LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/14053 18.01.2017 Datum des Originals: 18.01.2017/Ausgegeben: 23.01.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5459 vom 19. Dezember 2016 des Abgeordneten Jens Kamieth CDU Drucksache 16/13837 Zukunft des Projekts „Gelbe Karte“ in Nordrhein-Westfalen Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Primärer Zweck der Kriminalitätsbekämpfung Jugendlicher ist die Einwirkung auf den jugendlichen Straftäter, d.h. das Jugendstrafverfahren will mit erzieherischen Mitteln im Wesentlichen das Ziel erreichen, den jugendlichen Straftäter von der Begehung künftiger Straftaten abzuhalten . Insbesondere die rasche Reaktion der Strafverfolgungsbehörden auf kriminelles jugendliches Fehlverhalten ist eine bedeutsame Voraussetzung für eine positive Wirkung des Verfahrens auf den jugendlichen Täter. Aus diesem Grunde wurde in Nordrhein-Westfalen – zunächst nur im Rahmen eines Modellprojekts - sogenannte Diversionstage eingerichtet. Die Diversion - als NRW-Projekt „Gelbe Karte“ bekannt - stellt besonders bei Ersttätern bzw. bei minderschweren Delikten für die Staatsanwaltschaft eine Möglichkeit dar, unter Umgehung eines förmlichen Strafprozesses durch Verhängung erzieherischer Maßnahmen das Verfahren gegen den Jugendlichen zu erledigen. Nach § 45 Absatz 2 Jugendgerichtsgesetz sowie den Richtlinien zur Förderung der Diversion im Jugendstrafverfahren (Diversionsrichtlinien) kann der Staatsanwalt von der Verfolgung einer Straftat absehen, wenn eine erzieherische Maßnahme durchgeführt oder eingeleitet ist und er weder eine Beteiligung des Richters noch die Erhebung einer Anklage für erforderlich hält. In Abstimmung mit den vorgenannten Behörden bestellt der Staatsanwalt den jugendlichen Delinquenten – in der Regel gemeinsam mit seinen Erziehungsberechtigten – bei der Polizei ein und verhängt nach Erörterung des Sachverhalts mit den Beteiligten in geeignet erscheinenden Fällen beispielsweise die erzieherische Maßnahme der Ableistung von gemeinnützigen Arbeiten. Gleichzeitig wird von der weiteren Strafverfolgung abgesehen. Das Projekt „Gelbe Karte“ ermöglicht schnelle erzieherische Reaktionen ohne förmliche Hauptverhandlung und bietet eine äußere Struktur, in der Staatsanwaltschaft, Polizei und Jugendgerichtshilfe gemeinsam an einem Tag und am selben Ort eine Vielzahl von Ermittlungsverfahren alsbald nach der Tat abwickeln. Eine bessere Vernetzung und Kooperation der beteiligten Einrichtungen soll auch hier zu einer spürbaren Verfahrensbeschleunigung führen. Mit dem anschaulichen Begriff "Gelbe Karte" wird jungen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14053 2 Menschen zudem der Warn- und Appellcharakter frühzeitiger Reaktionen besonders deutlich vor Augen geführt. Das Justizministerium Nordrhein-Westfalen selbst weist im Rahmen der Darstellung der Projekte im Bereich der Jugendkriminalität nicht mehr auf das Projekt der Gelben Karte hin und gibt somit auch keine weiteren Informationen zu diesem Modell. Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 5459 mit Schreiben vom 18. Januar 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet . 1. Welche Zukunft hat das Projekt „Gelbe Karte“ für Jugendstrafverfahren in Nordrhein -Westfalen? 2. Wie bewertet die Landesregierung den Erfolg des Projekts „Gelbe Karte“ in Nordrhein -Westfalen? Die Fragen 1 und 2 werden gemeinsam beantwortet. Das Modell „Gelbe Karte“ stellt für die Landesregierung auch künftig ein wichtiges Instrument zur Prävention und Bekämpfung der Jugendkriminalität dar. Nach Berichten der staatsanwaltschaftlichen Praxis hat es sich bei den Behörden, in denen es zur Anwendung kommt, bewährt und wird deshalb dort auch fortgeführt. So hat z B. ein Leitender Oberstaatsanwalt in diesem Zusammenhang berichtet, die Mehrzahl der an Verfahren der Diversion beteiligten Beschuldigten sei in der Folgezeit strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten. Positiv zu bewerten sei insbesondere, dass die zu einem Diversionstag geladenen Beschuldigten überwiegend - meist in Begleitung der Erziehungsberechtigten - erschienen , wodurch eine zeitnahe Normverdeutlichung durch erzieherische Gespräche ermöglicht werde. 3. An wie vielen Standorten wird aktuell das Modell der „Gelben-Karte“ in Nordrhein- Westfalen praktiziert? Das Modell wird derzeit bei den Staatsanwaltschaften Aachen, Bonn, Dortmund, Düsseldorf, Hagen, Köln, Paderborn und Wuppertal an insgesamt 20 Standorten praktiziert. 4. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung ergriffen, um durch die enge Zusammenarbeit von Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendgerichtshilfe für schnellere Verfahren und zeitnahe Sanktionen für jugendliche Straftäter zu erreichen? Auf der Grundlage der Vereinbarungen des Koalitionsvertrages, in dem die Bewältigung der Jugendgewalt- und Intensivkriminalität als eine zentrale kriminalpolitische Aufgabe benannt ist, soll der Kriminalität von jugendlichen und heranwachsenden Mehrfachtätern insbesondere durch die intensive Zusammenarbeit und Vernetzung aller an der Jugendkriminalprävention und am Jugendstrafverfahren beteiligten Einrichtungen in sog. „Häusern des Jugendrechts“ begegnet werden. In Häusern des Jugendrechts arbeiten die am Jugendstrafverfahren beteiligten Institutionen (Staatsanwaltschaft, Polizei und Jugendamt) unter einem Dach intensiv zusammen . Die hierdurch geschaffenen institutionsübergreifenden und partnerschaftlichen Zusammenarbeitsstrukturen erlauben es, sowohl schnell als auch abgestimmt und angemessen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14053 3 auf Jugenddelinquenz zu reagieren. Kriminalitätsursachen können ganzheitlich betrachtet und Lösungen gemeinsam und zeitnah gefunden werden. Häuser des Jugendrechts gibt es in Nordrhein-Westfalen bisher an drei Standorten: seit Juni 2009 in Köln, seit Januar 2014 in Paderborn und seit Juni 2016 in Dortmund. Weitere Einrichtungen sind für Düsseldorf und Essen geplant. Einen weiteren wichtigen Baustein im Gesamtkonzept der Landesregierung zur Bekämpfung der Jugendgewalt und Intensivtäterkriminalität stellt das Konzept „Staatsanwältin/Staatsanwalt für den Ort“ dar, dessen Einführung aus einer von der Landesregierung initiierten ressortübergreifenden Arbeitsgruppe zum Thema Jugendkriminalität hervorgegangen ist. Nach diesem Konzept richtet sich die Zuständigkeit der Jugendstaatsanwältinnen und Jugendstaatsanwälte primär nach dem Wohnort des/der Beschuldigten und nicht mehr wie zuvor nach dem Anfangsbuchstaben des Nachnamens. Eine Jugendstaatsanwältin oder ein Jugendstaatsanwalt führt alle Ermittlungsverfahren gegen jugendliche und heranwachsende Beschuldigte aus einer ihr oder ihm zugewiesenen Gemeinde. Diese Form der umfeldbezogenen Zuständigkeitsgestaltung ermöglicht es, umfassende Erkenntnisse über die örtlichen Strukturen der Jugendszene und das soziale Umfeld der Beschuldigten zu erlangen, so dass kriminogene Strukturen frühzeitiger erkannt werden können. Der Einblick in die lokalen Gegebenheiten und die Vertrautheit des Bezirks begünstigen zudem eine besondere Identifikation der Jugendstaatsanwältinnen und Jugendstaatsanwälte mit ihrer Arbeit. Mit der wohnortbezogenen Strafverfolgung ist eine durch kurze Wege gekennzeichnete enge Kooperation mit den Vertretern der Polizei, des Jugendamtes, der Schule und weiteren mit den Belangen der Jugendlichen befassten Stellen verbunden. Die daraus resultierenden Synergieeffekte führen zu einer effektiveren Bearbeitung von Straftaten. Die Verfahrensbeschleunigung beträgt nach dem Abschlussbericht zur Begleitforschung des Modellprojekts durchschnittlich 15 Tage. Aufgrund der positiven Erkenntnisse ist das Konzept 2012 landesweit eingeführt worden. Die Grundsätze der Zusammenarbeit zwischen den mit Kindern und Jugendlichen befassten Institutionen und Einrichtungen (z. B. Jugendämter, Schulen, Polizei- und Justizbehörden) sind in dem überarbeiteten gemeinsamen Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales , des Justizministeriums, des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter, des Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport und des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen niedergelegt, der am 1. September 2014 in Kraft getreten ist. 5. In wie vielen Jugendstrafverfahren wurde in den Jahren seit 2010 jeweils das Verfahren der Diversion nach dem Modell der „Gelben-Karte durchgeführt? Landesweite Daten hierzu liegen der Landesregierung nicht vor. Eine Auswertung sämtlicher Verfahren, die von Hand vorzunehmen wäre, ist innerhalb der für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/14053