LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1498 21.11.2012 Datum des Originals: 12.10.2012/Ausgegeben: 26.11.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 376 vom 29. August 2012 des Abgeordneten Volker Jung CDU Drucksache 16/758 Finanzielle Unterstützung des Landes NRW bei der künstlichen Befruchtung Die Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport hat die Kleine Anfrage 376 mit Schreiben vom 12. Oktober 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister und der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter beantwortet . Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 29.03.2012 hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) eine Förderrichtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Maßnahmen der assistierten Reproduktion (künstliche Befruchtung) erlassen. Bislang müssen Betroffene für die ersten drei Behandlungsversuche 50 Prozent und für weitere Behandlungszyklen 100 Prozent der Behandlungskosten selbst tragen. Bis Ende 2003 hatte die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) die Kosten für die ersten vier Versuche noch zu 100 Prozent übernommen. Gemäß der Richtlinie sollen nun Behandlungen der In-Vitro-Fertilisation (IVF) und der Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) im ersten bis vierten Behandlungszyklus gefördert werden. Der Zuschuss wird in Höhe von bis zu 25 Prozent des den Paaren nach Abrechnung mit der (gesetzlichen oder privaten) Krankenversicherung verbleibenden Eigenanteils gewährt, sodass der Eigenanteil auf 25 Prozent der Gesamtkosten reduziert wird. Zuwendungsfähig sind jedoch nur solche Behandlungen, an denen sich das jeweilige Hauptwohnsitzbundesland durch Ausführung eigener Förderprogramme in finanziell mindestens gleicher Höhe wie der Bund beteiligt. Berichten zufolge ist nun zwischen dem Bund und einigen Bundesländern, darunter auch Nordrhein-Westfalen, ein Streit über die Finanzierung ausgebrochen. In einer „Saarbrücker LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1498 2 Erklärung“ fordern einzelne Länder zu ihrer Entlastung die Krankenkassen auf, 62,5 Prozent der Kosten zu übernehmen und diese Übernahme als Kofinanzierung anzuerkennen. Derzeit befänden sich Bund und Länder in einem Dialog über das weitere Vorgehen. Vorbemerkung der Landesregierung Bei den Maßnahmen der In-Vitro-Fertilisation (IVF) und der Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) handelt es sich um medizinisch anerkannte Behandlungsmethoden. Der Bundesgesetzgeber hat in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) die Kostenregelung für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung (§ 27a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V)) im Bereich "Leistungen bei Krankheit" verankert. Bis zum Jahr 2003 erstattete die GKV verheirateten Paaren in bestimmten Altersgrenzen die Kosten für den ersten bis dritten Versuch der o.g. Maßnahmen. Diese Erstattung wurde im Rahmen des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes ab 2004 auf 50 % der Kosten reduziert. Die Länder haben im Bundesrat am 2. März 2012 mehrheitlich den Entwurf des Kinderwunschfördergesetzes beschlossen, wonach der Bund die Maßnahmen der künstlichen Befruchtung bei gesetzlich Versicherten zu 25% mitfinanzieren sollte. Damit wäre die Kostenbeteiligung der Paare für den ersten bis dritten Versuch von 50 auf 25% der Behandlungskosten gesunken. Der Gesetzentwurf wurde dem Bundestag von der Bundesregierung am 18. April 2012 mit einer ablehnenden Stellungnahme zugeleitet. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat die Länder bereits mit Schreiben vom 2. April 2012 über das Inkrafttreten der „Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zu Förderungen von Maßnahmen der assistierten Reproduktion“ informiert. Die Länder hatten im Vorfeld keine Gelegenheit, ihre Entscheidung zur Beteiligung an dieser Förderung fachlich, organisatorisch und in ihrer Haushaltsplanung vorzubereiten. Die im Bundeshaushalt bereit gestellten Mittel von 7 Mio. Euro im Jahr 2012 und 10 Mio. Euro in den Folgejahren wären im Übrigen nicht auskömmlich, wenn alle Länder an der Förderung teilhaben wollten. In der einstimmig verabschiedeten „Saarbrücker Erklärung“ vom 27./28. Juni 2012 bitten die Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder das BMFSFJ, die seit 1. Januar 2012 gestatteten Satzungsleistungen der gesetzlichen Krankenkassen für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung als Kofinanzierung der Länder zu akzeptieren. 1. Beabsichtigt die Landesregierung, sich an der Bezuschussung von Maßnahmen der künstlichen Befruchtung gemäß der Förderrichtlinie des BMFSFJ, bspw. mit einem eigenen Förderprogramm, zu beteiligen? 2. Wenn nein, weshalb nicht? 3. Auf welchem Stand befinden sich die Gespräche mit der dem BMFSFJ bzw. der Bundesregierung? Eine Entscheidung der Landesregierung zu den aufgeworfenen Fragen ist noch nicht gefallen . Das Thema wird allgemein mit der Bundesfamilienministerin erörtert, zum Beispiel auch im Rahmen der Jugend- und Familienministerkonferenz. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1498 3 Es wird auf das Anliegen der Länder verwiesen, zu einer bundesweit einheitlichen Regelung zu kommen (Saarbrücker Erklärung, Kinderwunschfördergesetz - siehe Vorbemerkung). Aufgrund der späten Verabschiedung des Haushalts für das Jahr 2012 wäre eine Beteiligung des Landes Nordrhein-Westfalen schon aus haushaltsrechtlichen Gründen nicht möglich gewesen. 4. Wie bewerten Sie die künstliche Befruchtung aus medizinethischer Perspektive? Der Gesamtzusammenhang der Reproduktionsmedizin umfasst nicht nur die sozialrechtlichen Regelungen, das grundsätzlich technisch Machbare und den Behandlungserfolg. Darüber hinaus wird eine Vielzahl verschiedener medizinisch-ethisch relevanter Aspekte und Konstellationen berührt. Eine zusammenfassende medizinethische Bewertung ist nicht primär Aufgabe der Landesregierung. Hier ist jede beteiligte Institution und Person je gesondert gefordert. Dabei sind etwa folgende Aspekte relevant: Die „ungewollte Kinderlosigkeit“ ist nach Feststellung des Bundesverfassungsgerichts keine Krankheit. Aber es bleibt die Frage, welcher Form der Bewältigung des mit einer ungewollten Kinderlosigkeit verbundenen Leids bzw. einer damit verbundenen Sinnkrise bei einem davon betroffenen Paar es bedarf. Die Auseinandersetzung der Betroffenen mit dem möglichen Scheitern reproduktionsmedizinischer Versuche gehört in diesen Zusammenhang. Hierzu gehört auch die Frage, ob und wie in dem Zusammenhang der Wunsch eingetragener Lebenspartnerschaften nach Kindern berücksichtigt werden kann. Es bedarf ferner einer Auseinandersetzung mit den Begriffen "genetische " und "soziale" Elternschaft. Generell stellen sich Fragen der Bewertungsmaßstäbe des technisch Machbaren einerseits und der kommerziellen Aspekte der Verfahren anderseits, die im Extremfall das Kind zu einer gewünschten „Ware“ werden lassen könnten mit entsprechenden Erwartungen an das "Produkt". Diese Fragen stellen aber auch hohe Ansprüche an die reproduktionsmedizinischen Einrichtungen bei der Sicherstellung der angemessenen Beratung der hilfesuchenden Paare, die sich selbst ebenfalls mit diesen Inhalten aktiv auseinandersetzen müssen und nicht "Konsument" sein können. Dies rührt insgesamt an Grundfragen des Daseins und erfordert damit einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs. 5. Wie ist die zahlenmäßige Entwicklung der nach In-Vitro-Fertilisation geborenen Kinder seit 2003 bis heute? Die lebend geborenen Kinder nach In-Vitro-Fertilisation oder Intrazytoplasmatischer Spermieninjektion werden vom Deutschen IVF Register e.V. erfasst und in dessen Jahrbüchern veröffentlicht . Seit 1999 ist die Teilnahme am Register verpflichtend in der Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion der Bundesärztekammer sowie in der Berufsordnung vorgesehen. Die zahlenmäßige Entwicklung der nach In-Vitro-Fertilisation oder Intrazytoplasmatischer Spermieninjektion lebend geborenen Kinder stellt sich wie folgt dar: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1498 4 2002: 12.303 2003: 17.111 2004: 8.376 2005: 8.611 2006: 8.958 2007: 10.246 2008: 10.238 2009: 10.467 2010: 6.293 Die Zahl für 2010 ist noch nicht vollständig, da über 5.500 Fälle noch nicht erfasst sind. Die Daten für die Jahre 2011 und 2012 lagen zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Antwort noch nicht vor. Der starke Anstieg der Geburtenzahlen in 2003 ist wohl auf die im Rahmen des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes ankündigte Kürzung der Kostenbeteiligung durch die Gesetzlichen Krankenkassen ab 2004 zurückzuführen.