LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/14280 20.02.2017 Datum des Originals: 17.02.2017/Ausgegeben: 23.02.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5515 vom 17. Januar 2017 des Abgeordneten Josef Hovenjürgen CDU Drucksache 16/13992 Neufassung der Strommarktverordnung im Rahmen des Winterpakets der EU- Kommission: Bedeutung für die künftige Energieerzeugung in Nordrhein-Westfalen Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Das Energieland Nordrhein-Westfalen weist bundesweit die größte Anzahl an fossilen Energieerzeugungsanlagen auf. Derzeit tragen 77 konventionelle Kraftwerksblöcke zur Stromversorgung des Landes bei (Stand: 16.11.2016 Kraftwerksliste der Bundesnetzagentur). Davon sind 23 Braunkohleblöcke mit einer installierten Leistung von 10,02 GW, 27 Steinkohleblöcke mit einer installierten Leistung von 10,56 GW und 27 Gaskraftwerke mit einer Leistung von 5,64 GW. Die installierte Nettoleistung des konventionellen Kraftwerksparks beträgt 26,4 GW. In der Folge entfällt die größte Emissionsmenge der nordrhein-westfälischen Energieerzeugung auf die Braunkohleverstromung, die im Jahr 2014 rund 81,4 Mio. t CO2 verursachte. Der Energieträger Steinkohle folgt mit 45,3 Mio. t CO2, wohingegen Erdgas befeuerte Anlagen einen geringen Beitrag von 3,8 Mio. t CO2 eingeben. Der Anteil Nordrhein-Westfalens erreicht mit rund 130,5 Mio. t CO2 eine Größenordnung von über 40 Prozent der bundesweiten Emissionen (2014: 314,8 Mio. t CO2) aus der Stromerzeugung. Neben den konventionellen Energieträgern sind erneuerbare Energien auf Landesebene relevante Stromerzeugungstechnologien, insbesondere zur Erreichung der Klimaschutzziele der Landesregierung. Seit 2005 stieg die installierte Leistung der regenerativen Energieanlagen von 3,5 GW auf 8,4 GW im Jahr 2014 auf mehr als das Doppelte. Infolgedessen lieferten die erneuerbaren Energieanlagen einen Anteil von fast zehn Prozent (Dokumente abrufbar unter: https://ec.europa.eu/energy/en/news/commissionproposes -new-rules-consumer-centred-clean-energy-transition) an der landesweiten Stromversorgung. Die EU-Kommission hat am 30. November 2016 unter dem Titel „Saubere Energie für alle Europäer“ ein umfangreiches Winterpaket mit Gesetzesvorschlägen und Berichten vorgelegt. Das Paket wird weitreichende Konsequenzen für die Energie- und Klimapolitik Deutschlands und somit auf den Energie- und Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen haben. Eines der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14280 2 Kernelemente des Winterpakets ist die Neufassung der Strommarktverordnung sowie der Richtlinie aus dem dritten Energiebinnenmarktpaket. Der Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung zum Strombinnenmarkt führt neue Regeln und Prinzipien für den europäischen Strombinnenmarkt bzw. den Stromhandel ein und möchte diese an die zunehmend dezentrale und fluktuierende Stromerzeugung anpassen. Dabei schlägt die EU- Kommission (Kapitel 4 Art. 18-24) vor, dass die Mitgliedstaaten ihre nationalen Kapazitätsmechanismen mit den Nachbarländern und ACER abstimmen müssen. Diese Kapazitätsmechanismen dürfen nicht zu Marktverzerrungen oder Behinderungen des grenzüberschreitenden Handels führen. Insbesondere fordert die EU-Kommission, Umweltkriterien für Kraftwerke vorzusehen die hieran teilnehmen. Demnach sollen nur Kraftwerke mit einem Emissionswert von weniger als 550 Gramm CO2 pro KWh an Kapazitätsmechanismen teilnehmen dürfen. Alle weiteren Kraftwerke, die einen höheren Emissionswert aufweisen, sollen nach Inkrafttreten der Verordnung noch 5 Jahre an Kapazitätsmechanismen teilnehmen können, bevor diese von der Teilnahme ausgeschlossen werden. Faktisch würden auf Basis des NRW-Kraftwerksparks alle, auch die modernsten kohlebetriebenen Kraftwerke und damit knapp 80 Prozent aller konventionellen Erzeugungskapazitäten von zukünftigen Kapazitätsmärkten in Deutschland und dem benachbarten Ausland (insbesondere Belgien, Niederlande) ausgeschlossen. Der Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk hat die Kleine Anfrage 5515 mit Schreiben vom 17. Februar 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Am 30. November 2016 hat die EU-Kommission mit dem Winterpaket „Saubere Energie für alle Europäer – Wachstumspotenzial Europas erschließen“ Vorschläge für Rechtsvorschriften und Maßnahmen vorgelegt, die den europäischen Energierahmen weiterentwickeln und zu einem funktionierenden Energiebinnenmarkt zusammenführen sollen. Das Winterpaket umfasst vier Verordnungen und vier Richtlinien sowie weitere nicht-legislative Dokumente. Bei den hier angesprochenen Dokumenten handelt es sich um die Neufassungen der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie und die Elektrizitätsbinnenmarkt-Verordnung. 1. Wie bewertet die Landesregierung die Auswirkungen dieses Vorschlags der EU- Kommission im Hinblick auf die Versorgungssicherheit, Preiswürdigkeit sowie die Entwicklung der CO2-Bilanz in NRW? 2. Hält die Landesregierung die Festlegung des vorgeschlagenen Grenzwertes von weniger als 550 Gramm CO2 pro KWh für angemessen? 3. Mit welchen Konsequenzen für den Kraftwerkspark in NRW rechnet die Landesregierung, sofern diese Regelung vorgesehen wird? Fragen 1 bis 3 werden im Zusammenhang beantwortet. Der Emissionswert von weniger als 550 gr CO2/ kWh bezieht sich auf Kraftwerke, die an Kapazitätsmechanismen teilnehmen. Nicht betroffen sind Kraftwerke, die im Strommarkt agieren. Die Kapazitätsmechanismen für Kraftwerke, die in Deutschland in der Sicherheitsbereitschaft und der Netzreserve eingesetzt werden, wurden von der EU-Kommission in 2016 notifiziert und damit ihre Vereinbarkeit mit dem EU-Beihilferecht bestätigt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14280 3 Im Übrigen haben die Verhandlungen zum Winterpaket gerade erst begonnen. Veränderungen im Verhandlungsprozess sind nicht auszuschließen. Dies gilt auch für den Schwellenwert von weniger als 550 gr CO2/ kWh. Daher bleibt das Ergebnis des Verhandlungsprozesses abzuwarten , bevor belastbare Aussagen zur Versorgungssicherheit, Preiswürdigkeit und Entwicklung der CO2-Bilanz in NRW möglich sind. 4. Im Zuge der Festlegung gemeinsamer Regeln für die Strombinnenmarkt-Richtlinie fordert die EU-Kommission, dass durch diese Richtlinie ein marktbasierter, verbraucherzentrierter und flexibler Strommarkt sichergestellt wird. In diesem Zusammenhang fordert sie ein einheitliches europäisches Datenformat für Verbraucher- und Smart-Metering-Daten, nach den Kriterien der Neutralität, Diskriminierungsfreiheit, Transparenz und Schutz der Privatsphäre. Welchen Beitrag kann das Land NRW leisten, um die Digitalisierung in der Energiebranche zu beflügeln? Die Digitalisierung der Energiebranche hat eine Schlüsselfunktion für die erfolgreiche Gestaltung der Energiewende. Die Herausforderungen der Digitalisierung im Energiesektor sind nicht neu. Die Landesregierung hat dazu bereits unterschiedliche Projekte auf den Weg gebracht, zum Beispiel im Rahmen der NRW-Förderaktivitäten. Mit den EFRE-Klimaschutzwettbewerben fördert die Landesregierung besonders neuartige und umsetzungsorientierte Projekte im Energie- und Umweltbereich in Nordrhein-Westfalen. Der Wettbewerb adressiert Fragestellungen nach der technischen, rechtlichen und ökonomischen Integration beispielsweise von virtuellen Kraftwerken, ihren Komponenten und ihrer digitalen Verknüpfung mit intelligenten Netzen. Mit dem Projekt Designetz, das zum Demonstrationsprojekt „Schaufenster intelligente Energie (SINTEG) – Digitale Agenda für die Energiewende“ gehört, wird u.a. in Nordrhein-Westfalen durch den Zusammenschluss Virtueller Kraftwerke eine intelligente Energieversorgung der Zukunft vorangetrieben. Zudem wurde ein neues Netzwerk Energiewirtschaft – Smart Energy gegründet. Im Fokus des von der EnergieAgentur.NRW organisierten Netzwerkes steht die Verbesserung der Geschäftschancen nordrhein-westfälischer Unternehmen aus den Bereichen Energieerzeugung, -verteilung und -versorgung. Das Netzwerk Energiewirtschaft – Smart Energy bündelt die Kompetenzen der nordrhein-westfälischen Akteure am Energiemarkt, um die sich aus der zunehmenden Digitalisierung des Energiesystems ergebenden neuen Chancen zu erkennen und zu nutzen. Außerdem unterstützt das Wirtschaftsministerium die Forschungsgruppe Smart Energy.NRW (Virtuelles Institut). Diese soll als zentrale Forschungsplattform Unternehmen und Forschungsinstitutionen aus Energiewirtschaft, Wirtschaftswissenschaften, Ingenieurswissenschaften, Informatik und Sozialwissenschaften zusammenführen. Gemeinsam analysieren und diskutieren die Partner die ökonomischen und technischen Fragestellungen der Digitalisierung der Energiewirtschaft und von Smart Energy. Die wissenschaftlichen Forschungsfragen sollen durch praxisnahe und anwendungsorientierte Unternehmens- und Forschungskooperationen bearbeitet werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14280 4 5. Ferner wird der Verbraucher wesentlich stärker als bisher in den Mittelpunkt gerückt. Die EU-Kommission fordert daher, dass aktive Verbraucher eigenerzeugten Strom verbrauchen, speichern und in allen Marktsegmenten verkaufen kann. Ebenfalls wird dem Verbraucher ein Recht auf die Installation von Smart Metern eingeräumt und ein Verbot von Gebühren beim Lieferantenwechsel vorgesehen. Welche weiteren Maßnahmen wären aus Sicht der Landesregierung erforderlich, den Verbraucher zu aktivieren? Die Landesregierung begrüßt, dass durch die Digitalisierung die Flexibilisierung des Gesamtsystems und die Partizipationschancen der Bürgerinnen und Bürger an der Energiewende vorangetrieben werden. Sie setzt sich deshalb bei Gesetzesvorhaben für den Abbau regulatorischer Hemmnisse und die Entwicklung geeigneter Rahmenbedingungen für Industrie und Haushalte ein. So hat die Landesregierung Nordrhein-Westfahlen mit einem Entschließungsantrag vom 6. Dezember 2016 im Bundesrat die Bundesregierung dazu aufgefordert, sich stärker für die Forschung, Entwicklung und Markteinführung von elektrischen Energiespeichern einzusetzen und auf Bundesebene eine Speicherstrategie zu entwickeln. Das umfasst auch Hausspeicher, die dadurch weiterentwickelt und deren Einsatz ausgebaut werden sollen. Damit sollen die Verbraucher verstärkt die Möglichkeit erhalten, aktiv den Transformationsprozess der Energiewende mitzugestalten. Gleichzeitig wird durch die intensive Einbindung der Verbraucher die Akzeptanz zum notwendigen Veränderungsprozess gesteigert. Aus Sicht der Landesregierung sind neue Regelungen für sog. Prosumer notwendig, damit Verbraucherinnen und Verbraucher gleichberechtigt als Prosumer an den Energiemärkten teilnehmen können, ohne dabei ihre Rechte als Verbraucher zu verlieren. Deshalb setzt sich die Landesregierung für partizipative Ansätze, wie z.B. Mieterstrom- und Genossenschaftsmodelle ein. Mieterstrommodelle werden für Mieterinnen und Mieter erst dann wirtschaftlich, wenn der Eigenverbrauch von Mieterinnen und Mietern mit dem Eigenverbrauch von Hauseigentümern gleich gestellt wird. In Nordrhein-Westfalen existieren zahlreiche Energiegenossenschaften, die die Investitionen und das Know-how der engagierten Bürgerinnen und Bürger bündeln und viele Projekte damit erst ermöglicht haben. Dieses bürgerschaftliche Engagement gilt es bei der weiteren Umsetzung der Energiewende zu nutzen.