LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1573 28.11.2012 Datum des Originals: 28.11.2012/Ausgegeben: 03.12.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 596 vom 29. Oktober 2012 des Abgeordneten Dirk Wedel FDP Drucksache 16/1246 Informationspflichten der Landesregierung im Zusammenhang mit einzelnen abgeschlossenen Erwerbsvorgängen von Steuer-CDs Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 596 mit Schreiben vom 28. November 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Zur Begründung, weshalb die Landesregierung sich zu einzelnen abgeschlossenen Erwerbsvorgängen von Steuer-CDs gegenüber dem Landtag nicht äußert, führt sie in den Antworten auf die Kleinen Anfragen 341, 348 und 413 jeweils folgende Erwägungen an: „Die Bekanntgabe von Einzelheiten zu abgeschlossenen Erwerbsvorgängen kann zum einen den Ermittlungszweck gefährden, solange die sich hieraus ergebenden Steuerstrafverfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen sind. Zum anderen könnte die Bekanntgabe von Details zu den Erwerben zur unerwünschten Identifizierung der Anbieter führen. Wenn Details zu einer Identifizierung der Anbieter führen, verstieße die Preisgabe der Details zudem gegen das Steuergeheimnis. Die Geheimhaltung bestimmter steuerlicher Angaben und Verhältnisse, deren Weitergabe einen Bezug auf den Steuerpflichtigen oder private Dritte erkennbar werden lässt, kann nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 14 GG auch grundrechtlich geboten sein. Auch unter dem Aspekt der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Beschäftigten (insbesondere im Hinblick auf die gegen nordrhein-westfälische Steuerfahndungsbeamte in der Schweiz ergangenen Haftbefehle) kann eine Mitteilung von Details nicht erfolgen.“ Der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen hat in der Begründung seines Urteils vom 19.08.2008 (VerfGH 7/07) wie folgt ausgeführt: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1573 2 „Begehrt ein Abgeordneter im Wege der Kleinen Anfrage Auskunft über einen geheimhaltungsbedürftigen Gegenstand, hat die Landesregierung im Rahmen der Abwägung zwischen Informations- und Geheimhaltungsinteresse die Möglichkeit einer Unterrichtung in nichtöffentlicher , vertraulicher oder geheimer Form in Betracht zu ziehen. Einer solchen Verfahrensweise steht nicht entgegen, dass nach § 88 Abs. 4 Satz 1 GO LT NRW die Antworten auf Kleine Anfragen gedruckt und verteilt werden. Die Vorschrift regelt nicht den Fall, dass die Geheimhaltungsbedürftigkeit der erbetenen Information eine öffentliche Beantwortung der Frage nicht zulässt. Solange der Landtag in seiner Geschäftsordnung kein entsprechendes Verfahren geschaffen hat, ist das Spannungsverhältnis zwischen Geheimhaltungsbedürfnis und Informationsanspruch des Abgeordneten unter Rückgriff auf die Verfassung zu lösen. … Die Pflicht der Landesregierung, im Rahmen der Abwägung zwischen Informations- und Geheimhaltungsinteresse die Möglichkeit einer Unterrichtung in nicht-öffentlicher, vertraulicher oder geheimer Form in Betracht zu ziehen, setzt keinen hierauf gerichteten besonderen Antrag voraus. Das in der Anbringung einer Kleinen Anfrage enthaltene Begehren nach schriftlicher Antwort schließt regelmäßig als Minus den Wunsch nach einer Unterrichtung in sonstiger Weise ein, wenn anders dem Informationsanliegen nicht entsprochen werden kann. Nur wenn ausnahmsweise Anlass zu der Annahme besteht, dass dem Fragesteller – aus welchem Grund auch immer – ausschließlich an einer öffentlichen Beantwortung seiner Frage gelegen ist, brauchen alternative Unterrichtungsmodalitäten nicht in Betracht gezogen zu werden.“ Das Bundesverfassungsgericht hat in den Gründen seines Beschlusses vom 01.07.2009 (2 BvE 5/06) festgestellt, dass aus der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Pflicht der Regierung , Informationsansprüche des Parlaments zu erfüllen, folge, dass sie – so sie die verfassungsrechtlichen Grenzen der ihr obliegenden Antwortpflicht erreicht sieht – die Gründe darlegen muss, aus denen sie erbetene Auskünfte verweigert. Die Regierung müsse – auch im Hinblick auf das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme im Verhältnis zwischen Verfassungsorganen – das Parlament in die Lage versetzen, seine Aufgabe der parlamentarischen Kontrolle des Regierungshandelns effektiv wahrzunehmen. Abgesehen von Fällen evidenter Geheimhaltungsbedürftigkeit könne das Parlament nur anhand einer der jeweiligen Problemlage angemessenen ausführlichen Begründung beurteilen und entscheiden, ob es die Verweigerung der Antwort akzeptiert oder welche weiteren Schritte es unternimmt, sein Auskunftsverlangen ganz oder zumindest teilweise durchzusetzen. Das Parlament müsse zum einen Abwägungen betroffener Belange, die zur Versagung von Auskünften geführt haben, auf ihre Plausibilität und Nachvollziehbarkeit überprüfen können. Zum anderen sei zu berücksichtigen , dass der parlamentarische Informationsanspruch zwar auf Beantwortung gestellter Fragen in der Öffentlichkeit hin angelegt ist, gegebenenfalls aber Formen der Informationsvermittlung zu suchen und realisierbar seien, das Informationsinteresse des Parlaments unter Wahrung berechtigter Geheimhaltungsinteressen der Regierung zu befrieden. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17.06.2009 (2 BvE 3/07) genügt pauschales Berufen auf einen der verfassungsrechtlichen Gründe zur Verweigerung einer Antwort in keinem Fall. Das Vorliegen der Voraussetzungen eines Informationsverweigerungsrechts sei substantiiert, nicht lediglich formelhaft, darzulegen. Berufe sich die Regierung auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit, so müsse sie das Parlament, gegebenenfalls in vertraulicher Sitzung, detailliert und umfassend über die Natur der zurückgehaltenen Informationen , die Notwendigkeit der Geheimhaltung und den Grad der ihrer Auffassung nach bestehenden Geheimhaltungsbedürftigkeit unterrichten. Entsprechendes gelte, wenn Informationen zum Schutz von Grundrechten Dritter zurückgehalten werden sollen. Eine substantiierte Begründung der ablehnenden Entscheidung sei unentbehrliche Grundlage auch der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1573 3 (verfassungs-) gerichtlichen Kontrolle, die andernfalls weitgehend zur Disposition der Regierung stünde. Dem parlamentarischen Informationsinteresse komme ein besonders hohes Gewicht zu, soweit es um die Aufdeckung möglicher Rechtsverstöße oder vergleichbarer Missstände innerhalb der Regierung geht. Das Parlament und seine Organe könnten nicht als Außenstehende behandelt werden, die zum Kreis derer gehören, vor denen Informationen zum Schutz des Staatswohls geheim zu halten sind. Die Berufung auf das Staatswohl könne daher gegenüber dem Parlament in aller Regel nicht in Betracht kommen, wenn beiderseits wirksam Vorkehrungen gegen das Bekanntwerden von Dienstgeheimnissen getroffen wurden. Dass auch die Beobachtung von Vorschriften zur Wahrung von Dienstgeheimnissen deren Bekanntwerden nicht ausschließe, stehe dem nicht entgegen. Diese Tatsache betreffe alle drei Gewalten. Angesichts dieser Verfassungslage und dieser Verfahrensmöglichkeiten dürften sich nur unter ganz besonderen Umständen Gründe finden lassen, dem Parlament Informationen unter Berufung auf das Wohl des Bundes oder eines Landes vorzuenthalten. Aus diesen Gründen wurde erstmals im Juni 2010 der § 90a in die Geschäftsordnung des Landtags Nordrhein-Westfalen eingefügt, der nunmehr den Schutz geheimhaltungsbedürftiger Auskünfte und das Verfahren i.V.m. der Archiv- und Benutzungsordnung (insbesondere § 7) sowie der Verschlusssachenordnung des Landtags regelt. Vor dem Hintergrund der zitierten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung begegnet die Auffassung der Landesregierung, zu den einzelnen abgeschlossenen Erwerbsvorgängen dem Landtag keinerlei Auskunft zu erteilen, erheblichen Bedenken. Ohne weiteres ist nicht nachvollziehbar, dass jede Unterrichtung des Landtags über die Sachverhalte insoweit zwangsläufig eine Gefährdung der Ermittlungen in nicht rechtskräftig abgeschlossenen Steuerstrafverfahren, eine Verletzung des Steuergeheimnisses oder eine Verletzung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Beschäftigten besorgen würde oder zur Wahrung der Grundrechte von Steuerpflichtigen oder privaten Dritten geboten ist. Eine Darstellung beispielsweise lediglich der äußeren Geschehensabläufe der jeweiligen Erwerbsvorgänge der Steuer-CDs durch das Land Nordrhein-Westfalen dürfte etwa die Belange der betroffenen Steuerpflichtigen vollkommen unberührt lassen, ist für den Landtag im Hinblick auf die in Frage stehende Rechtmäßigkeit jedes einzelnen abgeschlossenen Erwerbsvorgangs aber von erheblichem Interesse. Zu berücksichtigen ist insofern, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 09.11.2010 (2 BvR 2101/09) diese Frage ausdrücklich offen gelassen hat. Zudem erscheint es nicht nachvollziehbar, inwieweit jede Unterrichtung des Landtags über die Sachverhalte zu einer Identifizierung der Anbieter führen könnte, da die Landesregierung erklärt hat, dass den handelnden Personen des Landes die realen Namen und Identitäten der „Entwender“ bzw. der Verkäufer nicht bekannt seien (vgl. Drs. 16/877). Zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den betroffenen Verfassungsgütern ist daher – ohne dass eine entsprechende Prüfung durch die Landesregierung ersichtlich wäre – auch eine Unterrichtung des Landtags in vertraulicher oder geheimer Form und/oder mit anonymisierten Sachverhalten in Betracht zu ziehen. Daher dürfte auch die diese Gesichtspunkte nicht berücksichtigende, pauschale Begründung der Landesregierung den Anforderungen der zitierten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung wohl kaum genügen . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1573 4 1. Wie gestaltete sich jeweils der äußere Geschehensablauf der einzelnen abgeschlossenen Erwerbsvorgänge (von der Anbahnung des Kontakts bis zum Besitzerwerb )? Die Details der Erwerbsvorgänge sind verwaltungsinternes Handeln der nachgeordneten Bereiche. Eine diesbezügliche Berichtspflicht des nachgeordneten Bereichs besteht nicht. Die Abwicklung erfolgte im Übrigen - wie im Weiteren dargestellt – über zahlreiche unterschiedliche Behörden. Allgemein können folgende Angaben gemacht werden: In Fällen eingehender Kaufangebote wurde die zuständige Oberfinanzdirektion benachrichtigt . Das Bundeszentralamt für Steuern wurde entsprechend der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern aus dem Jahre 2010 von der jeweiligen Oberfinanzdirektion informiert . Da die Finanzierungsmittel gesichert werden mussten, erfolgte zu diesem Zweck auch eine Einbindung des Finanzministeriums. Die Informationsquellen hatten der Finanzverwaltung zur weitergehenden Prüfung des Angebots in jedem Fall Probedatensätze zu überlassen. Nach erkennbarer Werthaltigkeit der Daten wurden die übrigen Informationen der Finanzverwaltung ausgehändigt und der Kaufpreis ausgezahlt. Die genauen Modalitäten des Datenerwerbs bzw. der Kaufpreiszahlung waren vom jeweiligen Einzelfall abhängig. Die praktische Umsetzung des Datenerwerbs bzw. die dafür erforderlichen Maßnahmen und Verhandlungen oblag der Zuständigkeit des nachgeordneten Bereichs (operatives Geschäft). Das entspricht der allgemeinen Verfahrensweise bei Ermittlungen in Steuerstrafsachen. 2. Wie hoch waren die jeweiligen Kaufpreise für die Steuer-CDs? Die Kaufpreise für die sechs in der 15. und 16. Wahlperiode durch das Land NordrheinWestfalen selbständig erworbenen Datenträger betrugen insgesamt rd. 10,3 Mio. Euro (brutto ) bzw. rd. 9 Mio. Euro (netto). Die Differenz besteht in der einbehaltenen Abgeltungssteuer. In der 14. Wahlperiode wurde unter Finanzminister Dr. Helmut Linssen eine weitere CD angekauft . Die Kaufpreise im Einzelnen werden aus verhandlungstaktischen Gründen hier nicht genannt . 3. Wie viele relevante Datensätze insgesamt sowie nordrhein-westfälischer Steuer- pflichtiger enthalten jeweils die einzelnen Steuer-CDs? Der Beantwortung der Frage liegt die Annahme zu Grunde, dass die Anzahl der auf den Datenträgern enthaltenen Anleger benannt werden soll. Bislang wurden die Datensätze in drei Erwerbsfällen vollständig ausgewertet. Die übrigen Vorgänge befinden sich derzeit noch in der Aufbereitungsphase. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1573 5 Anleger insgesamt davon NRW 4.252 2.079 2.535 539 1.020 176 4. Haben die in dem Spiegel-Artikel „Datendieb bei Schweizer Bank soll Deutscher sein“ vom 06.09.2012 wiedergegebenen angeblichen Be-hauptungen eines mutmaßlichen Täters zu staatsanwaltschaftlichen Aktivitäten geführt? Die in dem angegebenen Presseartikel wiedergegebenen angeblichen Behauptungen eines mutmaßlichen Täters haben nach Prüfung keinen Anlass zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (§ 152 Absatz 2 StPO) gegeben. 5. Inwiefern kommt dem Umstand, dass seitens der Landesregierung eine Identifi- zierung der Anbieter von Steuer-CDs unerwünscht ist, eine rechtliche Bedeutung (insbesondere im Zusammenhang mit der der Landesregierung gegenüber dem Landtag obliegenden Informations-pflicht aus Artikel 30 LV NW) zu? Bei der Erfüllung der gegenüber dem Landtag obliegenden Informationspflichten aus Artikel 30 LV NRW hat die Landesregierung bestehendes Bundesrecht und damit insbesondere die strengen und strafbewehrten Vorschriften zur Wahrung des Steuergeheimnisses zu beachten . Das begrenzt die Möglichkeit der Landesregierung, Informationen zu Anbietern von Steuer-CDs erteilen zu können. Die Geheimhaltung bestimmter steuerlicher Angaben und Verhältnisse, deren Weitergabe einen Bezug auf den Steuerpflichtigen oder private Dritte erkennbar werden lässt, kann zudem nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 14 GG auch grundrechtlich geboten sein. Zudem gestattet und verlangt das Rechtsstaatsprinzip die Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und Steuerstrafermittlung. Die Identifizierung der Anbieter kann zum Ausbleiben zukünftiger Angebote führen, womit der Finanzverwaltung eine wichtige Ermittlungsmöglichkeit aus der Hand genommen und damit die Erfüllung des gesetzlichen Ermittlungsauftrages gefährdet würde.