LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1518 22.11.2012 Datum des Originals: 21.11.2012/Ausgegeben: 27.11.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 588 vom 24. Oktober 2012 des Abgeordneten Jens Kamieth CDU Drucksache 16/1223 Abgeordnetenbestechung in Nordrhein-Westfalen Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 588 mit Schreiben vom 21. November 2012 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In der Sitzung des Rechtsausschusses vom 26. September 2012 stellte Justizminister Thomas Kutschaty die rechtspolitischen Ziele der Landesregierung für die 16. Wahlperiode vor. In diesem Zusammenhang führte der Minister u.a. aus, dass „wir dringend die Verschärfung des Straftatbestands der Abgeordnetenbestechung des § 108e StGB [benötigen].“ Die Landesregierung werde deshalb einen Gesetzentwurf vorlegen, der „alle strafwürdigen Verhaltensweisen von und gegenüber Abgeordneten in diesem Bereich wirksam erfasst (…).“ Im Rahmen eines BILD-Interviews vom 22. Oktober 2012 antwortete der Minister auf die Frage, ob er Fälle von Abgeordnetenbestechung kenne, dagegen folgendermaßen: „Ich bin in meiner Funktion als Abgeordneter nie angesprochen worden und habe auch nichts mitgekriegt.“ Vorbemerkung der Landesregierung 1. Der durch das 28. Strafrechtsänderungsgesetz vom 13. Januar 1994 eingeführte Tatbestand der Abgeordnetenbestechung (§ 108e des Strafgesetzbuchs, StGB) ist praktisch bedeutungslos . Gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht insbesondere aus folgenden Gründen seit Jahren: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1518 2 Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 9. Mai 2006 (5 StR 453/05) darauf hingewiesen , dass die gesetzliche Regelung der Abgeordnetenbestechung dazu führe, weite Teile von als strafwürdig empfundenen Manipulationen im Zusammenhang mit Wahlen und Abstimmungen in Volksvertretungen der Gemeinden straflos zu stellen, und er hier Handlungsbedarf sehe. An dem Tatbestand des § 108e StGB sei die Entwicklung vorbeigegangen, die in allen anderen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens infolge des gewandelten Verständnisses einer besonderen Sozialschädlichkeit von Korruption zu einer erheblichen Ausweitung der Strafbarkeit von korruptivem Verhalten geführt habe. In der Rechtswissenschaft gibt es zahlreiche Kritikpunkte, die sich gegen die derzeitige Fassung des § 108e StGB richten: Beanstandet wird, dass der Tatbestand nur für Wahlen und Abstimmungen innerhalb der Volksvertretung gilt. Damit wird nur ein kleiner Ausschnitt aus dem vielfältigen Wirken der Abgeordneten erfasst. Zudem wird im Zeitpunkt der konkreten Abstimmung der eigentliche Meinungsbildungsprozess, der sich in Arbeitskreisen und Fraktionen vollzieht, regelmäßig bereits abschlossen sein. Weitere Kritikpunkte sind die Straffreiheit immaterieller Vorteile und von Zuwendungen an Dritte. Im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut - die Integrität des parlamentarischen Meinungsbildungsprozesses und die der Mandatsausübung - macht es letztlich keinen Unterschied, ob der gewährte Vorteil materieller oder immaterieller Art ist, ob er dem Mandatsträger selbst oder einem Dritten gewährt wird. Da so genannte „Dankeschön-Spenden" von § 108e StGB nicht erfasst werden, kann es leicht zu einer Umgehung der Strafbarkeit kommen, wenn eine vorherige Absprache anders als der später gewährte Vorteil, der regelmäßig nach der Wahl oder Abstimmung zugewandt werden dürfte, nicht nachweisbar ist. Systemwidrig ist, dass die Bestechung ausländischer Abgeordneter gemäß § 2 des Gesetzes zur Bekämpfung internationaler Bestechung (IntBestG) in weiterem Umfang strafbar ist als die Bestechung inländischer Mandatsträger nach § 108e StGB. Denn § 2 IntBestG umfasst - anders als § 108e StGB - nicht nur den Kauf bzw. Verkauf einer Stimme für eine Wahl oder Abstimmung, sondern auch jede künftige Vornahme einer mit dem Mandat zusammenhängenden, sachfremden Interessenwahrnehmung . Damit genießt die Integrität ausländischer und internationaler Parlamente einen weitergehenden Schutz als die inländischer Volksvertretungen. Die vom Europarat gegründete Staatengruppe gegen Korruption (GRECO) hat im Dezember 2009 im Rahmen der dritten Evaluationsrunde ihren Bericht betreffend Deutschland verabschiedet , der unter anderem eine Erweiterung des Tatbestands der Abgeordnetenbestechung fordert. Die gegenwärtige Ausgestaltung des § 108e StGB hindert die Bundesrepublik Deutschland, die UN-Konvention gegen Korruption vom 31. Oktober 2003, der bereits über 160 Staaten beigetreten sind, zu ratifizieren, weil darin eine Verschärfung der Abgeordnetenbestechung im deutschen Strafrecht verlangt wird. Dass es bis heute keine strafrechtliche Regelung gibt, die sämtliche strafwürdigen Verhaltensweisen von Mandatsträgern im Bereich der Vorteilsannahme und -zuwendung erfasst, trägt dazu bei, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Unabhängigkeit der Mandatsausübung schwinden zu lassen. 2. Soweit eine Berichtspflicht der Staatsanwaltschaften gegenüber dem Justizministerium nach der Anordnung über Berichtspflichten in Strafsachen (BeStra) besteht, beginnt diese in der Regel mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Eines Antrags auf Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages oder der gesetzgebenden Körperschaften der Länder bedarf es gemäß Nummer 192 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV), wenn die Staatsanwaltschaft die Einleitung eines Ermittlungs- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1518 3 verfahrens gegen den Abgeordneten beabsichtigt. Vor diesem Hintergrund besteht für die Staatsanwaltschaften des Landes keine Verpflichtung, dem Justizministerium über strafwürdige , aber nach dem geltenden Recht nicht strafbare Verhaltensweisen von Mandatsträgern zu berichten. 1. Welche "strafwürdigen Verhaltensweisen" von Abgeordneten des nordrhein- westfälischen Landtags sind der Landesregierung seit dem Amtsantritt von Minister Kutschaty in diesem Bereich konkret bekannt geworden? Keine. Auf die Vorbemerkung wird Bezug genommen. 2. Welche "strafwürdigen Verhaltensweisen" gegenüber Abgeordneten des nord- rhein-westfälischen Landtags sind der Landesregierung seit dem Amtsantritt von Minister Kutschaty in diesem Bereich konkret bekannt geworden? Keine. Auf die Vorbemerkung wird Bezug genommen. 3. Ist Herrn Kutschaty in seiner Funktion als Justizminister ein Fall von Abgeordne- tenbestechung in Nordrhein-Westfalen bekannt geworden? (Bitte alle bekanntgewordenen Fälle auflisten!) Nein. Auf die Vorbemerkung wird Bezug genommen. 4. Wie viele Ermittlungsverfahren sind seit Einführung des § 108e StGB im Jahre 1994 wegen des Verdachts der Abgeordnetenbestechung gegen Abgeordnete des Landtags von Nordrhein-Westfalen eingeleitet worden? Soweit in der Kürze der Zeit mit vertretbarem Aufwand festgestellt werden konnte, wurden zwei Ermittlungsverfahren gegen einen Abgeordneten des Landtags von NordrheinWestfalen eingeleitet, die später miteinander verbunden wurden. 5. Wie viele nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete sind seit Einführung des § 108e StGB im Jahre 1994 wegen Abgeordnetenbestechung verurteilt worden? Keine/r, soweit in der Kürze der Zeit mit vertretbarem Aufwand festgestellt werden konnte.