LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1794 07.01.2013 Datum des Originals: 04.01.2013/Ausgegeben: 10.01.2013 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 728 vom 28. November 2012 der Abgeordneten Rolf Seel und Josef Wirtz CDU Drucksache 16/1590 Probleme der neuen Polizeidienstvorschrift (PDV 300) Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 728 mit Schreiben vom 4. Januar 2013 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die geplante Einführung der neuen PDV 300 beunruhigt derzeit viele Polizeibeamte in Nordrhein -Westfalen. Nach den vorliegenden Informationen scheint beabsichtigt zu sein, zukünftig den Status der „eingeschränkten Polizeidienstfähigkeit“ abzuschaffen. Es würde dann nur noch zwischen „polizeidienstfähig“ und „polizeidienstunfähig“ unterschieden. Dies hätte für viele Betroffene verheerende finanzielle und soziale Auswirkungen. Darüber hinaus wären hohe Pensionslasten für den Steuerzahler zu erwarten und es würde viel polizeiliche Erfahrung in allen Bereichen verloren gehen. Obwohl viele Beamtinnen und Beamten körperlich eingeschränkt sind, können sie derzeit sinnvoll im Polizeidienst eingesetzt werden. Trotz Handicap leisten sie einen großen und unverzichtbaren Beitrag innerhalb der Polizei. Diese Möglichkeit muss auch zukünftig erhalten bleiben, da sonst in Zukunft jeder junge Polizist riskieren muss, bei der kleinsten dauerhaften Einschränkung, von der Polizeidienstunfähigkeit und damit vom plötzlichen Ende der beruflichen Existenz betroffen zu sein. Darunter würde die Attraktivität des Polizeidienstes massiv leiden. Höchst wahrscheinlich werden sich weniger junge Menschen für eine Laufbahn bei der Polizei entscheiden. Außerdem sehen wir darin eine Diskriminierung der betroffenen Beamten, die stets eine gute Arbeit geleistet haben. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1794 2 Eine aufgabengerechte Personalausstattung der Polizei ist für die Gewährleistung der Inneren Sicherheit aus unserer Sicht unverzichtbar. Daher muss es unser Ziel bleiben, dass Menschen mit Verwendungseinschränkung oder Behinderung nach Beendigung aller RehaMaßnahmen wiedereingegliedert und nicht ausgemustert werden. Ein anderes Vorgehen wäre respektlos und würde der sozialen Verantwortung gegenüber unseren Polizistinnen und Polizisten nicht gerecht. Vorbemerkung der Landesregierung Der Polizeivollzugsdienst stellt im Vergleich zu anderen Laufbahnen erhöhte Anforderungen an die physische und psychische Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit. er. Da Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte (PVB) zu jeder Zeit, an jedem Ort und in jeder dem statusrechtlichen Amt entsprechenden Stellung einsetzbar sein müssen (vgl. BTDrucks 3/1425, S. 11), beurteilt sich die gesundheitliche Eignung für den Polizeivollzugsdienst nach besonderen Maßstäben. Maßgebend hierfür sind nach der Rechtsprechung die besonderen gesundheitlichen Anforderungen, wie sie für alle laufbahntypischen Aufgaben des allgemeinen Polizeivollzugsdienstes vorausgesetzt werden (BVerfG 10.12.2008, ES/ AII 1.4 Nr. 173). Die körperliche, geistige und seelische Belastbarkeit muss u.a. die Verwendung im Außenund Schichtdienst gestatten und den körperlichen Einsatz gegen Rechtsbrecher, die Anwendung unmittelbaren Zwangs sowie den Gebrauch von Schusswaffen zulassen (BVerwGUrteil vom 03.03.2005, Az.: 2 C 4/04). Für das Land Nordrhein-Westfalen enthält § 116 Landesbeamtengesetz NRW (§ 194 LBG a.F.) entsprechende Vorschriften. Zur Feststellung der Polizeidienstfähigkeit sowie für die erforderliche Prognose, ob die volle Verwendungsfähigkeit innerhalb von zwei Jahren wiedererlangt werden kann, kann die Behörde gem. § 116 Abs. 2 LBG eine polizeiärztliche Begutachtung in Auftrag geben, die sich nach der Polizeidienstvorschrift (PDV) 300 richtet. Die „Ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und Polizeidienstfähigkeit - PDV 300" ist eine zwischen Bund und Ländern abgestimmte Verwaltungsvorschrift zur polizeiärztlichen Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit bzw. -fähigkeit von Polizeibewerberinnen und - bewerbern bzw. Widerrufs-, Probe- und Lebenszeitbeamten. Sie dient wie die anderen PDV der Vereinheitlichung von polizeilichen Verfahrensweisen und Standards im föderativen Polizeisystem . Die PDV 300 in der Fassung vom Mai 1998 bezog in die Beurteilung der Polizeidienstfähigkeit auch den individuell wahrgenommenen Dienstposten der betroffenen PVB ein. Es gab daher bei Lebenszeitbeamtinnen und -beamten auch die Bewertung "eingeschränkt polizeidienstfähig ", wonach die gesundheitlichen Anforderungen als erfüllt galten, wenn "die auszuübende Funktion" die besonderen gesundheitlichen Anforderungen nicht mehr in vollem Umfang erfordern sollte. Damit entfiel eine Polizeidienstunfähigkeit, wenn PVB (zufällig) eine Funktion wahrnahmen, die die volle Dienstfähigkeit nicht erforderte. Der Status der "eingeschränkten Polizeidienstfähigkeit" wurde jedoch durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) insbesondere aus Gleichbehandlungsaspekten verworfen. Es ist demnach nur noch zwischen Polizeidienstfähigkeit und -unfähigkeit zu entscheiden, wobei bei Letzterer die Entscheidung über die Weiterbeschäftigung der PVB im Polizeivollzugsdienst im jeweiligen Organisationsermessen des Dienstherrn steht. Mit der Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit ist somit noch nicht über die Frage einer Zurruhesetzung entschieden; die Zurruhesetzung ist nur eine der drei in § 116 LBG genannten Rechtsfolgen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1794 3 Die Vorgaben des BVerwG werden durch die Neufassung der PDV 300 in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen zur Polizeidienstfähigkeit bundesweit einheitlich nachvollzogen . Dabei wird der altersentsprechende Zustand lebensälterer PVB berücksichtigt. Nach diesen Vorgaben sind auch PVB, die Dienst verrichten, polizeidienstunfähig, wenn sie aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigung nur in bestimmten und nicht mehr in allen ihrem statusrechtlichen Amt zugehörigen Verwendungen einsetzbar sind und wenn nicht zu erwarten ist, dass die volle Verwendungsfähigkeit innerhalb von zwei Jahren wiedererlangt wird. Das Verhältnis zwischen den beamtenrechtlichen Regelungen zur Dienstunfähigkeit und dem Schwerbehindertenrecht im SGB IX wird im Übrigen auch durch die Neufassung der PDV 300 nicht verändert. 1. Ist es zutreffend, dass in der neuen Polizeidienstvorschrift (PDV 300) nur noch eine Unterscheidung zwischen polizeidienstfähigen und polizeidienstunfähigen Beamten vorgesehen ist? Ja, soweit die Polizeidienstfähigkeit bei Lebenszeitbeamten Gegenstand der ärztlichen Beurteilung ist. Ansonsten unterscheidet die PDV 300 zwischen der Polizeidienst(un)tauglichkeit der Bewerberinnen und Bewerber für den Polizeivollzugsdienst und der Polizeidienst (un)fähigkeit von PVB. 2. Wie viele Polizeibeamte sind in Nordrhein-Westfalen derzeit lediglich eingeschränkt verwendungsfähig? Die Daten werden im Rahmen des Landeslagebildes von der AG Verwendungseinschränkung II erhoben und werden in die Antwort zur Großen Anfrage 1 einfließen. Im Einzelnen wird auf die Vorbemerkung I. zum Zwischenbericht der Großen Anfrage 1 (Drucksache 16/763) hingewiesen. 3. Welche Zielsetzung verfolgt die Landesregierung in Bezug auf eingeschränkt ver- wendungsfähige Polizeibeamte, die auch nach der Beendigung von RehaMaßnahmen nicht wieder in den Polizeidienst eingegliedert werden können? Der Handlungsspielraum wird in solchen Fällen durch § 116 LBG vorgegeben. Nach Feststellung einer Polizeidienstunfähigkeit durch ein Gutachten eines verbeamteten Polizeiarztes hat der Dienstherr basierend auf dieser Kenntnislage die nachfolgende Entscheidung zu treffen , ob und welche der Fallgestaltungen des § 116 LBG (Rechtsfolgenverzicht, vorzeitige Zurruhesetzung, Laufbahnwechsel) in jedem Einzelfall konkret zum Tragen kommt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1794 4 4. Hat die Landesregierung ein Interesse daran, wenn aus gesundheitlichen Gründen eine nennenswerte Zahl von Polizeibeamten aus dem Dienst ausscheiden sollte? Die Landesregierung hat einerseits ein Interesse daran, Verwendungseinschränkungen von PVB möglichst vorzubeugen, wie z.B. durch Maßnahmen des Arbeitsschutzes und des Behördlichen Gesundheitsmanagements. Auf der anderen Seite verfolgt die Landesregierung das Ziel, durch individuell angepasste Maßnahmen - z.B. im Rahmen des Betrieblichen Eingliederungsmanagements - dauernden Verwendungseinschränkungen und Dienstunfähigkeit entgegenzuwirken und so einen Verbleib im Polizeivollzugsdienst zu ermöglichen.