LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/15048 22.05.2017 Datum des Originals: 19.05.2017/Ausgegeben: 26.05.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5886 vom 13. April 2017 des Abgeordneten Marc Lürbke FDP Drucksache 16/14877 Gefährder in NRW nach dem Fall Amri weiter auf freiem Fuß? Warum wurde der im Zusammenhang mit dem BVB-Anschlag festgenommene mutmaßliche IS-Kämpfer aus dem Irak nicht früher festgenommen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Zusammenhang mit dem Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund gab es Medienberichten zufolge in der Nacht zum Mittwoch, 12.04.2017, Durchsuchungen in der islamistischen Szene, bei der ein Verdächtiger aus Wuppertal und einer aus Fröndenberg festgenommen wurden. „Der 26-Jährige Iraker aus Wuppertal war wenige Stunden nach der Attacke auf den Fußballverein ins Visier der Ermittler geraten. Spezialkräfte stürmten am Mittwochmorgen schließlich seine Wohnung. Nach Informationen des "Spiegel" war der Iraker in Deutschland bislang nicht als Islamist aufgefallen. Vor wenigen Tagen wurde er jedoch vom Verfassungsschutz abgehört. In dem Telefonat sagte ein bislang Unbekannter zu dem Iraker: „Der Sprengsatz ist fertig“.“ (vgl. http://www.n-tv.de/politik/Iraker-wohl-doch-nicht-an- Anschlag-beteiligt-article19792932.html) Der Generalbundesanwalt hat am 13.04.2017 beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs Haftbefehl gegen den 26-jährigen irakischen Staatsangehörigen beantragt. Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, sich im Irak als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigungen "Islamischer Staat" (IS) beteiligt (§ 129b Abs. 1, § 129a Abs. 1 StGB) zu haben. In der Pressemitteilung des GBA (http://www.presseportal.de/blaulicht/pm/14981/3612279) heißt es: „Der Beschuldigte war gestern im Zusammenhang mit dem Anschlag auf den Mannschaftsbus der Fußballmannschaft von Borussia Dortmund vorläufig festgenommen worden. Die Ermittlungen haben bislang keinen Beleg dafür ergeben, dass der Beschuldigte an dem Anschlag beteiligt gewesen ist. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/15048 2 Allerdings steht der Beschuldigte im Verdacht, sich spätestens Ende 2014 im Irak dem sogenannten Islamischen Staat angeschlossen haben. Den Erkenntnissen zufolge führte er dort das Kommando über eine Einheit von etwa zehn Personen. Aufgabe seiner Einheit war es, Entführungen, Verschleppungen, Erpressungen und auch Tötungen vorzubereiten. Auch soll er selbst für die Vereinigung gekämpft haben. Im März 2015 reiste er in die Türkei aus und von dort aus Anfang 2016 weiter nach Deutschland. Auch von Deutschland aus unterhielt der Beschuldigte weiterhin Kontakte zu Mitgliedern des "IS".“ Es ist anhand der vorliegenden Erkenntnisse anzunehmen, dass das Ermittlungsverfahren des GBA wegen Verdachts nach §§ 129 b, 129 a StGB bereits seit längerem lief und aus diesem Grund zunächst umfangreiche TKÜ- und Observationsmaßnahmen (§§ 100 a, 100 h StPO) durchgeführt wurden. Allerdings wirft der Zeitpunkt des Zugriffs Fragen auf – möglicherweise wäre ohne den Busanschlag weiter abgewartet worden. Zudem erscheint der Zeitraum von der Einreise Anfang 2016 bis zum Zugriff mit 15 Monaten außergewöhnlich lang. Gerade nach dem Fall Amri sind die Sicherheitsbehörden gehalten, bekannte Tatverdächtige und eingestufte Gefährder soweit leistbar lückenlos zu überwachen, um Aufklärung über ihre Vernetzung in der islamistischen Szene und mögliche Anschlagsplanungen zu erhalten. Dies umfasst nicht nur Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung, sondern auch die Observation des Verdächtigen oder Gefährders durch Beamte des Polizeidiensts; sowohl das Strafprozessrecht bei bestehendem Verdacht auf Straftaten als auch das Polizeirecht des Landes Nordrhein-Westfalen mit Blick auf Gefährder halten für diese Vorgehensweise Rechtsgrundlagen bereit (§ 100 h StPO; §§ 16 a, 17 PolG NRW). Umso mehr muss es erstaunen, dass es hinsichtlich des Festgenommenen offenbar ungeachtet vermutlich angeordneter Telekommunikationsüberwachung nicht oder jedenfalls nicht lückenlos zu begleitenden Observationsmaßnahmen kam, denn gerade jene hätten Anhaltspunkte für eine mögliche Beteiligung oder Nichtbeteiligung des Verdächtigen am Dortmunder Busanschlag rechtssicher und gerichtsfest erbringen können. Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 5886 mit Schreiben vom 19. Mai 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet. 1. Warum ist trotz der offenbar vorliegenden Erkenntnisse bzgl. der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) (§ 129 b Abs. 1, § 129 a Abs. 1 StGB) und des schon lange laufenden Ermittlungsverfahrens im Vorfeld keine Festnahme des Irakers erfolgt? 2. Seit wann steht der beschuldigte Iraker mit welchen Maßnahmen im Fokus der Sicherheitsbehörden in NRW? Die Fragen 1 und 2 werden gemeinsam beantwortet. Anfang April 2017 erhärteten sich gegen den Beschuldigten bestehende zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer Straftat nach § 89a Strafgesetzbuch (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat). Die Staatsschutzabteilung des Polizeipräsidiums Wuppertal trat am Nachmittag des 11. April 2017 an die Staatsanwaltschaft Düsseldorf heran und regte Telekommunikationsüberwachungs- und Durchsuchungsmaßnahmen sowie die Ausschreibung des Beschuldigten zur polizeilichen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/15048 3 Beobachtung an. Noch am selben Tag leitete die Staatanwaltschaft Düsseldorf ein entsprechendes Ermittlungsverfahren ein und beantragte beim Amtsgericht Düsseldorf die von der Polizei angeregten strafprozessualen Maßnahmen, die das Amtsgericht Düsseldorf am 12. April 2017 antragsgemäß anordnete. Am selben Tag übernahm der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren. 3. War er in NRW als Gefährder eingestuft und, falls ja, seit wann? Nein. 4. Wurde er zum Zeitpunkt des Anschlags parallel zu den offenbar laufenden TKÜ- Maßnahmen auch persönlich überwacht? Nein. 5. Wurden nach dem Fall Amri alle bekannten Gefährder in NRW auf die Möglichkeit einer Inhaftierung auf Grundlage entweder des Straf- oder des Ausländerrechts überprüft? Unabhängig von der polizeilichen Einstufung einer Person als Gefährder sind aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei vollziehbarer Ausreisepflicht durch die Ausländerbehörden fortlaufend im Hinblick auf ihre Durchführbarkeit zu prüfen. Hierzu zählt auch das Instrument der Abschiebungshaft. Die Anordnung von Abschiebungshaft setzt zwingend die tatsächliche Möglichkeit der Rückführung innerhalb der in § 62 Abs. 3 AufenthG gesetzlich vorgeschriebenen Fristen voraus. Zusätzlich wird bei allen nichtdeutschen als Gefährder eingestuften Personen im Rahmen der im Ministerium für Inneres und Kommunales eingerichteten Sicherheitskonferenz regelmäßig oder anlassbezogen eine Überprüfung im Hinblick auf die Rückführbarkeit vorgenommen. Dies schließt alle nach dem Aufenthaltsrecht zur Verfügung stehenden Maßnahmen ein.