LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1459 20.11.2012 Datum des Originals: 19.11.2012/Ausgegeben: 23.11.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 468 vom 19. September 2012 des Abgeordneten Dirk Schatz PIRATEN Drucksache 16/931 Migration aus den neuen EU-Mitgliedstaaten und die Frage nach der Notwendigkeit eines zielgerichteten Ansatzes zur besseren Einbeziehung von ausländischen Roma in NRW Der Minister für Arbeit, Integration und Soziales hat die Kleine Anfrage 468 mit Schreiben vom 19. November 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr, der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend , Kultur und Sport, der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter, dem Minister für Inneres und Kommunales, der Ministerin für Schule und Weiterbildung und der Ministerpräsidentin beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Situation von Angehörigen der ethnischen Minderheit der Roma gehört zu einer von Europas großen sozialen Herausforderungen und drängenden Menschenrechtsfragen. In den Schlussfolgerungen des Rates der europäischen Union zum EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020 vom 24.05.2011 (10658/11) betonte dieser, dass trotz vieler Bemühungen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene zur Einbeziehung der Roma weiterhin gravierende Missstände bestehen. Die Bundesregierung hat ihre Unterstützung zu den Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Roma in Europa (Mitteilung der Kommission vom 5. April 2011, KOM 2011/173) zugesprochen (Bericht der Bundesrepublik Deutschland an die Europäische Kommission - EURahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020 - Integrierte Maßnahmenpakete zur Integration und Teilhabe der Sinti und Roma in Deutschland, Dezember 2011). Es kann jedoch nur Aufgabe der einzelnen Länder sein, die geplanten Maßnahmen für Roma zu initiieren und zu steuern. Die Zuwanderung stellt jedenfalls eine Herausforderung dar, die sich auch den nordrheinwestfälischen Städten und Institutionen stellt. Als freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1459 2 kommen insbesondere Roma aus den neueren EU-Mitgliedstaaten nach NRW. Der vermehrte Zuzug führt nach aktuellen Nachrichten immer mehr zu Konflikten in den betroffenen Städten . In Duisburg leben mehr als 5000 Migranten aus Bulgarien und Rumänien, wobei monatlich ca. 200 bis 300 neue Personen hinzukommen. Eine genaue Anzahl von in NRW lebenden Roma ist nicht möglich, da ethnische Zugehörigkeiten von den Behörden zu Recht nicht erfasst werden und auch keine Differenzierungen nach Ethnien vorgenommen werden dürfen . Probleme bereitet insbesondere die Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit längstens bis zum 31.12.2013. Danach dürfen bulgarische oder rumänische Arbeitnehmer eine Beschäftigung nur mit einer Genehmigung der Bundesagentur für Arbeit ausüben und von Arbeitgebern nur beschäftigt werden, wenn sie eine solche Genehmigung besitzen (§ 284 SGB III). Diese Genehmigung kann als Arbeitsberechtigung-EU (uneingeschränkter Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt; Anspruch besteht nach einer zwölfmonatigen ununterbrochenen Beschäftigung im Bundesgebiet) oder als Arbeitserlaubnis-EU (beschränkter Zugang) erteilt werden. Die Voraussetzungen zur Erlangung der Arbeitserlaubnis-EU stellen jedoch eine hohe Hürde für die Antragsuchenden dar. Die Erteilung setzt u.a. voraus, dass kein bevorrechtigter Arbeitnehmer für die konkrete Beschäftigung zur Verfügung steht. Bei dieser Vorrangprüfung wird geprüft, ob für den konkreten Arbeitsplatz bevorrechtigte Bewerber (das sind Deutsche und ausländische Bürger, die im Arbeitsmarkzugang gleichgestellt sind) zur Verfügung stehen . Ergibt die Prüfung, dass bevorrechtigte Arbeitnehmer zur Verfügung stehen, kann eine Zustimmung nicht erteilt werden. Das Roma-Migranten durch diese Regelung eine weit geringere Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, als vergleichbare Nicht-Roma, ist offensichtlich . Da die Roma bei der Wahrnehmung ihrer Grundrechte immer wieder auf Hindernisse stoßen und diskriminiert werden, leben sie nach wie vor in großer Armut und sozial weitgehend ausgegrenzt . Der schlechte Zugang zu Bildungsangeboten und Dienstleistungen, schlechte Wohnverhältnisse und eine schlechte Möglichkeit zur Wahrnehmung von Gesundheitsversorgung stellen zudem die Weichen dafür, dass sich dieses Bild in den nächsten Generationen wiederholen wird. Es besteht somit ein großes Interesse daran, langfristige Lösungen für die Zuwanderer und insbesondere Roma zu schaffen. Dabei können die Ziele des Gesetzes zur Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe und Integration in Nordrhein-Westfalen (Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 5 vom 24.02.2012) herangezogen werden. So soll gewährleistet sein, dass Menschen mit Migrationshintergrund unabhängig von ihrer sozialen Lage, ihrer Herkunft, … [und] ihrer Weltanschauung bei ihrer Bildung, Ausbildung und Beschäftigung unterstützt werden (§ 1 Nr. 4). Das Land NRW schafft dabei Strukturen und Maßnahmen zur sozialen, gesellschaftlichen und politischen Teilhabe der Menschen mit Migrationshintergrund (§ 3 Abs. 3). 1. Welche konkreten Maßnahmen werden von der Landesregierung derzeit durch- geführt oder sind zukünftig beabsichtigt, um die zugewanderten ausländischen Roma im Bereich der Bildung, des Arbeitsmarkts, der Wohnraumsituation, der Gesundheitsfürsorge und des sozialen Lebens besser einzubeziehen? Die in Gründung befindlichen Kommunalen Integrationszentren kooperieren eng mit den Schulen und den weiteren Akteuren der Integrations-, Bildungs-, Familien- und Jugendarbeit. Ihre Unterstützungsleistungen und Angebote richten sich auch an die Familien der Roma. Zudem widmen sich einige der 134 vom Land geförderten Integrationsagenturen in Trägerschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege im Rahmen ihrer Arbeit auch Aspekten der Zuwanderung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1459 3 Im Bereich des Arbeitsmarktes stehen die realisierten Integrationsvorhaben auch arbeitslosen Menschen aus Rumänien und Bulgarien bei Erfüllung aller Fördervoraussetzungen zur Verfügung. Hinsichtlich der Wohnraumsituation hat das Land Nordrhein-Westfalen auch die Unterbringung von Roma im Bestand des sozial geförderten Wohnraums möglich gemacht. Im Bereich der gesundheitlichen Versorgung wird die Landesregierung die Kommunen bei der Problematik der gesundheitlichen Versorgung dieser Menschen unterstützen. Derzeit werden sowohl kurzfristig zu realisierende Maßnahmen als auch Wege geprüft, einen strukturierten Zugang zu einer gesundheitlichen Grundversorgung zu ermöglichen. 2. Wie stellt die Landesregierung sicher, dass zwischen den betroffenen Städten, nachgeordneten Behörden, nichtstaatlichen Organisationen und den jeweiligen Ministerien des Landes NRW eine enge Zusammenarbeit zur Erarbeitung von Lösungen gewährleistet ist? Die enge Zusammenarbeit zwischen den Ressorts, nachgeordneten Landesbehörden, Kommunen sowie - themenbezogen - Nichtregierungsorganisationen ist eine grundlegende Voraussetzung für eine funktionsfähige Verwaltung und gelebte Praxis in NordrheinWestfalen . Zu dem hier angesprochenen Thema der vermehrten Zuwanderung aus den EUMitgliedstaaten Bulgarien und Rumänien mit einem teilweise hohen Anteil von Roma hat die Landesregierung als Grundlage für ihre eigenen Maßnahmen eine landesweiten Abfrage durchgeführt, in der die Kommunen die Situation in ihrem jeweiligen Gebiet beschrieben haben . Mit einigen besonders durch Zuwanderung betroffenen Kommunen sind ressortübergreifende Gespräche zur Entwicklung von Problemlösungen geführt worden. Die Landesregierung wird diesen Dialog mit den Kommunen fortsetzen. 3. Wie beurteilt die Landesregierung die Möglichkeit, auf Fachebene eine regelmä- ßig tagende bezirksoffene und ressortübergreifende „Lenkungsgruppe Roma“ (nach dem Vorbild Berlins Drs 17/0440) einzurichten? Strukturen, die in einem Stadtstaat wie Berlin eingerichtet sind, eignen sich nur eingeschränkt für einen Flächenstaat wie Nordrhein-Westfalen. Die hier angesprochene Migrationsbewegung betrifft in Nordrhein-Westfalen vor allem die Großstädte. Die meisten besonders betroffenen Städte haben daher vor Ort fachübergreifende Arbeitsgruppen zur Entwicklung von lokalen Lösungen eingesetzt. Diese örtlichen Aktivitäten werden durch die Landesregierung unterstützt und ergänzt. Die Zuwanderung aus Südosteuropa stellt bereits seit Längerem eine Herausforderung dar und es zeigt sich, dass auch andere deutsche Länder und Mitgliedstaaten der EU von der Problematik betroffen sind. Vor diesem Hintergrund ist vor allem die Bundes- und EU- Ebene gefordert, hier zu einer Lösung der sich ergebenden Probleme beizutragen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1459 4 4. Zugewanderte EU-Bürger haben keinen gesetzlichen Anspruch auf einen Integrationskurs . Wie sieht die Landesregierung den Einsatz von muttersprachlichen Integrationslotsen , Kultur- und Sprachmittlern insbesondere zwischen Kitas, Schulen , Gesundheitseinrichtungen? Die Landesregierung sieht den Einsatz von Personen, die ihre muttersprachlichen Kompetenzen einsetzen, um zwischen Behörden und Einrichtungen einerseits und Familien und Gruppen mit Migrationshintergrund andererseits vermittelnd tätig werden, positiv. Entsprechende Ansätze sind bereits in landesgeführten Projekten entwickelt und erprobt worden.