LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1429 14.11.2012 Datum des Originals: 12.11.2012/Ausgegeben: 19.11.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 593 vom 25. Oktober 2012 des Abgeordneten Wilfried Grunendahl CDU Drucksache 16/1236 Offene Ganztagsbetreuung als Zumutung für Eltern und Kinder Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 593 mit Schreiben vom 12. November 2012 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Präsenzpflicht in der offenen Ganztagsschule und der entsprechende Erlass des Schulministeriums erweisen sich in der Praxis als realitätsfern. Die Vorgabe, den offenen Ganztag für die komplette Woche bis mindestens 15 Uhr zu buchen, lässt sich mit dem Leben und beruflichen Alltag vieler Familien nicht vereinbaren. Der Erlass ist eine Bevormundung von Eltern und Kommunen: Eltern wird das Recht genommen, selbst zu entscheiden, wann ihre Kinder am Familienleben teilnehmen und Hobbys nachgehen; Kommunen haben Angst vor Kontrollen und Rückzahlung der öffentlichen Förderung, sollten Kinder die Fünf-TagePräsenz nicht erfüllen. Viele Träger des offenen Ganztags stehen vor dem Problem, künftig an fünf Tagen in der Woche mehr Kinder im Ganztag bis mindestens 15 Uhr betreuen zu müssen – ohne eine zusätzliche Mitarbeiterstunde mehr. Für die Kinder heißt das: große Gruppen mit wenig Personal , ein individuelles Eingehen auf Problemfälle ist kaum möglich. Darüber hinaus berichten Eltern von mangelnder und chaotischer Infrastruktur für den offenen Ganztag – beispielsweise sind Gemeinschaftsräume am Nachmittag doppelt belegt oder stehen nicht zur Verfügung. Oft findet die Betreuung nicht im Schulgebäude, sondern in anderen , deutlich schlechter ausgestatteten Räumlichkeiten statt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1429 2 Vorbemerkung der Landesregierung Bei der offenen Ganztagsschule im Primarbereich (OGS) handelt es sich um ein auch von der öffentlichen Hand finanziertes Bildungsangebot. Grundlage ist der Erlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 23.12.2010. 1. Wie will die Landesregierung die Qualität des offenen Ganztags sicherstellen, wenn es kein zusätzliches Personal und keine angemessene Infrastruktur gibt? Die Landesregierung bezuschusst die außerunterrichtlichen Angebote in der offenen Ganztagsschule mit zusätzlichen Lehrerstellen und Mitteln für die Mitwirkung außerschulischen Personals. Der Schulträger stellt die erforderliche Infrastruktur bereit. Die Landesregierung begleitet den Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen in NordrheinWestfalen bereits im zehnten Jahr wissenschaftlich, seit dem Jahr 2010 in Form einer Bildungsberichterstattung Ganztagsschule, die alle Schulstufen und Schulformen umfasst. Darüber hinaus beteiligt sich das Land an der bundesweiten „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen “ (StEG). Die genannten Untersuchungen belegen die hohe Qualität der Ganztagsangebote in Nordrhein-Westfalen. Sie belegen darüber hinaus, dass Bildungsförderung am besten gelingt, wenn Schülerinnen und Schüler regelmäßig am Ganztag teilnehmen. Die Stabilität der Gruppe ist für das gemeinsame Aufwachsen der Kinder und den Schulerfolg von hoher Bedeutung. Sie kann die Entwicklung neuer Kinderfreundschaften und die gemeinsame Pflege neu entdeckter Interessen in Sinne des sozialen Lernens entfalten. Konkreten Hinweisen auf örtliche Problemlagen geht die Landesregierung über die zuständige Schulaufsicht nach. 2. Warum bezeichnet die Landesregierung den offenen Ganztag als „Freiwilliges Angebot“, wenn tatsächlich Familien in ihrer Wahlfreiheit und in ihrem Erziehungsrecht beschnitten werden? Mit dem Erlass vom 23.12.2010 ist die notwendige Flexibilität in der OGS gegeben. Die Anmeldung zur Teilnahme an den außerunterrichtlichen Angeboten der offenen Ganztagsschule im Primarbereich ist freiwillig. Der Erlass vom 23.12.2010 führt darüber hinaus aus: „Die Anmeldung bindet jedoch für die Dauer eines Schuljahres und verpflichtet in der Regel zur regelmäßigen und täglichen Teilnahme an diesen Angeboten.“ Die Teilnahme an der OGS ist „in der Regel“ an allen fünf Unterrichtstagen in der Zeit von 8 Uhr bis mindestens 15 Uhr erforderlich. Über Ausnahmen wird vor Ort entschieden. Zur Erfüllung der Vorgaben des Erlasses vom 23.12.2010 ist es lediglich erforderlich, dass Regel und Ausnahme deutlich voneinander unterscheidbar sind. Das Land erlässt keine Vorgaben, welche Ausnahmen zulässig sind, weil es weder sinnvoll noch möglich ist, einen landesweiten Katalog von Ausnahmen zu erstellen, der alle denkbaren Optionen erfasst. Plätze für Kinder, die die OGS regelmäßig vor 15 Uhr (z.B. um 13.00 Uhr oder 14:00 Uhr) verlassen, können vom Land nicht als OGS-Plätze bezuschusst werden. Für diese Kinder stellt das Land als Alternative zur OGS den Schulträgern eine zusätzliche Betreuungspauschale zur Verfügung. Über die Betreuungspauschale können u.a. Angebote für Kinder durchgeführt werden, die nur an einzelnen Tagen oder nur über die Mittagszeit eine Betreuung brauchen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1429 3 Über die Verwendung der Betreuungspauschale entscheiden die Schulträger. Einen individuellen Rechtsanspruch auf Einrichtung eines bestimmten Betreuungsangebots gibt es nicht. Ein Eingriff in die Wahlfreiheit und das Erziehungsrecht der Eltern ist somit nicht gegeben. 3. Warum wird Eltern im Falle des Verstoßes gegen den Erlass und die Präsenz- pflicht mit Kündigung der Ganztagsbetreuung gedroht? Die Zuständigkeit für die Kündigung von Ganztagsplätzen liegt ebenso wie die Zuständigkeit für die Vergabe bei den Kommunen. Die Kommunen können vorsehen, dass eine unregelmäßige Teilnahme zur Kündigung führt, beispielsweise um die Plätze für Kinder zu nutzen, deren Eltern auf eine regelmäßige Teilnahme angewiesen sind. 4. Wie bewertet die Landesregierung den Vorwurf, dass sie die Kinder scheinbar besser in der Ganztagsbetreuung aufgehoben sieht als bei den eigenen Eltern? Da es keine Pflicht zur Anmeldung von Kindern in einem Ganztagsangebot gibt, ist der Vorwurf gegenstandslos.