LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1727 19.12.2012 Datum des Originals: 18.12.2012/Ausgegeben: 21.12.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 685 vom 20. November 2012 der Abgeordneten Angela Freimuth und Marcel Hafke FDP Drucksache 16/1508 Rückgang der Studienanfängerzahlen trotz weggefallener Studienbeiträge – Wie erklärt sich die Landesregierung diese kontradiktorische Entwicklung? Die Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung hat die Kleine Anfrage 685 mit Schreiben vom 18. Dezember 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Erstmals seit sechs Jahren ist an den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen die Zahl der Studienanfänger gesunken. Laut Mitteilung des Statistischen Landesamtes vom 20. November 2012 haben sich im gerade begonnenen Wintersemester 2012/2013 101.200 Studenten an nordrhein-westfälischen Hochschulen eingeschrieben. Das sind rund 2.900 weniger als noch vor einem Jahr. Nach fünf Jahren kontinuierlicher Steigerung gehen die Studienanfängerzahlen damit erstmalig wieder zurück, obwohl die Zahl der Hochschulzugangsberechtigten in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren – so auch im Jahr 2012 – stetig zugenommen hat und die Studienbeiträge entfallen sind. Von SPD und Bündnis90/Die Grünen wird stets wiederholt, die in Nordrhein-Westfalen unter CDU/FDP eingeführten Studienbeiträge zur Qualitätsverbesserung der Studienbedingungen an den Hochschulen hätten sich nachteilig auf die Studienmotivation junger Menschen ausgewirkt . Angesichts dieser tatsächlichen Entwicklung ist eine solche Behauptung nicht logisch ableitbar. Noch deutlicher zeigt sich die Diskrepanz bei einem Blick auf die Entwicklung der Studienanfängerzahlen differenziert nach den einzelnen Hochschultypen. So sank die Zahl der Anfänger laut Angaben des Wissenschaftsministeriums an den Universitäten um 3,5 Prozent bzw. 2.199 und an den Fachhochschulen um 0,5 Prozent bzw. 147, wohingegen die Anfängerzahl LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1727 2 an den Privaten Hochschulen des Landes, die für ihre Angebote Beiträge erheben, um 10,1 Prozent bzw. 799 anstieg. Rot-Grün wollte durch die Abschaffung der Studienbeiträge mehr junge Menschen als bisher für ein Studium gewinnen. So führte Ministerin Schulze in einer Pressemitteilung vom 5. Oktober 2010 aus, dass man nicht länger auf kluge Migranten, engagierte Frauen und interessierte Studierende, die den Schritt zur Hochschule allein aufgrund der Studienbeiträge scheuten, verzichten möge. Tatsächlich lässt sich der prognostizierte Zusammenhang von weggefallenen Studienbeiträgen und der zunehmenden Studierneigung nicht ablesen. Ein empirischer Beleg für die These, sozialverträglich ausgestaltete Studienbeiträge würden sich nachteilig auf die Studiermotivation auswirken, fehlt bis heute. Auch hat der Wegfall der Studienbeiträge wohl nicht dazu beigetragen, die Bildungsdurchlässigkeit zu erhöhen. Laut einer im September 2012 veröffentlichten Studie des Mannheimer Zentrums für europäische Sozialforschung sind im deutschen Bildungssystem die Zugangswege zum Studium nach wie vor sozial selektiv. So würden Akademikerkinder über eine etwa sechsmal so hohe Chance verfügen , ein Studium aufzunehmen als Kinder von Eltern ohne Hochschulabschluss. Messbar ist hingegen, dass die völlig unzureichende Kompensation der weggefallenen Studienbeiträge die Studienbedingungen an vielen Hochschulen verschlechtert hat. Wegen der fehlenden Dynamisierung haben viele Hochschulen mit Einnahmeverlusten in Millionenhöhe zu kämpfen. Denn die von Rot-Grün zum Ausgleich der Studienbeitragseinnahmen festgesetzte Summe in Höhe von 249 Millionen Euro orientiert sich an dem Nettostudienbeitragsaufkommen mit den entsprechend korrespondierenden Studierendenzahlen im Wintersemester 2009/2010 und berücksichtigt steigende Studierendenzahlen, wie sie im Zuge des doppelten Abiturjahrgangs wieder zu erwarten sind, nicht. 1. Wie beurteilt die Landesregierung den Rückgang der Studienanfängerzahlen im Wintersemester 2012/2013 vor dem Hintergrund der weggefallenen Studienbeiträge und des kontinuierlichen Anstiegs der Zahl der Hochschulzugangsberechtigten ? Das Rekordergebnis bei den Studienanfängerzahlen des Studienjahrs 2011 ist im Wesentlichen auf die weggefallenen Studienbeiträge und die Aussetzung der Wehrpflicht zurückzuführen . Der Wehrpflichteffekt spielte im Studienjahr 2012 nur noch eine untergeordnete Rolle . Deshalb war ein Rückgang der Studienanfängerzahlen im Vergleich zum Vorjahr zu erwarten . Er ist vergleichsweise gering ausgefallen. Denn mit über 117.000 Studienanfängerinnen und -anfängern wurde das zweithöchste Jahresergebnis aller Zeiten in NRW erzielt. Ein Vergleich zwischen der Zahl der Schulabgänger mit Hochschulzugangsberechtigung eines Jahres mit der Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger desselben Jahres ist aus fachlicher Sicht irreführend. Nur etwa ein Drittel eines Studienberechtigtenjahrgangs wechselt im selben Jahr an eine Hochschule; die überwiegende Zahl der Studienanfänger und -anfängerinnen stammt demgemäß aus anderen Schulentlassungsjahrgängen. 2. Wie hoch ist die Anzahl der Studierenden, jungen Migranten und Frauen, die sich aufgrund der weggefallenen Studienbeiträge für ein Studium in NordrheinWestfalen entschieden haben? Gründe für die Aufnahme eines Studiums werden in den amtlichen Statistiken nicht erfasst. Erhebungen, die die Motive für eine Studienaufnahme zum aktuellen Wintersemester analysieren , liegen der Landesregierung nicht vor. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1727 3 3. Mit welchen Maßnahmen über den Wegfall der Studienbeiträge hinaus will die Landesregierung mehr junge Menschen aus sozial schwächeren Milieus zur Aufnahme eines Studiums motivieren bzw. die Durchlässigkeit erhöhen? Durch die Diversity-Initiative des Landes sollen die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen dabei unterstützt werden, mit der Vielfalt der Studierenden umzugehen und diese produktiv so zu begreifen, dass möglichst viele junge Menschen erfolgreich studieren können. Vom Beginn des Jahres 2013 an werden sich 11 Hochschulen in Nordrhein-Westfalen, die sich an einem Wettbewerb beteiligt haben, einem Diversity-Audit unterziehen. Parallel werden die Dimensionen der Vielfalt z.B. in einer Workshop-Reihe, die sich an die Hochschulen richtet, diskutiert, es werden hierzu Best-Practice-Beispiele präsentiert und Lösungswege gemeinsam erarbeitet. Weiter bietet das Land den Hochschulen die nötige StartUp-Unterstützung für das Pilotvorhaben 'Studienstart NRW.Bildungsausländer mit Zugangsprüfung begleiten'. Das Online-Orientierungstool „StudiFinder“ bietet auch jungen Menschen, die den direkten Gang an eine Hochschule, z.B. zur Studienberatung, milieubedingt eher scheuen, die Möglichkeit , ein realistisches Bild ihrer Studierneigungen zu erhalten, und macht konkrete Vorschläge für Studienfelder bzw. Studiengänge. In der zweiten Stufe wird der „StudiFinder“ auch Informationen über die individuellen Studienkompetenzen und Nachholbedarfe für konkrete Studiengänge in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung stellen. Das Studiumsqualitätsgesetz trägt dazu bei, jedem interessierten jungen Menschen ein zeitlich überschaubares und finanziell kalkulierbares Studium an einer Hochschule ohne Berücksichtigung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Elternhauses zu ermöglichen. Über die Verwendung der Qualitätsverbesserungsmittel sowie über die erzielten Erfolge ist in regelmäßigen Abständen Rechenschaft abzulegen. Dieser Fortschrittsbericht bietet u.a. eine Reflexionsmöglichkeit , die hochschulspezifische Operationalisierung der Ziele des Studiumsqualitätsgesetzes auf deren Erfolg sowie Nachhaltigkeit zu überprüfen. Das „partnerschaftliche Mentoring“, das von „ArbeiterKind.de gemeinnützige UG (haftungsbeschränkt ) zur Förderung des Hochschulstudiums von Nicht-Akademikerkindern“ angeboten wird, wird unterstützt. Es adressiert insbesondere junge Menschen aus nichtakademischen Familien. 4. Wie erklärt sich die Landesregierung den überproportionalen Anstieg der Studi- enanfängerzahlen an den Privaten Hochschulen, die Studienbeiträge erheben? Die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger an privaten Hochschulen steigt in NRW seit Jahren kontinuierlich an, wobei die prozentuale Steigerung von Jahr zu Jahr auf den ersten Blick beachtlich erscheint. Seit 2007 (Beginn des Hochschulpakts) ist die Anzahl der privaten Hochschulen von 14 auf 22 in 2012 und die Zahl der Studienanfängerinnen und – anfänger an diesen Hochschulen im gleichen Zeitraum von 6.482 auf 12.185 gestiegen (Anstieg um 88%). Da auch die Hochschulen in der Trägerschaft des Landes in den letzten Jahren deutliche Zuwächse hatten, ist der Anteil der Studienanfängerinnen und -anfänger an den privaten Hochschulen an der Gesamtzahl aller Studienanfängerinnen und -anfänger in Nordrhein-Westfalen jedoch vergleichsweise gering von 8,4% (2007) auf 10,4% (2012) angewachsen . Darüber hinaus bieten die privaten Hochschulen zu einem deutlich höheren Anteil als die Hochschulen in der Trägerschaft des Landes Teilzeitstudiengänge und duale Studiengänge an, die ein Studium parallel zu einer bestehenden - oftmals einschlägigen – Berufstätigkeit ermöglichen. An der resultierenden beruflichen (Weiter-)Qualifikation haben nicht nur die LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1727 4 Studierenden selbst ein unmittelbares Interesse, weshalb vielfach eine Übernahme der Studiengebühren durch den jeweiligen Arbeitgeber erfolgt. 5. Welche Hochschulen haben seit dem Wegfall der Studienbeiträge weniger zweckgebundene Mittel für die Verbesserung der Studienbedingungen und der Lehre zur Verfügung? Der Anteil an Qualitätsverbesserungsmitteln, der auf die einzelnen Hochschulen entfällt, ist bereits im Rahmen der Kleinen Anfrage 301 vom 31. Juli 2012 (Drucksache 16/467) beantwortet worden.