LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1460 20.11.2012 Datum des Originals: 19.11.2012/Ausgegeben: 23.11.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 583 vom 22. Oktober 2012 des Abgeordneten Oliver Bayer PIRATEN Drucksache 16/1208 Reaktivierung von Oberleitungsbussen und Straßenbahnen Der Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr hat die Kleine Anfrage 583 mit Schreiben vom 19. November 2012 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 16. Oktober 2012 besuchte Verkehrsminister Michael Groschek das Werk eines Herstellers elektrischer Ausrüstung für den ÖPNV. Nach einem Bericht der Rheinischen Post mit dem Titel "Minister will mehr Elektrobusse"1 pries der Minister dabei Oberleitungsbusse als preiswerte Alternative zu U-Bahn-Projekten. Während eine kritische Haltung zu U-BahnProjekten angesichts der hohen Bau-, Betriebs- und Sanierungskosten unmittelbar verständlich ist, wirft die Begeisterung des Ministers für O-Busse und die Nichtbetrachtung von Straßenbahnen Fragen auf. Die Reaktivierung von Straßenbahnen war in jüngster Vergangenheit vor allem in vielen französischen Städten (Paris, Straßburg, Marseille, Montpellier und in etwa einem Dutzend weiteren) sehr erfolgreich. 1. Stünde bei der Einführung von Oberleitungsbussen in nordrhein-westfälischen Städten ‚die Umstellung auf Elektrofahrzeuge‘, ‚Kapazitätserweiterungen‘ oder ‚eine Attraktivitätssteigerung des ÖPNV‘ im Vordergrund? ÖPNV ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge, die kreisfreie Städte, Kreise und bestimmte kreisangehörige Städte nach § 1 ÖPNVG NRW als freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe 1 http://www.rp-online.de/region-duesseldorf/duesseldorf/nachrichten/minister-will-mehr-elektrobusse-1.3033596 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1460 2 wahrnehmen. Planung, Organisation und Ausgestaltung des ÖPNV obliegen gemäß § 3 ÖPNVG NRW den kommunalen Aufgabenträgern. Die Entscheidung, mit welchem Verkehrsmittel (Bus, Obus oder Stadtbahn) ein ÖPNV-Angebot erbracht werden soll, treffen die nach dem Personenbeförderungsgesetz verantwortlichen Verkehrsunternehmen und die kommunalen Aufgabenträger in Abhängigkeit von den örtlichen Verhältnissen eigenständig. Bei der Entscheidung werden neben den in der Frage genannten Gründen auch bauliche Gegebenheiten und wirtschaftliche Aspekte eine Rolle spielen. Diese sind auch notwendige Prüfkriterien für eine Förderung von Investitionen nach § 12 oder § 13 ÖPNVG NRW. Die Weiterentwicklung von Fahrzeug- und Obus-Technologie bietet die Möglichkeit des Einsatzes von Fahrzeugen, deren Gefäßgrößen an die Kapazität einer Straßenbahn reichen. Darüber hinaus können neu entwickelte Fahrzeuge Oberleitungsverkehr und Batteriebetrieb kombinieren. Straßenbahn und Obus zu verknüpfen ist z.B. Planperspektive der sog. „Campusbahn “ in Aachen. 2. Wie bewertet die Landesregierung die bisherigen Erfahrungen mit Oberleitungs- bussen in Solingen und in den zahlreichen nordrhein-westfälischen Städten mit inzwischen stillgelegten Systemen? Von den insgesamt 20 jemals in Nordrhein-Westfalen betriebenen Obus-Systemen wurden 19 zwischen den Jahren 1959 und 1974 wieder eingestellt. Die Gründe für die Einstellung der Obuslinien sind in den Kontext der zu diesem Zeitpunkt bestandenen Verhältnisse zu stellen. Die seinerzeitigen Erfahrungen sind daher für eine aktuelle Bewertung ungeeignet. Gleiches gilt für den nur zeitweilig auf Teilstücken als Obus betriebenen Spurbus in Essen. Das Obus-System in Solingen kann heute von Stadt und Stadtwerken wirtschaftlich dargestellt und damit erfolgreich betrieben werden. Der Obus in Solingen ist ein gutes Beispiel für ein elektromobiles Bussystem. 3. Wie beurteilt die Landesregierung die Erfahrungen mit dem Ersatz stillgelegter Straßenbahnen durch Busse und ähnliche Systeme wie den Spurbus in Essen? Auch die Gründe für die 20 Jahre und mehr zurückliegenden Entscheidungen von Verkehrsunternehmen zur Umstellung von Straßenbahn- auf Busverkehre müssen im zeitlichen und sachlichen Kontext beurteilt werden und lassen keine Bewertung aus aktueller Sicht zu. Die als Ersatz für die Straßenbahnlinien eingerichteten Busverkehre sind leistungsfähig und leisten auch einen Beitrag zu einer klimafreundlichen Mobilität. Dies gilt auch für den auf eigenen Fahrwegen geführten Spurbus in Essen. 4. Welche Rolle spielt die Straßenbahn als kostengünstige Alternative zu U- und Stadtbahn-Systemen in den verkehrspolitischen Überlegungen der Landesregierung ? Die Landesregierung favorisiert grundsätzlich eine Linienführung oder Beschleunigung von Straßen-/Stadtbahnen an der Oberfläche. Kostenaufwendige Tunnelbauwerke sind nur noch dort vertretbar, wo aus zwingenden städtebaulichen und verkehrlichen Gründen die Führung einer Straßen-/Stadtbahnlinie oder die Ausbildung eines Verknüpfungspunktes mit dem DBNetz an der Oberfläche nicht möglich ist. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1460 3 5. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, die positiven Erfahrungen vieler französischer Städte mit der Reaktivierung von Straßenbahnen auf nordrheinwestfälische Städte zu übertragen? Die Landesregierung hat die sogenannte „Campusbahn“ in Aachen beim Bund zur Aufnahme in das Bundesprogramm nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz angemeldet. Zur Reaktivierung dieser und weiterer Straßenbahnen wären erhebliche Mittel für die dann notwendigen Investitionen insbesondere in die Infrastruktur erforderlich. Dazu muss der Bund seine immer noch ausstehende Entscheidung zur künftigen Höhe der zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden gewährten Bundesmittel nach dem Entflechtungsgesetz treffen und die Bundesmittel gemäß dem von den Ländern nachgewiesenen Bedarf erhöhen. Zudem sind Folgeregelungen des Bundes für das Entflechtungsgesetz und das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz des Bundes ab dem Jahr 2020 erforderlich.