LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/14612 22.03.2017 Datum des Originals: 21.03.2017/Ausgegeben: 27.03.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5634 vom 22. Februar 2017 des Abgeordneten Dirk Schatz PIRATEN Drucksache 16/14308 Vollständige Ermittlung von Mehrarbeit und Überstunden im Polizeidienst Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die derzeitige Sicherheitslage und die damit verbundene Einsatz- und Vorgangsbelastung in der Polizei führt zu erheblicher Unruhe und Unzufriedenheit in der Mitarbeiterschaft, so dass zukünftig mit vermehrten Überlastungsanzeigen zum Schutz der Mitarbeiter/innen zu rechnen ist, sowie damit, dass nur noch angeordnete Mehrarbeit geleistet wird, weil die Verjährung der Stunden droht. Dies würde jedoch das System Polizei zum Kollabieren bringen. Insbesondere in den Hundertschaften wird durch kurzfristige Einsätze und ständige Umplanungen ein Mehrdienstabbau teilweise unmöglich gemacht. Verstöße gegen die einschlägigen Arbeitszeitvorschriften hinsichtlich Ruhezeiten und wöchentlichen Höchstarbeitszeiten sind an der Tagesordnung . Das im Dienstrechtsmodernisierungsgesetz propagierte Ziel von Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird dadurch vollends verfehlt. Das MIK berichtete erst am 26.08.2016 dem Innenausschuss und dem Unterausschuss Personal des Haushalts- und Finanzausschusses die abschließenden Zahlen für die im Jahr 2015 im Polizeibereich geleisteten Mehrarbeitsstunden gemäß § 61 LBG. Auf Grund der enormen Einsatzbelastung kam es trotz Verbesserungen bei der Auszahlung von Mehrarbeit im Ergebnis zu einem erheblichen Aufbau von Mehrarbeitsstunden von ca. 1,9 Mio. Stunden auf 3,9 Mio. Mehrarbeitsstunden als Gesamtbestand. Der feststehende Begriff der Mehrarbeit gemäß § 61 LBG gibt allerdings nur einen Teilausschnitt der polizeilichen Belastung wieder, so dass erhebliche „Überstundenpotentiale“ in der Statistik gar nicht auftauchen und ein völlig unvollständiges und verzerrtes Bild der polizeilichen Belastung wiedergeben. Dies gilt namentlich für die umgangssprachlich bezeichneten Überstunden, die auf den Differenz- oder Gleitzeitkonten und sonstigen Mehrdienstkonten erfasst werden und beispielsweise anfallen, wenn Beamte/innen beispielsweise eine Vernehmung, eine Unfallaufnahme oder sonstige Einsätze und Ermittlungen zunächst noch beenden müssen. Die erhebliche Vorgangsbelastung im Ermittlungsbereich und die Zusatzdienste in den Direktionen produzieren regelmäßig solche LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14612 2 „Überstunden“, die nicht als Mehrarbeit gemäß § 61 LBG, sondern auf den Gleitzeit- oder Differenzkonten , bzw. Mehrdienstkonten erfasst werden. Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 5634 mit Schreiben vom 21. März 2017 namens der Landesregierung beantwortet. 1. Wie hoch ist der Gesamtbestand der Mehrarbeitsstunden gemäß § 61 LBG in den jeweiligen KPB und LOB zum 31.12.2016 in absoluten Zahlen (bitte um direktionsscharfe Abbildung in den einzelnen Behörden)? Die Erhebung der Mehrarbeitsbestände bei den 50 Polizeibehörden des Landes für das Jahr 2016 erfolgt zurzeit und ist noch nicht abgeschlossen. Nach Eingang der Berichte aus den Behörden erfolgen eine Prüfung der Daten und ggf. Nachfragen bei den Behörden im Einzelfall . Insofern kann zum jetzigen Zeitpunkt keine Aussage zu den erbetenen Daten erfolgen. 2. Wie hoch ist der Gesamtbestand der Stunden auf den Gleitzeit-, Differenz- und Mehrdienstkonten bzw. sonstigen genutzten Zeiterfassungssystemen in den jeweiligen KPB und LOB zum 31.12.2016 in absoluten Zahlen (bitte um direktionsscharfe Abbildung in den einzelnen Behörden)? Auf Landesebene liegen die erbetenen Daten für den genannten Zeitraum nicht automatisiert abrufbar vor. Eine Erhebung dieser Daten wäre nur mit hohem Verwaltungsaufwand möglich. In der zur Bearbeitung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit war eine solche Datenauswertung nicht möglich. 3. Inwieweit wird der unterschiedlich hohe Mehrarbeits- bzw. Überstundenanfall in den Behörden bei der BKV berücksichtigt? Falls dies nicht berücksichtigt wird, interessiert mich selbstverständlich die entsprechende Begründung, warum dies nicht der Fall ist. Die BKV ist ein Berechnungsmodell zur Personalverteilung der Polizei NRW, das sich im Wesentlichen auf die Entwicklung des Kriminalitäts- und Verkehrsunfallgeschehens stützt. Hingegen ist die Mehrarbeits- bzw. Überstundenanzahl als eine grundsätzlich steuerbare Größe für die Berechnungen zur BKV nicht berücksichtigungsfähig. 4. Warum verzichtet das Land nicht auf die Einrede der Verjährung für die ab 2015 angefallene Mehrarbeit und der sonstigen Überstunden, da diese absehbar in die Verjährung laufen und weder durch Dienstbefreiung noch Auszahlung abgebaut werden können? Der Anspruch auf Freizeitausgleich und auf Vergütung von Mehrarbeitsstunden für angefallene Mehrarbeit gem. § 61 LBG unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren gem. § 195 BGB (vgl. VG Minden, Urteil vom 20.03.2014, Az.: 4 K 2025/11). Mit Erlass vom 22.05.2015 - Az.: 403 - 42.02.06 - wurde mit Zustimmung des Finanzministeriums für den Polizeibereich eine Übergangsregelung von fünf Jahren (bis zum 31.12.2020) geschaffen, in denen die vor dem 01.01.2015 geleisteten Mehrarbeitsstunden („Alt-Stunden“) ausgeglichen werden sollen. Das Land NRW verzichtet im Polizeibereich für diesen Zeitraum insoweit bereits auf die Einrede der Verjährung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14612 3 Für die ab dem 01.01.2015 neu entstandenen Mehrarbeitsstunden („Neu-Stunden“) wird die Verjährung weiter konsequent nachgehalten, einerseits um den Fürsorgegedanken Wirkung zu verleihen, andererseits um die personalwirtschaftlich kritisch zu bewertende Ansammlung von „Stundenbergen“ zu vermeiden. Mit meinem Bericht vom 26.08.2016 für den Innenausschuss und für den Unterausschuss Personal des Haushalts- und Finanzausschusses „Abschließende Zahlen für die im Jahr 2015 im Polizeibereich geleisteten Mehrarbeitsstunden“ (Vorlage 16/4173) wurde dargelegt, dass beachtliche Erfolge beim Abbau von Mehrarbeitsstunden erzielten werden konnten: ca. 45 % des Gesamtbestandes an Alt-Stunden wurden innerhalb eines Jahres abgebaut. Nach Beteiligung des Finanzministeriums NRW wurde mit Erlass vom 21.03.2016 - Az.: 403 - 42.02.06 - darauf hingewiesen, dass sich die bei der Vergütung von Mehrarbeitsstunden nach § 61 Abs. 2 LBG NRW i. V. m. § 3 Abs. 2 MVergV zu berücksichtigende 480-Stunden-Grenze auf das Entstehungsjahr der Mehrarbeitsstunden bezieht. Dadurch ist die Möglichkeit gegeben , innerhalb eines (Auszahlungs-)Jahres mehr als 480 Mehrarbeitsstunden finanziell zu vergüten . Das bedeutet, dass die Vergütung nicht nur für das aktuelle Auszahlungsjahr geltend gemacht werden kann, sondern auch für zurückliegende Jahre. So können z.B. im Jahr 2016 für jedes Entstehungsjahr bis zu 480 Stunden rückwirkend aufsummiert ausgezahlt werden (2015 - bis zu 480 Stunden; 2014 - bis zu 480 Stunden usw.). Gleichzeitig ergibt sich hierdurch eine größere Kapazität für einen verstärkten Freizeitausgleich: Da in höherem Maße als bisher angenommen Mehrarbeitsstunden pro Jahr finanziell vergütet werden können, können innerhalb eines Jahres gesteigerte personalwirtschaftliche Reserven entstehen, die einen zusätzlichen Freizeitausgleich ermöglichen. Insofern wird - zumindest für den Polizeibereich - keine Veranlassung gesehen, von der bisher eingeschlagenen, sachgemäßen Handhabung abzuweichen. Im Übrigen verweise ich auf den noch in der Beratung befindlichen Plenarantrag der Fraktion der FDP „Landesregierung muss wachsende Überstundenberge sicher vor Verfall schützen – Beamte haben Kompensation ihrer unvermeidbar anfallenden Mehrarbeit verdient“ (Landtagsdrucksache 16/13694 vom 06.12.2016). 5. Im Rahmen der Dienstrechtsreform wurde mit den Gewerkschaften vereinbart, einen Modellversuch mit Langzeitkonten zu erproben. Mittlerweile haben sich auf Grund der Terror- und Kriminalitätsbedrohung sowie der Flüchtlingssituation die Rahmenbedingungen fundamental geändert. Erfahrungen zu Langzeitkonten liegen aus anderen Ländern, Behörden und der freien Wirtschaft hinreichend vor, so dass ein Probeversuch entbehrlich ist. Warum wird deshalb nicht sofort in allen Polizeibehörden die Möglichkeit für Langzeitkonten eröffnet? Im Rahmen der Dienstrechtsmodernisierung wurde in § 60 LBG NRW die Verordnungsermächtigung für die Arbeitszeitverordnung (AZVO) um den Punkt Langzeitarbeitskonten ergänzt . Die Gewerkschaften / Berufsverbände haben im Rahmen der Dienstrechtsmodernisierung die Bildung einer Arbeitsgruppe zur Festlegung der inhaltlichen Eckpunkte gefordert. Dies ist von der Landesregierung zugesagt worden, um die Einzelheiten zur inhaltlichen Ausgestaltung von Langzeitkonten im Rahmen einer Arbeitsgruppe festzulegen und sodann die Auswirkungen auf den Dienstbetrieb und den Personalkörper zunächst in Pilotprojekten bei einzelnen Behörden zu erproben. Diese sind im Vorhinein nicht ohne weiteres abzuschätzen.