LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1781 03.01.2013 Datum des Originals: 03.01.2013/Ausgegeben: 08.01.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 578 vom 19. Oktober 2012 der Abgeordneten Yvonne Gebauer und Marc Lürbke FDP Drucksache 16/1178 Welche Veränderungen werden durch die neue Kooperationsvereinbarung zwischen dem Ministerium für Schule und Weiterbildung und dem Wehrbereichskommando II der Bundeswehr herbeigeführt? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit der Ministerpräsidentin und der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Ende August 2012 ist eine neue Kooperationsvereinbarung zwischen dem Ministerium für Schule und Weiterbildung sowie dem Befehlshaber im Wehrbereich II der Bundeswehr abgeschlossen worden. Hintergrund bildet die Zusammenarbeit zwischen nordrheinwestfälischen Schulen und der Bundeswehr im Rahmen der Politischen Bildung. Hierbei handelt es sich explizit nicht um eine Art der Werbung für die Bundeswehr, sondern um einen Beitrag der Bundeswehr zum Erwerb von Kenntnissen zur Sicherheits- und Friedenspolitik . Unumstritten ist, dass Jugendoffiziere in Schulen nicht Nachwuchs für die Bundeswehr rekrutieren sollen und dürfen. Auch ist für die Bundeswehr die Ausgewogenheit Pflicht. Die Landesregierung hatte auf Nachfrage der FDP-Landtagsfraktion erklärt (Drucksache 16/778), dass ihr keine Informationen vorlägen, wonach Angehörigen der Bundeswehr bei Besuchen an Schulen ein Verhalten vorgeworfen worden sei, das über die politische Bildung hinausgehe . Im Rahmen der Politischen Bildung gelten darüber hinaus völlig zu Recht ein Überwältigungsverbot und ein Kontroversitätsgebot. Auch ist eine fachliche und pädagogische Begleitung unverzichtbar. Um Meinungsvielfalt zu gewährleisten, ist daher ein vielfältiges Angebot an Positionen sinnvoll, um Jugendlichen die Möglichkeit der Diskussion, der Abwägung und eine eigene Meinungsfindung zu eröffnen. Allerdings ist bekannt, dass an Schulen vor der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1781 2 veränderten Kooperationsvereinbarung oftmals bereits ein vielfältiges Meinungsspektrum angeboten wurde. Daher stellen sich im Lichte der Ausgestaltung der neuen Kooperationsvereinbarung sowie diesbezüglicher Aussagen von Vertretern des Schulministeriums Fragen zur generellen Einstellung zur Bundeswehr sowie zur praktischen Umsetzung der neuen Kooperationsvereinbarung. In der neuen Kooperationsvereinbarung ist nunmehr festgelegt, dass unterschiedliche Institutionen und Organisationen gleichberechtigt und gleichgewichtet einbezogen werden. Laut Neuer Westfälischer erklärte eine Sprecherin des Schulministeriums, dass Vorträge von Soldaten im Klassenraum nur noch erlaubt seien, wenn Schulen zugleich Vertreter von Friedensinitiativen oder Kirchen einlüden. In der Anhörung 12.01.2011 zur Frage der Kooperationsvereinbarung im nordrhein-westfälischen Landtag (APr 15/92) äußerte sich zu dieser Frage Prof. Dr. Jörn Ipsen von der Universität Osnabrück, zu dessen Schwerpunkten der Bereich des Staatsrechts zählt. Er erklärte: „Unsere Verfassungsordnung ist durch eine prinzipielle Unterscheidung von Staat und Gesellschaft gekennzeichnet. Unter „Staat“ sind sämtliche Staatsorgane von Bund und Ländern wie alle Stellen öffentlicher Verwaltung zu verstehen . (…) Bei Ausübung dieser Befugnisse ist der Staat an die Grundrechte gebunden. (…) Gesellschaftliches Handeln bedarf im Gegensatz zur Ausübung der staatlichen Befugnisse keiner Legitimation durch das Grundgesetz, sondern vollzieht sich in Ausübung der grundgesetzlich gewährleisteten Freiheit. (…) Die Bundeswehr ist Teil der staatlichen Organisation. (…) Vereinigungen, die sich den Schutz oder die Förderung des Friedens zum Ziel gesetzt haben, sind Organisationen der Gesellschaft. Ihre Tätigkeit ist durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit und der Vereinigungsfreiheit geschützt. Sie bewegen sich aber auf einer prinzipiell anderen Ebene als die Streitkräfte und können deshalb nicht als ihre Antipoden begriffen werden. (…) Es besteht kein Zweifel, dass der Beitrag, den diese Gruppen leisten, zur öffentlichen Diskussion in einer demokratischen Verfassungsordnung erwünscht ist und in seiner Zuspitzung auch zur öffentlichen Meinungsbildung beiträgt. Gleichwohl werden diese Gruppen nicht durch Verfassung oder Volk legitimiert, sondern allein durch ihre Mitglieder. Sie haben deshalb keinen Anspruch auf Mitwirkung in staatlichen Institutionen, um in den Schulen gewissermaßen als notwendiger Gegenpart zu den Kontakten mit der Bundeswehr aufzutreten. Dies wäre ein grundsätzliches Missverständnis unserer Verfassungsordnung.“ Laut diesen Ausführungen ist eine umfassende Einbindung von Friedensorganisationen wünschenswert, diese sich jedoch – anders als die Bundeswehr – nicht in der entsprechenden Form aus der Verfassung heraus legitimieren. Insofern überrascht die Gleichsetzung einer staatlichen Organisation mit anderen Organisationen, wie sie vom Ministerium vorgetragen wird. So erklärte eine Sprecherin des Ministeriums in dem oben genannten Artikel, dass Vertreter von Friedensinitiativen oder Kirchen gleichberechtigt eingeladen werden müssten, „wenn die Bundeswehr zwei Stunden bekommt, sollen andere auch zwei Stunden erhalten“. Es stellt sich die Frage, wie eine solche Regelung umsetzbar ist, etwa, wenn keine Organisation zur Verfügung steht oder welcher Zeitstrahl der gleichgewichteten Einbindung zugrunde liegt. Warum die Frage der Ausgewogenheit der jeweiligen Organisationen nicht unerheblich ist, zeigt ein Beispiel, das in der Anhörung vom Befehlshaber des Wehrbereichs II der Bundeswehr genannt wurde: „Lassen Sie mich das an einem Beispiel – das liegt heute sehr nahe – deutlich machen. Es wurde empfohlen, auch die DFG-VK einzuladen; die GEW hat diesen Vorschlag gemacht. (Der Redner hält ein Bild hoch.) Das ist ein Plakat der DFG-VK. Es zeigt einen Soldaten in Bundeswehruniform mit einem aufgesetzten Schweinskopf. Er sitzt vor dem Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin. Dort lesen Sie den Text: Feste feiern, wie sie fallen – fallen hier zynisch in dem doppelten Sinne. Es wird ein Tag und eine Uhrzeit angegeben und dazu aufgerufen, an dem Tag Y, an dem der nächste deutsche Soldat im Einsatz fällt, ein Fest an dem Ehrenmal zu feiern.“ Auch wenn der Vertreter, der für die DFG-VK NRW sprach, erklärte, dass dieses Vorgehen in Berlin sehr umstritten sei (und das angeführte Bei- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1781 3 spiel nicht repräsentativ sein dürfte), stellt sich die Frage, auf welcher Basis die Auswahl gleichgewichteter Einbeziehung erfolgen soll und ob das Prinzip der Ausgewogenheit und des Überwältigungsverbots für alle beteiligten Organisationen gesichert wird. Pädagogen haben bei diesen Veranstaltungen durchgehend anwesend zu sein und sind für den Unterricht verantwortlich; die Schulen entscheiden über die Ausgestaltung der Umsetzung der Vereinbarung. Dennoch muss die Landesregierung die Frage beantworten, wie eine Auswahl der Organisationen erfolgt, ob auch auf dieser Seite ein Überwältigungsverbot sichergestellt wird und nicht Landesmittel, die von Rot-Grün zu diesem Zweck im Landeshaushalt verankert worden sind, gegebenenfalls an fragwürdige Vertreter von Organisationen gezahlt werden . In der Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr wird explizit auf die – selbstverständlich unverzichtbare – Orientierung der politischen Bildung am Grundgesetz, der Landesverfassung , dem Schulgesetz und den Rahmenvorgaben für politische Bildung hingewiesen . Es stellt sich daher die Frage, ob es ebenfalls entsprechende Vorgaben für andere gleichberechtigt und gleichgewichtig eingesetzte Organisationen von Seiten des Landes geben wird, wenn eine staatliche Organisation wie die Bundeswehr auf ihre Verpflichtung auf das Grundgesetz und weitere rechtliche Vorgaben explizit hingewiesen wird. Vorbemerkung der Landesregierung Die Fortschreibung der Kooperationsvereinbarung zwischen dem Ministerium für Schule und Weiterbildung und dem Wehrbereichskommando ll der Bundeswehr stellt die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr in den Rahmen des Beutelsbacher Konsenses. Dennoch muss das, was in der Gesellschaft strittig ist, auch in der Schule strittig dargestellt werden. Damit dies sichergestellt wird, sind die Schulen aufgefordert, neben den Jugendoffizieren auch Vertreterinnen und Vertreter anderer Institutionen sowie Organisationen der Friedensbewegung gleichberechtigt und gleichgewichtig einzubeziehen. Dabei gelten für diese Vertreterinnen und Vertreter die gleichen Grundlagen wie für die Jugendoffiziere. Die für den Unterricht verantwortliche Lehrkraft stellt die Einhaltung dieser Grundlagen sicher. 1. Wie bewertet die Landesregierung unter Berücksichtigung der Formulierungen “gleichberechtigt und gleichgewichtig” den angesprochenen Unterschied zwischen Organisationen, die sich aus der Verfassung heraus legitimieren und solchen Organisationen, die sich “aus den Mitgliedern heraus” legitimieren? In § 5 SchulG NRW „Öffnung von Schule, Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern“ wird nicht zwischen Organisationen, die sich aus der Verfassung heraus legitimieren und solchen Organisationen, die sich „aus den Mitgliedern heraus“ legitimieren, unterschieden. Zur Erfüllung des schulischen Bildungs- und Erziehungsauftrags arbeiten die Schulen bei Bedarf mit verschiedenen Akteuren zusammen, darunter auch mit der Bundeswehr. 2. Bedeutet die Ankündigung der Sprecherin des Schulministeriums, wenn die Bundeswehr “zwei Stunden bekomme, sollen andere auch zwei Stunden erhalten ”, dass, wenn keine Friedensorganisation zur Verfügung steht, auch die Bundeswehr keine Veranstaltungen durchführen darf? Die Landesregierung geht davon aus, dass entsprechende Vertreterinnen und Vertreter von Institutionen sowie Organisationen der Friedensbewegung grundsätzlich zur Verfügung stehen . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1781 4 3. Bedeutet die gleichgewichtete Einbeziehung, dass dies an einem bestimmten Tag zu erfolgen hat oder steht hierfür ein längerer Zeitstrahl zur Verfügung (wenn ja, bitte ausführen, welchen Zeitstrahl die Landesregierung hierbei zugrunde legt)? Die Landesregierung geht davon aus, dass die Einbeziehung von Jugendoffizieren im Schulunterricht , z. B. im Fach Politik zu Fragen der Sicherheitspolitik, im Rahmen einer entsprechenden Unterrichtssequenz zu diesem Thema erfolgt. Die Vorgabe verlangt, dass Vertreterinnen und Vertreter anderer Institutionen bzw. Organisationen der Friedensbewegung im Rahmen dieser Unterrichtssequenz gleichberechtigt und gleichgewichtig berücksichtigt werden . Eine darüber hinausgehende zeitliche Vorgabe erfolgt nicht. Die verantwortliche Lehrkraft entscheidet in eigener Verantwortung über die Durchführung ihres Unterrichts. 4. Welche Maßnahmen zur Unterstützung der Pädagogen und Schulen wird die Landesregierung ergreifen, um sicherzustellen, dass sich auch die Friedensorganisationen an das Überwältigungsverbot halten? 5. Welche entsprechenden Vorgaben für die Einbindung von Friedensorganisatio- nen (Hinweise auf die Grundlage des Grundgesetzes und weiterer rechtlicher Vorgaben, wie sie in der Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr als staatlicher Organisation fixiert sind) wird die Landesregierung machen und den Schulen zur Verfügung stellen? Die rechtlichen Grundlagen für die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr bei der Behandlung von Fragen der “Sicherheitspolitik” im Schulunterricht im Rahmen der politischen Bildung sind in der Kooperationsvereinbarung aufgeführt. Die entsprechenden Vorgaben des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, der Verfassung für das Land NordrheinWestfalen , des Schulgesetzes und der Rahmenvorgabe für politische Bildung sind somit auch Grundlagen für die Einbeziehung der Vertreterinnen und Vertreter von Institutionen sowie der Organisationen der Friedensbewegung im Schulunterricht. Die jeweilige Lehrkraft stellt die Einhaltung dieser Vorgaben sicher.