LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1612 04.12.2012 Datum des Originals: 04.12.2012/Ausgegeben: 07.12.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 609 vom 29. Oktober 2012 des Abgeordneten Dietmar Schulz PIRATEN Drucksache 16/1315 Befindet sich das Dormagener Pilot-Projekt „Vollzug in freien Formen“ im Raphaelshaus auf vollstreckungsrechtlich einwandfreiem Boden? Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 609 mit Schreiben vom 4. Dezember 2012 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Nach der Information der Landesregierung über die Umstände der Dreifachflucht aus dem Dormagener Modell-Projekt in der 4. Sitzung des Rechtsausschusses vom 24.10.2012 wurden die sechs Jugendlichen des Modell-Projekts von Vertretern der Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Ronsdorf und Vertretern des Raphaelshauses ausgesucht, bewertet und schließlich als geeignet befunden an dem Jugendstrafvollzug in freien Formen teilzunehmen. Bei den sechs Jugendlichen handelt es sich dabei um (Intensiv-)straftäter im Alter zwischen 14 und 17 Jahren. Nach den gesetzlichen Vorschriften wurden die Jugendlichen daher vom Strafgericht – Jugendgericht – nach den Regelungen des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) verurteilt, wovon hier ausgegangen wird. Danach wurden die Jugendlichen „Im Namen des Volkes“ wegen diverser Straftaten zu Freiheitsstrafen in Form von Jugendhaft verurteilt und im geschlossenen Vollzug in der JVA Wuppertal-Ronsdorf bzw. der JVA Iserlohn untergebracht . Nach § 1 Abs. 1 und 2 JGG gilt dieses Gesetz, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung begeht, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist. Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn ist. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 JGG ist der Vollstreckungsleiter der Jugendrichter. Die Strafprozessordnung bleibt im Übrigen unberührt. In dem Zusammenhang ist die Frage aufgekommen, ob sich die Rechtsgrundlage für das Modell-Projekt aus dem Justizvollzugsgesetz Bund, dem Justizvollzugsgesetz NRW oder LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1612 2 dem Jugendstrafvollzugsgesetz NRW entnehmen lässt. Letzterem ist in § 15 Abs. 1 JStVollzG NRW zu entnehmen, dass der Jugendstrafvollzug in offenen oder geschlossenen Anstalten oder in Einrichtungen in freien Formen durchgeführt wird. Eine Regelung, wer für die Änderung der Vollzugsform vom geschlossenen in den offenen Vollzug zuständig ist, ist nicht ersichtlich. § 125 letzter Satz JStVollzG bestimmt hinsichtlich der Untersuchungshaft lediglich, dass getroffene richterliche Entscheidungen zu beachten sind. Weitere Regelungen über die Vollstreckungsleitung, abweichend zur Vorschrift in § 82 Abs. 1 JGG sind meiner Kenntnis nach nicht vorhanden. Trotz der begrüßenswerten Durchführung des Vollzugs in freien Formen … frage ich vor diesem Hintergrund die Landesregierung: 1. Auf welcher Rechtsgrundlage haben die Vertreter der Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Ronsdorf und die Vertreter des Raphaelshauses gehandelt, um die Urteile des Strafgerichts - Jugendgerichts - zu Lasten der Jugendlichen, mit Verfügung die Freiheitsstrafe im geschlossenen Jugendvollzug im Vollzug in freien Formen zu verbinden und damit abzuändern? Rechtsgrundlage ist § 15 JStVollzG NRW. Von einer Abänderung gerichtlicher Entscheidungen kann keine Rede sein. 2. Wurde bei der Auswahl der sechs Jugendlichen das zuständige Strafgericht - Jugendgericht - bzw. der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter und die Jugendgerichtshilfe zur Entscheidung über die Unterbringung im Jugendvollzug in freien Formen unterrichtet und mit einbezogen? Nein. 3. Wurden diesbezüglich Urteile des Strafgerichts - Jugendgerichts - abgeändert oder durch richterlichen Beschluss oder Verfügung geändert bzw. ergänzt (wobei sich im bejahenden Fall die Frage aufdrängt, durch wen dies erfolgte)? Nein. 4. Sollte bei der Auswahl der Jugendlichen und der Änderung der Vollstreckungs- form kein Jugendrichter oder Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe beteiligt worden sein, wird gefragt, warum dies nicht erfolgte bzw. ob die Änderung eines Urteils oder ein Abweichen davon nach der Auffassung des Justizministers einen oder keinen Rechtsverstoß darstellt? Eine solche Beteiligung sieht das Gesetz nicht vor. (§ 13 Abs. 2 JStVollzG NRW). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1612 3 5. Inwieweit wurden die Vorstrafen und die Beurteilung der Jugendgerichtshilfe in die Entscheidungsfindung der Vertreter der Justizvollzugsanstalt WuppertalRonsdorf mit aufgenommen und mit Blick auf Zeugen- und Opferschutz beachtet ? Die Eignung eines jugendlichen Strafgefangenen für die Unterbringung im Vollzug in freien Formen wird stets anhand einer umfassenden Checkliste geprüft. Hierbei wird u.a. geprüft, ob Flucht- oder Missbrauchsgefahr einer Verlegung entgegenstehen. Hierzu werden alle vorhandenen Informationen/Unterlagen einbezogen. Etwaige sich daraus ergebende Bedenken - z. B. schützenswerte Belange Dritter - werden angemessen berücksichtigt. So geschah es auch hier.