LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1671 11.12.2012 Datum des Originals: 10.12.2012/Ausgegeben: 14.12.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 673 vom 15. November 2012 der Abgeordneten Yvonne Gebauer FDP Drucksache 16/1448 Wie viele der nordrhein-westfälischen Förderschulen würden aufgrund der angedachten rechtlichen Regelungen zeitnah geschlossen werden müssen – welche Wahlmöglichkeiten würden für Eltern bestehen bleiben? Die Landesregierung hatte bereits im sogenannten Aktionsplan zur Inklusion angekündigt, dass zukünftig in Kreisen und kreisfreien Städten vermehrt Förderschulen geschlossen werden könnten. Hierzu wird dort ausgeführt: „Die Schulträger in einem Kreis können gemeinsam beschließen, alle ihre dort angesiedelten Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen, mit dem Förderschwerpunkt Emotionale und soziale Entwicklung und mit dem Förderschwerpunkt Sprache auch dann aufzulösen, wenn sie die gesetzlichen Mindestgrößen erreichen. Das gilt auch für kreisfreie Städte als Schulträger. In diesem Fall ist allein die allgemeine Schule Ort der sonderpädagogischen Förderung für Schülerinnen und Schüler mit den genannten Förderschwerpunkten.“ Die Ministerpräsidentin hat in der Regierungserklärung ausgeführt, dass, wenn der Bedarf besteht, Eltern auch weiterhin eine Förderschule wählen können. Die Aussagen der Ministerpräsidentin überraschen insbesondere vor dem Hintergrund des oben dargelegten Zitats. Wenn kreisfreie Städte und Kreise der angekündigten Möglichkeit zur Schließung folgen würden, bestünde für die Eltern, die ein spezialisiertes Förderschulangebot in den Bereichen Lernen, Sprache oder auch Emotionale und soziale Entwicklung wünschen, kein solches wohnortnahes öffentliches Förderschulangebot mehr. Entweder ist die Aussage der Ministerpräsidentin so zu verstehen, dass es sich bei dem von ihr angesprochenen Förderschulangebot lediglich um eine schwerpunktübergreifende Förderschule ohne die genannten sonderpädagogischen Schwerpunkte handelt oder den Eltern wird durch die Ministerpräsidentin ein falscher Eindruck vermittelt. Es stellt sich daher die Frage, wie Ministerpräsidentin Kraft den Begriff „Bedarf“ definiert. In dem inzwischen vorliegenden Referentenentwurf „Erstes Gesetz zur Umsetzung der VNBehindertenrechtskonvention in den Schulen (9. Schulrechtsänderungsgesetz)“, der im Kabinett beschlossen worden ist, geht die Landesregierung über die ursprünglichen Ankündi- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1671 2 gungen sogar hinaus. Zwar soll es in § 20 heißen, dass Eltern abweichend von der allgemeinen Schule die Förderschule wählen können. Allerdings heißt es ebenfalls in § 20 des Entwurfs : „In besonderen Ausnahmefällen kann die Schulaufsichtsbehörde abweichend von der Wahl der Eltern die allgemeine Schule anstelle der Förderschule oder die Förderschule anstelle der allgemeinen Schule als Förderort bestimmen.“ Zukünftig kann Eltern demnach die Wahl einer Förderschule versagt werden. Dies zeigt auch der Begründungstext des Gesetzentwurfs . Eltern haben demnach grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass ihr Kind in eine allgemeine Schule aufgenommen wird. Es solle Ihnen aber auch unbenommen bleiben, zu beantragen, dass ihr Kind in eine Förderschule aufgenommen wird. Dies verdeutlicht bereits eine ungleiche Gewichtung. Darüber hinaus soll § 132 SchulG laut Entwurf demnach wie folgt geändert werden: „(1) Kreise und kreisangehörige Gemeinden als Schulträger können im Gebiet eines Kreises mit Genehmigung der oberen Schulaufsichtsbehörde vereinbaren, ihre Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen, mit dem Förderschwerpunkt Emotionale und soziale Entwicklung und mit dem Förderschwerpunkt Sprache auch dann aufzulösen, wenn sie die in der Verordnung über die Mindestgrößen von Förderschulen bestimmten Schülerzahlen erreichen. Dabei muss gewährleistet sein, dass allein die allgemeine Schule Ort der sonderpädagogischen Förderung ist; § 20 Absätze 4 und 5 und § 78 Absatz 4 sind in diesem Fall nicht anwendbar. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für kreisfreie Städte als Schulträger. Die Rechtsstellung der Schulen in freier Trägerschaft bleibt unberührt. (2) Auf Antrag eines Schulträgers kann die obere Schulaufsichtsbehörde die Auflösung aller Förderschulen eines oder mehrerer der unter Absatz 1 genannten Förderschwerpunkte zugunsten eines inklusiven Schulangebots genehmigen.“ In der Gesetzesbegründung wird nunmehr ausgeführt, dass kreisfreie Städte und alle kreisangehörigen Kommunen gemeinsam sowie kreisangehörige Gemeinden als Schulträger ihre Förderschulen eines oder mehrerer Förderschwerpunkte aus dem Bereich der sogenannten Lern- und Entwicklungsstörungen insgesamt auflösen können. Die Begründung verdeutlicht, dass Rot-Grün keine Rücksicht auf Elternwünsche nehmen will. Hier wird explizit erklärt, dass Förderschulen auch dann geschlossen werden, wenn für sie noch ein Bedürfnis besteht und dass Eltern für ihr Kind dann keine Förderschule wählen können. Die Landesregierung wird mit dem vorliegenden Entwurf einer geänderten Verordnung über die Schulgrößen der Förderschulen und der Schulen für Kranke offenbar gezielt eine Schließungswelle von Förderschulen auslösen, wenn diese in der vorliegenden Form umgesetzt wird. Zwar werden die Mindestgrößen der einzelnen Förderschulen nicht verändert, allerdings wird im Vergleich zur ursprünglichen Sechsten Verordnung zur Ausführung des Schulverwaltungsgesetzes (6. AVOzSchVG) ein entscheidender Absatz gestrichen. Dort heißt es unter § 2, Absatz 1: „Die Gesamtzahl der Schüler nach § 1 darf mit Zustimmung der oberen Schulaufsichtsbehörde bis zu 50 vom Hundert unterschritten werden, wenn die schulorganisatorischen Verhältnisse oder die Gewährleistung eines zumutbaren Schulbesuchs dies erfordern .“ In den Erläuterungen zum neuen Verordnungsentwurf wird ausgeführt, dass Förderschulen , die die Mindestgröße nicht erreichen (hierbei muss die Streichung des bisherigen Absatzes 2 der Verordnung mitgedacht werden), bis spätestens zum 1. August 2014 keine Schülerinnen und Schüler mehr aufnehmen dürfen. Die Landesregierung möchte durch diese Änderungen offensichtlich möglichst vielen Förderschulen die Existenzgrundlage entziehen und vor Ort die Wahlmöglichkeiten für Eltern massiv einschränken, wenn nicht gar aufheben. Die Aussagen der Ministerpräsidentin, wonach Eltern auch weiterhin eine Förderschule wählen können, soll offenbar auf schleichendem Weg ad absurdum geführt werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1671 3 1. Wann ist aus Sicht der Landesregierung der von der Ministerpräsidentin genannte „Bedarf“ der Eltern für ein Förderschulangebot in einem Kreis bzw. einer kreisfreien Stadt gegeben (bitte nach Anzahl der jeweilig benötigten Kinderanzahl für die einzelnen sonderpädagogischen Förderschwerpunkte aufschlüsseln )? 2. Ist es zutreffend, dass auf der Basis des nunmehr von der Landesregierung vor- gelegten Gesetzentwurfs trotz eines Elternbedürfnisses Förderschulangebote geschlossen werden können? 3. Wie viele Förderschulen fallen auf der Basis der Vorgaben des Entwurfs der neuen Verordnung über die Schulgrößen der Förderschulen und der Schulen für Kranke im laufenden Schuljahr 2012/2013 unter die festgelegte Mindestgröße (bitte jeweils für die einzelnen Schwerpunkte nach den jeweiligen Kommunen aufschlüsseln)? 4. Welche rechtlichen Möglichkeiten eröffnen sich für Eltern, wenn es ihnen zwar unbenommen bleibt, einen Förderschulbesuch zu beantragen, ein gewünschtes Förderschulangebot in einem Kreis oder einer kreisfreien Stadt jedoch nicht mehr vorhanden ist? 5. Welche Folgen würden die Vorgaben auf der Basis des vorliegenden Referenten- entwurfs für Eltern haben, die ein solches spezialisiertes Förderangebot wünschen , wenn landesweit alle Kreise und kreisfreien Städte die Möglichkeit zur Schließung der Förderschule der Schwerpunkte Lernen, Emotionale und soziale Entwicklung und Sprache umsetzen würden? Die Fragen 1 bis 5 werden zusammen beantwortet. Mit Schreiben vom 19. September 2012 hat das Ministerium für Schule und Weiterbildung den Verbänden und Organisationen des Schullebens (§ 77 Absatz 3 Schulgesetz NRW) und den Spitzenorganisationen der zuständigen Gewerkschaften und Berufsverbände (§ 94 Absatz 1 Landesbeamtengesetz) den Referentenentwurf des Ersten Gesetzes zur Umsetzung der VN-Behindertenrechtskonvention in den Schulen (9. Schulrechtsänderungsgesetz) einschließlich einer Begründung und einer synoptischen Übersicht und den Entwurf einer Verordnung über die Schulgrößen der Förderschulen und der Schulen für Kranke einschließlich einer Begründung übermittelt. Die Verbände konnten sich dazu bis 2. November 2012 äußern. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung wertet die Stellungnahmen derzeit aus und prüft, ob und in welchen Punkten die Entwürfe zu ändern sind. Danach wird das Kabinett über die Einbringung eines Gesetzentwurfs der Landesregierung beim Landtag entscheiden. Die Verordnung wird gemäß § 82 Absatz 10 Schulgesetz NRW erlassen werden. Wegen dieses Verfahrensstands und der fortdauernden internen Meinungsbildung zum Gesetzentwurf und zum Entwurf der Rechtsverordnung können die einzelnen Fragen dieser Kleinen Anfrage derzeit nicht beantwortet werden. Während der parlamentarischen Beratung des Gesetzentwurfs wird die Landesregierung den Abgeordneten des Landtags für ihre Fragen zur Verfügung stehen.