LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/155 02.07.2012 Datum des Originals: 28.06.2012/Ausgegeben: 05.07.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2 vom 31. Mai 2012 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/21 Unberechtigte Entgelterhebung durch bestimmte Mobilfunkunternehmen und andere Telekommunikationsdienstleister bei der Zustellung von regulären Monatsrechnungen Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 2 mit Schreiben vom 28. Juni 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, dem Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr und dem Justizminister beantwortet . Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Bereits im Jahre 1993 erließ die seinerzeitige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft im Zuge der Harmonisierung des Binnenmarktes erstmals ausdrückliche Schutzvorschriften zu Gunsten der Verbraucher bzw. Endkonsumenten (EU-Richtlinie 93/13/EWG). Der Rat hat sich dabei unter anderem auf folgende Erwägungsgründe berufen: „[…] In den beiden Programmen der Gemeinschaft für eine Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher wird die Bedeutung des Verbraucherschutzes auf dem Gebiet missbräuchlicher Vertragsklauseln hervorgehoben. Dieser Schutz sollte durch Rechtsvorschriften gewährleistet werden, die gemeinschaftsweit harmonisiert sind oder unmittelbar auf dieser Ebene erlassen werden. Gemäß dem unter dem Abschnitt „Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher“ festgelegten Prinzip sind entsprechend diesen Programmen Käufer von Waren oder Dienstleistungen vor Machtmissbrauch des Verkäufers oder des Dienstleistungserbringers, insbesondere vor vom Verkäufer einseitig festgelegten Standardverträgen und vor dem missbräuchlichen Ausschluss von Rechten in Verträgen zu schützen. […]“ Ziel der Politiken der Union ist in diesem Rahmen die Erreichung eines möglichst hohen Verbraucherschutzniveaus. Zu diesem Zwecke wurde die zuvor genannte sogenannte Klauselrichtlinie stetig erweitert und fortentwickelt, zuletzt durch eine Änderung im Jahre 2011. Der deutsche Gesetzgeber hatte bereits frühzeitig ein Gesetz zur Kontrolle Allgemeiner Ge- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/155 2 schäftsbedingungen (AGB) erlassen – also von standardisierten Klauseln, die einer Vielzahl von Verträgen mit Verbrauchern zu Grunde gelegt werden. Dieses AGB-Gesetz wurde im Zuge der Modernisierung des Schuldrechts 2002 in das BGB überführt und den europäischen Erfordernissen nochmals angepasst. Auf diesem Wege wird das nicht nur unionsseitig geforderte hohe Verbraucherschutzniveau in der Bundesrepublik Deutschland sichergestellt. In jüngerer Zeit häufen sich Meldungen, wonach gewisse Telekommunikationsanbieter dazu übergehen, von ihren Kunden Entgelte für die Übersendung einer gedruckten Rechnung („Papierrechnung“) auf dem herkömmlichen Postwege verlangen. So unterrichtete etwa der Anbieter Vodafone seine Kunden zum Monatsbeginn des Monats Februar 2012 – oft lediglich per SMS – darüber, dass künftig die entsprechende „Gebühr“ anfalle, so der Kunde weiterhin den Zugang einer gedruckten Rechnung wünsche. Kundenwidersprüche wurden dabei regelmäßig mit dem Hinweis abgelehnt, bei den Kosten für die Zusendung einer Papierrechnung handele es sich um eine „Nebenleistung“ zum bestehenden Telekommunikationsvertrag , die der Telekommunikationsanbieter einseitig preislich anpassen dürfe; dies sei in den jeweiligen AGB geregelt. Vodafone beruft sich zur Rechtfertigung der Vertragsanpassung auf Ziffer 1.4 seiner Mobilfunk-AGB, wo es heißt: „Vodafone ist ferner berechtigt, die Entgelte für Zusatzleistungen – insbesondere für Verbindungen zu Sonderrufnummern – zu ändern. Vodafone wird den Kunden vor Wirksamwerden über die Preisänderung schriftlich informieren." Vodafone geht also davon aus, dass es sich bei der Rechnungserstellung um eine Zusatzleistung handele. Die Papierrechnung ist aber nur dann eine „Zusatzleistung“ i. S. d. AGB, wenn der Kunde auf diese nicht ohnehin einen (vertraglichen) Anspruch hat. Dies soll mit Blick auf § 45 e Telekommunikationsgesetz (TKG) aber nur der Fall sein, wenn der Vertrag des Kunden keinen Internetzugang zum Gegenstand hat. Hierzu heißt es in der juristischen Kommentarliteratur bei Ditscheid/Rudloff, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2. Auflage 2011, § 45 e TKG Rz. 42 a: „[…] Schließt der Teilnehmer den Vertrag mit Hilfe des Internets oder werden im Rahmen der Vertragsbeziehungen regelmäßig Verbindungen zum Internet abgerechnet, kann der EVN in elektronischer Form unentgeltlich als Standard i. S. d. § 45 e bereitgestellt werden. In diesem Fall ist auf Verlangen des Kunden der EVN in Papierform bereitzustellen, für den der Anbieter ein an den Bereitstellungskosten orientiertes Entgelt verlangen kann. Ansonsten ist bei gesetzessystematischer Betrachtung § 14 Abs. 1 Satz 7 UStG zu berücksichtigen. Danach sind Rechnungen auf Papier oder vorbehaltlich der Zustimmung des Empfängers auf elektronischem Weg zu übermitteln. Das UStG geht damit im Grundsatz von einer Rechnungserstellung im Papierformat aus. Nur bei Vorliegen einer Zustimmung des Empfängers kann die Rechnung alternativ auf elektronischem Wege übermittelt werden. […] Vor diesem Hintergrund dürfte eine Klausel in AGB, welche festlegt, dass dem Teilnehmer – bei vergünstigten Tarifkonditionen – keine schriftliche Rechnung ausgestellt und übermittelt wird, unwirksam sein, wenn der Anbieter mit dem Vertrag nicht auch einen Internetzugang zur Verfügung stellt. Eine solche Klausel führt zu einer unangemessenen Benachteiligung i. S. v. § 307 Abs. 1 BGB. Vor dem Hintergrund, dass nicht jeder Festnetz- oder Mobilfunkteilnehmer zugleich auch über einen Internetzugang verfügt, genügt der Telekommunikationsanbieter seiner nebenvertraglichen Verpflichtung zur Rechnungserstellung damit nicht. […]“ Mit anderen Worten: Nach Ansicht der Kommentatoren erscheint eine Berufung eines Mobilfunkanbieters auf eine Neben- oder Zusatzleistungsklausel in dessen AGB dann unangemessen und den Verbraucher grob benachteiligend, wenn der Telekommunikationsanbieter dem Endkunden keinen Internetzugang vermittelt. In diesem Falle dürfte eine Vertragsklausel zur Abwälzung entsprechender Kosten auf den Verbraucher unwirksam sein. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/155 3 Im Geltungsbereich der EU-Klauselrichtlinie ist dies teils schon judiziert worden: So nimmt das Handelsgericht Wien mit Blick auf die Rechtslage in Österreich den Standpunkt, die Erhebung eines Entgelts für die Übersendung einer Papierrechnung benachteilige den Verbraucher unangemessen und sei damit unwirksam. Zur Begründung weist das Handelsgericht in seiner aktuellen Entscheidung vom 9. Februar 2012 (22 Cg 118/10m) darauf hin, durch das Entgelt für die Papierrechnung würden die Kunden einem faktischen wirtschaftlichen Zwang ausgesetzt, sich für die elektronische Rechnung zu entscheiden, die vor allem nur dem Anbieter Vorteile verschaffe. Insbesondere würden die Anbieter AGB- und Vertragsänderungen gerne auf den Rechnungen mitteilen. Erscheine ein in der SMS des Anbieters genannter Betrag plausibel, würden die Kunden die elektronische Rechnung gar nicht einsehen und daher Fristen für Kündigungen der Verträge nach dem TKG versäumen können . Diese Regelung sei daher zum einen überraschend und zum anderen gröblich benachteiligend sowie unwirksam. 1. Wie bewerten einerseits das Verbraucherschutzministerium und andererseits die Verbraucherzentrale NRW die Erhebung eines neuen Entgelts für die Übersendung einer Papierrechnung selbst an Endverbraucher mit langjährigen Mobilfunkverträgen ? Bereits am 10.02.2012 hat die Verbraucherzentrale NRW die Firma Vodafone auf der Grundlage des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) abgemahnt, es einerseits zu unterlassen, Bestandskunden schriftlich eine kostenpflichtige Papierrechnung anzukündigen und es andererseits auch zu unterlassen, späterhin diese Kosten in Rechnung zu stellen. Der von der Verbraucherzentrale NRW gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wurde vom Landgericht Düsseldorf mit Urteil vom 13.04.2012 abgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat die Verbraucherzentrale NRW Berufung beim Oberlandesgericht Düsseldorf eingereicht, über die noch nicht entschieden worden ist. Die Firma Vodafone beruft sich bei der Erhebung eines neuen Entgelts für die Übersendung einer Papierrechnung auf eine Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Die Verbraucherzentrale NRW ist der Ansicht, dass die von dem Anbieter Vodafone genutzten Klauseln die Kunden unangemessen benachteiligen und diese damit unwirksam seien. Die Verbraucherzentrale NRW beabsichtigt, die Wirksamkeit der Klauseln unter Geltendmachung der Klagebefugnisse nach dem Unterlassungsklagegesetz vor Gericht klären zu lassen . Das Verbraucherschutzministerium begrüßt die von der Verbraucherzentrale NRW bereits veranlasste und geplante weitere gerichtliche Überprüfung des Geschäftsgebarens der Firma Vodafone und ist der Ansicht, dass die Ergebnisse dieser Verfahren zunächst abgewartet werden sollten. 2. Welche Anzahl und Art von Fällen ist dem Verbraucherschutzministerium und der Verbraucherzentrale NRW im Zeitraum vom 01. Januar 2010 bis heute bekannt geworden, in denen Telekommunikationsanbieter Entgelte für Papierrechnungen von ihren Kunden erheben. Der Geschäftsstelle der Verbraucherzentrale NRW sind seit dem 01.01.2010 explizit keine weiteren Fälle bekannt geworden, bei denen es in laufenden Verträgen zwischen Mobilfunkanbietern und Kunden Änderungen gegeben hat und ohne Widerspruchsmöglichkeit von einer kostenlosen in eine kostenpflichtige Papierrechnung umgestellt worden ist. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/155 4 3. Welche einzelnen Maßnahmen beabsichtigen das Verbraucherschutzministerium und die Verbraucherzentrale NRW mit Blick auf die problematische Entgelterhebung von Telekommunikationsanbietern für Rechnungen jeweils zu ergreifen ? (bitte alle geplanten Handlungen präzise aufschlüsseln) Siehe Beantwortung Frage 1 4. Welches sind die jeweils zehn häufigsten Beschwerde- oder Klagegründe von Kunden gegen Mobilfunkanbieter, die dem Verbraucherschutzministerium, der Verbraucherzentrale NRW sowie den jeweiligen Gerichten derzeit bekannt sind? Eine belastbare Statistik bei der Verbraucherzentrale NRW, welche nach den zehn häufigsten Beschwerde- und Klagegründen von Kunden gegen Mobilfunkanbieter differenziert, gibt es aktuell nicht. Die Verbraucherzentrale NRW baut zurzeit eine digitale Statistikführung auf, um die Verbraucherbeschwerden in ihren Beratungsstellen zukünftig besser erfassen zu können. Bezogen auf die Gerichte kann die Frage anhand der Justizgeschäftsstatistik nicht beantwortet werden, da weder in Bezug auf Klagegründe noch hinsichtlich des Erfolges einer Klage Daten ermittelt werden. Die Justizgeschäftsstatistik enthält kein konkretes Sachgebiet zu Verfahren mit Telekommunkationsanbietern, so dass dementsprechend auch keine konkreten Daten ermittelt werden können. Klageverfahren, die diesen Bereich betreffen, fallen in der Regel vielmehr unter die Kategorie „Sonstige Verfahren“. Darüber hinaus wird in der Statistik nicht erfasst, welche konkreten (natürlichen oder juristischen Personen) an einem Rechtstreit beteiligt gewesen sind. Eine Zuordnung zu einem bestimmten Kriterium – wie etwa Mobilfunkanbieter – ist daher ebenfalls ausgeschlossen. 5. Welchen Erfolg vor Gericht, differenziert nach der jeweiligen Fallkonstellation und gemessen an der Anzahl diesbezüglicher gerichtlicher Verfahren insgesamt , haben Mobilfunkkunden bislang gegenüber Telekommunikationsanbietern in puncto kostenfreie Rechnungszustellung sowie darüber hinaus für andere Ziele schon erlangt? Siehe Beantwortung Frage 4