LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1771 03.01.2013 Datum des Originals: 02.01.2013/Ausgegeben: 08.01.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 690 vom 20. November 2012 des Abgeordneten Dirk Wedel FDP Drucksache 16/1513 Seriöse Politik oder plumpe Stimmungsmache - Wo steht die Landesregierung beim Thema nachträgliche Therapieunterbringung? Der Justizminister hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts haben eine Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung erforderlich gemacht. Mit dem Beschluss des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung hat der Deutsche Bundestag den Vorgaben der Gerichte Rechnung getragen. Die Reform der Sicherungsverwahrung ist Ausdruck einer Gesetzgebung, die Sicherheit unter rechtsstaatlichem Vorzeichen garantiert. Nicht so augenscheinlich für Justizminister Kuschaty, der derzeit öffentlich und am 08.11.2012 als Redner vor dem Deutschen Bundestag lautstark – unter Vereinnahmung der Justizministerkonferenz und des Bundesrats – als Ersatz für die für verfassungswidrig erklärte nachträgliche Sicherungsverwahrung eine bundesrechtlich normierte nachträgliche Therapieunterbringung fordert. Die Welt am Sonntag vom 11.11.2012 berichtete, Justizminister Kutschaty habe gewarnt, der Schutz vor Gewaltund Sexualstraftätern sei wichtiger als vermeintliche rechtsstaatliche Bedenken. In seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag hat Justizminister Kutschaty den Fall des Karl D. geschildert und dabei unseriös den Eindruck erweckt, eine gesetzliche Normierung einer nachträglichen Therapieunterbringung durch den Bund könnte für diesen Fall von Bedeutung sein! LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1771 2 Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen war über den ersten Auftritt des nordrhein -westfälischen Justizministers Kutschaty im Deutschen Bundestag „erstaunt und entsetzt “ und warf ihm vor, verfassungswidrige Gesetze vom Bund zu fordern, statt selbst auf Landesebene tätig zu werden. Der rechtspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, Jerzy Montag, hat den ersten Auftritt des nordrhein-westfälischen Justizministers Kutschaty und seine Forderung nach einer bundesgesetzlich normierten nachträglichen Therapieunterbringung in der Sitzung des Deutschen Bundestags vom 08.11.2012 wörtlich wie folgt kommentiert (Plenarprotokoll 17/204 Seite 24808 C): „Wenn wir den Weg gehen würden, die nachträgliche Sicherungsverwahrung im Kleid der nachträglichen Therapieunterbringung wieder ins Bundesgesetz hineinzuschreiben , dann würden wir sehenden Auges die nächsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte heraufbeschwören. Das aber sollten wir nicht tun, und das werden wir auch nicht tun. Herr Kollege Kutschaty, wenn Sie für die wenigen Fälle einen Regelungsbedarf sehen – ich habe dafür viel Verständnis –, bei denen bei Menschen in Freiheit – nicht in Haft, sondern in Freiheit – die Gefahr künftiger schwerer Straftaten besteht, dann sind Sie als Land aufgerufen, eine solche Regelung auf Landesebene herbeizuführen.“ Und weiter: „Ich fordere Sie auf: Finden Sie eine Regelung auf Landesebene. Schützen Sie dort Ihre Bürgerinnen und Bürger. … Fordern Sie uns nicht auf, hier ein verfassungswidriges Gesetz zu erlassen.“ Der Bundesrat muss der wichtigen Reform der Sicherungsverwahrung zwar nicht zustimmen , er kann sie indes durch Anrufung des Vermittlungsausschusses verzögern. Mit der Verabschiedung im Deutschen Bundestag erhalten die Länder Planungssicherheit für die von ihnen zu verabschiedenden Vollzugsgesetze, und in den Anstalten können die räumlichen und personellen Voraussetzungen geschaffen und der Alltag neu ausgerichtet werden. Erforderlich ist dafür ein Gesetz, dass ohne Zweifel den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Ein verfassungswidriges Gesetz, welches aufgehoben wird, schützt niemanden! 1. Wie hat Nordrhein-Westfalen in der 896. Sitzung des Bundesrats vom 11.05.2012 zum Thema nachträgliche Therapieunterbringung bei der Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 31 zu Ziffer 2 der Ausschussempfehlungen (BR-Drs. 173/1/12) abgestimmt (dafür oder nicht dafür)? Nordrhein-Westfalen hat dafür gestimmt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1771 3 2. Inwieweit ist die Landesregierung wie der rechtspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag der Auffassung, Justizminister Kutschaty habe in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am 08.11.2012 zum Erlass eines verfassungswidrigen Gesetzes aufgefordert (sofern die Landesregierung nicht dieser Auffassung ist, bitte unter gründlicher Auseinandersetzung mit den einschlägigen Passagen höchstrichterlicher Entscheidungen)? Die Landesregierung ist nicht dieser Auffassung. Der zur Verfügung stehende Spielraum für die Regelung einer nachträglichen Therapieunterbringung ergibt sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 04.05.2011 (BVerfGE 128, 326, insbesondere 388, 399, 401 f.). 3. Inwieweit ist die Landesregierung wie der rechtspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag der Auffassung, für Fälle, in denen bei Menschen in Freiheit die Gefahr künftiger schwerer Straftaten bestehe, sei eine Regelung auf Landesebene zu finden (sofern die Landesregierung nicht dieser Auffassung ist, bitte unter gründlicher Auseinandersetzung mit den einschlägigen Passagen höchstrichterlicher Entscheidungen)? Für die Fälle, auf die das Instrument der nachträglichen Therapieunterbringung abzielt, teilt die Landesregierung diese Auffassung nicht. Die Grenzen einer landesrechtlichen Regelung ergeben sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10.02.2004 (BVerfGE 109, 190), wonach nachträgliche Unterbringungsformen, die an die Begehung einer Straftat anknüpfen , dem Kompetenztitel des Strafrechts gemäß Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes unterfallen. 4. Inwieweit plant die Landesregierung eine entsprechende Regelung auf Landes- ebene? Auf die Antwort zu Frage 3 wird Bezug genommen. 5. Inwiefern wäre eine gesetzliche Regelung einer nachträglichen Therapieunter- bringung (etwa entsprechend BR-Drs. 173/12(B)) auf den Fall Karl D. konkret anwendbar ? Eine dem Regelungsentwurf aus BR-Drs. 173/12 (B) entsprechende gesetzliche Regelung wäre auf Anlasstaten, die nach dem 31.05.2013 begangen werden, anwendbar.