LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1760 28.12.2012 Datum des Originals: 27.12.2012/Ausgegeben: 03.01.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 642 vom 7. November 2012 des Abgeordneten Rainer Deppe CDU Drucksache 16/1368 Besuch von Jugendoffizieren in Schulen im Rheinisch-Bergischen-Kreis Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 642 mit Schreiben vom 27. Dezember 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister und der Ministern für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Das Ministerium für Schule und Weiterbildung hat am 30. August 2012 eine neue Kooperationsvereinbarung mit dem Wehrbereichskommando II der Bundeswehr geschlossen, wodurch die alte Vereinbarung von 29.10.2008 ihre Gültigkeit verloren hat. In dieser neuen Kooperationsvereinbarung wurde das Vokabular deutlich verändert. Hieß es 2008 zu Zeiten der von CDU und FDP getragenen Landesregierung noch „Intensivierung der Zusammenarbeit im Rahmen der politischen Bildung“, heißt es jetzt in der Vereinbarung, die die von Ministerpräsidentin Kraft geführte Landesregierung abgeschlossen hat, „Entwicklung der Friedensgesinnung“. Weiter verpflichtet die neue Vereinbarung die Schulen, auch Aktivisten von Friedensinitiativen oder Kirchen gleichberechtigt einzuladen. „Wenn die Bundeswehr zwei Stunden bekommt, sollen andere auch zwei Stunden bekommen“, wird die Sprecherin des Ministerium für Schule und Weiterbildung zitiert. Zudem wurde die Einbeziehung der Zentren für die schulpraktische Lehrerausbildung aus der Kooperationsvereinbarung gestrichen, so dass die Bundeswehr zukünftig keine Angebote in der Ausbildung von Lehrkräften machen darf. In der Vereinbarung wird auf den Beutelsbacher Konsens aus dem Jahr 1976 für die Politische Bildung als zwingend zu beachtende Grundlage Bezug genommen. Der Beutelsbacher Konsens verfolgt im Wesentlichen zwei seither in der Politischen Bildung unbestrittene Grundsätze: das Überwältigungsverbot und das Kontroversitätsgebot. Diese werden dort konkretisiert. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1760 2 Überwältigungsverbot: „Es ist nicht erlaubt, den Schüler - mit welchen Mitteln auch immer - im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der "Gewinnung eines selbständigen Urteils" zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der - rundum akzeptierten - Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers.“ Kontroversitätsgebot. „Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Diese Forderung ist mit der vorgenannten aufs engste verknüpft, denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten. Zu fragen ist, ob der Lehrer nicht sogar eine Korrekturfunktion haben sollte, d.h. ob er nicht solche Standpunkte und Alternativen besonders herausarbeiten muss, die den Schülern (und anderen Teilnehmern politischer Bildungsveranstaltungen) von ihrer jeweiligen politischen und sozialen Herkunft her fremd sind.“ http://www.lpb-bw.de/beutelsbacher-konsens.html Alle Jugendoffiziere, die an Schulen tätig sind, haben ein Hochschulstudium erfolgreich absolviert . Sie sind durch den Diensteid als Soldaten – vergleichbar dem Beamteneid – gebunden und verpflichtet, „einzustehen für Demokratie, Recht, Freiheit und Menschenwürde.“ (Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière, am 03.08.2012). Die Eidesformel ist in § 9 Abs. 1 SoldatenG festgelegt: „Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit haben folgenden Diensteid zu leisten: "Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe." Der Eid kann auch ohne die Worte "so wahr mir Gott helfe" geleistet werden. Gestattet ein Bundesgesetz den Mitgliedern einer Religionsgesellschaft, an Stelle der Worte "ich schwöre" andere Beteuerungsformeln zu gebrauchen, so kann das Mitglied einer solchen Religionsgesellschaft diese Beteuerungsformel sprechen.“ Als mündige Staatsbürger in Uniform sind sie damit Deutschland und dem deutschen Volk verpflichtet. Die Bindung an das Grundgesetz ergibt sich aus dem Soldatengesetz und besteht unabhängig von der politischen Ausrichtung der Bundesregierung. Vorbemerkung der Landesregierung Die Kooperationsvereinbarung zwischen dem Ministerium für Schule und Weiterbildung und dem Wehrbereichskommando ll der Bundeswehr stellt die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr in den Rahmen des Beutelsbacher Konsenses. Demnach müssen Themen und Sachverhalte , die in der Gesellschaft strittig sind, auch in der Schule strittig dargestellt werden. Dadurch wird eine einseitige Beeinflussung der Schülerinnen und Schüler vermieden. Damit dies sichergestellt wird, sind die Schulen deshalb aufgefordert, neben den Jugendoffizieren auch Vertreterinnen und Vertreter anderer Institutionen sowie Organisationen der Friedensbewegung gleichberechtigt und gleichgewichtig einzubeziehen. Dabei gelten für diese Vertreterinnen und Vertreter die gleichen Grundlagen wie für die Jugendoffiziere. Die für den Unterricht verantwortliche Lehrkraft stellt die Einhaltung dieser Grundlagen sicher. Die Zentren für die schulpraktische Lehrerausbildung sind nicht mehr explizit aufgenommen worden. Eine Zusammenarbeit der Zentren für die schulpraktische Lehrerausbildung mit der Bundeswehr ist aber weiterhin möglich. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1760 3 1. Wie viele Besuche von Jugendoffizieren haben seit 2008 in Schulen im RheinischBergischen Kreis stattgefunden? Statistische Daten hierzu werden seitens der Landesregierung nicht erhoben. Nach Information der Bundeswehr werden die Daten ihrerseits nur auf die jeweiligen Länder und nicht auf einzelne Kreise bezogen erfasst. 2. Wie viele Fälle sind der Landesregierung bekannt, bei denen der Verlauf dieser Be- suche in Schulen im Rheinisch-Bergischen Kreis einen konkreten Hinweis dafür gegeben hat, dass der Grundsatz des Überwältigungsverbots verletzt wurde oder der Weg zur Indoktrination beschritten wurde? (Bitte einzeln aufführen) Hierüber liegen der Landesregierung keine Informationen vor. 3. Wie stellt die Landesregierung sicher, dass die einzuladenden Friedensaktivisten über eine vergleichbare Qualifikation und eine dem Diensteid entsprechende Bindung an die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland verfügen sowie der zwingenden Beachtung der Grundsätze des Beutelsbacher Konsenses gerecht werden? In § 5 Schulgesetz “Öffnung von Schule, Zusammenarbeit mit außer- schulischen Partnern” werden an die Personen und Einrichtungen, die mit der Schule zusammenarbeiten, keine konkreten Anforderungen gestellt und keine bestimmte Qualifikation oder Bindung an die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland gefordert. Die für den Unterricht verantwortliche Lehrkraft stellt sicher, dass eine Zusammenarbeit grundsätzlich mit geeigneten und qualifizierten Personen erfolgt. Darüber wachen auch die Schulleitung und die Schulaufsicht. 4. An welche Stelle müssen sich die Schulen im Rheinisch-Bergischen Kreis wenden, um zu erfahren, welche Friedensaktivisten eingeladen werden können? Die für den Unterricht verantwortliche Lehrkraft entscheidet eigenverantwortlich, welche Institution bzw. welche Organisation der Friedensbewegung sie an dem Unterricht beteiligt. Eine Vorgabe der Landesregierung hierzu ist nicht vorgesehen. 5. Aus welchem Etat werden die Kosten für die Tätigkeit der Friedensaktivisten (Hono- rare, Reisekosten etc.) an Schulen im Rheinisch-Bergischen Kreis bestritten? Die den Vertreterinnen und Vertretern der Friedensorganisationen durch ihre Teilnahme am Unterricht entstehenden Kosten (u. a. Fahrtkosten) werden diesen pauschal mit 25,00 Euro für eine Unterrichtsstunde und 40,00 Euro für zwei Unterrichtstunden erstattet. Haushaltsmittel in Höhe von 30.000 Euro sind bei Kapitel 05 020 Titelgruppe 60 etatisiert.