LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/15060 24.05.2017 Datum des Originals: 24.05.2017/Ausgegeben: 30.05.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5898 vom 27. April 2017 des Abgeordneten Gerd Stüttgen FRAKTIONSLOS Drucksache 16/14968 Mafiaclans in NRW – Tätigkeitsgebiete, Ermittlungsergebnisse, Vorbeugung Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Sechs Menschen wurden am 15. August 2007 vor einem italienischen Restaurant in Duisburg getötet. Grund für das Verbrechen war eine Fehde zwischen zwei verfeindeten 'Ndrangheta- Clans. Dieses Verbrechen brachte der Mafia eine große öffentliche Aufmerksamkeit ein. Die Mafia in Deutschland strebt eher danach, ihren kriminellen Geschäften unauffällig nachzugehen . In den letzten Jahren findet die Mafiakriminalität in der öffentlichen Wahrnehmung kaum mehr statt. Terroristische Anschläge des so genannten IS und die latente Anschlagsgefahr durch islamistische Kreise sowie Gewaltdelikte haben die Mafiaaktivitäten in den Hintergrund treten lassen. Gleichwohl warnen BKA-Beamte, Juristen und Medien seit Jahren vor einer Unterwanderung Deutschlands durch die Mafia. So warnte eine BKA-Abteilungsleiterin im Jahr 2014: „Die organisierte Kriminalität ist an den Haustüren der Bürgerinnen und Bürger angekommen" (Quelle: Huffington Post, 27.11.2014). In diesem Bericht ist die Rede von 1.200 mutmaßlichen Mitgliedern und Unterstützern der italienischen Mafia, die derzeit in Deutschland lebten. Die 'Ndrangheta, Cosa Nostra oder die Camorra vergrößerten ihren Einflussbereich immer mehr. Besonders in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen lebten viele der Mafia-Sympathisanten. Das ginge aus Dokumenten des BKA, der italienischen Anti-Mafia-Behörde und verschiedener Staatsanwaltschaften in Deutschland hervor. Weiter ist zu lesen, dass es keine Großbaustelle gebe, an der die Mafia nicht verdient. Auch in Nordrhein-Westfalen sei die Mafia aktiv. In einem Bericht über die Mafia im „Deutschlandradio Kultur“ wird detailliert nachgezeichnet, wie und womit die Mafia erfolgreich Geldwäsche betreibt: „Die Palette reicht dabei von Betrü- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/15060 2 gereien im Baugewerbe über Immobilieninvestitionen bis hin zur Finanzierung von Windkraftanlagen („Organisierte Kriminalität - Wie Italiens Mafia Deutschland unterwandert“, Deutschlandradio Kultur, 10.03.2015). Weiter ist hier zu lesen wie ein Staatsanwalt erklärt, warum das Entdeckungsrisiko für die Strohfirmen der italienischen Hintermänner dabei eher gering ist: "Die Struktur der deutschen Behörden in diesem Spannungsfeld Gewerbe, Steuer, Zoll, Schwarzarbeit ist tatsächlich so, dass man sich die fehlende Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden auch zunutze machen kann. Sie haben auf der einen Seite Polizei, die vielleicht Erkenntnisse hat zu organisierter Kriminalität. Diese Erkenntnisse werden aber bei dieser konkreten Kriminalitätsform nicht verknüpft mit den Erkenntnissen, die zum Beispiel der Zoll hat – die Zollverwaltung zu organisierter Schwarzarbeit. Das wird auch nicht verknüpft mit Erkenntnissen , die die Finanzverwaltung hat, die ja dann auch noch Ländersache ist. Das heißt: Sie haben auf der einen Seite das Problem Zoll als Bundesbehörde, demgegenüber stehen die Finanzverwaltung und die Polizei als Landesbehörden - die aber konkret auch eher wenig Anlass haben, zusammen zu ermitteln, weil jeder sagt: Das ist eigentlich nicht mein Betätigungsfeld ." Eine mögliche Lösung beim Bekämpfen derart illegaler Machenschaften sieht der Kölner Staatsanwalt in fachübergreifenden Ermittlungskommissionen – bestehend aus Spezialisten der Kriminalpolizei für organisierte Kriminalität sowie aus Fahndern von Zoll- und Steuerbehörden . "So wäre es jedenfalls möglich, diesen tatsächlich bestehenden Markt an Strohmannfirmen, egal jetzt in welchem Gewerbe und egal betrieben von welchen Ethnien, einzudämmen. Ich will nicht sagen, dass man den lahmlegen oder trockenlegen kann. Die Möglichkeiten haben wir nicht, aber man wird ihn eindämmen können." Die Gewerkschaft Verdi schätzt den Schaden, der dem deutschen Staat alleine durch die illegale Bauwirtschaft entsteht, auf jährlich bis zu zehn Milliarden Euro. In einem Interview im Spiegel online (28.09.2016) forderte Laura Garavini, Mitglied der Demokratischen Partei im römischen Parlament, zugleich Mitglied im Anti-Mafia-Ausschuss, europäische Standards bei der Beschlagnahme von Mafia-Vermögen. Die Erfahrungen in Italien zeigten, dass der präventive Vermögensentzug eines der wirksamen Mittel im Kampf gegen die Mafia ist. Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 5898 mit Schreiben vom 24. Mai 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet . 1. Wie viele Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität durch Mafiaclans wurden in den Jahren 2010, 2012, 2014 und 2016 in NRW ermittelt (absolut und in Prozent)? Der Organisierten Kriminalität (OK) zuzuordnende Straftaten erfasst das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (LKA NRW) – nach bundeseinheitlich abgestimmten Richtlinien – im „Lagebild Organisierte Kriminalität“. Straftaten der durch italienische Straftäter dominierten OK- Gruppen ergeben sich aus folgender Tabelle (Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtzahl aller zu OK-Gruppierungen erfassten Straftaten): LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/15060 3 2010 2012 2014 131 (4,03 %) 114 (3,77 %) 32 (0,01 %)1 Qualitätsgesicherte Daten für das Jahr 2016 liegen noch nicht vor. 2. Welche Mafiaaktivitäten sind der Landesregierung im Hochsauerlandkreis in den Jahren 2012 bis 2016 bekannt geworden? Bitte kommunenscharf auflisten. Durch das Polizeipräsidium Dortmund, als für den Hochsauerlandkreis zuständige Kriminalhauptstelle zur Bekämpfung von OK, wurden zwei Verfahren gegen italienische OK-Gruppierungen geführt. Ermittlungsschwerpunkte mit Bezug zum Hochsauerlandkreis gab es hierbei nicht. 3. Was unternimmt die Landesregierung, um die die organisierte Kriminalität durch Mafiaclans aufzudecken, zu erschweren bzw. zu verhindern? Die Bekämpfung der OK ist ein kriminalstrategischer Schwerpunkt der Landesregierung. Operative Auswertungen und Ermittlungen werden grundsätzlich durch spezialisierte Kräfte des LKA NRW, der 16 Kriminalhauptstellen und des Polizeipräsidiums Oberhausen geführt. Auf nationaler und internationaler Ebene erfolgt ein verfahrensbezogener und anlassunabhängiger Informationsaustausch der Strafverfolgungsbehörden. Die Landesregierung hat im Januar 2016 das Maßnahmenpaket für Innere Sicherheit und bessere Integration vor Ort beschlossen. Wesentliche Aspekte des Programms sind die Bekämpfung von Kriminalität in Großstädten und Ballungszentren sowie die Verhinderung und der Aufbruch mafiöser Strukturen. Zur Umsetzung von Konzepten zur weiteren Verbesserung der Strafverfolgung in diesen Bereichen sind unter anderen 100 neue Stellen für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte geschaffen worden. Diese Stellen werden – unter Berücksichtigung der Gegebenheiten und Strukturen in den jeweiligen Bezirken – auch für Programme zur Bekämpfung der OK eingesetzt. 4. Wie beurteilt die Landesregierung den Vorschlag einer effektiveren Bekämpfung organisierter Kriminalität durch die Einrichtung fachübergreifender Ermittlungskommissionen , bestehend aus Spezialisten der Kriminalpolizei für organisierte Kriminalität sowie aus Fahndern von Zoll- und Steuerbehörden? Ermittlungen zur Bekämpfung der OK werden – unter Sachleitung der Staatsanwaltschaft – grundsätzlich durch Ermittlungskommissionen des LKA NRW, der 16 Kriminalhauptstellen und des Polizeipräsidiums Oberhausen geführt. Ermittlungsorientiert erfolgt hierbei auch eine enge Zusammenarbeit mit Zoll- und Steuerbehörden. 1 Der im Verhältnis zu den Vorjahren geringe Prozentsatz ist auf ein OK-Verfahren der Wirtschaftskriminalität mit einer Vielzahl von Einzelstraftaten zurückzuführen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/15060 4 5. Wie steht die Landesregierung zum Vorschlag einer effektiveren Bekämpfung organisierter Kriminalität durch präventiven Vermögensentzug? Neben den polizeirechtlichen Möglichkeiten der Entziehung von Vermögen kommt der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung besondere Bedeutung zu. Die zum 01.07.2017 in Kraft tretenden neuen strafrechtlichen Abschöpfungsvorschriften sehen effektive Maßnahmen insbesondere zur Bekämpfung von OK vor. So werden die Anwendungsbereiche der erweiterten, der nachträglichen und der selbständigen Einziehung von Taterträgen ausgeweitet. Darüber hinaus wird in § 76 Absatz 4 des Strafgesetzbuches erstmals die Möglichkeit eröffnet, in Ermittlungsverfahren wegen bestimmter Delikte u. a. der OK sichergestellte Gegenstände auch dann einzuziehen, wenn es nicht zu einer Verurteilung wegen der dem Verfahren zugrundeliegenden Tat kommt. Auch mit Blick auf diese Neuregelung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung ist in Nordrhein -Westfalen durch Errichtungs-Allge-meinverfügung des Justizministeriums vom 24.01.2017 (4000 – III. 155) bei der Generalstaatsanwaltschaft Hamm eine Zentrale Organisationsstelle für Vermögensabschöpfung (ZOV NRW) eingerichtet worden. Der ZOV NRW obliegen die Aufgaben einer Ansprechstelle für verfahrensübergreifende Fragestellungen, die Entwicklung von Fortbildungsangeboten und deren Umsetzung für die Justiz in Nordrhein- Westfalen sowie die Beratung der Gerichte und Staatsanwaltschaften in Einzelfragen.