LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/14645 28.03.2017 Datum des Originals: 28.03.2017/Ausgegeben: 31.03.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5620 vom 21. Februar 2017 der Abgeordneten Marcel Hafke und Dr. Björn Kerbein FDP Drucksache 16/14292 Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz – Wie wird der Unterschied zwischen Elternwunsch und individuellem Bedarf in der Praxis gehandhabt? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Wie aus der Beantwortung der Kleinen Anfrage 3241 (Drucksache 16/8377) der FDP-Landtagsfraktion hervorgegangen ist, richtet sich der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz am individuellen Bedarf aus. Der individuelle Bedarf ist dabei einzelfallbezogen anhand kindals auch elternbezogener Bedarfskriterien zu überprüfen. Demzufolge kann der festgestellte individuelle Bedarf von den eigentlichen Elternwünschen nach einem bestimmten zeitlichen Betreuungsumfang abweichen. In der Praxis werden Einzelfallprüfungen offenbar vor allem in der Kindertagespflege durchgeführt . Bei Kindertageseinrichtungen erfolgt die Einzelprüfung in der Regel nicht. Eltern buchen stattdessen die von den Kindertageseinrichtungen angebotenen Betreuungszeiten – der Wunsch der Eltern würde damit in der Regel als gleichbedeutend mit ihrem Bedarf gesehen. Im Zuge der Abschaffung der Elternbeiträge für das letzte Kindergartenjahr scheint es jedoch auch vereinzelt die Praxis zu geben, dass der individuelle Bedarf bei Eltern, die keine Beiträge zahlen, überprüft wird. Hintergrund ist offenbar, dass Kommunen aufgrund der Beitragsfreiheit vermuten, dass Eltern dazu neigen, einen höheren, nicht benötigten Bedarf anzumelden, da eine Erhöhung der Betreuungszeit nicht mehr mit zusätzlichen Kosten verbunden ist. Die Landesregierung wird deshalb gebeten, darzulegen, welche Auswirkung die Elternbeitragsfreiheit auf das Nachfrageverhalten der Eltern hat. Außerdem soll sie die rechtlichen Rahmenbedingungen , in denen eine Überprüfung der Bedarfskriterien vollzogen wird, detailliert aufschlüsseln. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14645 2 Die Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport hat die Kleine Anfrage 5620 mit Schreiben vom 28. März 2017 namens der Landesregierung beantwortet. 1. Wie wirkte sich die Abschaffung der Elternbeiträge für das letzte Kindergartenjahr auf das Nachfrageverhalten der Eltern bei der Wahl der Betreuungszeiten aus (bitte zusätzlich zu den Erhebungen der Landesregierung auch die durchschnittliche Betreuungszeit der Kinder, die im Kindergartenjahr 2016/17 im letzten Jahr vor der Einschulung waren, mit der durchschnittlichen Betreuungszeit der Kinder, die im Kindergartenjahr 2015/16 im vorletzten Jahr vor der Einschulung waren, vergleichen )? Daten zu der Frage, welche Kinder nach einzelnen Altersjahrgängen in welcher Gruppenform und damit mit welcher Betreuungszeit betreut wurden und werden, liegen einrichtungsübergreifend nicht vor. Ein landesweiter Vergleich der durchschnittlichen Betreuungszeiten nach Altersjahrgängen in den beiden Kindergartenjahren ist daher nicht möglich. 2. Darf eine Kommune bzw. ein Träger den individuellen Betreuungsbedarf von Eltern etwa anhand von Arbeitsverträgen ermitteln? Träger von Tageseinrichtungen können im Rahmen ihrer Trägerautonomie den individuellen Betreuungsbedarf von Eltern - beispielsweise im Kontext von in der Einrichtung abgestimmten Aufnahmekriterien - auch anhand von Arbeitsverträgen ermitteln. (siehe im Übrigen auch Antwort zu Frage 4). 3. Inwieweit ist die Ermittlung des individuellen Betreuungsbedarfs gesetzlich reglementiert (wer darf diese Daten erheben, welche Daten dürfen erhoben werden, welche Quellen wie beispielsweise Arbeitsverträge dürfen zur Verifikation der angegeben Daten herangezogen werden, welche Speicherfristen gibt es etc.)? Die Jugendämter haben im Rahmen ihrer Planungsverantwortung den Bedarf unter Berücksichtigung der Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der Kinder und ihrer Eltern für einen mittelfristigen Zeitraum zu ermitteln (vgl. § 80 SGB VIII). Im Zusammenhang mit dieser Gesamtverantwortung sind sie zu einer qualifizierten Planung für ein bedarfsdeckendes Angebot verpflichtet , die im Hinblick auf Weiterentwicklungen auch unter Beteiligung der Eltern - beispielsweise über Befragungen - erfolgen kann. Da es keine Verpflichtung der Kommunen und Träger zur Erhebung und Verarbeitung von Daten zum elternbezogenen Bedarf gibt, gelten die allgemeinen Regeln zum Datenschutz, zur Datenerhebung, -übermittlung und -verarbeitung von Sozialdaten (insbesondere § 64 Sozialgesetzbuch Achtes Buch). 4. Haben aus Sicht der Landesregierung Eltern bzw. Kinder einen bestimmten, stets zu erfüllenden Grundbedarf an Betreuung bzw. ist es möglich, Eltern einen Betreuungsplatz zu verwehren, falls kein individueller Bedarf für eine Betreuung festgestellt wird (falls aus Sicht der Landesregierung ein Grundbedarf an Betreuung existiert, bitte den konkreten zeitlichen Mindestumfang angeben)? Ein Kind, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, hat gemäß § 24 Absatz 3 Achtes Sozialgesetzbuch (SGB VIII) bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung. Die Jugendämter haben darauf hinzuwirken, dass für diese Altersgruppe ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung steht. Bei besonderem Bedarf oder ergänzend LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14645 3 kann das Kind auch in Kindertagespflege gefördert werden. Eine wöchentliche Mindestbetreuungszeit sieht das SGB VIII nicht vor. Im Rahmen der landesrechtlichen Ausgestaltung dieses Anspruchs auf einen Betreuungsplatz ergibt sich aus den Regularien des KiBiz für die Betreuung in einer Kindertageseinrichtung ein wöchentlicher Mindestumfang von 25 Stunden. Bei Kindern zwischen Vollendung des ersten und dritten Lebensjahres richtet sich der Umfang der täglichen Förderung nach dem individuellen Bedarf (§ 24 Absatz 2 Satz 2 i. V. m. § 24 Absatz 1 Satz 3 SGB VIII) und ist einzelfallbezogen zu prüfen. Begehren Erziehungsberechtigte im Einzelfall für ihr Kind einen bestimmten Betreuungsumfang, so müssen sie den entsprechenden Bedarf darlegen. Ein Rechtsanspruch in Bezug auf den Umfang besteht nicht bei jedem persönlichen Wunsch für jedwede persönlich gewünschte Zeit. Notwendig ist vielmehr, dass die Erziehungsberechtigten objektivierbare Gründe für ihren Betreuungsbedarf darlegen, die aufgrund der Zielsetzung des Gesetzes anzuerkennen sind. Möglich sind dabei eltern- und kindbezogene Bedarfskriterien. Als individuelle elternbezogene Bedarfe können beispielsweise die Berufstätigkeit der Eltern oder eine der Berufstätigkeit gleichzustellende Tätigkeit, etwa Aus- oder Weiterbildungen, Promotionen oder Sprachkurse, aber auch die Arbeitssuche anerkannt werden. Auch ein Bedarf aus besonderen persönlichen Gründen ohne Erwerbstätigkeit wie Krankheit oder Pflege von Angehörigen und unter Umständen auch ehrenamtlicher Tätigkeit kann anerkannt werden. Zudem sind pädagogische und bildungspolitische Gründe sowie das Kindeswohl zu berücksichtigen . Belege wie etwa Arbeits- oder Ausbildungsverträge, ärztliche Atteste oder sonstige Nachweise, die den Bedarf bescheinigen, können von den Jugendämtern eingefordert werden. Ist ein individueller Bedarf anzuerkennen, so besteht der Rechtsanspruch im jeweils benötigten Umfang und zu den jeweils benötigten Zeiten. 5. Kann eine Kommune bzw. ein Jugendamt die öffentlich geförderte Betreuungszeit einer Familie reduzieren, wenn beispielsweise die Mutter nicht erwerbstätig ist und entsprechend ein geringerer individueller Betreuungsbedarf seitens der Kommune festgestellt wurde (bspw. von 45 auf 35 Stunden oder von 35 auf 25 Stunden )? Die Änderung von Betreuungszeiten kann nur im Rahmen und auf der Grundlage des zivilrechtlich ausgestalteten Betreuungsvertrages erfolgen. Eine einseitige Reduzierung der öffentlich geförderten Betreuungszeit durch das Jugendamt ist daher – soweit das Jugendamt nicht Vertragspartner der Eltern ist - während der Vertragslaufzeit nicht möglich. Soweit ein Angebot in Trägerschaft des Jugendamtes erfolgt, werden Sonderkündigungsrechte auch hier in der Regel nur in besonders begründeten Fällen und unter Beachtung des Kindeswohls möglich sein.