LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1576 28.11.2012 Datum des Originals: 28.11.2012/Ausgegeben: 03.12.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 599 vom 30. Oktober 2012 des Abgeordneten Kai Abruszat FDP Drucksache 16/1290 Exorbitante Grundsteuererhöhungen contra gleichwertige Lebensverhältnisse in NRW – was meint die Landesregierung? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 599 mit Schreiben vom 28. November 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Neben der Gewerbesteuer zählen die Grundsteuern A und B zu den wesentlichen kommunalen Einnahmequellen, über deren Höhe unsere Städte und Gemeinden frei entscheiden können . Bei der Grundsteuer B handelt es sich um eine Substanzsteuer, die auf das Eigentum von Grundstücken erhoben wird. Während die Grundsteuer B von Haus- und Wohnungseigentümern direkt zu zahlen ist, müssen Mieterinnen und Mieter diese indirekt über ihre Mietkosten tragen. Jeder „Normalhaushalt“ ist somit grundsteuerpflichtig. Die Festlegung der Grundsteuer B erfolgt anhand eines dem jeweiligen Grundstückswert entsprechenden Grundsteuer-Messbetrags. Dieser Messbetrag wird mit dem sogenannten Grundsteuerhebesatz multipliziert, dessen Höhe die Städte und Gemeinden eigenständig bestimmen dürfen. Die von den Kommunen festgelegten Grundsteuerhebesätze variieren erheblich. So lag der geringste Hebesatzwert im Jahr 2011 bei nur 265 Prozentpunkten, wohingegen der höchste Wert 590 Prozentpunkte erreichte. Jenseits dieser Extremwerte streute der Hebesatzwert allerdings deutlich geringer und lag in rund 50 Prozent aller Fälle zwischen 389 und 433 Prozentpunkten . Trotz eines arithmetischen Mittelwerts von 457 Prozentpunkten lag der Hebesatzwert bei drei Vierteln aller Städte und Gemeinden im Jahr 2011 bei maximal 433 Prozentpunkten . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1576 2 Insgesamt variieren die Grundsteuerhebesätze der NRW-Kommunen also in überschaubaren und finanzierbaren Grenzen. Zumindest hinsichtlich der steuerlichen Belastung des von SPD und Grünen immer wieder hervorgehobenen Grundrechts auf Wohnen kann die verfassungsseitige Maßgabe gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Landesteilen bislang als gegeben angesehen werden. Dies scheint sich augenblicklich zu ändern. Insbesondere die sogenannten StärkungspaktKommunen , die Hilfszahlungen des Landes erhalten um ihre Haushalte auszugleichen, neigen offensichtlich dazu, ihre eigenen Konsolidierungsbeiträge durch Grundsteuererhöhungen erbringen zu wollen. Denn ausweislich ihrer Haushaltssanierungspläne rechnen zahlreiche Kämmerer in den Stärkungspaktkommunen mit Grundsteueranhebungen von mehreren hundert Prozentpunkten. So plant zum Beispiel ein Großteil der Städte im Kreis Recklinghausen eine Grundsteuersteigerung auf 825 Prozentpunkte. Schwerte und Bergneustadt streben sogar Werte von 880 bzw. 959 an. Auch in kreisfreien Großstädten wie Duisburg oder Oberhausen beabsichtigen die Stadtspitzen erhebliche Steigerungen auf 610 bzw. 640 Prozentpunkte . Die Wohnkosten in diesen Gebietskörperschaften werden sich also empfindlich zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger verteuern. Da sich die Bürgerinnen und Bürger diesem Prozess oftmals nur theoretisch durch Fortzug entziehen können, kommen auf sehr viele Menschen in Nordrhein-Westfalen erhebliche Mehrbelastungen zu. Selbstverständlich kann und muss bei einem ambitionierten Konsolidierungsprogramm wie dem Stärkungspakt auch über eine temporäre und moderate Anhebung der Kommunalsteuern diskutiert werden können. Gleichwohl wiederspricht es dem Gedanken des Stärkungspaktes , wenn die Kommunen ihr Hebesatzrecht zur Abwendung unangenehmer Sparmaßnahmen und notwendiger Verwaltungsmodernisierungsprozesse zweckentfremden. Echte Konsolidierungsbemühungen dürfen sich nicht in Steuererhöhungen erschöpfen. Auch in Stärkungspakt-Kommunen muss das Wohnen bezahlbar bleiben. Leider ist jedoch zu erwarten, dass die Vorstöße der Stärkungspakt-Kommunen auch andere finanzschwache Städte und Gemeinden dazu verleiten werden, ihre Grundsteuerhebesätze zu erhöhen. Spätestens nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen, das in der beinahe-Verdoppelung des Grundsteuer-Hebesatzes der Stadt Selm keine „Erdrosselungswirkung “ erkennen konnte und diese im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung für rechtmäßig erklärt erklärte, ist zumindest von Seiten der Judikative keine Grenzziehung zu erwarten. Insgesamt führt diese Entwicklung hinsichtlich der Wohnkosten zu erheblichen landesweiten Ungleichgewichten, welche die verfassungsseitige Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse infrage stellen. Vorbemerkung der Landesregierung Nach Artikel 106 Absatz 6 Satz 2 Grundgesetz ist den Gemeinden das Recht einzuräumen, die Hebesätze der Grundsteuer und der Gewerbesteuer im Rahmen der Gesetze festzusetzen . Dieses Recht ermöglicht ihnen auch, ihre Einnahmen durch Anhebung der Steuersätze an den Finanzbedarf anzupassen und damit angesichts wachsender Haushaltslasten handlungsfähig zu bleiben. (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.10.2010 - 8 C 43.09) Nach dem Stärkungspaktgesetz - wie im Übrigen auch nach der Gemeindeordnung - haben die Gemeinden ihren Haushalt auszugleichen. Über die Ausgestaltung des Weges zu diesem Ziel entscheiden die Gemeinden in eigener Verantwortung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1576 3 1. Wie bewertet die Landesregierung die erheblichen Grundsteuersteigerungen in zahlreichen NRW-Kommunen des Landes vor dem Hintergrund der verfassungsseitigen Maßgabe gleichwertiger Lebensverhältnisse? Welche Konsolidierungsmaßnahmen die Gemeinde wählt, um das gesetzliche Ziel des Haushaltsausgleichs zu erreichen, ist aufgrund des verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsrechts ihre eigene Angelegenheit. Die Landesregierung gibt keine Beurteilungen zu im Rahmen des Selbstverwaltungsrechts getroffenen Konsolidierungsentscheidungen ab. 2. Wann sieht die Landesregierung hinsichtlich der derzeitigen Grundsteueranhe- bungen den Punkt erreicht, an dem von gleichwertigen Lebensverhältnissen nicht mehr geredet werden kann? Unterschiedliche Steuersätze in den Gemeinden beruhen auf dem verfassungsrechtlich verbürgten Hebesatzrecht. Ihre Rechtmäßigkeit wurde erst jüngst in der vom Fragesteller in Bezug genommenen, gerichtlichen Entscheidung bestätigt. Im Übrigen gibt die Landesregierung zu hypothetischen Sachverhalten keine Einschätzung ab. 3. Wie bewertet die Landesregierung das augenblickliche Bestreben zahlreicher Stärkungspakt-Kommunen, Einsparmaßnahmen und Verwaltungsmodernisierungsprozesse mit Steuererhöhungen zu substituieren? Es gibt keine Belege für die in der Anfrage geäußerte pauschalierende Behauptung, dass sich die Gemeinden ihrer Verantwortung dadurch entzögen, dass sie "ihr Hebesatzrecht zur Abwendung unangenehmer Sparmaßnahmen und notwendiger Verwaltungsmodernisierungsprozesse zweckentfremden". Hebesatzerhöhungen sind in der Regel neben Aufwandssenkungen Bestandteile des Sanierungspfades, dessen Eckpunkte von den Räten nach intensiven kommunalen Diskussionen beschlossen werden. 4. Mit welchen Maßnahmen plant die Landesregierung, besonders extremen Grundsteuererhöhungen im Sinne der Bürgerinnen und Bürger entgegenzuwirken ? 5. Inwieweit sieht die Landesregierung hinsichtlich des Trends zu extremen Grund- steuererhöhungen Nachsteuerungsbedarf beim Stärkungspaktgesetz? Die bisher beschlossenen Hebesätze überschreiten keine Grenze, die ein Einschreiten des Landesgesetzgebers als geboten erscheinen lassen könnte.