LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/14969 28.04.2017 Datum des Originals: 28.04.2017/Ausgegeben: 04.05.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5809 vom 30. März 2017 des Abgeordneten André Kuper CDU Drucksache 16/14726 Kommunale Klagen gegen den Zensus 2011 in Nordrhein-Westfalen Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Derzeit klagen 67 Gemeinden gegen die Bescheide des Landesbetriebes Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW) zur Einwohnerfeststellung. Darunter befinden sich unter anderem die Gemeinden Aachen, Bonn, Essen, Kleve, Krefeld, Ratingen und Witten. Mit Stand vom 13.11.2014 waren noch keine mündlichen Verhandlungen terminiert. Der Grund für die Klagen liegt im Wesentlichen darin, dass die Kommunen negative Konsequenzen im Finanzausgleich befürchten. In den Finanzausgleichsgesetzen der Länder wird die amtliche Einwohnerzahl als Maßstab für die finanziellen Zuwendungen herangezogen. Das MIK stellte fest, dass die Entscheidung, ob sich im Einzelfall konkrete Auswirkungen auf die finanziellen Zuweisungen ergeben, anhand der verschiedenen Fachgesetze im Einzelfall zu prüfen sei. Eine generelle Aussage wäre nicht möglich. Die Feststellungsbescheide träfen keine Regelung über die Anwendung oder Auswirkung der festgestellten Einwohnerzahlen. Gemäß § 2 Satz 3 des Ausführungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfahlen zum Zensusgesetz 2011 (ZensG 2011 AG NRW) haben Rechtsbehelfe gegen etwaige Bescheide keine aufschiebende Bedingung. Die Problematik ist auch in anderen Bundesländern bekannt. Mit Urteil vom 06.11.2014 hat das Verwaltungsgericht Bremen die Klage der Stadt Bremerhaven gegen die Freie Hansestadt Bremen abgewiesen. Allerdings wurde die Revision vor dem Oberverwaltungsgericht wegen der besonderen Bedeutung des Verfahrens zugelassen. Darüber hinaus sind weitere Beschlüsse bekannt, bei denen Verwaltungsgerichte über entsprechende Eilanträge entschieden haben (VG Greifswald, VG Gelsenkirchen). Die Kommunen halten die zugrunde gelegte Volkszählung jedoch für ungerecht. Denn im Unterschied zu klassischen Volkszählungen gingen die Statistiker von Stichproben aus und rechneten diese hoch. Bei jenen Hochrechnungen sind jedoch die Einwohnerstrukturen nicht LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14969 2 hinreichend berücksichtigt worden - was auch daran liegt, dass teilweise nur 3,7 Prozent der Haushalte als Basis dienten. Daraus kann mangelnde Transparenz geschlussfolgert werden. In Rheinland-Pfalz hingegen sind Klagen gegen das Statistische Bundesamt kein Thema. Laut Sprecher des Städtetags in Mainz gab es hier kaum Abweichungen. Daher klagt in Rheinland- Pfalz auch nur eine Gemeinde. Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 5809 mit Schreiben vom 28. April 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerpräsidentin sowie allen übrigen Mitgliedern der Landesregierung beantwortet. 1. Wie ist der derzeitige Sachstand in Bezug auf die kommunalen Klageverfahren gegen den Zensus 2011? In Nordrhein-Westfalen sind derzeit 67 Klageverfahren gegen Bescheide des Landesbetriebes IT.NRW - Geschäftsbereich Statistik - zur Feststellung der durch den Zensus mit Stand vom 9. Mai 2011 ermittelten amtlichen Einwohnerzahlen der Gemeinden anhängig. Sämtliche Verfahren werden derzeit im Hinblick auf die beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Normenkontrollverfahren des Senats von Berlin und des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg von den Verwaltungsgerichten nicht weiter betrieben. Teilweise liegen formale Ruhens-Beschlüsse vor, teilweise werden die Verfahren faktisch nicht weiter betrieben. 2. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung zu Klagen / Widersprüchen in anderen Bundesländern mit welchen Ergebnissen und Entscheidungen? Der Landesbetrieb IT.NRW - Geschäftsbereich Statistik - hat den aktuellen Sachstand der Klageverfahren bei den anderen statistischen Ämtern der Länder erfragt. Das Ergebnis ist der anliegenden stichwortartigen Übersicht zu entnehmen. 3. Wie bewertet die Landesregierung die Disparitäten hinsichtlich der Anzahl der Klagen in den verschiedenen Bundesländern? Über die Hintergründe für eine unterschiedlich hohe Anzahl an Klageverfahren in anderen Ländern liegen der Landesregierung keine genauen Erkenntnisse vor. Unterschiede dürften sich aber schon aus der unterschiedlichen Größe und Struktur der Länder mit einer unterschiedlichen Anzahl von Städten und Gemeinden ergeben. So gibt es z.B. in Rheinland-Pfalz mehr Gemeinden mit weniger als 10 000 Einwohnern als in Nordrhein- Westfalen, die im Durchschnitt bundesweit statistisch weniger Einwohner durch den Zensus 2011 verloren haben als die Gemeinden über 10 000 Einwohner. 4. Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung aus der nicht unerheblichen Kritik der im Land befindlichen Kommunen bezüglich der Datenerhebung für den Zensus im Jahr 2011? Im Hinblick auf die in der Antwort zur Frage 1 angeführten, gegen das Land gerichteten rechtshängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren nimmt die Landesregierung außerhalb dieser Verfahren grundsätzlich nicht inhaltlich Stellung. Im Übrigen sind vor einer LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/14969 3 Entscheidung über Konsequenzen zunächst die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts über die Normenkontrollverfahren zum Zensus 2011 abzuwarten, denen grundsätzliche Bedeutung zukommen wird. 5. Ob sich im Falle erfolgreicher Klagen konkrete Auswirkungen auf die finanziellen Zuweisungen ergeben, ist anhand der verschiedenen Fachgesetze im Einzelfall zu prüfen. Welche konkreten Fachgesetze, die finanzielle Zuweisungen an die Kommunen regeln, könnten durch eine erfolgreiche Zensus-Klage betroffen sein? Ob und inwieweit sich im Falle erfolgreicher Klagen Auswirkungen auf Fachgesetze ergeben, kann erst geprüft werden, wenn die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts über die Normenkontrollverfahren zum Zensus 2011 vorliegen. Information und Technik Nordrhein-Westfalen 4. April 2017 1 Anlage 1 zur Kleinen Anfrage 5809 Sachstand der Klageverfahren gegen die Bescheide zur Einwohnerzahlfeststellung nach dem Zensus 2011 Sachstand Baden- Württemberg 144 Klagen, davon sind 138 ruhend gestellt. Auch alle 6 Musterverfahren wurden bis zum Abschluss des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht ruhend gestellt. Bayern Insgesamt 54 Klagen. Das Verfahren der Stadt Amberg wird als Musterverfahren durchgeführt. Die Klagen sind derzeit bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ruhend gestellt. Berlin- Brandenburg Alle 18 Verfahren ruhen bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts . Bremen Das Berufungsverfahren von Bremerhaven ruht seit Oktober 2015 wegen des anhängigen Normenkontrollverfahrens. Hessen Alle 8 Klagen ruhen bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts . Mecklenburg- Vorpommern Alle 4 Verfahren ruhen bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts . Niedersachsen Die 27 Verfahren ruhen bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts . Zwei Verfahren werden als Musterverfahren geführt. Statistik Nord (Hamburg und Schleswig- Holstein) 1 (Muster-)Klageverfahren, das nicht ruhend gestellt worden ist. 62 weitere Widersprüche. Nordrhein- Westfalen 67 Klageverfahren, die entweder per Beschluss ruhend gestellt worden sind oder faktisch nicht betrieben werden. Rheinland-Pfalz Das eine anhängige Verfahren ruht bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts . Saarland Insgesamt 19 Widersprüche. Die Widerspruchsverfahren sind bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ruhend gestellt. Das Verfahren der Stadt Neunkirchen wird als Musterverfahren durchgeführt. Sachsen Alle 10 Verfahren ruhen bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts . Sachsen-Anhalt 4 von 8 Verfahren sind ruhend gestellt Mit Urteil vom 27.09.2016 des VG Magdeburg wurde in den 4 laufenden Verfahren die jeweilige Klage abgewiesen, Berufung wurde zugelassen. Alle vier Städte haben Berufung beim OVG Magdeburg eingelegt, die Berufungsbegründungsfrist ist für alle Verfahren am 31.03.2017 abgelaufen. Für ein Verfahren liegt dem Statistischen Landesamt bereits eine Berufungsbegründung vor. In zwei Verfahren wurde von Klägerseite die Aussetzung des Verfahrens gem. § 94 VwGO angeregt, das Statistische Landesamt hat einer Aussetzung zugestimmt. Bislang wurde hierüber noch nicht entschieden. Thüringen Die zwei eingereichten Klagen wurden zwischenzeitlich zurückgenommen .