LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/14783 06.04.2017 Datum des Originals: 05.04.2017/Ausgegeben: 11.04.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5655 vom 2. März 2017 der Abgeordneten Dirk Wedel und Dr. Joachim Stamp FDP Drucksache 16/14354 In welcher Weise reduziert Justizminister Kutschaty die in der religiösen Betreuung muslimischer Gefangener tätigen Imame von DITIB? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Seit Februar 2015 hat Justizminister Kutschaty bei unterschiedlichen Gelegenheiten als Teil eines Fünf-Punkte-Plans zur Vorbeugung von Radikalisierung im Strafvollzug den Ausbau der religiösen Betreuung muslimischer Gefangener angekündigt (Vorlage 16/2689, Seite 4; APr 16/830, Seite 35; Drs. 16/7993, Seite 4; Vorlage 16/3189, Seite II; APr 16/1010, Seite 12 f.). Im Kampf gegen die Radikalisierung (junger) Muslime sei die Intensivierung der seelsorgerischen Betreuung muslimischer Inhaftierter ein Schlüssel zum Erfolg. Deshalb verstärke die Justiz den möglichst flächendeckenden Einsatz von Imamen als Seelsorgern und religiösen Betreuern, die als natürliche Autoritätspersonen in der Lage seien, bereits straffällig gewordene Radikalisierte von ihrem eingeschlagenen Weg abzubringen, ihnen eine andere, friedliche Auslegung ihrer Religion zu vermitteln und potenzielle Opfer dieser Extremisten im Justizvollzug zu „immunisieren“ (Vorlage 16/3189, Seite II; APr 16/1010, Seite 13). Angesichts der Gefahren des Extremismus dürfe sich das seelsorgerische Angebot aber nicht allein auf das Freitagsgebet beschränken. Das Ziel müsse vielmehr eine möglichst umfassende Betreuung muslimischer Gefangener sein (APr 16/1010, Seite 13). Zur Situation der religiösen Betreuung muslimischer Gefangener führte Justizminister Kutschaty in der 41. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.02.2015 aus (APr 16/830, Seite 35 f.): „Derzeit bietet sich im Lande folgendes Bild: Für die Religionsausübung der muslimischen Gefangenen können Imame bzw. Hodschas in allen Anstalten tätig werden. Sofern sie tatsächlich zur Verfügung stehen. Diese werden derzeit entweder von den örtlichen Moscheevereinen oder den türkischen Generalkonsulaten oder dem Verband DITIB entsandt. … Zur Frage der Tätigkeit von weiteren Imamen in den Justizvollzugsanstalten stehen wir aktuell im Kontakt mit dem derzeitigen Sprecher des Koordinierungsrates der Muslime – welcher die LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14783 2 vier größten Verbände – DITIP, Islamrat, Verband der islamischen Kulturzentren und Zentralrat der Muslime – vertritt. Weitere Gespräche, auch mit Vertretern der Alevitischen Gemeinde Deutschlands, werden folgen. Hierbei wird es auch darauf ankommen, die Auswahl der Imame bzw. muslimischen Seelsorger in den Blick zu rücken.“ In der 42. Sitzung des Rechtsausschusses vom 11.03.2015 konkretisierte der Justizminister (APr 16/851, Seite 8): „Derzeit haben wir nach den Angaben unserer Justizvollzugsanstalten 122 Imame, die dort Gefangene betreuen. 117 dieser Imame – alle bis auf fünf – kommen aufgrund ausdrücklicher Empfehlung durch das jeweils zuständige türkischen Generalkonsulat in unsere Anstalten. Zumeist handelt es sich hierbei um Imame von der Deutsch-Islamischen Union, auch DITIB genannt. Diese sind ausweislich der Deutschen Islam Konferenz türkische Beamte, die in der Regel für vier Jahre nach Deutschland versetzt werden, um unter anderem dann auch die religiöse Betreuung Gefangener zu übernehmen. Das jeweils zuständige türkische Generalkonsulat benennt diese Imame der jeweiligen Justizvollzugsanstalt, und der türkische Staat bezahlt diese Imame auch. Allein schon dieser Auswahlweg bedeutet ein hohes Maß an Sicherheit.“ In der Antwort auf die Kleine Anfrage 4463 erklärte der Justizminister, 97 der 114 im Februar 2016 in den Justizvollzugsanstalten tätigen muslimischen Seelsorger seien über das türkische Generalkonsulat entsandt (Drs. 16/11478, Seite 2). Nach dem vom Justizminister im Juni 2016 vorgestellte „Konzept zur Förderung der Integration der ausländischen Inhaftierten und zur Verbesserung der Sicherheit im Justizvollzug Nordrhein-Westfalen“ soll das unter Hinzuziehung der Kompetenz von Islamwissenschaftlern eingerichtete Kompetenzzentrum „Justiz und Islam“ künftig bei der Auswahl von Imamen mitwirken (Vorlage 16/4050, Seite 4; Vorlage 16/4086, Seite 7). In einem Interview mit der Deutschen Richterzeitung erklärte Minister Kutschaty zu den Vorgängen in der Türkei nach dem Putschversuch (vgl. WDR vom 06.08.2016: Kutschaty fordert härteren Kurs gegen die Türkei, Laschet warnt): „Wenn Richter und Staatsanwälte entlassen und inhaftiert werden, weil sie nicht die Ansichten des Staatspräsidenten teilen, ist das das Ende des Rechtsstaates. Was aktuell in der Türkei passiert, ist ein Staatsstreich nach dem Staatsstreich.“ Die Westdeutsche Zeitung berichtete in ihrer Ausgabe vom 12.09.2016, das Internetportal „Deutsch-Türkisches Journal“ schätze nach den ihm vorliegenden Berichten von abberufenen Imamen die Zahl der Betroffenen auf mehr als ein Viertel der etwa tausend türkischen Religionsbeauftragten in Deutschland. Dafür reiche der vage Verdacht, auch nur in der Nähe der „Gülen-Bewegung“ zu stehen. Nach Auskunft des Ministers für Inneres und Kommunales wird die „Gülen-Bewegung“ vom Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen nicht als extremistische Bestrebung beobachtet. Die „Gülen-Bewegung“ verfolge zwar zum Teil demokratiefeindliche Vorstellungen, trete in Deutschland aber nur als religiöse Organisation auf, ohne nachweisbar politische Bestrebungen im Sinne des Verfassungsschutzgesetz zu verfolgen (Drs. 16/12878). Die Ausführungen des Ministers für Inneres und Kommunales beinhalten ebenfalls Erkenntnisse, dass DITIB in seinen Moscheegemeinden gegen „Gülen-Anhänger“ vorgehe. Zum Stichtag 19.09.2016 betrug die Anzahl der in Justizvollzugsanstalten tätigen Imame 104, von denen 92 über die türkischen Generalkonsulate bzw. von DITIB entsandt wurden. Zudem LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14783 3 kündigte Justizminister Kutschaty am 26.09.2016 an, dass künftig alle Imame einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen würden. In der Vergangenheit seien Imame, die konsularisch vermittelt wurden, von der Sicherheitsüberprüfung ausgenommen worden. Die Zusammenarbeit mit den von der DITIB entsandten Imamen bei der religiösen Betreuung von Inhaftierten solle nach dem Willen der Landesregierung fortgesetzt werden (Vorlage 16/4264, Seite 4). Am 28.09.2016 waren von den insgesamt 112 in den Justizvollzugsanstalten des Landes tätigen Imamen 96 von der DITIB (Drs. 16/13264, Seite 3 und Anlage). Nach Presseberichten vom 18.01.2017 ermittelt der Generalbundesanwalt wegen Spionageverdachts bei DITIB. Mitglieder des türkischen Moscheenverbands in Deutschland sollen Informationen über Anhänger des Predigers Fethullah Gülen an die Regierung in Ankara weitergereicht haben. Der Rheinischen Post vom 22.02.2017 zu Folge berichtete Justizminister Kutschaty am Rande einer Veranstaltung, dass er unter den an den JVAs tätigen muslimischen Predigern „aufräume“. Jetzt gebe es noch knapp 100 Imame, von denen 63 von DITIB kämen. Er wolle deren Anteil nun weiter senken – auch, weil sie sich nur wenig um die Seelsorge der Gefangenen kümmerten. Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 5655 mit Schreiben vom 5. April 2017 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Anzahl der in den nordrhein-westfälischen Justizvollzugseinrichtungen tätigen über die türkischen Generalkonsulate bzw. von DITIB entsandten Imame hat sich von 117 (Februar 2015) über 63 (Januar 2017) auf aktuell 12 (März 2017) verringert. Gleichzeitig ist die Zahl der weiteren, auf anderen Wegen, z.B. von freien muslimischen Gemeinden, gewonnenen Imame von 5 (Februar 2015) über 17 (März 2016) auf 26 (März 2017) gestiegen. Seit dem 12.09.2016 haben sich uneingeschränkt alle in den Justizvollzugseinrichtungen tätigen Imame – ab diesem Zeitpunkt auch über die türkischen Generalkonsulate bzw. von DITIB entsandten Imame - einer erweiterten Sicherheitsüberprüfung nach dem SÜG NRW zu unterziehen. Mit Erlass vom 20.02.2017 (Az.: 4434 E IV. 66/96) wurde zudem verfügt, dass der Zutritt zu Justizvollzugseinrichtungen nur noch Imamen gewährt wird, die an der Sicherheitsüberprüfung durch Abgabe einer Sicherheitserklärung zur Durchführung einer Sicherheitsüberprüfung nach dem SÜG NRW mitwirken. Diese Voraussetzung wird von der überwiegenden Zahl der über die türkischen Generalkonsulate bzw. von DITIB entsandten Imame derzeit nicht erfüllt. Über mögliche Fragen im Zusammenhang mit der nunmehr von allen Imamen geforderten Sicherheitsüberprüfung führt die Landesregierung weiter Gespräche mit den Beteiligten. Darüber hinaus werden die Bemühungen zur Gewinnung von weiteren Imamen fortgesetzt. 1. Wie viele muslimische Seelsorger sind derzeit in den Justizvollzugsanstalten des Landes Nordrhein-Westfalen tätig (bitte unter Angabe der Anzahl der über die türkischen Generalkonsulate bzw. von DITIB entsandten muslimischen Seelsorger)? Auf die Vorbemerkung wird Bezug genommen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14783 4 2. Welche Ergebnisse hatten die Sicherheitsüberprüfungen der über die türkischen Generalkonsulate bzw. von DITIB entsandten muslimischen Seelsorger (bitte unter Angabe, in wie vielen Fällen aufgrund dessen deren Tätigkeit in den Justizvollzugsanstalten geendet hat)? Bislang erfolgte Sicherheitsüberprüfungen haben keine Auffälligkeiten gezeigt. 3. Aufgrund welcher Umstände hat sich die Anzahl der in den Justizvollzugsanstalten des Landes tätigen von den türkischen Generalkonsulaten bzw. von DITIB entsandten muslimischen Seelsorgern seit dem 28.09.2016 um ein Drittel reduziert? Auf die Vorbemerkung wird Bezug genommen. 4. Inwieweit sind in den Justizvollzugsanstalten des Landes tätige oder tätig gewesene über die türkischen Generalkonsulate bzw. von DITIB entsandte muslimische Seelsorger verdächtig, Informationen über Gefangene direkt oder indirekt an die türkische Regierung weitergegeben haben? Es liegen keine diesbezüglichen Erkenntnisse vor. 5. Durch welche Maßnahmen beabsichtigt Justizminister Kutschaty die Anzahl der über die türkischen Generalkonsulate bzw. von DITIB entsandten in den Justizvollzugsanstalten des Landes tätigen muslimischen Seelsorger weiter abzusenken? Derartige Maßnahmen sind nicht beabsichtigt.