LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/13935 10.01.2017 Datum des Originals: 09.01.2017/Ausgegeben: 13.01.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5348 vom 16. November 2016 der Abgeordneten Kirstin Korte CDU Drucksache 16/13483 Wie viel physische und verbale Gewalt müssen sich Lehrerinnen und Lehrer in Nordrhein -Westfalen gefallen lassen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Das Ergebnis einer Umfrage, die der Lehrerverband Bildung und Erziehung (VBE) in Auftrag gegeben hat, bestätigt, was längst Alltag ist an unseren Schulen: Lehrkräfte werden von Schülerinnen und Schülern, mitunter auch Eltern, verbal oder physisch angegriffen. Jede 4. Lehrkraft sei laut der jüngst veröffentlichen Studie bereits Opfer von Mobbing, Bedrohungen, Beleidigungen oder Beschimpfungen geworden. Eltern scheinen, wenn es um die eigenen Kinder geht, immer öfter die Grenzen des verbalen Anstands zu verlassen. Dabei stellt es sich so dar, als ob dieses Problem schulformübergreifend verbreitet ist, ganz besonders an Grundschulen. Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 5348 mit Schreiben vom 9. Januar 2017 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Landesregierung stellt sich gegen jede Form von Gewalt. Sie duldet in Schulen weder Gewalt von Schülerinnen und Schülern untereinander noch gegen Lehrkräfte oder durch Lehrkräfte . Ein wichtiges Qualitätsmerkmal von Schule ist, dass der Umgang miteinander frei von Diskriminierung und Rassismus sowie von jedweder Form psychischer und physischer Gewalt ist. Daher richten sich Gewaltpräventionskonzepte an Schulen an die gesamte Schulgemeinschaft . Ein weiterer Beitrag der Landesregierung zur Gewaltprävention an Schulen war die erste „Woche des Respekts“ vom 14. bis 18. November 2016. Neben zahlreichen Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Gruppen haben die Mitglieder der Landesregierung in dieser Woche landesweit LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13935 2 bei vielen ihrer Termine für Respekt füreinander und ein respektvolles Miteinander in den Schulen geworben. 1. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung zu oben beschriebenen Vorkommnissen gegen nordrhein-westfälische Lehrerinnen und Lehrern (bitte nach Schulform aufschlüsseln)? Anhand von Statistiken der Bezirksregierungen können Aussagen über anerkannte Dienstunfälle von Lehrkräften getroffen werden, die auf Aggressivität gegen Lehrkräfte zurückzuführen sind. Die aktuelle Auswertung von anerkannten Dienstunfällen von Lehrkräften im Jahr 2015 hat Folgendes ergeben: Von 1.800 anerkannten Dienstunfällen sind 73 Fälle auf „Aggressivität gegen Lehrkräfte“ zurückzuführen . Berufskollegs, Weiterbildungskollegs und Studienseminare weisen keine Fallzahlen auf. Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen weisen je einen Fall auf, bei Gymnasien , Gesamt- und Realschulen sind jeweils drei Fälle verzeichnet, vier Fälle bei den Hauptschulen , und bei den Grundschulen beträgt die Fallzahl 16. Die höchste Fallzahl von 42 besteht bei den Förderschulen. Darüber hinaus ist nach den Rückmeldungen der Bezirksregierungen von einer Dunkelziffer bei Lehrkräften auszugehen, die ihre Erfahrungen aus verschiedenen Gründen nicht weiterleiten und nur in wenigen Fällen Anzeigen nach § 194 StGB (Beleidigungstatbestände) erstatten. 2. Welche Handlungsempfehlung gibt die Landesregierung den übergeordneten Schulbehörden, um Fälle von Gewalt (physisch oder verbal) gegen Lehrkräfte entgegenzutreten ? Es gibt eine klare Beratungs- und Unterstützungsstruktur, wenn sich betroffene Lehrkräfte melden . Erster Ansprechpartner ist die Schulleitung, dann die Schulaufsicht. Im Rahmen der Verpflichtung des Dienstherrn zur Fürsorge wird alles getan, um Lehrkräften in schwierigen Situationen zu helfen. Dazu gehört neben der Beratung auch eine großzügige Praxis bei der Zusage von ggfs. erforderlichem Rechtsschutz. In den Bezirksregierungen Detmold und Münster wird bereits an einer Handreichung „Gewalt gegen Lehrkräfte“ gearbeitet. Auf dieser Basis soll eine landeseinheitliche Praxis erreicht werden . 3. Welche Präventionsmaßnahmen plant die Landesregierung, um Angriffe gegen Lehrkräfte zu vermeiden? Die Landesregierung hat den Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes – Aufnahme einer gegenüber dem Gemeinwohl feindlichen oder gleichgültigen Haltung als besonderer Umstand der Strafzumessung - in den Bundesrat eingebracht. Das Strafrecht muss deutlicher als bisher zum Ausdruck bringen, dass die Gesellschaft Straftaten gegen Personen, die für die Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens bedeutsame Aufgaben wahrnehmen, nicht duldet. Die aktuelle Bundesratsinitiative NRW zur Verschärfung der rechtlichen Mittel soll u.a. auch bei Angriffen auf Lehrpersonal an Schulen zur Anwendung kommen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13935 3 Der Referenzrahmen Schulqualität NRW legt fest: Der Umgang miteinander ist frei von Diskriminierung und Rassismus sowie von jedweder Form psychischer und physischer Gewalt. Es werden derzeit mehrjährig mit dem Copenhagen Psychosocial Questionnaire (COPSOQ)- Verfahren die psychosozialen Belastungen von Lehrerinnen und Lehrern in Nordrhein-Westfalen abgefragt. Dabei ist ein Abfragepunkt auch die Erfahrung von verbaler und körperlicher Gewalt gegenüber Lehrkräften, zum einen durch Schülerinnen und Schüler und zum anderen durch Eltern. Die COPSOQ-Befragung ist bereits jetzt Gegenstand des Austausches zwischen dem Ministerium für Schule und Weiterbildung und den Hauptpersonalräten für Lehrkräfte sowie den Hauptschwerbehindertenvertretungen für Lehrkräfte. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung hat allen Schulen den „Notfallordner Hinsehen und Handeln für Schulen in NRW“ zur Verfügung gestellt. Die Thematik Gewalt gegen Lehrkräfte ist unter „Gewalt gegen Schulpersonal“ als mögliches Krisenereignis Bestandteil des Notfallordners. Auch zu dieser Thematik enthält der Ordner umfassende Empfehlungen, insbesondere konkrete Handlungsschritte und Maßnahmen. Kommunale Beratungsstellen in den nordrhein-westfälischen Kreisen und kreisfreien Städten vermitteln im Bedarfsfall Schulpsychologinnen und Schulpsychologen an Schulen, Lehrkräfte, Eltern sowie an Schülerinnen und Schüler. In jedem Kreis und in jeder kreisfreien Stadt steht darüber hinaus mindestens eine Schulpsychologin oder ein Schulpsychologe mit einer gesonderten Ausbildung im Krisenmanagement (Notfallpsychologie) zur Verfügung. Die Schulpsychologie ist der psychologische Fachdienst der Schule und nutzt psychologische Erkenntnisse, um die Schule in ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag zu unterstützen sowie alle schulischen Akteure zu beraten. Eine weitere Anlaufstelle ist die Landespräventionsstelle gegen Gewalt und Cybergewalt an Schulen in Nordrhein-Westfalen, die das Ministerium für Schule und Weiterbildung gemeinsam mit der Landeshauptstadt Düsseldorf und der Bezirksregierung Düsseldorf im Februar 2015 errichtet hat. Sie ist für Schulen eine zentrale Anlaufstelle und unterstützt diese systematisch in ihrem Engagement gegen Gewalt. In vielen Schulen gibt es darüber hinaus seit vielen Jahren Beratungslehrkräfte. Sie beraten Lehrkräfte – und natürlich auch Schülerinnen und Schüler und deren Eltern – insbesondere auch im Kontext mit konkreten schulischen Gewaltereignissen. 4. Wie viele Krankheitsfälle von Lehrkräften aufgrund verbaler oder physischer Angriffe sind der Landesregierung seit 2010 bekannt (bitte aufgeschlüsselt nach Regierungsbezirken und Jahren)? Es wird die Anzahl der anerkannten Dienstunfälle von Lehrkräften erhoben. Dabei werden verschiedene Unfalltypen ausgewertet, unter anderem auch „Unfall durch Aggressivität gegen Lehrkraft“. Es ist allerdings zu bedenken, dass nicht jede verbale oder körperliche Gewalteinwirkung auf Lehrkräfte zu einem (anerkannten) Dienstunfall führt. Auch müssen hier Grad, Ausmaß, Art der Gewalteinwirkung sowie die Ausgangslage in den Blick genommen werden. Im Jahr 2011 lag die Anzahl anerkannter Dienstunfälle aufgrund von Aggressivität gegenüber Lehrkräften bei 3,4 % (76 Unfälle von 2.236 insgesamt) und im Jahr 2012 betrug die Quote 4 % (79 Unfälle von 1.970 insgesamt). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/13935 4 Die Anzahl der anerkannten Dienstunfälle aufgrund von Aggressivität gegenüber Lehrkräften lag im Jahr 2013 bei 3 % (= 72 Unfälle von 2.099 insgesamt), im Jahr 2014 bei 3,5 % (= 50 Unfälle von 1.335 insgesamt). Von insgesamt 1.800 anerkannten Dienstunfällen im Jahr 2015 waren 73 Unfälle, die diesem Unfalltyp zugeordnet wurden. Das sind 4 %. Demnach ist ein signifikanter Anstieg, jedenfalls im Hinblick auf die entsprechenden anerkannten Dienstunfälle, nicht feststellbar. Aussagekräftiges Datenmaterial aus den Vorjahren steht nicht zur Verfügung. Aufschlüsselung nach Bezirksregierungen, Unfall durch Aggressivität gegen Lehrkraft, in Klammern Gesamtzahl der Dienstunfälle: Bez.Reg 2011 2012 2013 2014 2015 Arnsberg 25 (508) 16 (382) 31 (485) 15 (301) 31 (394) Detmold 4 (238) 0 (229) 3 (219) 8 (241) 5 (248) Düsseldorf 18 (502) 27 (485) 15 (601) 2 (109) 8 (484) Köln 16 (541) 28 (486) 9 (405) 19 (336) 12 (323) Münster 13 (447 8 (388) 14 (389) 6 (348) 17 (351) Gesamt 76 (2236) 79 (1970) 72 (2099) 50 (1335) 73 (1800) 5. Wie viele Lehrerinnen und Lehrer sind im Kreis Minden-Lübbecke seit 2010 physisch oder verbal in Ausübung ihrer Tätigkeit attackiert worden? Nach Rückmeldung der Bezirksregierung Detmold sind seit 2014 zwei Dienstunfälle mit der Kategorie „Unfall durch Aggressivität gegen Lehrkraft“ im Kreis Minden-Lübbecke verzeichnet. Über physische und verbale Attacken liegt kein verlässliches Zahlenmaterial vor (siehe Frage 1). Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/13935