LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/15051 22.05.2017 Datum des Originals: 22.05.2017/Ausgegeben: 26.05.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5893 vom 20. April 2017 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/14899 Verzögerungen bei der Abschiebung ausreisepflichtiger Personen in Essen – Welche kommunalen Mehrbelastungen bei der Unterbringung von Asylbewerbern und Flüchtlingen erwachsen aus den Versäumnissen des Landes? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Das Asylrecht für politisch Verfolgte ist in Deutschland ein im Grundgesetz verankertes Grundrecht . Es ist unsere humanitäre Verpflichtung der Zivilgesellschaft, bedauernswerten Menschen aus den Krisenregionen dieser Welt Schutz zu bieten, deren Leben durch Krieg, Terror oder durch Verfolgung bedroht ist, solange dies notwendig ist. Für diese Hilfen gibt es dankenswerterweise ein großes Verständnis und eine breite Unterstützung in allen Teilen der Bevölkerung . Ohne immenses bürgerschaftliches Engagement wäre die Flüchtlingskrise bislang nicht zu stemmen gewesen. Zugleich haben die Flüchtlingsströme in den vergangenen Jahren aber auch dazu geführt, dass Kommunen bei ihren Bemühungen einer bestmöglichen Asylbewerberunterbringung zunehmend mit einer stark ansteigenden Armutsmigration aus sicheren Herkunftsländern konfrontiert wurden. Dieser Umstand und die weiter anhaltende Zuwanderung hindern vor allem arme Großstädte in der Ruhrregion daran, ihre ganze Kraft und Integrationsleistung auf die Unterbringung tatsächlich politisch verfolgter und bedrohter Menschen zu richten. Der Rat der Stadt Essen hat sich regelmäßig in den letzten Jahren damit beschäftigt, immer neue und weitere Unterkünfte für Asylbewerber einzurichten bzw. die geplanten Standorte in Betrieb zu nehmen. Die meisten der rund 20.000 Menschen mit Flüchtlingsstatus in Essen leben inzwischen allerdings in Wohnungen, wie die NRZ am 16. Januar 2017 berichtet, so dass beispielsweise Zeltdörfer mit ihren ehemals fast 4.000 Plätzen vollständig aufgegeben werden konnten und auch die Sporthallen wieder ihrem ursprünglichen Zweck gewidmet werden . Dennoch müssen weiterhin Plätze vorgehalten und neu belegt werden, da noch nicht zuverlässig prognostiziert werden kann, wie viele Flüchtlinge in 2017 untergebracht werden LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/15051 2 müssen. Der erst bevorstehende erhebliche Familiennachzug stellt eine weitere Herausforderung dar, und nach Ende des Winters steigen Flüchtlingszahlen den Berichten zufolge wieder erkennbar an. Ein Ende der Massenmigration ist ausdrücklich nicht in Sicht. Die Stadt Essen ist die am höchsten verschuldete Stadt Deutschlands, die daher auch die mit Abstand größten Geldleistungen aus dem Stärkungspakt des Landes bezieht. Essen wird infolge der beschriebenen Herausforderungen bei der Asylbewerberunterbringung ihre Haushaltsmisere auch weiterhin nicht zeitnah in den Griff bekommen. Essens Nachbarstadt Mülheim hat kürzlich bereits eine Rechnung über sämtliche Kosten, die der Stadt im Zuge der Versorgung von Flüchtlingen in den Jahren 2013 bis 2015 netto entstanden sind, also auf denen sie abzüglich der Bundes- und Landeszuschüsse sitzengeblieben ist, an das Land adressiert. Die WAZ in Mülheim berichtet darüber am 21. Januar 2017 wie folgt: „Die Rechnung ist gesalzen: 27.309.602,12 Euro. Unterschrieben hat sie Oberbürgermeister Ulrich Scholten (SPD). Seit einigen Tagen liegt sie dem Innenminister des Landes vor – mit Kassenzeichen und Kontonummer. Die Stadt Mülheim fordert diese Millionensumme, die die Kosten für alle noch nicht durch das Land gedeckten Aufwendungen zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen enthält.“ Vor diesem Hintergrund gewinnt die Rückführung ausreisepflichtiger Personen, die aus den sicheren Herkunftsstaaten stammen, zunehmend an Bedeutung für die finanziell gebeutelten Städte im Ruhrgebiet. Allein aus den drei Westbalkanländern Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien leben Hunderte Asylbewerber in Essener Unterbringungseinrichtungen. Ein Großteil dieses Personenkreises ist sofort oder zumindest nach Beendigung von temporären rechtlichen Hemmnissen wie Krankheiten oder Klageverfahren ausreisepflichtig. Im zurückliegenden Jahr 2016 ist aber nur ein kleiner Teil der tatsächlich ausreisepflichtigen Personen auch freiwillig ausgereist oder zwangsweise zurückgeführt worden, auch wenn die Stadt Essen nach eigenen Angaben 2016 erheblich mehr Menschen in ihre Herkunftsländer abgeschoben hat als in den Vorjahren. Von Januar bis Dezember gab es Medienberichten zufolge 212 Abschiebungen . Am 6. Januar 2017 berichtet die WAZ in Essen: „[Name Ordnungsdezernent] weist darauf hin, dass die aktuelle Steigerung vor allem durch die geänderte Gesetzgebung ermöglicht worden sei: Im Oktober 2015 war das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz in Kraft getreten, das den Kreis der „sicheren Herkunftsländer“ um Albanien und den Kosovo erweiterte. Bei diesen Staaten geht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge davon aus, dass den Antragstellern keine Verfolgung droht. Ihre Asylanträge können deutlich schneller bearbeitet werden – und werden meist als „offensichtlich unbegründet “ abgelehnt. Nach der Ablehnung können Betroffene binnen vier Wochen abgeschoben werden. (…) Tatsächlich sei 2016 in Essen auch die Zahl der freiwilligen Ausreisen gestiegen: 318 Personen seien einer Abschiebung so zuvorgekommen. „Die Abschiebung ist immer nur die Ultima Ratio, und vor allem für Kinder schwer zu ertragen“, räumt [Name Ordnungsdezernent ] ein.“ Die Stadt hat ein hohes Interesse daran, dass für Personen aus sicheren Herkunftsländern, für die eine grundsätzliche Ausreisepflicht besteht, die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auch zeitnah durchgeführt werden. Trotz der in den letzten Jahren stark angewachsenen Flüchtlingszahlen bleibt der Abschiebeprozess in der Stadt Essen, für den das Land Verantwortung trägt, deutlich hinter den rechtlichen Möglichkeiten und sachlichen Erfordernissen zu- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/15051 3 rück. Bei einer konsequenten Anwendung der gültigen Gesetzeslage könnten also viele Ressourcen eingespart werden und Hilfeleistungen deutlich besser auf die Betreuung von Erstantragstellern und tatsächlich asylberechtigten Personen konzentriert werden. Unser Land sollte weiterhin im Rahmen seiner Aufnahmefähigkeit zu seiner humanitären Verpflichtung stehen, Menschen, die vor Unrecht und Gewalt fliehen, bei uns eine sichere Zuflucht zu ermöglichen. Millionen Menschen in unserem Land haben schon heute ausländische Wurzeln. Zusammen mit den Einheimischen ohne Migrationshintergrund bilden sie unsere offene Gesellschaft. In ihr sind gemeinsame Regeln und gegenseitiger Respekt unabdingbar für ein gedeihliches Miteinander . Die Themenfelder der gesteuerten Einwanderung und des Grundrechts auf Asyl werden in der öffentlichen Debatte oft vermischt – Gründe, Maßstäbe und Regeln müssen dafür jedoch ganz andere sein. Für gezielte Einwanderung sind neue rechtliche Regeln notwendig , nicht aber als Anspruchsgrundlage das Asylrecht. Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 5893 mit Schreiben vom 22. Mai 2017 namens der Landesregierung beantwortet. 1. Wie viele der grundsätzlich ausreisepflichtigen Asylbewerber in der Stadt Essen haben differenziert nach Geschlecht, Alter und Herkunftsland jeweils monatlich seit März 2015 bis heute, aufgeschlüsselt nach freiwilliger Ausreise in ihre Heimat bzw. zwangsweiser Abschiebung, auch tatsächlich die Stadt Essen verlassen? (Angabe bitte in absoluten Zahlen) Ich verweise auf meinen umfangreichen schriftlichen Bericht "Rückführungen in den Kommunen im Jahr 2016 in Nordrhein-Westfalen“ vom 07.03.2017 (Vorlage 16/4837). In diesem Bericht enthaltene Daten sind differenziert bis auf die kommunale Ebene. Darüber hinaus liegen hier keine Daten vor und können in der zur Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht ermittelt werden. 2. Welches sind jeweils quantifiziert die wichtigsten Sachgründe dafür gewesen, dass die in Essen lebenden grundsätzlich ausreisepflichtigen Personen seit März 2015 nicht auch tatsächlich in ihr Herkunftsland abgeschoben worden sind? Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. 3. Welche quantitativen Kapazitäten für Abschiebungen wird das Land der Stadt Essen für das Jahr 2017 jeweils im Vergleich zu den Vorjahren 2015 und 2016 zur Verfügung stellen? 4. Welche Kosten sind der Stadt Essen seit März 2015 bis heute jeweils monatlich durch den Umstand entstanden, dass vollziehbar ausreisepflichtige Personen nicht auch tat-sächlich die Stadt verlassen haben? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/15051 4 5. Welche konkreten Maßnahmen, differenziert nach Instrumenten zur Aufenthaltsbeendigung für alle Ausreisepflichtigen und Mitteln zur prozeduralen Beschleunigung der Asylverfahren, ergreift die Landesregierung bislang seit Anstieg der Flüchtlingskrise, um die Stadt Essen effektiv zu entlasten? Die Fragen 3 bis 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs zusammen beantwortet. Der Vollzug der Ausreisepflicht liegt grundsätzlich in der Zuständigkeit der Kommunen (hier: die Stadt Essen). Zur Unterstützung und Entlastung der Kommunen in NRW bei der Bewältigung dieser Aufgabe hat das Land eine Vielzahl von Maßnahmen auf den Weg gebracht oder bereitet diese derzeit vor. Der Ausbau des Integrierten Rückkehrmanagements nimmt innerhalb der Landesregierung höchste politische Priorität ein. Das beschleunigte Asylverfahren, welches für Staatsangehörige aus den Westbalkanstaaten und aus Georgien durchgeführt wird, ist ein wesentlicher Bestandteil des Integrierten Rückkehrmanagements in Nordrhein-Westfalen. Dieses Verfahren wird in ausgewählten Landeseinrichtungen realisiert und entlastet damit die Kommunen, mithin auch die Stadt Essen. Über das integrierte Rückkehrmanagement insgesamt sowie über das beschleunigte Verfahren als eine Maßnahme aus dem Gesamtansatz des integrierten Rückkehrmanagements wurde bereits zur Sitzung des Innenausschusses am 08. September 2016 und zur Sitzung des Ausschusses für Kommunalpolitik am 09. September 2016 schriftlich berichtet. Auf die Vorlagen 16/4221 und 16/4226 wird in diesem Zusammenhang verwiesen. Ausführungen der Landesregierung zum beschleunigten Verfahren sind zuletzt in der Antwort auf die Kleine Anfrage 5709 (LT-Drs. 16/14905) vom 24.04.2017 erfolgt. Das Land unterstützt die für den Ausreisevollzug zuständigen kommunalen Ausländerbehörden insbesondere durch die von ihm finanzierten drei Zentralen Ausländerbehörden (ZAB) in Bielefeld, Köln und Dortmund. Wesentliche Unterstützungsleistungen erfolgen dabei durch eine zentralisierte Beschaffung der Passersatzpapiere (PEP) durch alle ZAB. Angesichts der gestiegenen Herausforderungen hat das Land zusätzliche Mittel - Erhöhung des entsprechenden Haushaltsansatzes um rd. 1,2 Mio. Euro - für eine personelle Verstärkung durch 40 weitere Stellen sowie für eine Verstärkung der sächlichen Ausstattung der ZAB (insb. Fahrzeuge) bereitgestellt. Im Übrigen verweise ich auf meine Antwort auf die Kleine Anfrage 5183, LT-Drs. 16/13287 vom 26.10.2016. Das Land unterstützt die 81 kommunalen Ausländerbehörden seit Mitte 2016 zusätzlich auch durch die Zentrale Rückkehrkoordination NRW (ZRK NRW). Die ZRK NRW koordiniert insbesondere die gezielte landesweite freiwillige Ausreise aus den NRW-Kommunen in acht sog. NRW-Schwerpunktstaaten im Rahmen des REAG-/GARP-Programmes in enger Abstimmung mit der Internationalen Organisation für Migration. Daneben steht die Zentralstelle für Flugabschiebungen (ZFA) NRW den Kommunen mit ihren Leistungen bewährt zur Verfügung. Mit der für den Beginn des 2. Halbjahrs 2017 geplanten Neueinrichtung von 5 Regionalen Rückkehrkoordinationsstellen (RRK) bei den Bezirksregierungen Köln, Düsseldorf, Münster, Arnsberg und Detmold sollen Kohärenz und Vor-Ort-Wirkung der landesseitigen Unterstützungsstruktur für die kommunalen Behörden, gerade auch im Bereich der freiwilligen Rückkehrförderung , weiter erhöht werden. Der Aufbau der RRK wird im Rahmen eines gemeinsamen Modellprojekts zum Integrierten Rückkehrmanagement durch den Bundesbeauftragten für Flüchtlingsmanagement Weise begleitet. Vor dem Hintergrund der bundesweit bestehenden Herausforderungen im Bereich der Rückkehrpolitik haben Bund und Länder am 09.02.2017 unterschiedliche Maßnahmen und Vereinbarungen zur Zusammenarbeit beschlossen. Zwischen Bund und Ländern wurde unter ande- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/15051 5 rem die Einrichtung eines gemeinsamen Zentrums zur Unterstützung der Rückkehr (ZUR) vereinbart , das der operativen Abstimmung zwischen Bund und Ländern zu Rückkehrfragen dienen soll. NRW ist im ZUR seit der Inbetriebnahme am 13.März 2017 ständig mit einem Vertreter präsent und hat als einziges Land die Leitung für einen Arbeitsbereich übernommen. Die erweiterten Strukturen auf Bundes- und Landesebene bieten neue Möglichkeiten zur Unterstützung der Kommunen und damit auch der Stadt Essen.