LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1658 07.12.2012 Datum des Originals: 07.12.2012/Ausgegeben: 12.12.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 604 vom 31. Oktober 2012 der Abgeordneten Yvonne Gebauer FDP Drucksache 16/1299 Wer wird die rechtliche Verantwortung tragen, wenn der Rechtsanspruch für Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf auf einen Platz an einer allgemeinen Schule durch Kommunen nicht erfüllt werden kann? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 604 mit Schreiben vom 6.Dezember 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales und dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die rot-grüne Koalition hat im Juli 2012 einen Antrag beschlossen, der das Ziel einer Einführung eines grundsätzlichen Rechtsanspruchs für Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf zum Besuch einer allgemeinen Schule vorsieht. Es sollte ein Gesetzentwurf vorgelegt werden, der sich u.a. an der „Umsetzung eines grundsätzlichen Rechtsanspruchs auf Unterricht in der allgemeinen Schule auch für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf – beginnend mit den Klassen 1 und 5 ab dem Schuljahr 2013/14“ orientiert. In dem nun vorliegenden Referentenentwurf der Landesregierung „Erstes Gesetz zur Umsetzung der VN-Behindertenrechtskonvention in den Schulen (9. Schulrechtsänderungsgesetz )“ sollen diese Ankündigungen umgesetzt werden. Demnach ist geplant, dass Eltern das Recht auf den Besuch einer allgemeinen Schule für ihr Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf geltend machen können, wenn es ab dem Schuljahr 2013/2014 die Klasse 1 einer Grundschule, die Klasse 5 einer weiterführenden Schule, die Eingangsklasse einer gymnasialen Oberstufe oder die Eingangsklasse eines Berufskollegs besuchen wird. Ab 2014/2015 und den hierauf folgenden Schuljahren erstreckt sich dieses Recht dann auch auf die jeweils nächsthöhere Klasse. Dies soll zunächst im Rahmen von Schwerpunktschulen erfolgen. Spezielle diesbezügliche Regelungen für einzelne Förderschwerpunkte, die insbesondere für die Ausstattung der Schulen von Belang sind, sind offenbar nicht geplant. Hierzu wird im Begründungstext des Gesetzentwurfs festgelegt: „Die Förderschwerpunkte Lernen, Sprache und Emotionale und soziale Entwicklung, die mittel- und langfristig an jeder allgemeinen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1658 2 Schule eingerichtet werden sollen, gehören zu jeder Schwerpunktschule. Sie bedürfen in der Regel keiner besonderen sächlichen Vorkehrungen. Die Eigenschaft einer Schwerpunktschule erwirbt eine allgemeine Schule erst dadurch, dass sie darüber hinaus weitere Förderschwerpunkte anbietet.“ Im Entwurf zu § 20, Absatz 3 des Entwurfs soll festgelegt werden: „Die Schulaufsichtsbehörde richtet Gemeinsames Lernen mit Zustimmung des Schulträgers an einer allgemeinen Schule ein, es sei denn, die Schule ist dafür personell und sächlich nicht ausgestattet und kann auch nicht mit vertretbarem Aufwand dafür ausgestattet werden.“ Es stellt sich daher die Frage, wie genau die „personelle und sächliche Ausstattung“ und ein „nicht vertretbarer Aufwand“ von Seiten der Landesregierung definiert werden. Ebenfalls stellt sich die Frage, ob auch alternativ eine allgemeine Schule, die als Schwerpunktschule fungiert, in einer anderen Kommune durch die zuständige Schulaufsicht als Förderort angeboten werden kann. Hierbei würde für die Eltern insbesondere die Frage relevant sein, was z.B. unter einer zumutbaren Entfernung tatsächlich zu verstehen ist. Des Weiteren heißt es zur Umsetzung des grundsätzlichen Rechtsanspruchs in den Kommunen in § 19, Absatz 5 laut Entwurf: „Besteht ein solcher Bedarf, schlägt sie den Eltern mit Zustimmung des Schulträgers mindestens eine allgemeine Schule vor, an der ein Angebot zum Gemeinsamen Lernen eingerichtet ist, das der Empfehlung der Schule oder dem bisherigen Bildungsweg der Schülerin oder des Schülers entspricht.“ Die Aussagen zur Empfehlung der Schule oder dem bisherigen Bildungsweg der Schülerin und des Schülers machen deutlich, dass es sich hierbei um eine – fachlich offensichtlich gebotene – Einschränkung handelt, da hier die jeweiligen Spezifika der Bildungsgänge Berücksichtigung finden. Der Begründungstext des Referentenentwurfs führt jedoch einerseits aus, dass die Schulaufsicht in der Sekundarstufe I für Schülerinnen und Schüler, die nach den Vorgaben der allgemeinen Schulen unterrichtet werden, allein Orte der sonderpädagogischen Förderung mit einem Angebot des Bildungsgangs bestimmen kann, den die Schülerin oder der Schüler aufgrund der bisherigen Schullaufbahn voraussichtlich mit Erfolg abschließen werden. Andererseits wird jedoch dargelegt, dass die Schülerinnen und Schüler in jedem Fall den Anspruch darauf haben, eine Schule mit dem Bildungsgang zu besuchen, der nach dem Willen der Eltern für die Schülerin oder den Schüler in Frage komme. Insofern bestehe im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben der Anspruch auf den Besuch einer bestimmten von den Eltern gewünschten Schulform, jedoch kein Anspruch auf den Besuch einer konkreten allgemeinen Schule. Beide Aussagen scheinen sich inhaltlich zu widersprechen. Für die Schulen ist es – ebenso wie für die Kommunen – von hoher Bedeutung, zu erfahren, ob in der Sekundarstufe I bei zielgleichem Unterricht das Recht auf den Besuch jedweden Bildungsgangs gelten soll oder ob allein Orte der sonderpädagogischen Förderung mit einem Angebot des Bildungsgangs bestimmt werden, die Schülerinnen oder Schüler aufgrund der bisherigen Schullaufbahn voraussichtlich mit Erfolg abschließen werden. SPD und Grüne haben in ihrem damaligen Antrag zur Inklusion erklärt, dass der Prozess der Umsetzung der UN-Konvention schrittweise und qualitativ erfolgen und Schulträger im Einvernehmen mit der Schulaufsichtsbehörde allgemeine Schulen aller Schulformen als Schwerpunktschulen im Sinne von „Vorreiterschulen“ bestimmen sollen, in denen Kinder und Jugendliche ohne Behinderungen und mit unterschiedlichen sonderpädagogischen Förderschwerpunkten gemeinsam unterrichtet und erzogen werden. Aufgrund des bereits nahen Zeitpunkts der von Rot-Grün geplanten Einführung stellt sich jedoch nunmehr die Frage, ob gegebenenfalls ein solcher Rechtsanspruch eingeführt wird, die Schulträger diesen aber aus z.B. organisatorischen Gründen nicht qualitativ umsetzen können. Erschwerend kommt hinzu , dass die Landesregierung die Vorlage eines umfassenden Inklusionsplans seit Jahren verschleppt, so dass eine Vielzahl von Aspekten zur Umsetzung der Inklusion ungeklärt ist. Auch hat die Ministerin für Schule und Weiterbildung erklärt, dass die Umsetzung des Inklu- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1658 3 sionsprozesses aus ihrer Sicht nicht konnexitätsrelevant sei, so dass die Kommunen finanziell bei der Umsetzung allein gelassen werden. Kommunen dürften mit der zeitnahen Umsetzung vermutlich oftmals überfordert sein. Daher stellt sich die Frage, welche Folgen eine unzureichende Umsetzbarkeit eines eingeführten grundsätzlichen Rechtsanspruchs zum kommenden Schuljahr für die Schulträger haben kann. 1. Welche Folgen kann eine Nichterfüllung des Rechtsanspruchs auf den Besuch einer allgemeinen Schule für Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf für einen Schulträger haben, wenn nach Einführung eines grundsätzlichen Rechtsanspruchs für Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf zum Besuch einer allgemeinen Schule im kommenden Schuljahr dieser vor Ort z.B. aufgrund mangelnder organisatorisch-räumlicher Kapazitäten nicht umgesetzt werden kann (bitte nach rechtlichen und möglichen finanziellen Folgen für die Schulträger aufschlüsseln)? 2. Wie genau definiert die Landesregierung inhaltlich die im Referentenentwurf ge- nannten „personellen und sächlichen Voraussetzungen“ (bitte nach den Aspekten „personell“ und „sächlich“ sowie jeweils nach den einzelnen sonderpädagogischen Förderschwerpunkten aufschlüsseln)? 3. Wie genau definiert die Landesregierung inhaltlich die Festlegung „mit vertretba- rem Aufwand“ im vorliegenden Referentenentwurf zur Inklusion (bitte aufschlüsseln nach rechtlicher Auslegung, inhaltlichen Vorgaben sowie finanziellen Anforderungen )? 4. Bis zu welcher Entfernung kann – nach Einführung des geplanten grundsätzli- chen Rechtsanspruchs zum Schuljahr 2012/2013 – bei einem nicht vorhandenen entsprechenden allgemeinen Schulangebot als sonderpädagogischem Förderangebot in einer Kommune ein solches Angebot einer anderen Kommune durch die Schulaufsicht als Förderangebot vorgeschlagen werden? 5. Wie genau soll die Wahl der Bildungsgänge in der Sekundarstufe I für Schülerin- nen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die zielgleich unterrichtet werden, ausgestaltet werden? Mit Schreiben vom 19. September 2012 hat das Ministerium für Schule und Weiterbildung den Verbänden und Organisationen des Schullebens (§ 77 Absatz 3 Schulgesetz NRW) und den Spitzenorganisationen der zuständigen Gewerkschaften und Berufsverbände (§ 94 Absatz 1 Landesbeamtengesetz) den Referentenentwurf des Ersten Gesetzes zur Umsetzung der VN-Behindertenrechtskonvention in den Schulen (9. Schulrechtsänderungsgesetz) einschließlich einer Begründung und einer synoptischen Übersicht übermittelt. Die Verbände konnten sich dazu bis 2. November 2012 äußern. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung wertet die Stellungnahmen derzeit aus und prüft, ob und in welchen Punkten der Referentenentwurf zu ändern ist. Danach wird das Kabinett über die Einbringung eines Gesetzentwurfs der Landesregierung beim Landtag entscheiden. Wegen dieses Verfahrensstands und der fortdauernden internen Meinungsbildung innerhalb der Landesregierung zum Gesetzentwurf können die einzelnen Fragen dieser Kleinen Anfrage derzeit nicht beantwortet werden. Während der parlamentarischen Beratung des Gesetzentwurfs wird die Landesregierung den Abgeordneten des Landtags für ihre Fragen zur Verfügung stehen.