LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/14694 29.03.2017 Datum des Originals: 28.03.2017/Ausgegeben: 03.04.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5642 vom 23. Februar 2017 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/14326 Merkwürdige Befragungsaktion des Finanzministers vor der nächsten Landtagswahl – Welchen Nutzen hat der Steuerzahler von dieser zweifelhaften Marketingoffensive der Landesregierung konkret? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Finanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans hat unlängst eine Marketingoffensive gestartet, die aus verschiedenen Komponenten besteht. Neben freundlichen Briefen an nordrheinwestfälische Steuerzahler, in denen der Minister um Verständnis für die Notwendigkeit der Steuerentrichtung bittet und dafür höflich dankt, hat es im abgelaufenen Jahr noch ferner eine Onlinebefragung zur Kundenzufriedenheit mit der Finanzverwaltung gegeben. Diese gibt dort beispielsweise als Ziel aus, zukünftig die Bürokratie und Kosten bei der Erstellung der Steuererklärung zu reduzieren. Praktische Gestaltungsvorschläge für ein einfacheres Steuerrecht sind allerdings bislang aus der politischen Praxis dieser Landesregierung nicht bekannt. Der Finanzminister wirbt persönlich für eine breite Teilnahme vieler nordrhein-westfälischer Bürger. In einer begleitenden Medieninformation führt er unter anderem aus: „Die Befragung liefert unserer Verwaltung wertvolle Hinweise, in welchen Bereichen wir bereits gut sind und wo wir noch bürgerfreundlicher werden können. Wer könnte das besser beurteilen als die Bürgerinnen und Bürger?“ Zur Teilnahme unter www.machmit.nrw.de sind 2016 stolze sechseinhalb Millionen Bürger aufgerufen gewesen. Die Finanzverwaltung äußert beispielsweise ihr Interesse an den bestehenden Meinungen zu Öffnungszeiten, Kompetenz, Freundlichkeit und Verständlichkeit der Steuerverwaltung unseres Landes. Wer sollte schon etwas gegen mögliche Serviceverbesserungen haben? Und Beteiligungsformen machen grundsätzlich ohnehin einen guten Eindruck. Die meisten Antworten der Befragung sind mittels eines Klicks auf einer Skala von „stimme überhaupt nicht LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14694 2 zu“, „stimme nicht zu“, „neutral“, „stimme zu“, „stimme voll und ganz zu“ bis hin zu „keine Angabe“ zügig, aber eben auch nur pauschal und undifferenziert zu beantworten. Die zentralen Ergebnisse sollen zu Jahresbeginn 2017 ausgewertet worden sein und sicher rein zufällig in Kürze, also wenige Wochen vor der Landtagswahl, öffentlichkeitswirksam vom Finanzminister veröffentlicht werden. Seine bis Monatsende Februar 2017 geplanten Aktivitäten der Öffentlichkeitsarbeit hat der Finanzminister bereits angekündigt. Vor diesem Hintergrund ist gerade auch ein Blick auf die politischen Meinungsfragen von Interesse, deren Sinnhaftigkeit für steuerungsrelevante Handlungen oder Erkenntnisse sich nicht wirklich erschließen. Beispielsweise wird die Meinung abgefragt zur selbstverständlichen Aussage: „Ich finde, dass man bei der Steuererklärung ehrlich sein sollte.“ Welcher vernünftige Mensch würde dies bestreiten – zumal wenn einen ausgerechnet die Finanzverwaltung danach befragt? Bereits heute ist absehbar, dass diese Frage von nahezu allen Teilnehmern bejaht werden wird und der Finanzminister dies kurz vor der Landtagswahl in der Öffentlichkeitsarbeit als breite Zustimmung zu seiner Politik werten wird. Ähnlich ist es mit der die tatsächliche Problematik stark simplifizierenden Frage „Ich finde gut, dass die Finanzverwaltung Steuer-CDs ankauft, um damit Steuerhinterziehung zu bekämpfen.“ Hier wird so getan, als ob persönliche Finanzdaten am Markt so problemlos zu erwerben sind wie Auskünfte von Adressbuchverlagen. Die damit verbundenen ernsthaften Probleme der Datendealerei, die Straftaten bei der Informationsbeschaffung voraussetzen und Diebe mit Millionenzahlungen in Bargeldkoffern alimentieren, bleiben völlig außen vor. Denn bei einer realitätsnäheren Darstellung der Vorgänge dürften die Zustimmungswerte natürlich anders aussehen. Auch bei diesem Punkt kann schon heute die fast sichere Wette abgeschlossen werden, wie der Finanzminister die Antworten im Frühjahr zu seiner persönlichen Profilierung nutzen wird. Der Erkenntnisgewinn einer Befragung zur Verbesserung der Serviceleistung für den steuerzahlenden Bürger in den Finanzbehörden des Landes erschließt sich jedenfalls nicht auf Anhieb. Die Frage ist rein politischer Natur. Interessante politische Positionen des Finanzministers bleiben ansonsten erwartungsgemäß bei den Fragen außen vor, bei denen der Finanzminister schon größere Zweifel an seiner Popularität haben dürfte. Aufschlussreich wären beispielsweise die Zustimmungswerte zu folgenden Aussagen gewesen: „Ich finde die vorgenommene nahezu Verdoppelung der Grunderwerbsteuer richtig.“ „Ich finde, die kalte Progression sollte nicht vollständig beseitigt werden, wenn der Staat doch durch sein bisheriges Vorgehen mehr Geld einnehmen kann.“ „Ich finde es richtig, dass das Land neue Schulen aufnimmt und der Schuldenberg schon 142 Milliarden Euro beträgt.“ „Ich finde, dass man Bargeldzahlungen jenseits von geringen Obergrenzen verbieten sollte.“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14694 3 Die Sinnhaftigkeit anderer tatsächlich gestellter Fragen ist ferner zweifelhaft. So erkundigt sich der Finanzminister nach der durchschnittlichen Bearbeitungszeit der Finanzverwaltung bei einer Steuererklärung bis zum Vorliegen eines Steuerbescheides. Niemand sonst kann diese Frage so repräsentativ und zuverlässig beantworten wie die Finanzverwaltung selbst mittels ihrer eigenen EDV. Für den Steuerzahler und die Landespolitik ist es nun von großem Interesse, endlich nähere Einzelheiten zur Konzeption und Fachlichkeit der vorliegenden Befragungsaktion zu erfahren – inklusive aller damit verbundenen Fremdkosten und verwaltungseigenen Ressourcen. Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 5642 mit Schreiben vom 28. März 2017 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Bürgerorientierung ist eines der strategischen Verwaltungsziele der Finanzverwaltung. Bereits seit 2002 - also auch unter der Vorgängerregierung - werden dazu regelmäßig Bürgerbefragungen durchgeführt. Die aktuelle Befragung im Jahr 2016 ist die siebte Bürgerbefragung der Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen. Darin eine Marketingoffensive vor der Landtagswahl zu sehen, ist vor diesem Hintergrund eine haltlose Unterstellung. Bürgerbefragungen sind ein seit Jahren bewährtes Instrument, mit dem wertvolle Erkenntnisse darüber gewonnen werden, ob die Bürger mit der Finanzverwaltung zufrieden sind und wo sie noch besser werden kann. Aufgrund der vorangegangenen Befragungen wurden bereits zahlreiche Maßnahmen in Angriff genommen, wie z. B. die Überarbeitung des Steuerbescheids oder die sprachliche Überarbeitung der Vordrucke und Anschreiben. Im Rahmen des gemeinsamen Entschließungsantrags der Fraktionen der SPD, der CDU, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP „Gut aufgestellt in die Zukunft – Für eine moderne und effektive Finanzverwaltung“ vom 29.06.2016 (Drs. 16/12334) wurde als gemeinsames Ziel die Verbesserung des Bürgerservice ausdrücklich beschlossen. Gerade die Bürgerbefragung unterstützt als ein Gradmesser der Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Finanzverwaltung das Bestreben nach dieser Verbesserung. Bürgerorientierung bedeutet auch zu vermitteln, dass Steuern Sinn machen. Mit den Fragen nach Steuerehrlichkeit und CD-Ankäufen soll u. a. gemessen werden, ob dieses Ziel erreicht wurde. Die Bürgerbefragung ist Teil der Strategie der Finanzverwaltung, die Bürgermeinung auf allen verfügbaren Plattformen zu berücksichtigen und ernst zu nehmen. Der Fragebogen für die aktuelle Befragung wurde auf der Basis des bisherigen Fragebogens und in Zusammenarbeit mit der Freien Universität Berlin weiterentwickelt. Dabei wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass die Fragen leicht verständlich und klar zu beantworten sein müssen, um eindeutig interpretierbare und brauchbare Ergebnisse zu erhalten. Differenzierte individuelle Aussagen waren über ein Freitextfeld möglich. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14694 4 1. Welcher vollständige detaillierte Ressourcenaufwand, differenziert nach Fremdkosten und verwaltungseigenem Ressourceneinsatz, entsteht durch die Bürgerbefragung 2016 in dem gesamten Prozess von der Konzeption bis zur Ergebnisveröffentlichung 2017? (bitte differenzierte Aufschlüsselung sämtlicher Positionen unter Angabe aller jeweiligen externen Auftragnehmer für Homepagebetrieb, Marketingaktivitäten etc.) Für diese siebte Bürgerbefragung seit 2002 sind Fremdkosten von rund 70.500 € entstanden. Sie entfallen in Höhe von rund 64.000 € auf die Programmierung und Auswertung der Befragung und in Höhe von rund 6.500 € auf die Gestaltung und den Druck von Plakaten und Flyern. Die Entwicklung des Fragebogens und die Analyse der Befragungsergebnisse erfolgte bzw. erfolgt im Rahmen eines unentgeltlichen Forschungsprojekts in Zusammenarbeit mit der Freien Universität Berlin. Alle anderen Arbeiten im Zusammenhang mit der Bürgerbefragung 2016 wurden bzw. werden durch Angehörige der Finanzverwaltung im Rahmen ihrer laufenden Tätigkeit erbracht. 2. Wie viele Bürger haben an der Befragung tatsächlich teilgenommen? An der Bürgerbefragung 2016 haben knapp 33.000 Bürgerinnen und Bürger teilgenommen. Das ist im Vergleich zu früheren Befragungen eine Steigerung der Teilnehmerzahlen um weit mehr als das Doppelte. 3. Welche Anforderungen der üblichen statistischen Gütekriterien der empirischen Sozialforschung wie Validität oder Reliabilität erfüllt die besagte Befragung aus Sicht des Finanzministers, insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass eine Mehrfachteilnahme technisch problemlos möglich ist? Die Validität als statistische Eigenschaft beschreibt, ob der Test (die Befragung) auch wirklich das misst, was er (sie) zu messen beansprucht. Die Reliabilität als statistische Eigenschaft gibt den Grad der Messgenauigkeit an. Die inhaltliche Validität der Befragung wurde sichergestellt. Die Fragen wurden unter Berücksichtigung logischer und fachlicher Anforderungen und der Erkenntnisse aus den beiden vorhergehenden Befragungen (2012 und 2010) entwickelt. Zur Verifizierung der Validität wird die Gesamtzufriedenheit der Bürgerinngen und Bürger - wie im Rahmen der Vorbefragungen auch - explizit in einer Frage angesprochen. Die Reliabilität kann typischerweise erst nach Beendigung der Umfrage mittels geeigneter Testverfahren überprüft werden. Dieser Aspekt wird im Zuge der anstehenden wissenschaftlichen Auswertung berücksichtigt. Dabei wird u. a. untersucht, ob es Anhaltspunkte für Mehrfachteilnahmen gibt. Im Übrigen habe ich mich nach intensiven Beratungen innerhalb meines Hauses und mit der Wissenschaft entschlossen, allen Bürgerinnen und Bürger die Teilnahme an der Umfrage ohne explizite Authentifizierung zu ermöglichen. Durch dieses Verfahren habe ich sichergestellt, dass alle Interessierten unbürokratisch und einfach ihr persönliches Feedback übermitteln können. Die Rückmeldung von rund 33.000 Bürgerinnen und Bürgern zeigt, dass die LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14694 5 Bürgerinnen und Bürger das Angebot gerne aufgegriffen haben und die Entscheidung richtig war. 4. Welche einzelnen Maßnahmen sind bei der Konzeption der Onlinebefragung ergriffen worden, um einen umfassenden Datenschutz der Teilnehmer bei dem so sensiblen Thema wie Angaben rund um die persönliche Steuererklärung sicherzustellen? Die Onlinebefragung erfolgte anonym. Sie wurde bewusst so angelegt, dass die abgefragten Daten keinen Rückschluss auf eine bestimmte oder bestimmbare Person zulassen. Außerdem war die Teilnahme an der Befragung freiwillig. Der Zweck der datenschutzrechtlichen Regelungen wird daher nicht tangiert. 5. Würde der Finanzminister seine umstrittene CD-Beschaffung unterlassen, wenn dies bei sachgerechter Fragestellung der mehrheitliche Wille der Antwortgeber wäre? Die Landesregierung richtet ihre politischen Überlegungen nicht nach Marktforschungsergebnissen aus. Sie geben jedoch wertvolle Hinweise darauf, ob die ergriffenen Maßnahmen zum Nutzen der Bürgerinnen und Bürger hinreichend begründet sind und wo Korrekturbedarf besteht. Anders als bei der von der FDP forcierten Hotelsteuer wäre das im Fall des CD-Erwerbs aber kaum zu erwarten. Wie bereits in meiner Antwort auf die Kleine Anfrage 5253 (Drs. 16/13462) weise ich darauf hin, dass den öffentlichen Haushalten und damit der Allgemeinheit durch Steuerhinterziehung und trickreiche Steuerumgehung Jahr für Jahr ein dreistelliger Milliardenbetrag verloren geht, der für Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Sicherheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt fehlt. Den Schaden trägt die weit überwiegende Mehrheit der ehrlichen Steuerzahler, die sich Recht und Gesetz entsprechend an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen. Diese Schieflage versucht die Finanzverwaltung durch konsequente Bekämpfung von Steuerhinterziehung zu beseitigen. In einer Zeit, in der Steuerbetrug und -umgehung intensiv diskutiert werden, halte ich die Aufnahme einer derartigen Frage für mehr als geboten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben an dieser Stelle die Möglichkeit, ein Feedback zu geben und darüber hinaus ihre Meinung zusätzlich im Rahmen möglicher Freitextanmerkungen am Ende der Befragung zu äußern.