LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/14340 01.03.2017 Datum des Originals: 28.02.2017/Ausgegeben: 06.03.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5548 vom 30. Januar 2017 der Abgeordneten Ralf Witzel und Holger Ellerbrock FDP Drucksache 16/14123 Ausgerechnet Ökoauflagen bremsen grünes Symbolprojekt bei Essener Radautobahn – Gelten bei der Verwirklichung des Radschnellweges angedachte Flexibilisierungen geltenden Rechts allgemein für die Realisierung von Investitionsvorhaben im Land? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In diesen Tagen schlagen die politischen Wogen um den Bau des Radschnellweges Ruhr (RS 1), der für insgesamt rund 200 Millionen Euro entstehen soll, in Essen hoch, und eine hitzige Debatte um den Weiterbau ist entbrannt: Umweltgesetze verhindern den zügigen Baufortschritt der Radautobahn entlang eines Industriegeländes im Ostviertel. Nötig ist eine aufwändige neue Umweltverträglichkeitsprüfung. Nachdem das erste Teilstück zwischen Mülheim und der Essener Innenstadt bereits genutzt werden kann, droht bei der Fortsetzung für längere Zeit ein Baustopp. Dass nun bei der neuen Radautobahn ausgerechnet dem Lieblingsprojekt zahlreicher Grüner und ihrer Anhänger in Essen durch eine überzogene Umweltbürokratie eine Verzögerung droht, entbehrt nicht einer gewissen Situationskomik. Verschärfte gesetzliche Bestimmungen erfordern eine umfangreiche Umweltverträglichkeitsprüfung für die neue Trassenführung auf Essener Gebiet auch deshalb, weil SPD und Grüne im Landtag Radautobahnen soeben den rechtlichen Statuten von Landesstraßen angepasst haben und der RS 1 dem Planungsrecht für Landesstraßen unterliegt. Statt sich – wie es von allen Investoren von Infrastrukturprojekten gemeinhin in diesem Land erwartet wird – an Recht und Gesetz zu halten, und die eigene Politik und Gesetzgebung auch bei gewünschten Symbolprojekten zu akzeptieren, prüfen politische Vertreter von SPD und Grünen dem Vernehmen nach aktuell, wie sie die bestehenden Vorschriften möglichst umgehen können. Unterschiedliche Medien haben dies in den letzten Tagen berichtet. „Ob eine Prüfung wirklich nötig sei, müssten die NRW-Ministerien Verkehr und Umwelt erst mal entscheiden: Womöglich haben wir es mit einer Grauzone zu tun. Eine endgültige Interpretation der Bundesgesetze stehe aus.“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14340 2 Dies hat nach Information der WAZ vom 30. Januar 2017 der grüne Essener Bauausschussvorsitzende im Rat an diesem Wochenende mitgeteilt, nachdem er in dieser Angelegenheit mit der ebenfalls grünen Regierungspräsidentin sprechen konnte. Auch Bauminister Michael Groschek (SPD) hat bereits erklärt, sich für eine „schnelle Lösung“ in Essen einsetzen zu wollen , ohne bislang darzulegen, wie diese rechtsstaatskonform im Detail aussehen soll. Eine Interpretation der rechtlichen Anforderungen an Umweltverträglichkeitsprüfungen beim Landesstraßenbau im Umfeld von Chemiebetrieben jetzt einseitig nur für das Symbolprojekt Radautobahn vorzunehmen, in zukünftigen vergleichbaren Fällen aber anders zu verfahren, stellt eindeutig kein rechtskonformes Vorgehen dar. Eine Lex Radautobahn zur einmaligen Begünstigung ideologisch präferierter Vorhaben darf es nicht geben. Es stellt sich daher die Frage, ob die Landesregierung beabsichtigt, zukünftig blockierende Umweltschutzauflagen grundsätzlich viel investitionsfreundlicher für alle Beteiligten und Sachverhalte auszulegen. In stadtplanerischer Hinsicht kommt durch die angeblich beabsichtigte Vorgehensweise des Landes eine weitere gravierende Problematik auf die Stadt Essen zu. Für die städtebauliche Entwicklung der Essener Nordstadt ist die barrierefreie Anbindung des dortigen Eltingviertels an die Innenstadt von großer Bedeutung. Investoren haben angekündigt, in den kommenden Jahren eine beachtliche Quartiersaufwertung vornehmen zu wollen. Neben der Stadt und einem großem Wohnungsbauunternehmen engagiert sich auch die Innovation City Ruhr für diese Quartiersentwicklung in der Nähe zum universitären Campus. Dafür vorgesehen und vom Bauausschuss der Stadt Essen bereits beschlossen ist, dass nun der alte funktionslose Bahndamm der früheren Rheinischen Bahn vollständig abgetragen wird, da dieser der neuen städtebaulichen Entwicklung im Wege steht und die Investitionen in die Quartiersentwicklung ausbremst. Wenn sich ausgerechnet noch der für Stadterneuerung zuständige Bauminister Groschek nun für eine Trassenführung der Radautobahn einsetzen sollte, die die Essener Innenstadtbelebung blockiert, wäre dies besonders begründungsbedürftig. Die Grünen auf allen Ebenen ordnen ihrer Trophäe Radautobahn derzeit alle anderen stadtplanerischen und ökologischen Zielsetzungen unter, der SPD-Bauminister sollte aber zu einer differenzierteren Beurteilung und Verhältnismäßigkeitsabwägung in der Lage sein. Der planungspolitische Sprecher der SPD-Ratsfraktion hat die Sachzusammenhänge längst bestens verstanden und vertritt die Essener Interessenlage auch in der Öffentlichkeit offensiv gegenüber der Lobby der Radautobahnbefürworter. Der SPD-Ratsherr könnte in dieser Frage als wertvoller und ortskundiger Ratgeber für die Landesregierung fungieren. Aufgrund der großen Bedeutung der planerischen Entscheidungen für die Stadtentwicklung im Ruhrgebiet sollte der Bauminister gegenüber Parlament und Öffentlichkeit umfassend und zeitnah Position beziehen. Der Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr hat die Kleine Anfrage 5548 mit Schreiben vom 28. Februar 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14340 3 1. Wie legt die Landesregierung die geltende Rechtslage der Umweltverträglichkeitsprüfung im Einzelnen für das Vorhaben der Verlängerung des Radschnellweges RS 1 in Essen aus? (Fachlich begründete ausführliche Darstellung erbeten.) 2. Wie stellt die Landesregierung nun konkret sicher, dass die von der Landesregierung angekündigten planungsrechtlichen Erleichterungen und flexiblen Rechtsinterpretationen zukünftig auch analog für alle anderen Investitions- und Infrastrukturvorhaben im Land in vergleichbarer Weise gelten? Die Fragen 1 und 2 werden zusammen beantwortet. Grundsätzlich wird bei Straßen- und Radwegplanungen geprüft, ob gemäß § 74 Absatz 7 Verwaltungsverfahrensgesetz NRW ein Fall unwesentlicher Bedeutung vorliegt. Diese Prüfung hat der Landesbetrieb Straßenbau auch für den RS1 im Abschnitt Essen durchgeführt. Mit den betroffenen Bezirksregierungen wurde Einvernehmen erzielt, dass kein Planfeststellungsverfahren erforderlich ist. Diese Prüfung geschieht auch bei allen anderen Straßenbaumaßnahmen. Je nach Ergebnis kann auf die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens verzichtet werden. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus erstmalig geprüft, ob eine Radschnellverbindung wegen eines angrenzenden Störfallbetriebs als „benachbartes Schutzobjekt" im Sinne des § 3 Abs. 5d) Bundesimmissionsschutzgesetzes zu qualifizieren ist. Nach den FAQs der EU-Kommission von März 2016 werden Straßen mit weniger als 10.000 Fahrzeugen/Tag nicht als benachbarte Schutzobjekte angesehen. Somit ist für die Radschnellverbindung keine Umweltverträglichkeitsprüfung und damit auch kein Planfeststellungsverfahren erforderlich. 3. Nimmt der Bauminister, der sich ansonsten vielfältig für Quartiersentwicklungen einsetzt, für einen zügigen Weiterbau des RS 1 auf der alten Trasse der Rheinischen Bahn den Fortbestand des Bahndamms und damit die Blockade der für die Essener Nordstadt so wichtigen Quartiersentwicklung und Stadterneuerung in Kauf? Die Umsetzung beider Vorhaben liegt sowohl im Interesse der Stadt Essen als auch des Landes . Es laufen bereits seit längerem Abstimmungsgespräche bzgl. der städtebaulichen Entwicklungsplanung des Eltingviertels im Essener Norden und zur Planung des RS 1. Hier ist besonders der städtebauliche Vorteil, den die Anbindung an eine Radschnellverbindung für den Ortsteil bietet, zu beachten. 4. Welche rechtliche und faktische Bedeutung für den RS 1-Weiterbau hat der Umstand , dass dieser planungsrechtlich als Landesstraße und nicht bloß als einfacher Radweg eingestuft worden ist? Durch die Gleichstellung von Landesstraßen und Radschnellverbindungen des Landes gelten für den RS 1 (wie für alle Radschnellverbindungen des Landes NRW) die gesetzlichen Vorgaben gem. StrWG NRW. Das Land Nordrhein-Westfalen übernimmt somit die Baulastträgerschaft . Damit besteht eine Chance auf schnellere Realisierung der Projekte als bei Planung, Bau und Unterhaltung durch Städte und Gemeinden. Ein wesentlicher Vorteil ist, dass die Umsetzung durch den Landesbetrieb Straßenbau NRW koordinierend begleitet oder selbst durchgeführt wird. So erfolgt die Planung aus einer Hand nach einheitlichen Standards und von vornherein auch städte- und kreisübergreifend. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14340 4 5. Wie stellt sich aus Sicht der Landesregierung die weitere Fertigstellung des RS 1 mit seinen einzelnen noch ausstehenden Abschnitten auf der Zeitschiene konkret dar? Für die planerische Bearbeitung des RS 1 wurde der Streckenverlauf in verschiedene Projektabschnitte geteilt. Hierdurch wird eine zeitgleiche Bearbeitung des Radschnellweges durch den Landesbetrieb Straßenbau NRW (Abschnitte Essen, Gelsenkirchen, Kreis Unna, Mülheim a. d. Ruhr) und die Städte Duisburg, Bochum, Dortmund und Hamm auf ihrem jeweiligen Stadtgebiet ermöglicht. Der Landesbetrieb betreibt zurzeit noch die Abstimmungen für die entsprechenden Vereinbarungen mit den Kommunen.