LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/13919 05.01.2017 Datum des Originals: 04.01.2017/Ausgegeben: 10.01.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5432 vom 12. Dezember 2016 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/13746 Millionenzahlungen des Landes ohne genaue Zweckbindung für die Grüne Hauptstadt – Folgt die Bezirksregierung nun der Expertise des Landschaftsbeirats und stoppt in letzter Minute die sinnlose Steuergeldverschwendung für eine Ela-Plattform in Essen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Seit Wochen tobt in Essen ein erbitterter Streit über die Errichtung einer hoch umstrittenen „Ela-Plattform“, einem von rund 40 Aussichtspunkten, die der städtische Betrieb „Grün und Gruga“ im Jahr der Grünen Hauptstadt 2017 eröffnen will. „Essens Aussichten“ heißt das Projekt , mit dem die Stadt Besuchern vor Augen führen möchte, wie die einstige Industriestadt sich in den vergangenen drei Jahrzehnten zur wohl drittgrünsten Stadt Deutschlands gewandelt hat. Die WAZ Essen berichtet am 6. Dezember 2016: „„Essens Aussichten“ ist, wie [Dezernentin] Raskob betont, eines der Leitprojekte des Grünen- Hauptstadtjahres und als solches ein wichtiger Programmpunkt für 2017. Für das Landesministerium für Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung sei es wichtiger Bestandteil seines finanziellen Engagements; 350.000 Euro sind dem Land „Essens Aussichten wert“. 72 potenzielle Standorte, die als Aussichtspunkte in Frage kommen, hat Grün und Gruga überprüft . Etwa 40 werden übrig bleiben, sagt Amtsleiter [Name]. Bekannte Landmarken sind darunter wie die Schurenbachhalde in Altenessen oder der Mechtenberg in Kray, verwunschene Orte wie die Korte-Klippe über dem Baldeneysee, aber auch Orte mit Weitsichtgarantie, die nicht gleich jedem spontan einfallen dürften, wie die Grünanlage an der Münstermannstraße in Gerschede. Von dort aus eröffnet sich der Blick übers Emschertal. „Wir haben keine neuen Aussichten erfunden“, sagt [Name des Amtsleiters]. Einzig die umstrittene Ela-Plattform unweit der Heisinger Straße wäre ein künstlicher Ort, so sie denn gebaut wird.“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13919 2 Geplant ist nach Wunsch der grünen Essener Umweltdezernentin und ihrer Fachverwaltung die Errichtung einer 20 Meter langen und bis zu drei Meter breiten Stahlkonstruktion an der Heisinger Straße, unmittelbar an der Ausfahrt des Jagdhauses Schellenberg. Dort soll die Aussicht auf einen Hang geboten werden, der 2014 von Pfingststurm „Ela“ besonders stark geschädigt wurde. Nicht nur zahlreiche Bürger der hoch verschuldeten Stadt Essen sind empört über diese sinnlose Verausgabung von öffentlichen Mitteln, selbst der sonst bei derartigen Projekten großzügig genehmigende Landschaftsbeirat hat aktuell die laut Bundesnaturschutzgesetz notwendige Befreiung verweigert. Begründung: Die Kosten in Höhe von 50.000 Euro stünden in keinem Verhältnis zum pädagogischen Nutzen. Auch fürchten Kritiker die Anziehung von mehr Müll und Vandalismus. Dies hält die zuständige grüne Dezernentin jedoch für unproblematisch , sie setze laut Medienbericht in der WAZ auf die „soziale Kontrolle durch Besucher“ – eine eher naiv wirkende Vorstellung mit Blick auf die Probleme hinsichtlich der Sauberkeit im übrigen Stadtbild. Der Bau der Plattform wird nun noch in den zuständigen Gremien diskutiert, im Januar entscheidet der Umweltausschuss der Stadt Essen. Erfolgt außerdem die Zustimmung der Bezirksregierung , wird die Plattform ab März gebaut. Viele Essener Bürger hoffen eindringlich, dass zumindest die Bezirksregierung noch ein Minimum an Kostenbewusstsein beweist und die unsinnige Ela-Plattform stoppt. Es ist kaum einen Steuerzahler nachvollziehbar, worin der dauerhafte Bedarf für Passanten bestehen soll, eine Plattform zu besteigen, um sich dann wenige Meter näher am Objekt umgekippte Baumstämme als Totholz anzusehen. Aktuell und in der Vergangenheit hat landesweit der Bau von Aussichtsplattformen immer wieder für großen Unmut und Unverständnis seitens der steuerzahlenden Bevölkerung gesorgt. Erst im November 2016 hat das Westfalen-Blatt über einen entsprechenden Bau in Brakel berichtet: „Es ist noch nicht offiziell vorgestellt, da sorgt ein neues Bauwerk in Brakel schon für Gesprächsstoff auf der Straße und in den sozialen Netzwerken: Eine Aussichtsplattform am Bruchtpfad steht in der Kritik. Von Steuergeldverschwendung ist die Rede. Spaziergänger merken an, dass derjenige, der den Blick aufs Wasser genießen wolle, nur 200 Meter weiter eine Brücke über die Brucht vorfinde. »Man sollte sich lieber mal auf die Brücke im Bruchtpfad zum Sepker Weg hoch konzentrieren! Die muss unbedingt erneuert werden«, heißt es in einem Kommentar auf Facebook.“ Im vergangenen Jahr waren beispielsweise die Halden im Ruhrgebiet ins Visier des Bundes der Steuerzahler geraten. Die BILD-Zeitung hat am 18. September 2015 plakativ darüber berichtet : „Der Bund der Steuerzahler NRW (BdSt) motzt über Aussichtsplattformen auf den Halden im Ruhrgebiet. Sie seien „sinnlos”, heißt es im Verbandsblatt „Der Steuerzahler”. Schließlich sei die Aussicht auch ohne künstliche Erhöhung schön – und vor allem billiger.” Und im Kölner Umland hat 2013 der Pulheimer Ortsteil Stommeln mit seiner Aussichtsplattform , die im Rahmen der Regionale 2010 Teil des Gesamtprojektes RegioGrün war, unrühmliche Bekanntheit gemacht. Die Kölnische Rundschau fasst am 2. Dezember 2013 zusammen: „Für einen Witz hatten viele Stommelner das Bauwerk von Anfang an gehalten. Denn auf dem Boden der Anhöhe, ist die Aussicht nicht anders. So sieht es auch der Steuerzahlerbund. „Die, leichte Erhöhung’ ist ein vollkommen überflüssiger Luxus und wird durch die Tatsache, dass die vier Stufen hohe Plattform ohnehin oberhalb einer abschüssigen Wiese liegt und dieselbe Aussicht bietet wie jeder Fleck neben ihr, geradezu atemberaubend lächerlich.“ Der Bund der Steuerzahler empfiehlt im Zusammenhang mit dem „Aussichts-Förderitis-Wahn“: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13919 3 „Zum Schluss bleibt nur eine Bitte an alle Politiker in den Kommunen, bei Bund und Land und in der EU: Wenn Sie beim nächsten Mal mit den gequirlten Worthülsen eines Förderantrags kämpfen – legen Sie das Papier beiseite und fahren Sie nach Pulheim. Erklimmen Sie die Aussichtsplattform und atmen Sie angesichts dieser Geldverschwendung dreimal tief durch. Wenn Sie dann nicht geheilt sind vom Aussichts-Föderitis-Wahn, tja, dann ist es wohl so, dass man mit Eintritt in die Politik den gesunden Menschenverstand abgeben muss. Was für eine Verschwendung.“ Damit im Schwarzbuch des Steuerzahlerbuches nicht im kommenden Jahr eine Fahrt zur „Ela- Plattform“ in Essen empfohlen wird, sollten die Verantwortlichen der Grünen Hauptstadt Essen Vernunft walten lassen und auf die „Ela-Plattform“ verzichten. Es ist bedauerlich, dass das ebenfalls hoch verschuldete Land in den kommenden Tagen einen Haushalt verabschieden dürfte, der an mehreren Stellen Subventionen für die Grüne Hauptstadt Essen vorsieht, ohne für die Millionenzahlungen auch präzise Zweckbindungen festzulegen. Der Städtebauhaushalt (Kapitel 09500) sieht für 2017 Investitionszuschüsse von 500.000 Euro vor, und der Umwelthaushalt (Kapitel 10020) plant 2.000.000 Euro ein, die der Stadt Essen zum „eigenverantwortlichen Mitteleinsatz“ zur Verfügung gestellt werden (EP 10, S. 45). Immer mehr Essener Bürger zweifeln, ob diese Reife bei den Entscheidern in der Stadt Essen gegeben ist. Der Düsseldorfer Bezirksregierung bleibt nun noch die Chance für diese wichtige Korrektur. Der Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr hat die Kleine Anfrage 5432 mit Schreiben vom 4. Januar 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister, dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Minister für Klimaschutz , Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Der Stadt Essen ist es gelungen, in einem anspruchsvollen Auswahlverfahren mit europaweiter Konkurrenz die Auszeichnung „Grüne Hauptstadt Europas 2017“ zu erringen. Die Auszeichnung kann genutzt werden, um den gelungenen Strukturwandel in Essen und im gesamten Ruhrgebiet auch international darzustellen und gleichzeitig zusätzliche Schritte für eine erfolgreiche, ökologische, ökonomische und soziale Entwicklung einzuleiten. Die Landesregierung begrüßt diese Auszeichnung sehr und möchte zum Erfolg der „Grünen Hauptstadt“ beitragen. 1. Wie bewertet die Landesregierung die objektive Sinnhaftigkeit des geplanten Baus einer „Ela-Plattform“ mitten im Wald, die angeblich auf Dauer gezielt aufgesucht werden soll, um sich Totholz anzusehen? 2. Wie bewertet die Landesregierung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten die Verausgabung von rund 50.000 Euro der insgesamt für das Projekt „Essens Aussichten “ eingeplanten Förderung von 350.000 Euro allein für den Bau der „Ela- Plattform“? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13919 4 3. Folgt die Bezirksregierung der Kritik des Landschaftsbeirates, dass die Kosten in Höhe von 50.000 Euro in keinem Verhältnis zum pädagogischen Nutzen stehen, und versagt ihrerseits die Mittelverausgabung? Die Finanzierung widerspräche nicht der Zweckbestimmung des Haushalts („Finanzierung von Maßnahmen im Rahmen der Durchführung der Grünen Hauptstadt Europas 2017 – Essen“). 4. Ist der Landesregierung das Vorhaben „Essens Aussichten“ im allgemeinen und der Ela-Plattform im besonderen bereits zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Haushaltsentwurfs 2017 im Landeskabinett bekannt gewesen? Der Landtag hat im Rahmen der Haushaltsaufstellung 2016 die Mittel bewilligt. Wie vom Fragesteller in den Vorbemerkungen zur Kleinen Anfrage 5432 richtig dargestellt, werden Details des Vorhabens „Essens Aussichten“ zurzeit in den zuständigen Gremien der Stadt Essen beraten. 5. Warum schlägt die Landesregierung dem Haushaltsgesetzgeber Millionenausgaben zum vor Ort eigenverantwortlichen Mitteleinsatz vor, ohne einen Genehmigungsvorbehalt zur Vermeidung von Steuergeldverwendung routinemäßig vorzusehen ? Die Landesregierung hat dem Haushaltsgesetzgeber – im Anschluss an gute Erfahrungen der Vorgängerregierung zum finanziellen Beitrag des Landes für die „Europäische Kulturhauptstadt 2010“ - eine finanzielle Unterstützung der „Grünen Hauptstadt“ als fachbezogene Pauschale gemäß § 29 Haushaltsgesetz vorgeschlagen (Kapitel 10 020). Der Landtag hat diesen Ansatz begrüßt, für 2016 die Pauschale sogar um 500.000 Euro erhöht und zudem weitere Investitionshilfen in Höhe von 1,25 Mio. Euro in den Haushaltsplänen 2016 und 2017 bewilligt (Kapitel 09 500). Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/13919