LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/14097 26.01.2017 Datum des Originals: 26.01.2017/Ausgegeben: 31.01.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5468 vom 20. Dezember 2016 der Abgeordneten Ingola Schmitz und Dr. Joachim Stamp FDP Drucksache 16/13850 Droht bei nicht mehr schulpflichtigen jungen Flüchtlingen das Entstehen eines „neuen Prekariats“? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Bislang besteht in Nordrhein-Westfalen für Flüchtlinge nach Vollendung des 18. Lebensjahres keine verbindliche Ausgestaltung, die Schule zu besuchen und einen Abschluss zu erlangen. Zwar hat erfreulicherweise der fraktionsübergreifende Druck aus Nordrhein-Westfalen heraus z.B. dazu geführt, dass bei der Bundesbildungsministerin eine Lockerung der Aufnahmebestimmungen für Weiterbildungskollegs erzielt werden konnte. Auch sind hier etwa entsprechende Angebote an Weiterbildungseinrichtungen zu nennen, deren unzureichende Ausstattung durch das Land aber unlängst ebenfalls von Seiten vieler Träger beklagt wurde. Es besteht dennoch die große Gefahr erheblicher langfristiger Integrationsdefizite bei jüngeren, der Schulpflicht entwachsenen Flüchtlingen in Arbeitsmarkt und Gesellschaft. Unlängst wurde z.B. laut Kölner Stadt-Anzeiger aus dem Katholikenausschuss der Stadt Köln vor einem „neuen Prekariat“ gewarnt. Nach Wahrnehmung unterschiedlichster Verbände, etwa von Unternehmerverbänden und Gewerkschaften, verweigert insbesondere Schulministerien Löhrmann sich seit vielen Monaten einer verbindlicheren, schulischen Ausgestaltung für nicht mehr schulpflichtige Flüchtlinge im Alter bis 25 Jahre. In einer Pressemitteilung erklärte die Ministerin sogar selber: „Neuzugewanderte, die über 18 Jahre alt sind, waren bisher von einigen Angeboten der Qualifizierung für den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ausgeschlossen.“ Nach langer Blockade hat die Schulministerin nun mit „Fit für mehr!“ am 29.11.2016 ein weiteres Programm für Berufskollegs angekündigt. Es soll maximal ein Schuljahr dauern, sich laut Informationen des Ministeriums an geflüchtete Jugendliche zwischen 16 und 25 Jahren richten, unabhängig von der Schulpflicht und der Bleibeperspektive, die bisher nicht in ein anderes Angebot übernommen werden konnten. Der Fokus liegt demnach insbesondere auf dem Spracherwerb. Die Möglichkeit eines Schulabschlusses besteht innerhalb dieser Maßnahme nicht, bei Folgemaßnahmen verweist das Ministerium explizit auf die Verbindung LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14097 2 mit Maßnahmen der Arbeitsagentur. Insbesondere handelt es sich jedoch um ein unverbindliches Angebot, so dass auch hier weiterhin die Gefahr besteht, dass junge Flüchtlinge „durch das Rost“ fallen und Fehler der Integrationspolitik der Vergangenheit sich erneut wiederholen. Darüber hinaus muss gerade auch der Schwerpunkt des Spracherwerbs hinterfragt werden. Auf FDP-Nachfrage hat die Schulministerin im zuständigen Fachausschuss explizit erklärt, dass die Alphabetisierung die Aufgabe der Berufskolleglehrkräfte sei (sein solle). Dies ist allerdings sehr kritisch zu bewerten, da eigentlich eine solche Alphabetisierung vorab erfolgen sollte, damit junge Menschen in der Folge in die fachlichen Angebote der beruflichen Schulen einsteigen können (wobei altersgemäß und räumlich eine Anbindung an die beruflichen Schulen durchaus als sachlogisch zu bewerten ist). Gerade aber die Frage der Alphabetisierung durch Lehrkräfte wird nach vorliegenden Informationen in den beruflichen Schulen sehr kritisch gesehen. Ebenso wurde eine mangelnde Rücksprache mit betroffenen Verbänden beklagt. Umso überraschender waren daher die Ausführungen der Ministerin sowie aus regierungstragenden Fraktionen im Ausschuss für Schule und Weiterbildung, wonach es angeblich von Seiten der Vertretungen der Berufskollegs ein Begrüßen und eine große Unterstützung für diese Ausgestaltung gäbe. Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 5468 mit Schreiben vom 26. Januar 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister und dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. 1. Wie bewertet die Schulministerin Warnungen vor dem Entstehen „eines neuen Prekariats“? Das Ministerium für Schule und Weiterbildung unterstützt nach Kräften die berufliche Integration auch der über 18-jährigen neu Zugewanderten. In den Berufskollegs gibt es für nicht mehr schulpflichtige neu Zugewanderte eine Vielzahl von Möglichkeiten, berufliche Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie eine berufliche Orientierung zu erwerben. Der Erwerb von verschiedenen schulischen Abschlüssen ist ebenfalls möglich. Nicht mehr schulpflichtige 18- bis 25-jährige neu Zugewanderte können in den teilzeitschulischen Bildungsgang der Ausbildungsvorbereitung aufgenommen werden, wenn sie an einer beruflichen Bildungsmaßnahme der Bundesagentur für Arbeit (BA) teilnehmen. Dies sind zum einen für Geflüchtete mit „guter“ Bleibeperspektive die berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen (BvB) und zum anderen für Geflüchtete mit „schlechterer“ Bleibeperspektive das Förderzentrum für Flüchtlinge (FfF). Sie können sich unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus für Bildungsgänge der Berufskollegs anmelden, wenn die entsprechenden Zugangsvoraussetzungen vorliegen. In die Fachklassen des dualen Systems werden Schülerinnen und Schüler aufgenommen, die sich in einem Berufsausbildungsverhältnis nach dem BBiG oder der HwO befinden oder die ein berechtigtes Interesse am Unterricht in einer Fachklasse besitzen. Das bedeutet, dass auch neu Zugewanderte, die älter als 18 Jahre sind, in die Fachklassen einmünden können. Denn wer vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres ein Berufsausbildungsverhältnis beginnt, ist gemäß SchulG § 38 (2) bis zu dessen Ende schulpflichtig. Wer nach Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres ein LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14097 3 Berufsausbildungsverhältnis beginnt, ist laut SchulG § 38 (5) berufsschulberechtigt, solange das Berufsausbildungsverhältnis besteht. Für die Aufnahme einer Berufsausbildung sind keine schulischen Eingangsvoraussetzungen festgelegt. Zur Sicherung des Ausbildungserfolgs können die Auszubildenden gezielt sprachlich, berufsbezogen oder sozial-integrativ gefördert werden. Dazu können sie von Stützangeboten und erweiterten Stützangeboten im Differenzierungsbereich in den Fachklassen des dualen Systems profitieren. Für neu Zugewanderte besteht nach einer dreimonatigen Wartezeit die Option, an einer Einstiegsqualifizierung (EQ) gemäß § 54a SGB III der BA teilzunehmen. Die EQ ist ein Instrument, das lernschwächeren Jugendlichen die Chance eröffnet, in einem Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten Teile eines Ausbildungsberufes oder eines Betriebes kennenzulernen. Der Betrieb kann eine sich eventuell anschließende berufliche Ausbildung aufgrund der vorangegangenen Einstiegsqualifizierung um bis zu 6 Monate verkürzen. Diese Zielgruppe nimmt auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres (gemäß § 6 APO-BK Anlage A) im Rahmen der Teilnahme an einer Einstiegsqualifizierung am Berufsschulunterricht der Fachklassen des dualen Systems teil, da ansonsten die Zielsetzung der Maßnahme (Einstieg möglichst mit Verkürzung der Ausbildungszeit) gefährdet würde. Mit der Assistierten Ausbildung (AsA) bietet die BA ein Instrument, förderungsfähige junge Menschen und deren Ausbildungsbetriebe während oder vor einer betrieblichen Berufsausbildung zu unterstützen. So soll die Kluft zwischen den Anforderungen der Betriebe und den Voraussetzungen der jungen Menschen überwunden werden. Schülerinnen und Schülern kann bei fehlenden betrieblichen Ausbildungsplätzen vollzeitschulische Ausbildung mit abschließender Kammerprüfung gemäß Berufskollegsanrechnungs- und zulassungs-verordnung (BKAZVO) angeboten werden. Ein regionaler Konsens ist für die Einrichtung eines solchen Angebotes jedoch unabdingbare Voraussetzung. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung erweitert ab Februar seine Angebotspalette für die neu Zugewanderten über 18 Jahre. Das Angebot „Fit für mehr!“ soll unabhängig von der Schulpflicht und der Bleibeperspektive für 16- bis 25-jährige neu Zugewanderte zugänglich sein. Sie können auch im laufenden Schuljahr in das Bildungsangebot eintreten und sich dort in der Regel ein Jahr lang sprachlich, mathematisch, kulturell und politisch-gesellschaftlich auf einen erfolgreicheren Einstieg in eine reale Ausbildung oder Erwerbstätigkeit vorbereiten. Dazu können sie im Rahmen des weiteren Schulbesuchs in Verbindung mit Maßnahmen der Arbeitsagentur auch einen Schulabschluss erwerben. Die Umsetzung dieses Bildungsangebotes soll ab 1. Februar 2017 in Berufskollegs begonnen werden. Gemeinsam mit der Einschulungsoption ab dem 01.02.2017 an Weiterbildungskollegs und der deutlich erleichterten Aufnahme junger Geflüchteter in Vorkursen und Bildungsgängen der Weiterbildungskollegs ist damit ein weiterer Schritt zur gelingenden Integration Geflüchteter unternommen worden. Zudem können nicht mehr schulpflichtige neu Zugewanderte unabhängig von ihrer Bleibeperspektive Angebote zum nachträglichen Erwerb schulischer Abschlüsse der Sekundarstufe I an Einrichtungen der gemeinwohlorientierten Weiterbildung wahrnehmen. Flankiert werden diese Maßnahmen durch zusätzliche Sprach- und Vorkurse. Für zusätzliche Angebote zur Deutschförderung und für Alphabetisierungskurse für neu zugewanderte Erwachsene und Jugendliche ab 16 Jahren stellte das Land in 2016 außerdem 3,2 Mio. Euro für Einrichtungen der Weiterbildung zur Verfügung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14097 4 2. Hat es von Kabinettsmitgliedern zur verbindlicheren Ausgestaltung des Schulbesuchs von nicht mehr schulpflichtigen jungen Flüchtlingen öffentlich von der Position der Schulministerin abweichende Äußerungen gegeben (wenn ja, bitte darlegen, von wem und welchen Inhalts)? Unterschiedliche Möglichkeiten und Positionen zur Ausweitung der Beschulung und zur Förderung des Schulbesuchs von nicht mehr schulpflichtigen Geflüchteten sind im vergangenen Jahr bei verschiedenen Gelegenheiten diskutiert worden. 3. Wann ist die Rücksprache der Landesregierung bzw. des Schulministeriums mit den Berufskollegverbänden zu dem Programm „Fit für mehr!“ erfolgt? Die fortlaufende Kommunikation zu Möglichkeiten der Qualifizierung auch nicht mehr schulpflichtiger neu Zugewanderter ist durch Gespräche mit den Lehrerverbänden ab 18.11.2016 konkretisiert worden. 4. Bleibt die Landesregierung bei der durch sie bzw. die regierungstragenden Fraktionen vorgetragenen Darstellung, wonach die Ausgestaltung des Programms von den betroffenen Verbänden vorbehaltlos begrüßt worden sei? Sofern an der Ausgestaltung des Programms von Seiten der betroffenen Verbände Kritik geäußert werden sollte, wird die Landesregierung diese prüfen und erforderlichenfalls nachsteuern. 5. Warum ist es aus Sicht der Landesregierung zielführend, dass die Alphabetisierung von Flüchtlingen durch Berufskolleglehrkräfte erfolgen soll? In allen Schulformen ist die Beschulung von Geflüchteten eine besondere Herausforderung. Das Berufskolleg leistet durch seine vielfältigen Angebote Beiträge. Diese werden nun durch das Bildungsangebot „Fit für mehr“ ergänzt, das die Vermittlung fundierter Grundkenntnisse im sprachlichen, mathematischen, kulturellen und politisch-gesellschaftlichen Bereich und damit die Vorbereitung auf das Arbeits- und Erwerbsleben zum Ziel hat. Es geht dabei um die Fortsetzung einer unterbrochenen Erstausbildung, nicht aber regelhaft um die Beschulung von Analphabeten, für die neben den Angeboten des BAMF und der RD Angebote der gemeinwohlorientierten Weiterbildung vorgesehen sind. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/14097