wird, nur für bodennahe Schallquellen mit einer mittleren Höhe von maximal 30 m entwickelt worden sei. Angesichts moderner Windenergieanlagen mit einer Nabenhöhe von 130 m und mehr ist in der Tat fraglich, ob die angewandten Berechnungsverfahren noch zeitgemäß sind. Auch das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) weist darauf hin, dass für diese Quellhöhen das angewendete Prognosemodell bisher nicht durch systematische Untersuchungen abgesichert sei. In NRW würde bei den Berechnungen ein Sicherheitszuschlag von in der Regel 2,5 dB(A) berücksichtigt. Das LANUV hat 2015 eine Studie in Auftrag gegeben, die die Schallausbreitung von Windenergieanlagen untersucht, um die Qualität der Geräuschimmissionsprognosen hoher Anlagen zu überprüfen. Im Rahmen dieser Untersuchungen wurden die Emissionen und Immissionen im Umfeld zweier Anlagen der 2 MW-Klasse mit einer Nabenhöhe von 98 m messtechnisch ermittelt und mit den gemäß dem „Alternativen Verfahren“ berechneten Pegeln verglichen . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13917 2 Laut LANUV ergebe sich aus der Studie, dass die berechneten Pegel bis zu einer Entfernung von 500 m realistisch seien, ab 800 m würden Differenzen von 2 bis 3 dB(A) auftreten und im Bereich zwischen 500 m und 800 m sei aufgrund des Sicherheitszuschlags ein ausreichender Schutz gewährleistet. Die vom LANUV beauftragte Studie „Messtechnische Ermittlung der Ausbreitungsbedingungen für die Geräusche von hohen Windenergieanlagen“ selbst kommt allerdings zu dem Schluss, dass ein Sicherheitszuschlag aktuell einen nicht durch systematische Untersuchungen abgesicherten Prognoseansatz liefere. Die Untersuchungen mittels des Alternativen Verfahren würden sogar im Abstandsbereich zwischen 350 m und 1200 m keine zufriedenstellenden Ergebnisse liefern. Die rot-grüne Landesregierung rühmt sich, etwa mit dem „Masterplan Umwelt und Gesundheit“ vielfältiger Initiativen zum Schutz vor Lärm. Angesichts dieses abweichenden Fachurteils zu Lärmbelastung durch Windräder wird von der Landesregierung offenbar nur geringer Handlungsbedarf gesehen. Dies überrascht, da der Anschein entstehen könnte, dass die Erfüllung der von Rot-Grün festgelegten Ausbauziele für Windkraft über dem Gesundheitsschutz der Anwohner stünden. Eine Klarstellung seitens der Landesregierung ist dringend geboten. Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 5422 mit Schreiben vom 2. Januar 2017 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen von Windenergieanlagen (WEA) erfolgt nach den Regelungen der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm - TA Lärm. Hinsichtlich der Geräuschimmissionsprognose verweist die TA Lärm auf das Verfahren der DIN ISO 9613-2. Die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) empfiehlt 2005 in ihren Hinweisen zum Schallimmissionsschutz bei WEA, die Geräuschimmissionsprognose für WEA nach dem in der DIN ISO 9613-2 festgelegten „alternativen Verfahren“ durchzuführen . Da die Anwendung des „alternativen Verfahrens“ auf den bodennahen Bereich bis max. 30 m Höhe beschränkt ist, wurde der Normenausschuss Akustik, Lärmminderung und Schwingungstechnik (NALS) im DIN bereits im Jahr 2005 vom LAI-Ausschuss Physikalische Einwirkungen gebeten, eine Norm zur Schallausbreitung hochliegender Quellen zu erarbeiten. Diese liegt bisher nicht vor, weil die theoretische Erfassung der akustischen Gegebenheiten problematisch ist und Immissionsmessungen an WEA extrem aufwendig sind. Vor diesem Hintergrund war es Ziel der vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) beauftragten Untersuchung, belastbare Daten zur Qualität von Geräusch-Immissionsprognosen hoher Quellen (hier: WEA) zu gewinnen. Aus Anlass der NRW-Ergebnisse veröffentlichte der NALS 2015 als Prognoseverfahren für die Geräuschimmissionen von WEA das sogenannte Interims-Verfahren. Dies soll gelten, bis ein vom NALS entwickeltes, vertieftes Verfahren zur Verfügung steht. Der NALS hat daher die Anwender des Interims-Verfahrens aufgerufen, „die Festlegungen anhand von praktischen Problemstellungen zu prüfen und Erfahrungen, eventuelle Ergänzungen und/oder Spezifikationen an den NALS zu senden“. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13917 3 Das „alternative Verfahren“ wie auch das „Interims-Verfahren“ sind empirische Verfahren. Eine Verbesserung ist nur möglich, wenn weitere Messergebnisse vorliegen. Aus diesem Grund lässt unter anderem das Land Schleswig-Holstein sowie der Landesverband Erneuerbare Energien NRW aktuell Messungen durchführen. 1. Wie beurteilt die Landesregierung die Feststellungen der Studie und ihre Aussagekraft der Bewertung des „Alternativen Verfahrens“ nach DIN E ISO 9613-2 für die Lärmimmissionsprognose? Die Frage, ob das Prognoseverfahren für die Geräuschimmissionen von WEA zukünftig angepasst werden muss, ist zurzeit Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion. Unter anderem ist der NALS, in dem die Expertise auf dem Gebiet der Schallausbreitung vertreten ist, mit theoretischen Betrachtungen und der Auswertung vorhandener Daten befasst. Der NALS wird die Messungen aus NRW gemeinsam mit den weiteren Messungen, die in den Bundesländern zurzeit durchgeführt werden, hierzu auswerten. (siehe Vorbemerkung) 2. Inwiefern hält die Landesregierung unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Studie die Anwendung des Sicherheitszuschlags weiterhin für angemessen? Das Land NRW strebt im Kontext mit den anderen Bundesländern ein fachlich fundiertes und gleichzeitig vollzugstaugliches Prognoseverfahren an, das längerfristig Bestand hat. Eine übereilte Umstellung des Prognoseverfahrens soll vermieden werden. Das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MKULNV) hat daher in seinem Erlass vom 13.03.2016 an die Vollzugsbehörden klargestellt, dass bis zum Abschluss der Diskussionen zunächst weiter nach dem aktuell gültigen Berechnungsverfahren zu verfahren ist. Dies schließt die Anwendung des Sicherheitszuschlags von 2,5 dB mit ein. 3. Mit welchen Ergebnissen und Schlussfolgerungen DIN E ISO 9613-2 hat sich die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz mit der Studie und der Anwendung eines Sicherheitszuschlags beschäftigt? Aufgrund der Messergebnisse aus NRW hat die LAI eine Überprüfung und ggfs. Fortschreibung der Hinweise zum Schallimmissionsschutz bei WEA veranlasst. Gegenstand der Betrachtungen war u.a. das Prognoseverfahren sowie die Sicherheit der Prognose. Die LAI hat den NALS in seine Arbeiten eingebunden. Die Landesregierung geht davon aus, dass die Arbeiten der LAI im ersten Halbjahr 2017 abgeschlossen werden können. (siehe auch Antwort zu Frage 1) 4. Wie trägt die Landesregierung den offensichtlichen Unsicherheiten des Prognoseverfahrens bei laufenden Genehmigungsverfahren Rechnung? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13917 4 5. Welche Notwendigkeit besteht nach Ansicht der Landesregierung, infolge der Unzulänglichkeit der Prognosen nachträgliche Lärmschutzmaßnahmen bei bereits genehmigten Windenergieanlagen anzuordnen? Die Fragen 4 und 5 werden zusammenhängend beantwortet. Dazu wird auf die Vorbemerkung sowie die Antworten zu den Fragen 1, 2 und 3 Bezug genommen. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/13917