LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1751 21.12.2012 Datum des Originals: 20.12.2012/Ausgegeben: 27.12.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 671 vom 8. November 2012 der Abgeordneten Ursula Doppmeier CDU Drucksache 16/1446 Ambulante Wohngruppen in Nordrhein-Westfalen Die Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter hat die Kleine Anfrage 671 mit Schreiben vom 20. Dezember 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfragen Auf der Suche nach Wohnalternativen für hilfe- und pflegebedürftige Menschen sind ambulante Wohngruppen zu einer positiven Alternative geworden. Diese wohngruppenorientierte Betreuungsform wird i.d.R. im Rahmen der ambulanten Versorgung praktiziert und unterliegt nicht dem Heimrecht. Für diese Wohnform werden auch Begriffe wie Pflegewohngruppen, Pflegewohnungen oder begleitete Wohngruppen verwendet. In der speziellen Wohnform leben Menschen mit Unterstützungsbedarf in kleinen Gruppen in einem gemeinsamen Haushalt zusammen. Dabei werden sie von Betreuungskräften unterstützt. Für viele Menschen bedeutet das Leben in dieser Wohnform mehr Freiheit und mehr Lebensqualität. Aufgrund der Tatsache, dass die Zahl der Menschen mit Behinderung, die Sozialhilfe benötigen , stetig steigen wird, ist auch von einem zunehmenden Bedarf an ambulanten Wohngruppen auszugehen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1751 2 Vorbemerkung der Landesregierung Die Zahl ambulant betreuter Wohngruppen - synonym auch ambulant betreute Wohngemeinschaften genannt - wird derzeit in Nordrhein-Westfalen noch nicht regelhaft erfasst. Gleichwohl lassen sich Schätzwerte aus verschiedenen Quellen ableiten. Ambulant betreute Wohngruppen fallen bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nach § 2 WTG NRW (rechtliche Verbindung zwischen Wohnraumüberlassung und Pflege- /Betreuungsleistungen, rechtliche Verbundenheit der Leistungsanbieterinnen und Leistungsanbieter , Einschränkung der tatsächlichen Wahlfreiheit der Bewohnerinnen bzw. Bewohner) in den Geltungsbereich des Wohn- und Teilhabegesetzes (WTG) und unterliegen dann der ordnungsbehördlichen Überwachung durch die Kreise und kreisfreien Städte. Diese verfügen über Informationen, die sie bei WTG-Statusprüfungen gewonnen haben. Zu anderen, nicht dem WTG unterfallenden, ambulant betreuten Wohngruppen besteht keine generelle Anzeigepflicht. Jedoch verfügen die örtlichen Sozialhilfeträger über Angaben, wenn zur Finanzierung Vereinbarungen nach § 75 SGB XII getroffen wurden. Da der Abschluss solcher Vereinbarungen nicht zwingend ist, sind auch die Zahlen hierzu nicht abschließend. Weitere Akteurinnen und Akteure der Altenhilfe bzw. der Hilfen für Menschen mit Behinderung konnten im Rahmen der für die Beantwortung Kleiner Anfragen zur Verfügung stehenden Fristen kein Zahlenmaterial zur Verfügung stellen. Aufgrund der o.g. Quellen ist davon auszugehen, dass sich die bei den Antworten genannten Zahlen weitgehend auf den Bereich der Altenhilfe beziehen. Die Landesregierung betrachtet ambulant betreute Wohngemeinschaften als eine unverzichtbare Angebotsalternative zu stationären Angeboten und zentrales Element einer zukunftsfähigen , quartiersnahen Versorgungsstruktur für pflegebedürftige Menschen und Menschen mit Behinderung. Sie will daher mit dem Aufbau einer zentralen Datenbank "Alter und Pflege" und der stärkeren Einbeziehung dieser Angebote in das Wohn- und Teilhabegesetz sowie in das Landespflegegesetz nicht zuletzt auch die derzeit unzureichende Datenlage verbessern. Dies vorausgeschickt, werden die Fragen auf der Grundlage einer aktuellen Abfrage bei den o.g. kommunalen Stellen wie folgt beantwortet. 1. Wie viele ambulante Wohngruppen gibt es in Nordrhein-Westfalen (verteilt auf die unterschiedlichen Träger)? Den Kommunen sind aus den verschiedenen o.g. Zuständigkeiten in Nordrhein-Westfalen derzeit mindestens 570 ambulante Wohngruppen für ältere Menschen, Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen bekannt. Angaben zur Trägerschaft wurden nicht in jedem Einzelfall erhoben. Soweit überhaupt Zahlen vorliegen, kann gesagt werden, dass sich etwa ¼ der Wohngruppen in Trägerschaft der Freien Wohlfahrtspflege und ¾ der Wohngruppen in privater Trägerschaft befinden. Kommunale Angebote wurden nicht benannt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1751 3 2. In welchen Städten gibt es ambulante Wohngruppen? Ambulante Wohngruppen gibt es in den nachfolgend aufgeführten Städten. Aus einigen Kreisen liegen keine nach kreisangehörigen Städten und Gemeinden differenzierten Angaben vor, so dass sich die Zahl auf das gesamte Kreisgebiet bezieht: Kreis/Kreisfreie Stadt Zahl der Wohngemeinschaften Städteregion Aachen 12: Aachen (2), Alsdorf (1), Eschweiler (5), Stolberg (3) und Würselen (1) Bielefeld (Stadt) 22 Bochum (Stadt) 7 Bonn (Stadt) 7 Borken 19 in Ahaus, Bocholt, Borken, Gronau, Reken, Schöppingen , Südlohn, Velen und Vreden Bottrop (Stadt) 0 Coesfeld 4 in Dülmen Dortmund (Stadt) 22 Duisburg (Stadt) 8 Düren 17 in Düren und Nideggen Düsseldorf (Stadt) 5 Ennepe-Ruhr-Kreis 3: Witten (1); Gevelsberg (2) Essen (Stadt) 10 Euskirchen 0 Gelsenkirchen (Stadt) 20 Gütersloh 42 im gesamten Kreisgebiet Hagen (Stadt) 2 Hamm (Stadt) 11 Heinsberg 13: Heinsberg (3), Erkelenz (2), Hückelhoven (3) in Gangelt , Geilenkirchen, Selfkant, Waldfeucht und Wegberg (je 1) Herford 6: Löhne (2), je 1 in Herford, Enger, Spenge und Vlotho Herne (Stadt) 5 Hochsauerlandkreis k. A. Höxter 0 Kleve 12 Köln (Stadt) 41 Krefeld (Stadt) 0 Leverkusen (Stadt) 3 Lippe 15: Lemgo (6), Detmold (2), Horn-Bad Meinberg (2) je 1 in Bad-Salzuflen, Extertal, Kalletal, Leopoldshöhe, Schieder -Schwalenberg Märkischer Kreis 6: Lüdenscheid (2), je 1 in Hemer, Altena, Werdohl und Schalksmühle Mettmann 4: in Velbert, Wülfrath, Mettmann und Hilden je 1 Minden-Lübbecke 5 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1751 4 Mönchengladbach (Stadt) 1 Mülheim an der Ruhr (Stadt) 11 Münster (Stadt) 13 Oberbergischer Kreis 10: je 2 in Marienheide, Radevormwald und Reichshof, je 1 in Engelskirchen, Hückeswagen, Lindlar und Nümbrecht Oberhausen (Stadt) 3 Olpe 0 Paderborn 7: Paderborn (5), Bad Lippspringe und Büren je 1 Recklinghausen 17: je 4 in Castrop-Rauxel, Herten und Recklinghausen, 3 in Marl und je 1 in Datteln und Dorsten, Remscheid (Stadt) 8 Rhein-Erft-Kreis 8: je 2 in Elsdorf und Kerpen, je 1 in Bergheim, Frechen, Hürth und Wesseling Rheinisch-Bergischer Kreis 15 in allen kreisangehörigen Städten und Gemeinden Rhein-Kreis Neuss 15: Neuss und Meerbusch je 3, Grevenbroich (2); Kaarst und Korschenbroich je 1 und Dormagen (5) Rhein-Sieg-Kreis 6: Hennef (4); Sankt Augustin und Eitorf je 1 Siegen-Wittgenstein 8: Siegen (3), Kreuztal (2) Burbach, Freudenberg und Bad Berleburg je 1 Soest 10: Lippstadt, Soest und Möhnesee je 2; Warstein, Werl, Geseke und Anröchte je 1 Solingen (Stadt) 3 Steinfurt 32 im gesamten Kreisgebiet Unna 30: je 6 in Unna und Werne, 5 in Lünen, je 3 in Bönen und Kamen, je 2 in Bergkamen, Fröndenberg und Schwerte und 1 in Selm Viersen 22: Viersen (7), Tönisvorst (5), Kempen (4), Nettetal (3), Grefrath, Schwalmtal und Willich je 1 Warendorf 10: in Telgte, Ahlen und Oelde je 2, in Beckum, Drensteinfurt , Ennigerloh und Sassenberg je 1 Wesel 6 Wuppertal (Stadt) 14 3. Wie hoch sind die Kosten für Unterkunft und Verpflegung pro Bewohner pro Tag in den jeweiligen Wohngruppen? Eine allgemeine Aussage kann dazu nicht getroffen werden, da die Beträge grundsätzlich im Einzelfall vereinbart werden und auch von der Größe der Einzelzimmer und der Gemeinschaftsflächen abhängen. Die von den Kreisen und kreisfreien Städten mitgeteilten Zahlen für die Miete einschließlich der Betriebskosten differieren zwischen 235 € und ca. 600 €. Sofern die Bewohnerinnen und Bewohner ihre Verpflegung nicht selbst organisieren, wird im Regelfall eine Pauschale für die gemeinschaftliche Verpflegung vereinbart, die zwischen 200 € und 350 € liegt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1751 5 4. Wie hoch sind die Investitionskosten pro Bewohner pro Tag in den jeweiligen Wohngruppen? Soweit bekannt, werden in ambulant betreuten Wohngruppen Investitionskosten nicht gesondert berechnet. Angaben hierzu sind daher nicht möglich. 5. Wie gestaltet sich der finanzielle Unterschied zwischen einem Platz in der ambu- lanten Wohngruppe und einem Heimplatz? Unabhängig von der Feststellung, dass einem solchen Kostenvergleich angesichts des sozialrechtlich abgesicherten und von UN-BRK betonten Wunsch- und Wahlrechts pflegebedürftiger Menschen hinsichtlich der Wohn- und Pflegeangebote ggf. nur eingeschränkte Bedeutung zukommt, lässt sich die Frage weder allgemein noch konkret beantworten, da jedes einzelne Angebot seine eigene Kostenstruktur hat. Die entstehenden Kosten sind oft erheblich vom konkreten Unterstützungsbedarf der einzelnen Bewohnerinnen und Bewohner abhängig. So weisen viele Kommunen darauf hin, dass sich ein direkter Kostenvergleich in Abhängigkeit von der Pflegestufe oder auch besonderen Pflegebedarfen (z.B. bei Beatmungspatientinnen und -patienten) völlig unterschiedlich darstellen kann. Eine verallgemeinernde Aussage zum Kostenvergleich ist schon deshalb nicht möglich. Die Grundstruktur der monatlichen Finanzierung einer Wohngemeinschaft lässt sich wie folgt darstellen:  Die Mietvereinbarung unterliegt der Privatautonomie und wird grundsätzlich individuell vereinbart. Der Mietzins ist damit von verschiedenen Faktoren abhängig, u.a. vom örtlichen Wohnungsmarkt. Sofern der Sozialhilfeträger Leistungen erbringt, ist die Miethöhe nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen gedeckelt. Die von den Kommunen genannten Zahlen für die Miete liegen zwischen 235 € und 600 €.  Sofern sich die Bewohnerinnen und Bewohner nicht selbst verpflegen, wird zwischen dem Pflege-/Betreuungsdienst bzw. der Betreiberin / dem Betreiber der Wohngruppe und den Bewohnerinnen und Bewohnern eine Verpflegungspauschale vereinbart. Hier wurden Beträge von 200 € bis 350 € genannt. Der am häufigsten genannten Wert liegt bei 200 € bis 250 €.  In vielen Fällen vereinbaren die Sozialhilfeträger nach § 75 SGB XII eine Betreuungspauschale , die die Kosten für Präsenzkräfte abdecken soll. Diese Präsenzkräfte sind im Regelfall keine Pflegefachkräfte, sondern haben die Aufgabe der Tagesbetreuung, Alltagsgestaltung , Mithilfe in der Hauswirtschaft und ggf. die Vornahme pflegerischer Leistungen , die nicht von Pflegefachkräften vorgenommen werden müssen. Die Präsenzkräfte stellen insbesondere die 24-Stunden-Betreuung in der Wohngruppe sicher. Die von den Kommunen mitgeteilten Beträge für die Betreuungspauschale liegen zwischen 900 € und 1.500 €. Auf der Grundlage des Pflege-Neuausrichtungsgesetzes haben seit Oktober diesen Jahres Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen nach Maßgabe der §§ 38a SGB XI und 45e SGB XI einen Anspruch auf einen Zuschlag zur Finanzierung von Präsenzkräften in Höhe von 200 € pro Bewohnerin/Bewohner pro Monat bzw. auf eine Anschubfinanzierung bis zu einem Betrag von maximal 10.000 € je Wohngruppe zur Gründung von ambulant betreuten Wohngruppen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1751 6 Die Kosten der häuslichen Grundpflege und Hauswirtschaft richten sich nach den individuellen Bedarfen, die gegenwärtig grundsätzlich nach Leistungskomplexen abgerechnet werden. Generelle Angaben lassen sich daher nicht machen. Da der von den Pflegekassen nicht übernommene Anteil der Pflegekosten, die auch bei ambulanter Betreuung beträchtlich sein können, ggf. vom Sozialhilfeträger übernommen werden muss, haben einige Sozialhilfeträger auch Pauschalen für die Hilfe zur Pflege vereinbart. Hier werden Beträge von 1.200 € bis 1.500 € monatlich genannt. Dieses Vorgehen entspricht den Regelungen der stationären Versorgung. Davon abgezogen werden die nach Pflegestufen differenzierten ambulanten Leistungen der Pflegekassen nach § 36 SGB XI. Das sind im Jahr 2012 in der Pflegestufe I 450 €, in der Pflegestufe II 1.100 € und in der Pflegestufe III 1.550 € (in Härtefällen 1.918 €). Bei den Pflegestufen I und II sind sie damit niedriger als bei einer stationären Versorgung, bei Pflegestufe III identisch.  Hinzu kommen Kosten für die medizinische Behandlungspflege, die als häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V geleistet wird. Diese Kosten werden grundsätzlich in voller Höhe übernommen, sind also nicht von den Bewohnerinnen und Bewohnern zu zahlen. Dennoch sind sie in den Vergleich mit den Kosten der stationären Versorgung einzubeziehen , da die allgemeine medizinische Behandlungspflege in stationären Pflegeeinrichtungen nach SGB XI auch Bestandteil der Pflegevergütung nach SGB XI ist. Die monatliche Finanzierung einer stationären Pflegeeinrichtung stellt sich dagegen wie folgt dar:  Die Kosten für Unterkunft und Verpflegung werden in NRW zwischen Anbieterverbänden und Kostenträgern (Pflegekassen, Träger der Sozialhilfe) nach SGB XI individuell ausgehandelt , sind aber von den Bewohnerinnen und Bewohnern zu zahlen. Nach einer Auswertung des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2011 betragen sie im Durchschnitt 835 €.  Die Teilbeträge für Pflegeleistungen werden ebenfalls zwischen Anbieterverbänden und Kostenträgern individuell ausgehandelt. Diese Pflegeleistungen umfassen die Grundpflege , die medizinische Behandlungspflege, die soziale Betreuung und die hauswirtschaftlichen Leistungen. Für Nordrhein-Westfalen beträgt der monatliche Pflegesatz nach Aussage der Verbände der Pflegekassen in stationären Pflegeeinrichtungen in der Pflegestufe I rund 2.300 €, in der Pflegestufe II rund 2.500 € und in der Pflegestufe III rund 3.000 €. Auf Grund des Teilkaskocharakters der Pflegeversicherung wird jedoch nur ein Teilbetrag der verhandelten Kosten von der Pflegeversicherung tatsächlich getragen. So betragen die Erstattungsleistungen der Pflegeversicherung im Jahr 2012 in der Pflegestufe I bis zu 1.023 €, in der Pflegestufe II bis zu 1.279 € und in der Pflegestufe III bis zu 1.550 € (in Härtefällen 1.918 €). Damit ist von dem Pflegebedürftigen etwa die Hälfte der im Pflegesatz bezifferten Kosten selber zu tragen.  Hinzu kommt noch der Entgeltbestandteil der Investitionskosten, der ebenfalls von den Bewohnerinnen und Bewohnern der Pflegeeinrichtung zu tragen ist. Dieser Betrag variiert je nach Alter und Zustand der Pflegeeinrichtung erheblich (Mittelwert für NordrheinWestfalen nach dem 5. Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung der Pflegeversicherung , Stand: 05.12.2012 = rd. 485 € monatlich).