LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/14605 21.03.2017 Datum des Originals: 21.03.2017/Ausgegeben: 24.03.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5617 vom 21. Februar 2017 des Abgeordneten Thomas Nückel FDP Drucksache 16/14289 Warum wurden bedrohte Jesiden in Herne nicht geschützt? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Auf einem Fußballplatz an der Emscherstraße in Herne kam es am 28. März 2016 zu einer Auseinandersetzung zwischen Jesiden aus dem Nordirak und muslimischen Libanesen, welche in eine Massenschlägerei ausartete. Die Polizei hielt in einer Pressemitteilung vom 28. März 2016 hierzu fest, dass mehrere Verletzte in Krankenhäusern behandelt werden mussten. Das Investigativportal Correctiv berichtet am 3. und 14. Februar 2017, dass es schon zuvor länger Spannungen zwischen beiden Gruppen gegeben habe. Nach der Schlägerei fühlten die Jesiden sich so bedroht, dass sie noch am selben Tage ihre Wohnungen und die Stadt verließen . Es sollen Steine in Wohnungsfenster und auf ein kurdisches Vereinsheim geworfen worden sein, in dem sich die Jesiden am Folgetag trafen. Zudem habe es massive verbale Bedrohungen gegeben – auch in Anwesenheit der Polizei. Die WAZ berichtet am 1. Februar 2017, die Polizei vertrete die Ansicht, der „Einzelfall“ sei „komplett abgearbeitet“. Correktiv wirft vielmehr die Frage auf, ob an der Emscherstraße das „Recht des Stärkeren“ herrsche und die Polizei den Jesiden in Herne ausreichend Schutz geboten habe. Der Zentralrat der Jesiden in Oldenburg, dessen Vertreter unmittelbar nach den Vorfällen nach Herne gerufen wurden, wirft der Herner Polizei vor, den Schutz der Jesiden nicht gewährleistet zu haben. Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 5617 mit Schreiben vom 21. März 2017 namens der Landesregierung beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14605 2 Vorbemerkung der Landesregierung Bei dem vom Fragesteller in den Vorbemerkungen der Kleinen Anfrage geschilderten Sachverhalt handelt es sich um im Zusammenhang stehende Vorfälle in Herne und Gelsenkirchen. 1. Welche konkreten Kenntnisse liegen dem Innenministerium zu diesem Vorfall vor? Vorfälle in Herne Am 27.03.2016, gegen 16.00 Uhr, kam es im Bereich der Emscherstraße 88 in Herne auf und um den dortigen Bolzplatz herum, zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen überwiegend dort wohnhaften Mitgliedern jesidischer und libanesischer (muslimischer) Familienclans . Beim Eintreffen der Polizei befanden sich ca. 70 - 80 Personen vor Ort. Durch die Polizeikräfte konnte die Lage beruhigt werden. Zur Verhinderung weiterer Straftaten wurden Platzverweise gegenüber Mitgliedern beider Parteien ausgesprochen. Der Platzverweis für Bewohner des Wohnblocks Emscherstraße bezog sich ausschließlich auf den Bolzplatz und unmittelbare Umgebung. Die im Wohnblock Emscherstraße wohnhaften Jesiden begaben sich dann freiwillig nach Gelsenkirchen. Die Polizei Gelsenkirchen wurde über den Einsatz an der Emscherstraße fernmündlich in Kenntnis gesetzt. Während der Sachverhaltsabklärung vor Ort auf dem Bolzplatz, kam es gegen 17.30 Uhr zu einer Sachbeschädigung an einer durch Jesiden bewohnten Wohnung an der Emscherstraße 88. Die Außenscheibe der Wohnung im 1. OG wurde mit einem Stein eingeworfen. Hierzu wurde eine gesonderte Strafanzeige gefertigt. Vom Bolzplatz ist die Wohnanlage Emscherstraße aufgrund vom Baumbewuchs nicht einsehbar . Aufgrund der Vorkommnisse wurden verstärkte Aufklärungsmaßnahmen im Bereich der Emscherstraße veranlasst und am 28.03.2016 bei den beteiligten Personen, sofern sie angetroffen wurden, Gefährderansprachen und Sicherheitsgespräche durchgeführt. Am 28.03.2016, gegen 20:15 Uhr, wurde eine erneute Ansammlung libanesischer Personen an der Emscherstraße 88 gemeldet. Durch Einsatzkräfte wurden die im Umfeld angetroffenen Personen kontrolliert und insgesamt 27 Platzverweise ausgesprochen. Schlagwerkzeuge (Baseballschläger, Spatenstiel) sowie Reizgas wurden sichergestellt. In der Nacht erfolgten weitere Aufklärungsmaßnahmen im Bereich Emscherstraße. Zu weiteren Vorfällen kam es nicht. Am 31.03.2016 kam es zu einer Bedrohung zum Nachteil eines libanesischen Bürgers. Das führte zu einem Treffen von ca. 60 Libanesen im Bereich der Emscherstraße in Herne. Durch starke Polizeipräsenz und gezielte Ansprachen konnte die Lage vor Ort beruhigt werden . Entsprechende Schutzmaßnahmen wurden angeordnet und Sicherheitsgespräche mit den gefährdeten Personen durchgeführt. Weitere Zwischenfälle wurden nicht bekannt. Die angeordneten Aufklärungsmaßnahmen wurden bis zum 04.04.2016 durchgeführt. Nach Abschluss der Ermittlungen konnte kein Religionskonflikt als Auslöser für die Schlägerei am 27.03.2016 und die weiteren Straftaten erkannt werden. Vielmehr wurde deutlich, dass es sich um eine Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Fußballmannschaften und -anhängern handelte, losgelöst von ihrer religiös-ideologischen Ausrichtung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14605 3 Der Vorgang wurde der zuständigen Staatsanwaltschaft Bochum zur weiteren Veranlassung zugesandt. Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren (123 JS 280/16) ist noch nicht abgeschlossen. In einem Telefonat wurde Herrn Telim Tolan vom Zentralrat der Jesiden in Deutschland auf Nachfrage verdeutlicht, dass die Polizei Bochum in der Lage sei, die Gruppe der Jesiden zu schützen und deren Rückkehr in ihre Wohnungen auf der Emscherstraße in Herne nichts entgegenstünde . Als Sprecher der Gruppe der Jesiden lehnte er eine Rückkehr an die Emscherstraße jedoch weiterhin kategorisch ab. Vorfälle in Gelsenkirchen Am 28.03.2016 sammelten sich die Jesiden aus Herne im Kulturverein ROJAVA an der Grenzstraße 66. Telefonisch meldeten sich diese um 14.32 Uhr bei der Leitstelle der Polizei Gelsenkirchen , da sie das Erscheinen der libanesischen Familien befürchteten. Bei Eintreffen der Polizei wurden ca. 50 Jesiden angetroffen. Vor dem Hintergrund der vorliegenden Lageerkenntnisse wurden Schutzmaßnahmen am Objekt angeordnet. Nachdem die Jesiden die Örtlichkeit verlassen hatten, wurden die Schutzmaßnahmen gegen 20:00 Uhr eingestellt. Um 21:13 Uhr erschienen mehrere Personen mit Fahrzeugen am Kulturverein ROJAVA und schlugen mit Baseballschlägern und Stöcken mehrere Scheiben des zu diesem Zeitpunkt leeren Kulturvereins ein. Noch vor dem Eintreffen der ersten Funkstreifenwagen flüchteten alle Personen zu Fuß oder mit dem Pkw. Im Rahmen der Nahbereichsfahndung wurden 15 Personen und vier Fahrzeuge überprüft. Ein unmittelbarer Bezug zur Tat konnte nicht festgestellt werden. Eine Strafanzeige wurde gefertigt . Am 31.03.2016, gegen 20:00 Uhr, erschienen auf der Polizeiwache Süd drei Jesiden, von denen eine Person angab, dass zwei Anrufe auf seinem Handy eingegangen seien, die mit der vorhergegangenen Auseinandersetzungen in Verbindung stehen würden. In diesem Zusammenhang wurde auch Angst vor der libanesischen Gruppe geäußert. Es wurden umgehend Aufklärungsmaßnahmen in dem Wohnbereich der Jesiden angeordnet. Dieser Sachverhalt ist Aktenbestandteil des Ermittlungsverfahrens aufgrund des Vorfalles vom 28.03.2016. Das diesbezügliche Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Essen (Az.: 29UJs133/16) ist noch nicht abgeschlossen. Am 06.04.2016 fand ein Schlichtungsgespräch (ohne Polizeibeteiligung) zwischen den beteiligten jesidischen und libanesischen Familien statt. Nach telefonischer Auskunft von Herrn Tolan vom Zentralrat der Jesiden seien derzeit keine Auseinandersetzungen mehr zu erwarten. Die Jesiden würden zunächst in Gelsenkirchen bleiben , seien aber auf Wohnungssuche. 2. Was ist mit der Formulierung seitens der Polizei „der Einzelfall (sei) komplett abgearbeitet “ gemeint? Diese Formulierung des Pressesprechers der Polizei Bochum beschreibt, dass alle anlassbezogenen polizeilichen Maßnahmen getroffen wurden, um den in Rede stehenden Sachverhalt zu klären bzw. weitere ähnlich gelagerte Sachverhalte zu verhindern. Es wurden alle gefahrenabwehrenden sowie strafverfolgenden Maßnahmen durch die zuständigen Einsatzkräfte bzw. Ermittlungsbeamten initiiert und konsequent umgesetzt. Zu einer Wiederholung eines derartigen Vorfalls kam es nicht. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14605 4 3. Warum konnte die Gruppe von jesidischen Flüchtlingen in Herne nicht geschützt werden? Der Schutz der Jesiden in Herne bzw. in Gelsenkirchen war zu jeder Zeit gewährleistet. Durch die Polizei wurden nach Bekanntwerden der Vorfälle umgehend die erforderlichen polizeilichen Schutz- und Aufklärungsmaßnahmen angeordnet. Weitere Ausführungen siehe Antwort zu Frage 1. 4. Welchen weiteren Vorfälle zwischen Jesiden und Muslimen sind der Landesregierung in NRW darüber hinaus bekannt? Am 06.08.2014 kam es in Herford zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen Muslimen und Jesiden. Dies war Tagesordnungspunkt der Innenausschusssitzung am 28.08.2014 (Vorlage 16/2102). Darüber hinaus kam es am 16.05.2016 in einer Unterbringungseinrichtung für Zuwanderer in Bielefeld während eines Fußballspiels unter den Bewohnern zu einer körperlichen Auseinandersetzung , nachdem ein Spieler jesidischen Glaubens einen Gegenspieler muslimischen Glaubens gefoult hatte. Bei der Auseinandersetzung wurden ein Spieler sowie ein muslimischer Zuschauer, der die Auseinandersetzung zu schlichten versuchte, aus der Gruppe der Jesiden leicht verletzt. Weitere Vorfälle sind hier nicht bekannt. Eine polizeiliche Statistik über Vorkommnisse im Zusammenhang mit Jesiden wird nicht geführt . 5. Gibt es besondere Schutzmaßnahmen für Menschen jesidischen Glaubens in Nordrhein-Westfalen? Besondere Schutzmaßnahmen für Menschen jesidischen Glaubens sind derzeit in Nordrhein- Westfalen nicht angeordnet.