LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1608 03.12.2012 Datum des Originals: 03.12.2012/Ausgegeben: 06.12.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 600 vom 30. Oktober 2012 der Abgeordneten Dirk Schatz und Frank Herrmann PIRATEN Drucksache 16/1295 Notwendigkeit von mehr Frauenhäusern erkennen – Finanzielle Unterstützung sichern Die Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter hat die Kleine Anfrage 600 mit Schreiben vom 3. Dezember 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Jede vierte Frau in Deutschland erfährt in ihrem Leben körperliche oder sexualisierte Gewalt. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Dunkelziffer noch viel höher liegt. Spätestens seit der Verabschiedung des Gewaltschutzgesetzes im Dezember 2001 wehren sich nun deutlich mehr Frauen gegen die Gewaltsituation in den Familien, die sie alleine oder gemeinsam mit ihren Kindern erdulden müssen. Die Rechte der Opfer wurden durch die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen gestärkt und seit 2002 steigen Strafanzeigen und Polizeimaßnahmen gegen häusliche Gewalt in Nordrhein-Westfalen kontinuierlich an. Auch die Vermittlung der Opfer an Beratungsstellen hat sich seither nahezu verdoppelt. Aus diesem Grund sind die Frauenhäuser in NRW stark ausgelastet insbesondere in den großen Städten sind die Frauenhäuser ständig belegt (1.452 Frauen konnten 2010 in den beiden Kölner Frauenhäusern nicht aufgenommen werden). Frauenorganisationen wie die Landesarbeitsgemeinschaft Autonomer Frauenhäuser NRW fordern seit vielen Jahren einen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für Frauen und Kinder, die vor Gewalt flüchten müssen. Auch im Koalitionsvertrag der Landesregierung heißt es: „Perspektivisch ist es unser Ziel, jeder von Gewalt betroffenen Frau und jedem ihrer Kinder kostenlose Zuflucht in einem Frauenhaus zu gewährleisten, unabhängig von Herkunft, Wohnort , Einkommen, Aufenthaltsstatus, sexueller Identität oder Behinderung.“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1608 2 Vorbemerkung der Landesregierung: Ziel der Landesregierung ist es, von Gewalt betroffenen Frauen unabhängig von ihrer Lebenssituation einen ungehinderten Zugang zu Frauenhäusern zu gewährleisten. Bestehende Zugangshürden und Engpässe sollen abgebaut und bisher nicht erreichte Zielgruppen in den Blick genommen werden. Im Rahmen der Entwicklung des Landesaktionsplans gegen Gewalt an Frauen und Mädchen ermittelt die Landesregierung im Dialog mit der Frauenhilfeinfrastruktur den Handlungsbedarf und entwickelt Lösungsansätze. Bei der angestrebten qualitativen Weiterentwicklung des Schutz- und Hilfeangebots orientiert sie sich etwa an Beispielen guter Praxis. Neben anderen Aspekten soll auch der Gesichtspunkt von besonderem regionalem Bedarf in die weiteren Überlegungen einfließen. 1. In welchen von der Landesregierung aktuell geförderten 62 Frauenhäusern ste- hen derzeit keine freien Plätze mehr zur Verfügung (bitte einzeln mit Gesamtkapazität auflisten)? Die Aufnahmesituation der Frauenhäuser verändert sich täglich. Aktuelle Informationen über freie und belegte Plätze in den nordrhein-westfälischen Frauenhäusern können dem Internetportal des Frauennetzes gegen Gewalt www.frauen-info-netz.de entnommen werden, dessen Entwicklung mit Landesmitteln bezuschusst wurde. Die 62 landesgeförderten Frauenhäuser verfügen insgesamt über 581 Plätze für Frauen und 613 Plätze für Kinder. Im Durchschnitt hält ein Frauenhaus 9,4 Plätze für Frauen vor. 2. Wie viele Frauen konnten im Zeitraum 2009 bis 10/2012 infolge dessen nicht aufgenommen werden (bitte nach den einzelnen Frauenhäusern auflisten)? Der Landesregierung liegen keine Zahlen darüber vor, wie viele Frauen aus Kapazitätsgründen tatsächlich keine Aufnahme in einem Frauenhaus finden konnten. Bekannt ist hingegen, dass 2009 von den 62 landesgeförderten Frauenhäusern 5.919 Aufnahmeanfragen nicht entsprochen werden konnte, weil in den jeweiligen Einrichtungen gerade kein Platz frei war. Diese Zahl lässt aber keineswegs den Schluss zu, dass all die Anfragenden letztlich schutzlos blieben. Falls ein Frauenhaus eine Frau nicht aufnehmen kann, wird in der Regel eine anderweitige Betreuung ermöglicht. Dabei hilft das unter Ziffer 1 genannte Frauen-Info-Netz, die Unterbringung in einem anderen Frauenhaus zu vermitteln, das aktuell über freie Plätze verfügt. "Das Ergebnis von Empfehlungen und Weiterverweisungen, in der Regel im Rahmen telefonischer Beratung, ist eine Leerstelle im Wissen über die Arbeit des Unterstützungssystems." Zu diesem Ergebnis kommen auch die Wissenschaftlerinnen in der Bestandsaufnahme zur Situation der Frauenhäuser, Fachberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder, die im Auftrag der Bundesregierung durchgeführt wurde (Seite 55). Auch sie gehen davon aus: "Nicht-Aufnahme bedeutet in der Regel Weiterverweisung an andere Frauenhäuser bzw. andere geeignete Einrichtungen…" Die Zahl der abgelehnten Aufnahmegesuche in Nordrhein-Westfalen ist in den letzten Jahren leicht rückläufig. 2010 lehnten die landesgeförderten Frauenhäuser insgesamt 5.737 Aufnahmegesuche ab, weil die jeweils angefragte Einrichtung belegt war. 2011 konnten aus diesem Grund 5.210 Aufnahmeanfragen nicht auf Anhieb realisiert werden. Für das laufende Jahr liegen der Landesregierung noch keine Daten vor. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1608 3 Die Verteilung der zunächst nicht realisierten Aufnahmeanfragen auf die Einrichtungen ist der als Anlage beigefügten Auflistung zu entnehmen. 3. In welchen Frauenhäusern besteht die Möglichkeit, dass Mütter mit ihren Kindern einen Platz bekommen? Alle landesgeförderten Frauenhäuser nehmen von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder auf. 4. Wie bzw. durch wen werden die Frauenhäuser finanziert (bitte einzeln nach Frauenhaus auflisten)? Die landesgeförderten Frauenhäuser erhalten Personalkostenzuschüsse des Landes. Für die personelle Grundausstattung von 3 hauptberuflichen Kräften erhält jedes Frauenhaus eine Jahrespauschale von 87.604 €. Für die Beschäftigung einer zusätzlichen Sozialarbeiterin / Sozialpädagogin beträgt die Jahresförderpauschale 36.091 €. Seit Ende 2011 werden außerdem Sachausgaben der Frauenhäuser bis zu 6.000 € pro Jahr und Einrichtung vom Land bezuschusst. Neben der Landesförderung finanzieren sich die Frauenhäuser im Wesentlichen durch kommunale Leistungen. Die Höhe der freiwilligen kommunalen Zuschüsse fällt unterschiedlich aus. Außerdem erhalten die Frauenhäuser Tagessätze aus sozialrechtlichen Leistungsansprüchen der Bewohnerinnen. Einnahmen aus Tagessätzen durch Selbstzahlerinnen, Mitgliedsbeiträgen und Spenden spielen nur eine geringe Rolle. 5. Wie beurteilt die Landesregierung die Möglichkeit, ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag zu verwirklichen, nämlich "ein Landesgesetz auf den Weg [zu] bringen, das eine verlässliche und bedarfsgerechte Finanzierung von Frauenhäusern in ihrer Aufgabenvielfalt verankert?" Die Landesregierung hält für die Frauenhausfinanzierung eine Bundesregelung für die beste Lösung, die eine Rechtsgrundlage schafft und einheitliche Lebensverhältnisse für von Gewalt betroffene Frauen sicherstellt unabhängig davon, wo sie wohnen. Allerdings lehnt die Bundesregierung eine solche bundeseinheitliche Lösung ab. Deshalb arbeitet die Landesregierung an einem Landesgesetz zur verlässlichen und bedarfsgerechten Finanzierung von Frauenhäusern. Sie hat die Universität Bayreuth beauftragt, in einem Rechtsgutachten die Möglichkeiten auszuloten. Schon jetzt ist aber sicher, dass ein solches Vorhaben nur gemeinsam mit den Kommunen und im Dialog mit der Frauenhausinfrastruktur zu verwirklichen ist.