LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1465 20.11.2012 Datum des Originals: 19.11.2012/Ausgegeben: 23.11.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 570 vom 15. Oktober 2012 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/1151 Gebührenerhebung für kritische journalistische Recherchen in Nordrhein-Westfalen – Wie klaffen bei dieser Landesregierung Anspruch und Wirklichkeit auseinander beim Umgang mit dem Informationsfreiheitsgesetz? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 570 mit Schreiben vom 19. November 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerpräsidentin und allen übrigen Mitgliedern der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In den letzten Jahren ist erfreulicherweise das öffentliche und politische Bewusstsein für eine bessere Transparenz staatlichen Handelns gewachsen. Entscheidungen können durch eine größere Nachvollziehbarkeit zugleich auch mehr Akzeptanz erfahren und Bürger, die sich mit dem öffentlichen Handeln identifizieren, für eine engagierte Mitwirkung in einer aktiven Bürgergesellschaft gewonnen werden. Seit seinem Inkrafttreten zum 1. Januar 2002 ermöglicht das „Gesetz über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen“ (Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen – IFG NRW) allen daran interessierten Bürgern eine wichtige Chance zur Informationsbeschaffung bei originären Quellen im Rahmen einer stärkeren Öffnung und Bürgerorientierung der Verwaltung. Bürger erhalten auf diese Weise eine größere und bessere Beurteilungsbasis in der Bewertung politischer Prozesse und können dadurch ihre Mitwirkungsmöglichkeiten kompetent wahrnehmen. Wichtig dafür ist insbesondere die rechtssichere Bereitstellung möglichst vieler unverfälschter, originärer Informationen. Das aktuelle IFG gilt für Behörden und öffentliche Einrichtungen, die Verwaltungsaufgaben wahrnehmen und bezieht sich auf jeglichen Datenträger in Schrift-, Bild-, Ton- oder anderer Form der Datenverarbeitung. Der Zugang zu den Daten erfolgt auf dem Wege der Antrag- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1465 2 stellung, über die unverzüglich zu entscheiden ist. Zugleich wird der Schutz des behördlichen Entscheidungsbildungsprozesses, von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sowie personenbezogener Daten gewahrt. Das neue Transparenzgesetz aus Hamburg zeigt, wie wichtig die kontinuierliche Weiterentwicklung der Anspruchsgrundlagen und Anwendungstatbestände sowie die ständige Modernisierung der Ausgestaltung sind. Auch für Nordrhein-Westfalen wäre eine Weiterentwicklung des IFG hin zu einem umfangreichen Transparenzgesetz möglich. Bevor Pläne für eine zukünftige Optimierung realisiert werden, gilt die Aufmerksamkeit der praktischen Anwendung der bestehenden Rechtsgrundlagen. Hier existiert offenkundig noch ein erheblicher Erklärungsbedarf bezüglich der täglichen Verwaltungspraxis. Das IFG ist gerade auch für kritische journalistische Recherchen eine wichtige gesetzliche Grundlage, um nicht nur vorab durch andere Dritte selektierte Teilinformationen zu erhalten. In verschiedenen öffentlichen journalistischen Blogs wird derzeit intensiv die etablierte Praxis von Landesbehörden problematisiert, die tatsächliche Inanspruchnahme von Rechten der Informationsbeschaffung durch unangemessen hohe Gebührenfestsetzungen faktisch zu hintertreiben. Für umfangreichen Verwaltungsaufwand ist nach den geltenden Statuten eine Mindestgebühr von zehn Euro vorgesehen, einfache Auskünfte sollen eigentlich kostenfrei erfolgen. So veröffentlichen die Ruhrbarone einen Beitrag „Informationsfreiheit: NRW-Umweltminister setzt im Umgang mit Journalisten auf Abschreckung“ oder meldet das Nachrichtenportal Newsroom.de ebenfalls „Nordrhein-Westfalen: Informationsfreiheitsgesetz gilt offenbar nur in Sonntagsreden“. Im Zentrum der Berichte stehen Praktiken im Bereich des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV). Den Darstellungen zufolge wird von einem Volontär für die journalistische Recherche zu Subventionsmillionen für die Fleischindustrie nun eine Verwaltungsgebühr von insgesamt 2.000 Euro verlangt. Hiergegen hat der Betroffene mittlerweile Klage eingereicht. Das LANUV ist direkt dem grünen Umweltminister Remmel unterstellt. Noch im grünen Landtagswahlprogramm, dem sogenannten „Zukunftsplan für NRW, Update 2012“, heißt es im Kapitel „Demokratie und Vielfalt“ auf Seite 32: „Um den Open-Data-Gedanken in der Breite zu verankern, brauchen wir einen Paradigmenwechsel : Es soll nicht mehr diskutiert werden, welche Daten warum veröffentlicht werden, sondern vielmehr, warum etwas nicht öffentlich zugänglich gemacht werden sollte. (…) Das ‚Informationsfreiheitsgesetz NRW‘ wollen wir zu einem ‚Transparenzgesetz‘ weiterentwickeln und auch hier die Möglichkeiten des digitalen Zeitalters stärker nutzen. Das heißt, die Veröffentlichungspflichten der Behörden müssen durch weitere frei zugängliche Informationen und Dokumente ausgeweitet werden. Damit sollen Politik, Regierung und Verwaltung den OpenGovernment -Gedanken stärker Wirklichkeit werden lassen.“ Ein Autor der Ruhrbarone weist in dem oben zitierten Beitrag darauf hin, wie stark bei den Grünen einmal mehr hehrer Anspruch und ernüchternde Realität in Wahrheit auseinanderklaffen : „Für das LANUV lohnt es sich hingegen, Journalisten und Bürger zu behindern und durch extrem hohe Kosten abzuschrecken: So lässt sich die lästige Transparenz umgehen und nicht alles, was das Grünen-Ministerium und seine Ämter so treiben, gelangt an das Licht der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1465 3 Öffentlichkeit. Und das Programm der Grünen ist offenbar nur ein Wahlkampfprogramm gewesen , das in der Wirklichkeit zumindest ihren Umweltminister offenbar nicht interessiert.“ Ausweislich des rot/grünen Koalitionsvertrags 2012-2017 wird in Nordrhein-Westfalen öffentlich mehr Transparenz und eine vereinfachte Informationsbereitstellung versprochen. Im Kapitel „Modernes Regieren im digitalen Zeitalter“ heißt es dazu auf Seite 168: „Über das Informationsfreiheitsgesetz werden wir die Holschuld unserer Bürgerinnen und Bürger bzgl. Informationen, Dokumente und Daten, in eine Bringschuld des Staates umwandeln . (...) Wir werden die Veröffentlichungspflichten der öffentlichen Stellen deutlich ausweiten und damit das Informationsfreiheitsgesetz hin zu einem Transparenzgesetz weiterentwickeln .“ Angesichts der dargestellten Praktiken der Gebührenerhebung im Umgang mit berechtigten journalistischen Informationsbedürfnissen und Recherchen muten die rot/grünen Aussagen zu mehr Transparenz im Koalitionsvertrag seltsam an. 1. In jeweils welchen einzelnen Fällen sind von sämtlichen Landesbehörden seit dem 15. Juli 2010 bis heute entsprechende Gebührenbescheide für Auskünfte nach dem Informationsfreiheitsgesetz ergangen? (bitte vollständige Aufzählung der Anfragen mit Datumsangabe) Eine Erhebung ist mangels vorliegender Statistiken in den Ressorts einschließlich des nachgeordneten Bereiches der Landesverwaltung aufgrund des damit verursachten Aufwandes innerhalb der für die Beantwortung vorgesehene Frist nicht durchführbar. Das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG NRW), das am 01.01.2002 in Kraft getreten war, bestimmte in § 14 Abs. 1, dass die Auswirkungen dieses Gesetzes nach einem Erfahrungszeitraum von zwei Jahren durch die Landesregierung unter Mitwirkung der kommunalen Spitzenverbände und der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit zu überprüfen sind. In dem Bericht der Landesregierung (Vorlage 13/3041) aus Oktober 2004 sind die Ergebnisse der Evaluierung zusammengefasst. Die ursprüngliche gesetzliche Verpflichtung in § 14 Abs. 2 IFG NRW, dass von öffentlichen Stellen Statistiken zu führen sind, wurde 2005 aufgehoben. Im Hinblick auf die gesetzliche Befristung der Geltungsdauer des IFG wurde auf der Grundlage des Erlasses des Innenministeriums im Jahre 2006 für die Jahre 2007, 2008 und 2009 eine in der Prüfungstiefe reduzierte Arbeitsanfallstatistik erstellt. In diesen Statistiken wurde auch die Information erhoben, in wie vielen Fällen der Antragstellungen nach dem IFG NRW eine Entscheidung der Auskunftsbehörde mit einer Gebührenerhebung verbunden war. Eine Frage nach der jeweiligen Gebührenhöhe von Gebührenbescheiden einschließlich der Zuordnung zu einem Datum enthielt die damalige Erhebung nicht. Zur Vermeidung von Verwaltungsaufwand wurde die Arbeitsanfallstatistik für das Jahr 2009 letztmalig erstellt. Für die Jahre ab 2010 liegt somit kein Datenmaterial vor. 2. Wie hoch sind dabei jeweils in allen einzelnen Fällen die in Rechnung gestellten Gebühren für die Auskunftsanfragen gewesen? Entsprechendes Zahlenmaterial liegt nicht vor; siehe Antwort zu Frage 1. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1465 4 3. Welche Inhalte, Art und Komplexität der Informationen sind jeweils bei den einzelnen Anfragefällen begehrt worden? Entsprechendes Zahlenmaterial liegt nicht vor; siehe Antwort zu Frage 1. 4. Aus welchen genauen Erwägungen heraus entspricht die anhand des Beispiels dargestellte Praxis des LANUV aus Sicht der Landesregierung einer sachgerechten und verhältnismäßigen Anwendung der Vorschriften des IFG? In dem angeführten Einzelfall hatte das LANUV mit Bescheid vom 21. August 2012 einem Antragsteller eine Gebühr von 1.000 Euro für jeweils eine von zwei Anfragen in Rechnung gestellt. Die Höhe der festgesetzten Gebühren errechnete sich aus dem für die Bearbeitung der Anfrage entstandenen tatsächlichen Bearbeitungsaufwand. Das MKULNV hat nach nochmaliger Prüfung unter besonderer Würdigung des Einzelfalles - es handelte sich um eine Anfrage der Presse ohne erwerbswirtschaftlichen Hintergrund - das Landesamt gebeten, den o.g. Gebührenbescheid abzuändern. Mit Änderungsbescheid vom 10. Oktober 2012 ist das Landesamt dieser Bitte nachgekommen und hat die Gebühren neu auf den unteren Rand des Gebührenspektrums (jeweils 10 Euro) festgesetzt. Zudem hat das Landesamt gegenüber dem zuständigen Verwaltungsgericht in dem über die Gebühr anhängigen Rechtsstreit eine Erledigungserklärung abgegeben. 5. Welche konkreten Änderungen beabsichtigt die Landesregierung bei ihrer Pra- xis der Gebührenfestsetzung im Rahmen der Ausführungen des IFG? Die Praxis der Gebührenfestsetzung hat sich an der geltenden Rechtslage des IFG NRW (§ 11 IFG NRW) und an der Verwaltungsgebührenordnung zum IFG NRW zu orientieren. Die Gebührenregelung ermöglicht, wie auch bei anderen Verwaltungsverfahren, in festgelegten Grenzen den bei den öffentlichen Stellen entstehenden Aufwand und Auslagenumfang der Antragstellerin/dem Antragsteller in Rechnung zu stellen. Die in der Regelung enthaltene Gebührenhöhe ist dabei so bemessen, dass sie keine von der Antragstellung abhaltende Hürde darstellt. Allein die Regelungen, dass eine Ablehnung und die Erteilung einer mündlichen und einer einfachen schriftlichen Auskunft gebührenfrei erfolgen, tragen dazu bei, dass in vielen Fällen überhaupt keine Gebühren erhoben werden. Die Evaluierung des IFG NRW im Jahre 2004 und die Arbeitsanfallstatistiken aus den Jahren 2007 bis 2009 haben darüber hinaus gezeigt, dass bei der überwiegenden Anzahl von Auskünften auf Anfragen nach dem IFG NRW überhaupt keine Gebühren erhoben worden sind. Weiterhin sieht die Verwaltungsgebührenordnung einen Ermäßigungs- und Befreiungstatbestand aus Gründen der Billigkeit oder zur Vermeidung sozialer Härten vor. Sofern in einem Einzelfall Zweifel an Rechtmäßigkeit der Gebührenentscheidung bestehen sollten, steht der Rechtsweg zur Überprüfung offen.