LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/14344 01.03.2017 Datum des Originals: 01.03.2017/Ausgegeben: 06.03.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5533 vom 25. Januar 2017 des Abgeordneten Klaus Kaiser CDU Drucksache 16/14100 Inklusion braucht Qualität – Vernachlässigt die Landesregierung die Ausbildung der Sonderpädagogen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Anforderungen an Sonderpädagoginnen und -pädagogen haben sich in den vergangenen 20 Jahren, auch unabhängig von Inklusion, deutlich gewandelt: Medizinischer Fortschritt, Pränataldiagnostik und sich wandelnde Sozialstrukturen haben veränderte und neue Behinderungsbilder zur Folge, multiple Beeinträchtigungen sind die Regel. An Förderschulen arbeiten weniger festangestellte Therapeuten und mehr Hilfspersonal. Viele Regelschulen arbeiten noch integrativ statt inklusiv, Sonderpädagogen fühlen sich auf sich allein gestellt. Sie sind für die Beschaffung von Material verantwortlich, finden selten die notwendige räumliche Infrastruktur vor und müssen sich einer vorgegebenen Unterrichtsstruktur anpassen. Für die von ihnen erwartete Schulentwicklung, hin zu einer inklusiv arbeitenden Schule, fehlen ihnen die Erfahrung und die Stellung im Kollegium. Das Fachwissen von Therapeuten und Heilpädagogen ist an Förder- wie an Regelschulen kaum mehr präsent. In Ihrem Beschluss zur Lehrerbildung1 vom Oktober 2008 beschreibt die Kultusministerkonferenz die notwendigen inhaltlichen Anforderungen an eine adäquate Lehrerausbildung. Nach Aussage der Landesregierung bilden sie aktuell auch in NRW die Grundlage für die Ausbildung von Sonderpädagogen, an Hochschulen ebenso wie in der Weiterbildung, die berufsbegleitend an den Zentren für Lehrerbildung angeboten wird. Die Rückmeldungen, sowohl der Schulen als auch der Absolventen selbst, zeigen, dass sie offenbar nicht ausreichend auf die neuen Anforderungen vorbereitet worden sind und sich insbesondere in der Praxis nicht kompetent angeleitet fühlen. Fraglich ist, welches Wissen und 1 https://www.schulministerium.nrw.de/docs/Recht/LAusbildung/KMK-Beschluesse/index.html : Ländergemeinsame inhaltliche Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.10.2008 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14344 2 welche Kompetenzen in einem Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung vermittelt werden können, dass keine universitäre und damit wissenschaftliche Anbindung hat und im Auftrag einer Landesregierung ausbildet, die sich bis heute weigert, Standards für einen guten, inklusiven Unterricht vorzugeben. Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 5533 mit Schreiben vom 1. März 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung beantwortet. 1. Welche Qualifikationen werden von den Ausbildern am Zentrum für Lehrerbildung verlangt, die die berufsbegleitende Ausbildung für das Lehramt Sonderpädagogik durchführen? 2. Wieviel Praxiserfahrung im inklusiven Unterricht müssen sie vorweisen können? Die Fragen 1 und 2 werden zusammen beantwortet. Es wird davon ausgegangen, dass die Frage 1 auf die „Zentren für die schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL)“ und das „Lehramt für sonderpädagogische Förderung“ zielt. Nach § 1 des Gesetzes über die Ausbildung für Lehrämter an öffentlichen Schulen (Lehrerausbildungsgesetz - LABG) in der Fassung vom 26. April 2016 gewährleisten das Land und die Hochschulen eine Lehrerausbildung, die an den pädagogischen Herausforderungen der Zukunft und an den Kindern und Jugendlichen ausgerichtet ist und die Bedürfnisse der Schulen berücksichtigt. Seminarausbilderinnen und Seminarausbilder für das Lehramt für sonderpädagogische Förderung an den ZfsL bilden Lehrkräfte in Ausbildung mit Blick auf die Anforderungen im zukünftigen Berufsfeld ebenso aus wie die Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter, die den grundständigen Vorbereitungsdienst durchlaufen. Alle Ausbilderinnen und Ausbilder verfügen über eine entsprechende Lehramtsbefähigung und Unterrichtspraxis in ihren Fächern bzw. Fachrichtungen (deren Umfang nicht generell vorgegeben werden kann). Im Rahmen der spezifischen berufsbegleitenden Ausbildung für das Lehramt für sonderpädagogische Förderung (VOBASOF; Lehrkräfte in Ausbildung) hat eine umfassende Beteiligung der Seminarausbilderinnen und Seminarausbilder stattgefunden, in der die besonderen Anforderungen der Inklusion reflektiert und curricular aufgenommen worden sind. In diese curriculare Arbeit sind sowohl die im Jahr 2014 überarbeiteten Fachstandards der KMK für Sonderpädagogik als auch besondere Qualifizierungen der beteiligten Ausbilderinnen und Ausbilder durch universitäre Expertise eingeflossen. Durch die Ausbildung im Team im ZfsL ist gewährleistet, dass den angehenden Lehrkräften für sonderpädagogische Förderung ein breites Spektrum lehramtsspezifischer Expertise zur Verfügung steht. Die Ausbildung von Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärtern für das Lehramt für sonderpädagogische Förderung im Vorbereitungsdienst und für Lehrkräfte in Ausbildung findet an allen Orten sonderpädagogischer Förderung und somit auch im Gemeinsamen Lernen statt. Die Qualität der Ausbildung der zukünftigen Lehrkräfte für sonderpädagogische Förderung richtet sich - unabhängig vom Ort der Ausbildung – nach den curricularen Vorgaben, welche LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14344 3 in der Ordnung des Vorbereitungsdienstes und der Staatsprüfung für Lehrämter an Schulen (Ordnung des Vorbereitungsdienstes und der Staatsprüfung – OVP) in der Fassung vom 25.04.2016 und im auf dieser Grundlage 2016 neu gefassten Kerncurriculum für den Vorbereitungsdienst festgelegt sind. Das neue Kerncurriculum enthält ein eigenes, als Leitlinie fungierendes Handlungsfeld „Vielfalt als Herausforderung annehmen und als Chance nutzen“. Die Ausbildung nach VOBASOF erfolgt auf der Basis des Rahmenkonzepts. 3. In wieweit sind die spezifischen Bedürfnisse von Kindern mit Hirnschädigungen bzw. in ihren Herkunftsfamilien traumatisierten Heim- oder Pflegekindern Teil der Ausbildung? (Antwort bitte aufgeschlüsselt nach ZfL bzw. Hochschule) Studierende für das Lehramt sonderpädagogische Förderung erwerben bereits im Studium sonderpädagogische Expertise in zwei Förderschwerpunkten und zwei Unterrichtsfächern. Welche Belegungen die Studierenden mit Blick auf einen späteren Einsatz als Lehrkraft für sonderpädagogische Förderung vornehmen, ist eine individuelle Entscheidung, auf die die Landesregierung keinen Einfluss hat. In Abhängigkeit zu den gewählten Studienschwerpunkten der jeweiligen sonderpädagogischen Fachrichtungen stehen Unterstützungsbedarfe spezifischer Art – z.B. mit Blick auf Hirnschädigungen – in unterschiedlicher Ausprägung im Fokus der universitären Ausbildung. Innerhalb der 2. Phase der Lehrerausbildung werden an den ZfsL der Kompetenzaufbau in allen beruflichen Handlungsfeldern, die Fachdidaktik und die jeweilige Expertise in einer der studierten sonderpädagogischen Fachrichtungen vertieft. Die Struktur der Ausbildung im Vorbereitungsdienst (über Fach- und Kernseminare) sowie eine konsequente Orientierung an typischen Handlungssituationen des angestrebten Berufes gewährleisten, dass angehende Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter sich mit vielfältigen Anforderungen der späteren schulischen Realität befassen. Dies gilt nicht nur für die Bedürfnisse einer besonderen Gruppe von Schülerinnen und Schülern, z.B. derer mit Hirnschädigungen bzw. in ihren Herkunftsfamilien traumatisierten Heim- oder Pflegekindern, sondern auch für die Bedürfnisse von Schülerinnen oder Schülern anderer Förderschwerpunkte – z.B. mit Sprachbehinderungen oder Sinnes-schädigungen. Dies bedeutet für die schulpraktische Ausbildung, eigene Kompetenzen zu erweitern und die Vermittlung der Kompetenz zum zukünftigen Kompetenzerwerb zu erlernen, die Kooperation in multiprofessionellen Teams sowie interdisziplinäre Beratung als professionelle Instrumente beruflichen Handelns exemplarisch zu erleben. Die Seminarausbildung sichert dies über die breit gefächerte Expertise der Ausbilderinnen und Ausbilder und eine Seminardidaktik, die die individuellen Kompetenzen erwachsener Lernender einbindet, nutzt und stärkt. Hiermit wird eine bestmögliche Vorbereitung auf die berufliche Tätigkeit an allen Orten sonderpädagogischer Förderung grundgelegt. 4. Welche Vorgaben hat die Landesregierung bei der Einrichtung der neuen Studienplätze für Sonderpädagogik, im Rahmen ihrer Einwirkungsmöglichkeiten, mit den Hochschulen Paderborn, Siegen und Wuppertal ausgehandelt, um die Umsetzung des KMK-Beschlusses zur Lehrerbildung zu gewährleisten? Die Ausgestaltung von Lehramtsstudiengängen an Hochschulen in NRW richtet sich nach den Vorgaben des Lehrerausbildungsgesetzes und der Lehramtszugangsverordnung sowie den LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14344 4 Anforderungen der „Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung“ (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.10.2008 in der jeweils gültigen Fassung) und der „Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Bildungswissenschaften (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.10.2008 i. d. F. vom 06.10.2016 ), die seit 2014 sukzessive unter dem Gesichtspunkt eines inklusiven Schulsystems überarbeitet worden sind. Die Erfüllung dieser Anforderungen wird im Rahmen der (Re-) Akkreditierung der betreffenden Studiengänge, an der das Ministerium für Schule und Weiterbildung institutionell beteiligt ist, regelmäßig überprüft. Dies gilt auch für die Studiengänge für das Lehramt für sonderpädagogische Förderung und somit auch für die zusätzlichen Studienplätze, die mit Unterstützung des Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und Forschung (MIWF) im Rahmen des „Programms zum Auf- /Ausbau der Studienkapazitäten für das Lehramt für sonderpädagogische Förderung 2013- 2018“ an den Universitäten Bielefeld, Köln, Paderborn, Siegen und Wuppertal eingerichtet worden sind. 5. Welche inhaltlichen Veränderungen an den Prüfungsordnungen für das Lehramt Sonderpädagogik hat es, abgesehen von den notwendigen Anpassungen im Rahmen des Bologna-Prozesses, gegeben, um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden? Das Land hat den veränderten Anforderungen an künftige Lehrkräfte durch die vom Landtag am 20.04.2016 beschlossene Änderung des Lehrerausbildungsgesetzes (LABG) sowie die Novellierung weiterer ausbildungsrechtlicher Vorschriften bereits Rechnung getragen. Nach der Grundsatzbestimmung des § 2 LABG sollen alle künftigen Lehrkräfte durch den Erwerb von inklusionsbezogenen Kompetenzen und sonderpädagogischen Basiskompetenzen befähigt werden, noch besser und professioneller mit Vielfalt umzugehen – vor allem mit Blick auf den Inklusionsprozess an den Schulen und die steigende Bedeutung der Arbeit von Lehrkräften in multiprofessionellen Teams. Diese Kompetenzerwartungen werden für das Lehramtsstudium im Bereich der Bildungswissenschaften und Fachdidaktiken durch die Vorgaben des § 1 Abs. 2 und der §§ 2 bis 6 der neuen Lehramtszugangsverordnung weiter konkretisiert. Ebenso durch die überarbeiteten Anforderungen auf KMK-Ebene (vgl. o. zu Frage 4), die nach § 11 Absatz 1 des Lehrerausbildungsgesetzes ihn ihrer jeweiligen Fassung in Nordrhein-Westfalen unmittelbar geltendes Recht und Grundlage der Akkreditierungsprozesse sind. Die Umsetzung der auf das Lehramtsstudium bezogenen Anforderungen in Prüfungsordnungen der Hochschulen erfolgt durch die Hochschulen und ist im Rahmen der (Re-)Akkreditierung der Studiengänge darzulegen (siehe oben zu Frage 4). Erste Reakkreditierungen sonderpädagogischer Studiengänge auf der Grundlage der geänderten Anforderungen stehen im Laufe dieses Jahres an. Die Umsetzung der Anforderungen in Bezug auf den Vorbereitungsdienst ist im Jahr 2016 durch die Überarbeitung der Ordnung des Vorbereitungsdienstes (OVP; als Prüfungsordnung für die Staatsprüfung mit Kompetenzen und Standards nach Anlage 1 der OVP) und des Kerncurriculums für den Vorbereitungsdienst erfolgt.